„In gemeinsamer Verantwortung für Hessen – Mut zu neuen Wegen“
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Am vergangenen Samstag habe ich Ihnen meine Auffassung dargelegt, wie die Zusammenarbeit zwischen geschäftsführender Landesregierung und Parlament in der vor uns liegenden Zeit aussehen sollte.
Die Fraktionen des Hessischen Landtags haben ihrerseits in großer Übereinstimmung ihre Loyalität gegenüber der geschäftsführenden Landesregierung erklärt und sich zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bekannt, damit wir der gemeinsamen Verantwortung für Hessen gerecht werden. Dies erfordert auf dieser und jener Seite dieses Hohen Hauses auch den Mut zu neuen Wegen.
Als Ministerpräsident einer nunmehr geschäftsführenden Landesregierung trage ich Verantwortung dafür, dass die Regierungsarbeit trotz des parlamentarischen Patts voranschreitet, dass Hessen gestaltend regiert wird und dass die Interessen der hessischen Bürgerinnen und Bürger auch auf nationaler und europäischer Ebene in vollem Umfang gewahrt bleiben. Das wird auf der Basis einer klaren eigenen Position der Landesregierung geschehen. Ich habe bereits am vergangenen Samstag den Respekt vor den Entscheidungen des Parlaments erklärt. Dort jedoch, wo die Entscheidungskompetenz der Regierung in eigener Verantwortung gegeben ist, werden wir das tun, was aus der Sicht der Regierung richtig und notwendig ist; und wir erwarten, dass dies ebenso selbstverständlich respektiert wird.
Vor uns liegt eine Vielzahl von Aufgaben, die dringend anzupacken und zu bewältigen sind. Einen politischen Stillstand darf es in Hessen nicht geben. Deshalb – und weil es zu Beginn einer neuen Legislaturperiode zu den parlamentarischen Selbstverständlichkeiten gehört – will ich heute mit Ihnen über Inhalte sprechen; und darüber, wie diese Inhalte in Anbetracht der schwierigen Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause in Regierungshandeln umgesetzt werden können. Ich bin sicher, am Ende dieser Erklärung wird sich möglicherweise mancher über die vielfältigen Initiativen und Richtungsangaben wundern, von Stillstand jedoch wird nicht mehr gesprochen werden.
Die besonderen Umstände – und die Erfahrungen aus der Zeit von Ministerpräsident Börner dienen uns als Beispiel – erfordern es, dass ich mich auf die wesentlichen Herausforderungen und Prioritäten konzentriere, die im Fokus dieser geschäftsführenden Landesregierung stehen werden. Der Zeithorizont, den unsere Vorhaben dabei umfassen, kann sich nur auf einen Teil der Legislaturperiode beziehen. Wir dürfen dabei jedoch zu keinem Zeitpunkt das Gesamtbild, also die Zielgerichtetheit und das Ineinandergreifen unseres Handelns aus den Augen verlieren – insbesondere, was die Verantwortung für eine nachhaltige Finanzpolitik anbelangt.
Selbstbewusst auf Erfolgen aufbauen
Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Jahren trefflich über die eine oder andere Frage inhaltlich gestritten. Und wir werden an vielen Stellen auch weiter um den richtigen Weg ringen. In der Tatsache aber, dass in den vergangenen Jahren richtungsweisende Entscheidungen getroffen worden sind und dass Hessen bei vielen Projekten bundesweit Vorreiter in der Umsetzung innovativer Konzepte gewesen ist, die viele andere Länder mittlerweile übernommen haben, besteht Einigkeit. Konkret bedeutet das:
– Hessen hat mit 3,1 Millionen Arbeitsplätzen zurzeit eine Rekordbeschäftigung; die Arbeitslosigkeit ist allein in den letzten zwei Jahren um fast 100.000 oder 30% zurückgegangen.
– Hessen hat heute eine verlässliche Schule. Der zuvor herrschende Unterrichtsausfall von 100.000 Fehlstunden pro Woche ist vollständig beseitigt.
– Hessen hat landesweit einheitliche Bildungsanforderungen und vergleichbare, zentrale Abschlussprüfungen. Beim Ausbau der Ganztagsangebote an allgemeinbildenden Schulen ist unser Land die Nummer eins unter allen westdeutschen Flächenländern. Der Malus, den Hessen zum Ende der 90er Jahre im Bereich Schule aufwies, ist beseitigt.
