Koch: „Ich muss komplizierte Verhältnisse zusammenhalten“
Ministerpräsident Koch im Interview mit dem Darmstädter Echo
ECHO: Herr Ministerpräsident, aus dem harten Polarisierer ist ein Harmonie predigender geschäftsführender Regierungschef geworden. Zeigt sich in diesem erstaunlichen Wandel Einsicht aus der Wahlniederlage, oder ist das alles nur Taktik?
Koch: Ich glaube, dass es in der Politik unterschiedliche Rollen gibt. Nach einem komplizierten Wahlergebnis muss ich versuchen, sehr komplizierte Verhältnisse zusammenzuhalten, damit das Land und die Menschen keinen Schaden nehmen. Ein Politiker zeichnet sich dadurch aus, dass er weiß, was jeweils der Schwerpunkt der Verantwortung ist, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt zu tragen hat.
ECHO: Sie haben nach der Wahl an Rücktritt gedacht. Inzwischen aber wirken sie nicht unzufrieden mit Ihrer Rolle – trotz aller Beschränkungen, der eine geschäftsführende Regierung unterliegt.
Koch: Ich wollte die Wahl gewinnen, und deshalb bin ich mit dem Ergebnis natürlich nicht zufrieden. Auch meine Partei nicht. Wir haben das Wahlergebnis aufgearbeitet und Veränderungen in Stil und Inhalt vorgenommen. Und wenn man ein solches Amt lange bekleidet hat, dann muss man wissen, dass man die Aufgabe auch in schwierigen Zeiten wahrzunehmen hat. Da kann man nicht jeden Tag gramgebeugt durch die Landschaft laufen.
ECHO: Die ersten Abstimmungen im Landtag haben gezeigt, dass jetzt SPD, Grüne und Linke den Takt vorgeben. Ist das nicht bitter für Sie, ausführen zu müssen, was die anderen beschlossen haben? Nehmen wir nur das Gesetz über die Streichung der Studiengebühren und den Antrag auf Rückkehr in die Tarifgemeinschaft der Länder.
Koch: Da muss genau unterschieden werden. Natürlich wird die Landesregierung ein vom Landtag beschlossenes Gesetz zur Abschaffung der Studienbeiträge umsetzen. Das gebietet schon die Verfassung. Aber die Regierung wird bei ihrer Meinung bleiben, dass das ein Schaden für die Zukunft der hessischen Studierenden ist. Und dass sogar die Langzeitstudiengebühren abgeschafft werden sollen, das verstehe ich beim besten Willen nicht.
ECHO: Das gilt für Gesetze. Und was ist mit Anträgen?
Koch: Gegenseitiger Respekt ist im Verhältnis von Parlament und Regierung gefordert. Das bedeutet, Anträge, mit denen man einzelne Verwaltungsentscheidungen beeinflussen will, können die Regierung nicht binden. Wir respektieren die Rechte des Landtags, aber wir erwarten auch Respekt vor den Rechten der Regierung. Der Landtag hat am Mittwoch einen nicht ungefährlichen Weg eingeschlagen, als SPD, Grüne und Linke mit Blick auf ausreisepflichtige Afghanen eine Entscheidung getroffen haben, mit der sie versuchen, nicht nur die zweite Gewalt zu binden, sondern auch noch der dritten Gewalt, der Gerichtsbarkeit, mitteilen, dass ihr deren Urteile nicht passen. Es ist ein Novum, dass per Landtagsbeschluss Schelte am obersten hessischen Verwaltungsgericht betrieben wird.
ECHO: Das deutet darauf hin, dass aus dem allseits in der ersten Plenarsitzung beschworenen neuen Miteinander schnell das gewohnte Gegeneinander wird.
Koch: Da wird bald auch wieder etwas Besonnenheit einkehren. Aber es bleibt dabei: Das Parlament kann Gesetze machen, und Verwaltungsentscheidungen sind unsere Angelegenheit. Wenn das erst einmal klar ist, wird sich auch herausstellen, dass Abstimmungen mit unterschiedlichen Mehrheiten möglich sind, wie der Grünen-Fraktionsvorsitzende Tarek Al-Wazir sie angekündigt hat. Das kann man in der ersten Sitzung nicht erwarten. Da besteht ja noch so ein emotionaler Druck aus dem Wahlkampf, endlich etwas zu beschließen.
ECHO: Apropos Tarek Al-Wazir. Während des Wahlkampfs haben Sie ihn noch an der Seite von Kommunisten gesehen, jetzt sieht es so aus, als würden Sie geradezu um seine Gunst buhlen, weil Sie ihn in Ihr Koalitionsboot holen wollen. Sehen sie dafür wirklich Chancen?
Koch: Ich bin sicher, dass die Grünen bei einer von eigenen Interessen geleiteten Analyse in den nächsten Monaten sich fragen werden, ob sie in dieser babylonischen Gefangenschaft eines linken Blocks wirklich gut aufgehoben sind. Auch und gerade wenn sie sich den Zustand der anderen beiden Parteien anschauen, vor allem den erschreckenden Zustand der hessischen SPD. Und im Übrigen hat die politische Grundeinstellung ja nichts mit der Frage des persönlichen Respekts zu tun.
