Koch: „Russland ist ein interessanter Markt für uns. Auch und gerade für Opel“
Ministerpräsident Roland Koch in Interview mit der Welt am Sonntag
Welt am Sonntag: Herr Ministerpräsident, auf den Unions-Wahlplakaten zur Europawahl ist nur Angela Merkel zu sehen, die doch gar nicht zur Wahl steht. Ist das nicht zu viel des Personenkultes?
Roland Koch: Es ist doch vernünftig, dass wir mit unseren stärksten Botschaften werben. Und Angela Merkel ist nun mal die starke Stimme in Europa. Diese Botschaft ist so richtig, dass auch jeder wissen muss, dass er damit ein starkes Signal auch für Deutschland gibt.
WamS: Dennoch steht Ihrer Partei eine herbe Wahlniederlage bei den Europawahlen bevor. Ist das dann auch die die Niederlage für Merkel?
Koch: Vor fünf Jahren wurde auf dem absoluten Tiefpunkt von Rot-Grün gewählt, deswegen war das Ergebnis seinerzeit sehr untypisch. Ich bin aber überzeugt, dass die CDU/CSU mit großem Vorsprung auf die SPD heute Abend die Europa-Partei sein wird.
WamS: 40 Prozent plus x also, nachdem Sie vor fünf Jahren 44,5 Prozent hatten?
Koch: Das sehen wir heute Abend.
WamS: Also doch lieber sich am relativ schlechten Ergebnis der Bundestagswahl 2005 messen lassen, damals 35,2 Prozent?
Koch: Unser Ziel ist, unsere dominante Stellung zu halten. Wir wollen als klare Nummer eins zeigen, dass eine bürgerliche Mehrheit in Deutschland möglich ist. Jeder Prozentpunkt, den wir mehr bekommen, ist ein guter Prozentpunkt.
WamS: Die SPD hingegen kann nur gewinnen, so schlecht, wie ihr Ergebnis 2004 mit 21,5 Prozent war.
Koch: Das war ja auch der tiefste Tiefpunkt. Aber die Menschen werden sehr genau darauf achten, wer die stärkste politische Kraft ist.
WamS: Also ist die Europawahl ein klares Signal für die Bundestagswahl?
Koch: So werden es jedenfalls alle Beobachter heute Abend interpretieren. Und wir finden es auch gar nicht schlecht, wenn die Menschen jetzt schon politisiert sind für das, was in wenigen Monaten kommt.
WamS: Bis zu 80 Prozent der wichtigen Entscheidungen werden in Brüssel gefällt. Werden die Deutschen je begreifen, wie wichtig die EU ist?
Koch: Dazu müssen wir Europa stärker personalisieren. Wir brauchen den Vertrag von Lissabon. Er wird das Parlament weiter stärken und es wird dann einen hauptamtlichen Präsidenten als ein europäisches Gesicht für viele Jahre geben. Die Strukturen werden dann für den Bürger wesentlich leichter durchschaubar. Diese Transparenz ist unbedingt notwendig.
WamS: Sollte es bei der konservativen Mehrheit bleiben, wären Sie für eine Verlängerung der Amtszeit des jetzigen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso?
Koch: Ja, er macht eine gute Arbeit.
WamS: In Ihrer Partei gibt es etliche, die Friedrich Merz gern als EU-Kommissar in Brüssel sehen wollen. Sollte die Kanzlerin ihn nominieren, wenn es eine schwarz-gelbe Mehrheit nach der Bundestagswahl gibt?
Koch: Jeder, der geeignet ist, sollte nicht dadurch beschädigt werden, dass über ihn geredet wird.
WamS: Merz ist also schon beschädigt?
Koch: Nein, aber diese Entscheidung kann erst nach der Bundestagswahl getroffen werden.
WamS: Ihr eigenes Interesse an Brüssel ist noch immer nicht existent?
Koch: Richtig.
WamS: Merz galt immer als das ordnungspolitische Gewissen der Union, ebenso wie Sie. Bei Ihnen sind wir nach der Opel-Rettung nicht mehr so sicher. Alle Experten stützen den Wirtschaftsminister und seine Forderung nach einer geordneten Insolvenz, die weit günstiger und sicherer für den Steuerzahler gewesen wäre.
Koch: Ich kann nicht erkennen, dass alle Experten dieser Meinung gewesen wären. Aber es ist offensichtlich, dass diese Frage wegen der Sorge um die Arbeitsplätze und der ordnungspolitischen Dimension viele Politiker in der Union innerlich zerreißt.
WamS: Sie auch?
Koch: Mich auch. Zumal ich fürchte, dass wir diese Entscheidungen in Zukunft noch öfter werden treffen müssen. Nehmen wir den Verlust von Arbeitsplätzen hin, obwohl damit wichtige Strukturen und technologisches Know-how verloren gehen? Oder retten wir, wenn es zudem eine positive Fortführungsprognose gibt?
WamS: Ja, was sagt Ihr ordnungspolitischer Kompass da?