– Hessen ist ein führender Standort der universitären Forschung und Lehre. Mit dem Autonomiegesetz für die Technische Universität Darmstadt, der Neugründung der Universität Frankfurt als Stiftungsuniversität und der Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg ist unser Land nicht nur Vorreiter, sondern hat auch bundesweit Standards gesetzt.
– Hessen hat eines der ambitioniertesten Hochschulbauprogramme Deutschlands aufgelegt. Der begonnene zweite Bauabschnitt des Frankfurter Innovationszentrums für Biotechnologie und die bevorstehende Einweihung des „House of Finance“ belegen, dass Hessen inzwischen wieder als Platz für Spitzenforschung, wie auch für die gelungene Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft, international anerkannt und gefragt ist.
– In Hessen sind die Weichen für außerordentlich wichtige Infrastrukturmaßnahmen gestellt worden. Ich nenne hier an erster Stelle den Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Frankfurter Flughafens, dessen Tragweite die nationale Bedeutung und Verantwortung unseres Bundeslandes unterstreicht. Mit derselben Entschlossenheit wurde der Ausbau des Flughafens Kassel-Calden sowie der Autobahnen A44, A49 und A66 in den jeweiligen Phasen ermöglicht und vorangetrieben.
– Hessen zählt inzwischen zu einem der sichersten Länder in der Bundesrepublik. Die Zahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner ist im Bundesvergleich eine der niedrigsten; die Aufklärungsquote ist die höchste, die jemals in Hessen gemessen wurde. Die Zahl der Wohnungseinbrüche hat sich seit 1999 halbiert.
– Dank der Zusammenarbeit des Landes mit den Kommunen ist Hessen das bestausgestattete westdeutsche Flächenland bei den Betreuungsangeboten für unter dreijährige Kinder. Damit sind die Voraussetzungen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie geschaffen.
Die mit diesen wenigen Beispielen beschriebene Ausgangssituation ist das Ergebnis großer Anstrengungen. Es ist eine Menge Richtiges und Wichtiges in den vergangenen Jahren geschehen. Darauf lässt sich aufbauen.
Sicherlich, anders gewendet, sind das alles nur nüchterne Fakten. Und wenn man manche Reden, Parteitage und Programme der letzten Monate vor Augen hat, fällt auf, dass mehr mit allgemeinen Begriffen zwischen Angst und der Suche nach Gerechtigkeit gearbeitet wird. Ich will deshalb etwaigen Missverständnissen vorbeugen. Arbeitnehmern, deren Einkommen seit Jahren nicht gestiegen sind, und Rentnern, deren Rente seit Jahren kaum messbar angehoben wurde, ist mit nackten Zahlen keine Hoffnung zu machen – zumal gleichzeitig Steuern, Krankenversicherungsbeiträge und Lebensmittelpreise spürbar steigen. Trotzdem werden gerade den Bürgern, die jeden Euro und Cent so dringend brauchen, die romantische Vorstellung über einen alles regelnden Staat nicht wirklich helfen.
Die aufgezeigten Fakten belegen, dass es den Menschen in Hessen schon heute besser geht als im Durchschnitt Deutschlands. Nichts davon darf durch ideologische Pläne – so schön sie auch klingen mögen – gefährdet werden. Im Gegenteil, Hessen muss auch in Zukunft alles tun, um bei Wirtschaft und Wachstum Spitze zu sein. Nur so helfen wir den Menschen wirklich.
Deshalb können wir durchaus selbstbewusst auf diesem Fundament in der nun beginnenden 17. Legislaturperiode aufbauen.
Auf vier Ebenen gestalten
Viele uns beobachtende Bürger und gerade auch die uns gewohnt kritisch verfolgenden Journalisten fragen sich in diesen Stunden, ob es gelingen kann, die schlichte Notwendigkeit von Entscheidungen – statt Stillstand und Lähmung – in politisches Handeln umzusetzen.
Ich möchte mit der heutigen Regierungserklärung aus der so abstrakt und unverbindlich wirkenden Diskussion über diese Frage herauskommen, indem ich Ihnen unterschiedliche Ebenen unserer Arbeit und der damit verbundenen Entscheidungen präsentiere und die jeweiligen Konsequenzen erläutere. Ich gehe dabei von insgesamt vier uns gemeinsam interessierenden Ebenen aus:
– die Ebene der reinen Regierungsentscheidungen,
– die Ebene der Routinegesetzgebung,
– die Ebene der Zukunftsprojekte ohne Gesetzgebungsbedarf,
– die Ebene grundsätzlicher landespolitischer Entscheidungen.