ECHO: Sondern?
Koch: Al-Wazir und ich ringen und kämpfen schon sehr lange miteinander. Aber das heißt nicht, dass wir jetzt neu anfangen müssten, was den persönlichen Umgang und Respekt voreinander betrifft. Nur – die Frage wie sich eine neue Parlamentsmehrheit zusammensetzt, ob es sie überhaupt gibt, wird erheblich von den Grünen abhängen. Das wissen alle. Und deshalb wird es diese Kontakte und Diskussionen in Zukunft geben, welches Ergebnis sie auch immer haben werden.
ECHO: Das heißt, sie sind sich sicher, dass Jörg-Uwe Hahn und die FDP an Ihrer Seite bleiben und nicht in eine „Ampel-Koalition“ mit SPD und Grünen eintreten.
Koch: Aus meiner Sicht ist die hessische FDP der Prototyp einer Partei, die einen ganz beachtlichen Teil ihres Selbstbewusstseins und Erfolgs aus ihrer Berechenbarkeit bezieht. Und das wird sie nicht aufgeben.
ECHO: Gemeinsamkeiten mit den Grünen sehen Sie unter anderem in der Schulpolitik. Aber um Reparaturen an G-8, der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit, oder eine Ausweitung der Ganztagsangebote zu beschließen, braucht das rot-rot-grüne Lager die CDU doch überhaupt nicht.
Koch: Vorsicht! Die Sozialdemokraten haben gesagt, sie wollten G-8 abschaffen, die Grünen sagen, sie wollen G-8 nicht abschaffen, sondern verbessern. Das sagen CDU und FDP auch. Unabhängig davon geht es in der Bildungspolitik am Ende doch darum, ob die SPD sich durchsetzt mit ihrer Absicht, ein integriertes Einheitsschulsystem über das ganze Land zu ziehen, oder ob es selbst bei unterschiedlichen Sympathien für bestimmte Schulformen in ganz Hessen eine Wahlmöglichkeit für Eltern gibt. Und da lohnt es sich, im Landtag um Mehrheiten zu werben.
ECHO: Die Ankündigung aus Ihrem Munde, Hessen zu einem Musterland für regenerative Energien machen zu wollen, war eine Überraschung. Wir erinnern uns noch an Ihren Kampf gegen „Windradmonster“ vor der Wahl. Vom Wind wollen Sie immer noch nicht viel wissen, sondern Sie setzen jetzt auf Biomasse. Aber müssen Sie den Grünen nicht mehr bieten, um sie auf Ihre Seite zu locken? Zum Beispiel ein Signal der Annäherung in der Atomfrage, unter anderem bei der Bewertung der Restlaufzeiten der Reaktoren in Biblis?
Koch: Über die Laufzeiten von Kernkraftwerken werden die Grünen und die CDU sich sicher nicht verständigen. Aber das ist auch kein Gegenstand von Landespolitik, sondern dafür ist der Bund zuständig. Wir haben in der Energiepolitik eine begrenzte Möglichkeit zur Gestaltung, aber die können und sollten wir nutzen. Die regenerativen Energien spielen dabei die größte Rolle. Hier lohnt es sich auszuloten, was unter realistischen Annahmen zu erreichen ist – immer unter der Maßgabe, dass Wirtschaft und Bürger weiterhin sicher und möglichst preiswert Strom und andere Energien beziehen wollen, und wir andererseits schonend mit unseren Ressourcen umgehen müssen. Ich bleibe dabei, dass man in einem Land wie Hessen, in dem der Wind nicht häufig genug weht, nicht so viele Windräder aufstellen kann wie etwa in Sachsen-Anhalt oder in einem Küstenland.
ECHO: Herr Ministerpräsident, wie lange kann man ein Land geschäftsführend regieren? Ein Jahr, wie sie selbst angedeutet haben?
Koch: Das ist nur beschränkte Zeit möglich. Denn ein Landtag, der nicht in der Lage ist, einen Ministerpräsidenten zu wählen und sich über einen Haushalt zu verständigen, erfüllt seine Aufgabe nicht. Insofern ist klar: Wenn es eine Mehrheit für einen Haushalt 2009 geben sollte, dann muss eine solche Mehrheit auch die Regierungsverantwortung tragen. Deshalb müssen die Parteien in den nächsten Monaten herausfinden, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Diese Gemeinsamkeiten müssen mehr sein als das Beschließen einiger wohlfeiler Gesetze und Anträge. Mit dem Haushaltsplan für 2009 wird die Nagelprobe für die Politik kommen.
ECHO: Wer wäre denn Ihr Partner in Haushaltsfragen?
Koch: Natürlich können CDU und FDP das gemeinsam, und ich glaube, dass die Grünen in Etatfragen einen weitaus pragmatischeren und vernünftigeren Denkansatz haben als SPD und Linke, die notfalls einfach immer mehr Schulden auftürmen würden. Daher könnte es mit den Grünen zu einer Zusammenarbeit kommen. Wir müssen uns darüber klar werden, dass es nicht eine Aufgabenteilung geben kann, bei der die einen etwas versprechen und die anderen bezahlen.
Das Interview führten Rainer Dinges und Joachim Nieswandt.