Koch: Jeder Einzelfall muss geprüft werden, nach einheitlichen Kriterien. Es gehört zu den Aufgaben des Staates, in Ausnahmesituationen die zerstörerische Radikalität des Marktes zu stoppen. Staatsplanung darf nie die Marktkräfte ersetzen. Aber es kann auch Verantwortung des Staates sein, Prozesse abzumildern.
WamS: Wie kommt es, dass Sie eine Idee von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstützen – und den Russen und Wladimir Putin Zugriff auf Opel geben?
Koch: Russland ist ein interessanter Markt für uns. Auch und gerade für Opel. Das ist eine normale Partnerschaft, wenn sie ökonomisch fair abläuft.
WamS: Was hat der Staat gegen die Käufer Magna und die Russen in der Hand?
Koch: Wir haben nicht die Absicht, das Unternehmen zu steuern. Insofern haben wir auch nichts in der Hand. Das betriebswirtschaftliche Konzept gibt uns das Vertrauen, dass das Unternehmen eine Zukunftschance hat. Wir wollen keine Staatsbeteiligung beim Handwerksmeister, dem wir nach denselben Kriterien helfen, und wir wollen sie auch nicht bei Opel.
WamS: Können Sie dieses Vertrauen denn überhaupt haben? Die Brückenfinanzierung von 300 Millionen Euro hat nicht Magna bezahlt, sondern der deutsche Steuerzahler. Wer die Pensionslasten von vier Milliarden Euro übernimmt, ist ungeklärt. Opel muss 6,5 Milliarden Euro für Lizenzen an GM bezahlen.
Koch: Da gibt es viele Nebelbomben. Die Brückenfinanzierung war nur notwendig, weil die KfW anfangs nicht innerhalb von 48 Stunden finanzieren konnte. Magna hat das Geld nachgewiesen. Als die KfW dann doch finanzieren konnte, war es nicht mehr notwendig, dass Magna das Geld vorschießen würde. Ähnlich ist es mit den Pensionslasten und den Lizenzen. Beides wurde in den Verhandlungen besprochen und ist keineswegs neu. Ich bin nach wie vor sehr optimistisch, dass wir die Grundlage für einen erfolgreichen europäischen Autokonzern geschaffen haben.
WamS: Sind Sie auch für eine Staatshilfe bei Arcandor?
Koch: Arcandor hat das gleiche Recht, nach den gleichen Kriterien geprüft zu werden. Es muss aber einen sehr nachhaltigen Beitrag der Eigentümer und Banken geben, den ich bis jetzt nicht sehe.
WamS: Die Kritik wird immer lauter, dass vor dem Bundestagswahlkampf alle finanziellen Dämme brechen. Stehen wir vor dem teuersten Wahlkampf aller Zeiten?
Koch: Die permanente Verbindung des Wahlkampfes und der Rettungsaktionen ist unfair. Ich persönlich würde keine einzige Entscheidung anders treffen, wenn die Bundestagswahl nicht wäre. Es ist Teil der sozialen Marktwirtschaft, in einer solchen Ausnahmesituation einen Schutzschirm aufzubauen. Wir werden das in Zukunft leider noch oft tun müssen – und zwar bei einem Betrieb mit 15 Mitarbeitern, wenn die Kriterien erfüllt sind, genauso wie bei einem mit 50 oder 100 Mitarbeitern. Das halten wir in Hessen mit Erfolg seit Langem so. Mit einer Ausfallquote von zwei bis drei Prozent.
WamS: Die Krise ist noch nicht vorbei?
Koch: Ich fürchte, dass die Folgen noch lange nicht in vollem Umfang zu sehen sind. Wenn der Staat hier nicht bereit ist einzuspringen, werden wir eine extrem schwierige Situation im Land bekommen.
WamS: Die SPD hat die Kanzlerin in der Zange: Sobald Angela Merkel Nein zur Rettung einer Firma sagt, werden die Sozialdemokraten die Union als unsozial brandmarken. Sitzen Sie in der Falle?
Koch: Keineswegs, denn die Menschen differenzieren hier sehr stark. Wenn eine Partei glaubt, immer Ja sagen zu müssen, ohne die Fälle einzeln zu prüfen, wird sie Schaden nehmen.
WamS: Wird die Strategie funktionieren, einen ausschließlich auf Angela Merkel zugeschnittenen Wahlkampf zu machen?
Koch: Niemand in der CDU hat das jemals behauptet. Aber es ist klar, dass die Kanzlerin unser stärkstes Pfund ist. Sie hat eine hohe Autorität, eine hohe Popularität und eine hohe Erfolgquote. Die CDU müsste Tinte gesoffen haben, wenn sie das nicht zum Gegenstand ihres Wahlkampfes machen würde. Aber Merkel steht natürlich nicht allein und sie steht nicht ohne Programm.
WamS: Wie viele Anforderungen für Wahlkampfauftritte haben Sie selbst?
Koch: Als stellvertretender Parteivorsitzender habe ich weit mehr, als ich machen kann. 30 Veranstaltungen kann ich schaffen, und die mache ich auch.