Sie werden bei meinen Bemerkungen feststellen, je tagespolitischer die Fragen sind, desto eindeutiger bleibt die Kompetenz der Landesregierung, je grundsätzlicher es wird, umso mehr müssen wir neue Formen der kooperativen Entscheidungen finden.
Handeln in eigener Kompetenz
Gestaltungsebene Nummer eins umfasst all diejenigen Kompetenzen, die in den klassischen Aufgabenbereich einer Landesregierung fallen. Wir werden alles das umsetzen und entscheiden, wofür wir durch Gesetz ohnehin schon beauftragt und bevollmächtigt sind.
So werden wir:
– in diesem Jahr nicht nur die ausscheidenden Lehrerinnen und Lehrer ersetzen, sondern 1.000 zusätzliche zum Ausgleich bisheriger Mehrarbeitsstunden einstellen, und es wird eine große bundesweite Anstrengung werden, alle Stellen zu besetzen;
– wir werden die Zahl der Ganztagsangebote an Hessens Schulen auf insgesamt 530 im kommenden Schuljahr erweitern;
– wir werden nach der Entscheidung der Fachkommission in den nächsten Wochen die ersten bundesweit schon heute beachteten LOEWE-Forschungsprojekte an den Hochschulen vergeben. Dafür stehen allein im Jahr 2008 Fördermittel von insgesamt 20 Millionen Euro zur Verfügung;
– wir werden die nächsten Projekte für die Museumslandschaft Kassel umsetzen; dazu zählen der Umbau und die Sanierung der Neuen Galerie, sowie die Sanierung des Stationsgebäudes als Teil eines Besucherzentrums am Schloss Wilhelmshöhe;
– wir werden auch im sozialen Bereich weitere Projekte auf den Weg bringen, beispielsweise bei der Förderung zusätzlicher Kinderbetreuungs- und Tagespflegeeinrichtungen.
Es wird natürlich weiterhin die notwendigen Richtlinien und Erlasse der Landesregierung geben. Wir werden wie gehabt Genehmigungsverfahren durchführen und Planfeststellungsbeschlüsse erteilen. Das heißt ganz klar, Infrastrukturprojekte werden mit der gleichen Entschlossenheit und Entschlusskraft vorangetrieben wie bisher.
Das betrifft unter anderem:
– die entschlossene Umsetzung des Planfeststellungsverfahrens zum Frankfurter Flughafen ohne Änderungen und mit dem Ziel eines schnellstmöglichen Baubeginns;
– die ebenso entschlossene Weiterführung des Projektes Flughafen Kassel-Calden;
– die nach der positiven Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes beschleunigte Realisierung der A44, wo Kollege Rhiel und ich schon morgen gemeinsam mit dem Bundesverkehrsminister den Baubeginn des nächsten Abschnitts starten;
– unser zentrales Projekt „Staufreies Hessen 2015“
– und die Fortsetzung der erfolgreichen Verbraucherschutzpolitik gegen überhöhte Strom- und Wasserpreise.
Beim Abbau von Bürokratie werden wir uns noch stärker dem Mittelstand zuwenden. Wir werden den Weg zu einer „Unternehmensgründung in 7 Tagen“ freimachen, wozu ja in den letzten Monaten viele wichtige Weichen gestellt wurden.
Wir werden die Entwicklung des ländlichen Raums fortsetzen und dabei die Chancen nutzen, welche die Umstellung auf Biokraftstoffe und Biorohstoffe der hessischen Land- und Forstwirtschaft unabhängig von den bundespolitischen Entscheidungen der letzten Tage bringt. Wir werden den Tourismus im ländlichen Raum weiter fördern und die einzigartigen Buchenwälder des Nationalparks Kellerwald-Edersee als UNESCO-Weltnaturerbe nominieren.
Natürlich werden wir auch die in den letzten Wochen angekündigten Nachbesserungen bei der verkürzten Gymnasialzeit (G8) und im Bereich der verlässlichen Schule vornehmen:
– Wir werden das Ausmaß an Hausaufgaben per Verordnung klar regeln und insgesamt reduzieren.
– Wir werden den Unterrichtsstoff besser auf die gymnasiale Schulzeitverkürzung ausrichten und dazu unter Beteiligung der Mitbestimmungsgremien wie dem Landeselternbeirat eine Novellierung des Lehrplans vornehmen. Diese kann zu Beginn des neuen Schuljahres in Kraft treten. Ziel ist es, die Unterrichtsinhalte stärker zu konzentrieren, zu vereinfachen, einzelne Inhalte des bisherigen Lehrplans aus der Verbindlichkeit herauszunehmen. Längerfristig werden daraus kompetenzorientierte Standards und Kerncurricula entstehen, deren konkrete Ausgestaltung spätestens ab dem Schuljahr 2010/11 den
eigenverantwortlichen Schulen überlassen bleibt.
