Koch: „Eine Chance, jetzt etwas für die Tibeter zu erreichen“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem „FOCUS“
Focus: Übt das IOC genügend Druck auf die chinesische Regierung aus, um die Situation in Tibet zu verbessern?
Koch: Das IOC hätte alle Möglichkeiten auf die Verbesserung der Menschenrechtslage hinzuwirken und viel zu erreichen. Diese so mächtige Organisation muss sie nur nutzen. Das IOC, aber auch der DOSB haben viel zu lange geschwiegen. Das haben die Chinesen als Freibrief verstanden, jede kritische Äußerung zu unterdrücken.
Focus: Wird die Zeit für Tibet knapp?
Koch: Bislang haben die Tibeter auf Gewalt fast vollständig verzichtet, während andere Völker Bomben geworfen haben. Der Dalai Lama ist sogar weltweit ein Symbol für Friedfertigkeit. Die einzige Waffe war die Information der internationalen Öffentlichkeit. Die Chinesen zielen mit den Spielen auf einen propagandistischen Erfolg. Das bietet der Staatengemeinschaft die Chance, jetzt etwas für die Tibeter zu erreichen.
Focus: Mit dem Mount Everest wird der Fackellauf seinen Höhepunkt erreichen…
Koch: … allerdings frage ich mich, warum die TV-Sender sich so danach drängen, den Weg des olympischen Feuers bis zum Mount Everest und nach Lhasa zu verfolgen. Für die Tibeter ist die Inanspruchnahme dieser heiligen Orte für die Politik und das Prestige Pekings eine Provokation.
Focus: Wer hat in Peking Interesse an einem Kompromiss?
Koch: Es gibt in China Kräfte, die auf eine friedliche Lösung drängen. Vor allem die chinesische Militärführung sieht, dass besonders die junge Generation in Tibet den Weg der Gewaltlosigkeit nicht mehr lange gehen will. Die hohen Offiziere wollen aber nicht Soldaten gegen eigene Staatsbürger ins Feld führen und sind über das Ausmaß der Unzufriedenheit in Tibet höchst besorgt.
Der Dalai Lama hat mit dem Verzicht auf die Unabhängigkeit und die Beschränkung auf gewaltlose Mittel zur Durchsetzung von kultureller Autonomie seine Vorleistung erbracht. Nun ist die andere Seite am Zug. Peking muss garantieren, dass die Tibeter ihre Sprache sprechen und ihre religiösen Führer im Land leben dürfen. Die Ausübung der Religionsfreiheit muss garantiert sein. Tibet ist eine buddhistische Region und will es bleiben.