– Der zuständige Fachminister Jürgen Banzer ist außerdem dabei, eine neue Stundentafel auszuarbeiten, die ab August gültig ist. Damit werden wir den Wünschen vieler Eltern, Lehrer und Schüler nachkommen. Diese Stundentafel soll die Gesamtbelastung in der Sekundarstufe I reduzieren.
Die Verwirklichung von Bildungsgerechtigkeit ist ein zentrales Anliegen unserer gesamten Bildungspolitik. Die Hessische Landesregierung wird deshalb für den schulischen Bereich einen Sozialindex erstellen, um pädagogische Anstrengungen und Ressourcen noch zielgerichteter einsetzen und an sozialen Brennpunkten besonders verstärken zu können.
Der Sozialindex berücksichtigt beispielsweise den Anteil der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, den Ausländeranteil und die Höhe des zu versteuernden Einkommens im Einzugsbereich einer Schule. Mit Hilfe dieser Daten lassen sich besondere soziale Belastungen für einzelne Schulen sehr präzise ermitteln, was dann in der Konsequenz zu mehr Lehrern, Sozialpädagogen oder einer besseren finanziellen Ausstattung der betreffenden Schule führen kann. Darüber hinaus würde ein solcher Sozialindex dazu beitragen, dass man die Leistungen von Schulen fairer miteinander vergleichen könnte. Dazu wollen wir zunächst
in zwei oder drei Schulamtsbereichen Modellversuche durchführen.
Bei der Inneren Sicherheit entwickeln wir unsere erfolgreiche Arbeit weiter:
– Wir werden den Personalausbau der Polizei konsequent fortsetzen.
– Wir werden die Präsenz der hessischen Polizei im öffentlichen Raum weiter verstärken. Dies trägt zur effektiven Vorbeugung von Straftaten bei und erhöht das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger.
– Wir werden unter anderem vermehrt Fußstreifen entsenden und den Einsatz von Polizeivollzugsbeamten als „Schutzmann vor Ort“ flächendeckend ausweiten.
– Weil Internetkriminalität eine reale Bedrohung darstellt, wird die hessische Polizei auch verstärkt in der virtuellen Welt „auf Streife“ gehen.
Zu einer bürgernahen Polizei gehört, dass sie von allen Bevölkerungsteilen wahrgenommen und als Ansprechpartner akzeptiert wird. Das gilt auch und insbesondere gegenüber unseren ausländischen Mitbürgern. Wir werden deshalb verstärkt Migranten für den Polizeidienst werben, um die interkulturelle Kompetenz der hessischen Polizei weiter zu erhöhen.
Unsere konkreten Vorhaben zur Senkung der Jugendkriminalität werden wir entschlossen umsetzen. Dabei sehen wir bei der Kriminalitätsbekämpfung die Prävention neben den fortzuentwickelnden Instrumenten des Strafrechts als gleichberechtigt an.
Mit Wirkung vom 1. April haben wir die JVA Friedberg in eine Jugendarrestanstalt umgewandelt und dadurch 60 neue Arrestplätze für jugendliche Straftäter geschaffen. Zu unseren weiteren Maßnahmen zählen der hessenweite Ausbau des für den Bereich der Prävention beispielhaften „Netzwerk gegen Gewalt“ und der Aufbau von regionalen Geschäftsstellen ebenso wie die Zusammenführung von Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendgerichtshilfe und Jugendämtern in einem „Haus des Jugendrechts“.
Sicherheit ist aber nicht nur Schutz vor Kriminalität, sondern auch Schutz und qualifizierte Hilfe bei Gefahren und Not. Hier leisten besonders unsere Feuerwehren, die Hilfs- und Rettungsorganisationen unverzichtbare Beiträge. Sie verdienen deshalb nicht nur unser aller Dank, sondern weiter auch engagierte Förderung und Unterstützung.
Sie sehen: Es gibt viel zu tun, und es wird auch in Zukunft viel getan.
Gesetzgeberisches Handeln
Die zweite Gestaltungsebene bezieht sich auf die Gesetzgebung, insbesondere im Bereich der routinemäßig anfallenden Gesetzgebungsaufgaben. Gemäß den Befugnissen der Hessischen Landesverfassung werden wir Gesetzesvorschläge ausarbeiten und in den Landtag einbringen, sowie in Ausschüssen Stellung nehmen.
Die Ankündigungen einiger Fraktionen dieses Hohen Hauses für einige wahlkampfnahe Gesetzgebungsvorhaben haben große Erwartungen geweckt, die sicher nicht zu diesem Begriff der Routine passen. Wir alle wissen aber auch, dass die überwiegende parlamentarische Arbeit – mit ihren Ausschusssitzungen, zweiter und dritter Lesung – in den meisten Fällen weit weniger spektakulär daherkommt. Das wenigste von dem, was in diesem Hause beraten und verabschiedet wird, steht am nächsten Morgen als Dreispalter in der Zeitung. Diese Dinge sind deshalb für das Land jedoch nicht weniger wichtig, nur weil sie geringere öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen.
Meine Damen und Herren, auf uns alle kommt in den nächsten Monaten viel harte Arbeit zu. Allein bis Ende 2009 gibt es mehr als 50 Landesgesetze, über deren Verlängerung in diesem Hause zu beraten und zu entscheiden sein wird. Es handelt sich dabei keinesfalls um Geringfügigkeiten, sondern um die gesamte Bandbreite der Landespolitik. Dazu zählen:
– das Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr,
– das Hessische Ausführungsgesetz zum SGB XII, also die Ausgestaltung der Sozialhilfe für die nicht Erwerbsfähigen und Erwerbsgeminderten sowie die Grundsicherung im Alter;
– das Hessische Brand- und Katastrophenschutzgesetz
– und das Hessische Hochschulgesetz,
um nur ein paar Beispiele zu nennen. Diese insgesamt mehr als 50 Gesetze werden uns allen einige lange Nächte in Ausschuss- und Plenumssitzungen bescheren.
Darüber hinaus wird die Hessische Landesregierung ihrem Auftrag nachkommen, Gesetzesvorhaben anzustoßen, wo es für die Entwicklung des Landes oder aufgrund von Vorgaben – etwa seitens der Europäischen Union – erforderlich ist. Die EU-Bilanzierungsrichtlinien führen beispielsweise dazu, dass wir Ihnen demnächst den Entwurf für ein neues Sparkassengesetz zuleiten werden.
Zukunftsprojekte ohne Gesetzgebungsbedarf
Jenseits konkreter Gesetzesvorhaben werden wir dem Landtag des Weiteren Projekte vorlegen, die nach unserer Auffassung besonders bedeutsam für das Land sind und die sich in einem frühen oder auch bereits fortgeschrittenen Planungsstadium befinden. Der Landtag muss dann entscheiden, ob er diese Projekte für wichtig erachtet, ob er Veränderungsbedarf sieht oder ob er diese Projekte ablehnt. Dieses Handlungsfeld sehe ich als unsere dritte Gestaltungsebene an.
So werden wir dem Landtag in den kommenden Wochen einen Masterplan zur Entwicklung und baulichen Neuordnung des Universitätsklinikums Frankfurt vorlegen. Wir wollen damit das Uniklinikum deutlich modernisieren und es mit besten Rahmenbedingungen ausstatten, damit es langfristig wettbewerbs- und zukunftsfähig ist. Der Landtag wird zu diesem Masterplan ein grundsätzliches Votum abgeben müssen, sonst lohnen sich keine Planungsaufwendungen. Das ist konkret eine Folge der neuen Verhältnisse.
Wir werden dem Landtag ein „House of Logistics and Mobility“ vorschlagen, ähnlich dem „House of Finance“. Eine solche Public Private Partnership zwischen Unternehmen aus der internationalen Verkehrs- und Logistikbranche sowie mehreren hessischen Hochschulen wäre ein Leuchtturm, der die bereits hohe Kompetenz unseres Landes in den Bereichen Mobilität und Verkehrswissenschaften weiter stärken würde. Auch hier wird der Landtag über das grundsätzliche Interesse zu entscheiden haben, sonst macht es keinen Sinn, dass die Landesregierung mit Partnern für die Finanzierung und die wissenschaftliche
Zusammenarbeit spricht.
Wir werden dem Landtag darüber hinaus auch ein „Haus der Geschichte Hessens“ vorschlagen, welches ähnlich dem Haus der deutschen Geschichte in Bonn die Entwicklung unseres Landes seit Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg mit eindrucksvollen Exponaten und Dokumenten erlebbar machen könnte. Ob Hessen ein solches „Haus der Geschichte“ erhalten soll, ob dieses „Haus“ dann tatsächlich eine physische Form haben oder erstmals für ein solches Projekt in Deutschland „nur“ virtuell im Internet erscheinen soll – darüber wird ebenfalls der Hessische Landtag zu entscheiden haben. Dann könnte ein langjähriger
Entwicklungsprozess beginnen.
Für die zweite und dritte Gestaltungsebene gilt: Die Hessische Landesregierung wird jeweils ihre Gesetzesvorschläge und Initiativen dem Parlament zur Entscheidung vorlegen, gegebenenfalls Alternativen formulieren und die jeweiligen Konsequenzen aufzeigen. Letztlich obliegt es dann diesem Hohen Hause, mehrheitlich eine Entscheidung zu fällen – es kann den Initiativen in seiner freien Verantwortung gegenüber den hessischen Bürgerinnen und Bürgern entweder zustimmen oder sie ablehnen. Aber es muss sich ein Konsens entwickeln, dass keiner den Entscheidungen ausweicht. Die Landesregierung wird sich dann auf der Basis des jeweiligen Mehrheitsvotums um eine verantwortliche Entwicklung
bemühen.
Entscheidungen von grundsätzlicher landespolitischer Bedeutung
Meine Damen und Herren, in den kommenden Monaten wird es eine ganze Reihe von Themen und Gesetzesinitiativen schwer haben, eine parlamentarische Mehrheit zu finden, weil die Ansichten und Auffassungen der Fraktionen dieses Hohen Hauses grundlegend voneinander abweichen. Viele dieser Herausforderungen sind jedoch auch hier von so fundamentaler Bedeutung für die Weiterentwicklung unseres Landes, dass jeglicher zeitlicher Aufschub unverantwortlich wäre. Ich erwarte durchaus, dass wir nach zwölf Monaten erste Ergebnisse präsentieren können. Dabei geht es der von mir geführten Landesregierung um Anstöße für einen fraktionsübergreifenden Dialog. Dies wird die vierte Gestaltungsebene unseres Handelns sein.
In diesem Dialog gilt es, bestehende Differenzen, aber auch mögliche Schnittmengen auszuloten. Wir wollen auf diesem Weg zu mehrheitsfähigen Konzepten kommen, die dann Basis für die eigentliche Gesetzgebung sind. Für den der Gesetzgebung vorgelagerten Prozess wird die Landesregierung in einigen Fällen im jeweiligen Fachgebiet ausgewiesene Experten als Berater und gegebenenfalls Moderator zu gewinnen suchen.
Nachhaltigkeitsstrategie für Hessen
In diesem Zusammenhang sehen wir als eine zentrale Aufgabe die Konzentration auf eine nachhaltige Entwicklung an. In erster Linie sprechen wir dabei über die Energiepolitik, einerseits also den effizienten Umgang mit Energie und andererseits eine nachhaltige Energiegewinnung. Als Industriestandort sind wir darauf angewiesen, jederzeit an jedem Ort mit einer ausreichenden Energiemenge versorgt zu werden. Und das alles muss für Bürger und Wirtschaft bezahlbar sein.
Die Landesregierung will Hessen in einer gemeinsamen Anstrengung zum Musterland der regenerativen Energien machen. Wir brauchen dafür eine pragmatische Grundeinstellung und ein gemeinsames Verständnis dessen, was geht und was nicht geht. Als ein Mittelgebirgsland im Herzen Europas weht uns weder eine beständige Meeresbrise um die Nase, noch scheint an 300 Tagen im Jahr die Sonne auf uns herab. Deshalb brauchen wir ein unter den Bedingungen Hessens umsetzbares Programm für erneuerbare Energien.
Wir haben uns bereits in der Vergangenheit dem Ziel verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energien an der Energieerzeugung bis zum Jahr 2015 auf 15% zu erhöhen. Als waldreichstes Bundesland lassen wir dabei insbesondere der Biomassenutzung eine wichtige Rolle zukommen. In Zukunft sind wir gerne bereit, zusätzliche Anstrengungen zum Ausbau erneuerbarer Energien zu unternehmen und beispielsweise die Potenziale einer Geothermienutzung eingehend prüfen zu lassen.
Wir verfolgen das Ziel, ein Fachzentrum für Klimawandel einzurichten, das die Klimafolgen für Hessen weiter erforscht, Anpassungsstrategien sowie innovative Projekte und Maßnahmen zur Verminderung von CO2 entwickelt. Das vor über einem Jahr bereits vorgestellte hessische Klimaschutzkonzept gibt hierfür wichtige Anregungen.
Ein konkreter Vorschlag in diesem Zusammenhang ist auch, dass wir bei der Umsetzung unseres Hochschulinvestitionsprogramms HEUREKA, das heißt bei allen zu errichtenden oder zu modernisierenden Bauten, den Gesichtspunkt der Klimaeffizienz ganz maßgeblich berücksichtigen.
Wir wollen aber noch einen entscheidenden Schritt weiter gehen. Ich schlage Ihnen heute einen gemeinsamen Pakt für eine „Nachhaltigkeitsstrategie Hessen“ vor.
Dabei geht es nicht einfach um Umweltthemen, sondern wir verstehen unter Nachhaltigkeit eine Querschnittsaufgabe, die ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte einschließt und miteinander verzahnt. Dafür gibt es ein sehr gutes Beispiel und wir brauchen das Rad nicht neu erfinden. Das Land Baden-Württemberg hat vor einem Jahr diesen Prozess mit allen gesellschaftlichen Kräften ins Leben gerufen. Mit großem Erfolg. Das kann Hessen auch.
Wir wollen dabei alle Akteure aus Politik, Wirtschaft, Bildung, Umwelt- und Naturschutz, Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden, Vereinen und Kommunen zur aktiven Mitarbeit aufrufen. Die Nachhaltigkeitsstrategie wird Teil einer lebendigen Bürgergesellschaft. Mit einer klar definierten Dialogstruktur, klar umrissenen, zeitlich begrenzten Projekten und einer entsprechenden Organisation wollen wir in einem breiten gesellschaftlichen Dialog zu Ergebnissen kommen.
In Baden-Württemberg befasst man sich mit Fragen der zukünftigen Energieversorgung und – nutzung, beispielsweise auch die sinnvolle Nutzung von Abfällen als Rohstoffquelle, mit der Weiterentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs, mit der Steigerung der Lebensqualität oder der Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Bildung aller Generationen.
Meine Damen und Herren, wir können andere, zusätzliche Themenfelder oder auch hessenspezifische Aspekte hier ins Spiel bringen.
– Stichwort C02-Vermeidung: Wie soll der künftige Energiemix aussehen? Welche modernste Technologie hilft hier weiter?
– Oder die Fragestellung: Wie können wir Landschaftsnutzung und Naturerhalt in der modernen Industriegesellschaft vereinen?
Auch Themen des zukünftigen Arbeitens und Zusammenlebens können eine Rolle spielen. Wesentlich ist: Es soll eine Strategie des ganzen Landes werden. Die hessische Nachhaltigkeitsstrategie soll Ausdruck sein, dass dieses Land seine Innovationsfreude versprüht, und zwar in einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Lassen Sie uns dies als Chance betrachten! Wir alle haben uns mächtig gestritten in den letzten Monaten. Jetzt geht es aber darum, an das Morgen zu denken.
Schulstreit nachhaltig entschärfen
Einen vergleichbaren Prozess werden wir in der Schulpolitik in Gang setzen. Hier wird es um eine offene Diskussion über die Organisation der Mittelstufe unter bestimmten Bedingungen gehen:
– Etwa im Hinblick auf ein vielfältiges Schulsystem bei Wahlfreiheit der Eltern, mit dem Ziel von profilierten Schulangeboten für alle Begabungen und Leistungsstärken;
– die Fortentwicklung von Eigenverantwortlichkeit und Verlässlichkeit der Schule,
– den flächendeckenden Ausbau von Praxisschulen nach dem Vorbild der bisherigen SchuB-Klassen
– und die Möglichkeit, neben G8 auch G9 an kooperativen Gesamtschulen wählen zu können.
Darüber wollen wir mit den Fraktionen, aber auch mit Eltern, Lehrern, Schülern, Schulträgern und der Wirtschaft intensiv diskutieren. Ziel ist es, durch einen breiten Konsens für bestimmte Vorschläge den seit langem in Hessen bestehenden Schulstreit nachhaltig zu entschärfen.
Kommunalen Finanzausgleich reformieren
Ein weiteres Thema auf dieser Gestaltungsebene ist der Kommunale Finanzausgleich. Im Kern geht es darum, die Strukturen zu reformieren, die Umverteilung zu begrenzen, um letztlich genügend Anreize zu schaffen für eigene Bemühungen der Kommunen. Dazu wird die Hessische Landesregierung das Gespräch mit den Fraktionen und den kommunalen Spitzenverbänden suchen, um zu einem möglichst breiten Konsens zur dringend erforderlichen Neuordnung zu kommen.
Reform des Beamtenrechts
Ein vierter Aufgabenbereich ist die Reform des Beamtenrechts. Hier hat das Land Hessen infolge der Föderalismusreform einen besonderen Gestaltungsauftrag bekommen. Wir brauchen ein modernes Dienstrecht
– mit einer flexiblen Laufbahnstruktur,
– einer leistungsgerechten Besoldung
– und einem Versorgungsrecht, das unter anderem die Mitnahme von Anwartschaften bei einem Wechsel zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft zulässt.
Die Hessische Landesregierung wird den bereits bestehenden Diskussionsprozess fraktionsübergreifend fortsetzen und dabei den Sachverstand von außerparlamentarischen Interessenverbänden und Experten ins Boot holen, um auch hier zu Entscheidungen zu kommen.
Unter den gegebenen politischen Umständen halte ich diese Form des Dialogs in einigen landespolitischen Bereichen für angebracht, um unaufschiebbare und für das Land bedeutsame Projekte auf den Weg zu bringen und letztlich einer Entscheidung zuzuführen. Er erfordert freilich von allen Beteiligten eine ordentliche Portion Mut und Offenheit.
Doch wir alle werden über unsere Schatten springen müssen, wenn wir unserer Verantwortung, keinen Stillstand in Hessen zuzulassen, gerecht werden wollen. Wir als Hessische Landesregierung, und ich persönlich, sind dazu bereit.
Konsistentes und schlüssiges Handeln
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dieser Strukturierung der Entscheidungsebenen wollen wir einem möglichen Stillstand in der Landespolitik entgegenwirken und das Land voranbringen. Zu alledem muss gerade eine geschäftsführende Regierung darauf achten, dass das politische Handeln im Lande von Konsistenz und Schlüssigkeit geprägt ist. Die vielen kleinen und großen Bausteine müssen zum einen Antworten auf die zentralen Herausforderungen geben, denen wir uns national und weltweit gegenübersehen. Zum anderen dürfen sie aber auch nicht zusammenhanglos abgearbeitet werden, sondern müssen sich in ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügen. Da es derzeit weder einen Koalitionsvertrag noch sonst irgendeine Selbstbindung der politischen Gruppen in diesem Hause – und insofern auch kein Gesamtkonzept – gibt, kann letztlich nur ein verfassungskonformer Haushalt diesen inneren Zusammenhang herstellen. Wir dürfen also diese beiden fundamentalen Aufgaben niemals aus den Augen verlieren: Bewältigung der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen und Einhaltung des haushaltspolitischen Rahmens, den uns unsere Verfassung steckt.
Zentrale gesellschaftliche Herausforderungen
Was meine ich mit „zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen“? Bei meiner Regierungserklärung zu Beginn der 16. Legislaturperiode im Jahr 2003 habe ich bereits zwei genannt, die nach wie vor Gültigkeit haben: Das ist zum einen die Globalisierung, zum anderen der demographische Wandel. Beide sind im Alltag der Bürgerinnen und Bürger unentwegt spürbar. Den politisch Verantwortlichen sind sie zugleich Auftrag, aktiv gestaltend und steuernd tätig zu werden, um die mit diesen Herausforderungen verbundenen Risiken zu minimieren und deren Chancen zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger zu nutzen.
Globalisierung
Die Globalisierung hat binnen weniger Jahre dazu geführt, dass sich arme Länder zu rasant wachsenden Zentren der Weltwirtschaft entwickelt haben. Diese Länder und Regionen sind im Augenblick geradezu hungrig nach Erfolg. Deutschland als einer etablierten, hochentwickelten Industrienation bieten sie die herausragende Chance für neue Absatzmärkte, Großaufträge und Arbeitsplätze. Das gilt in besonderer Weise gerade auch für Hessen. Unser Finanzplatz, unsere Industrie und eine außerordentlich große Zahl unserer mittelständischen Unternehmen profitieren unmittelbar vom weltweiten Export.
Aber wir wissen natürlich auch, dass die Globalisierung keine Einbahnstraße ist. Die Sorgen und Ängste, die bei vielen Menschen mit dem verstärkten Wettbewerb und der Verlagerung von Arbeitsplätzen verbunden sind, sind für jeden von uns spürbar. Dabei sehe ich mit Sorge, wie Mandatsträger anderer Parteien in unverantwortlicher Weise nichts unversucht lassen, mit diesen Ängsten zu spielen.
Ich will dazu nur einmal auf das konkrete Beispiel meines Wahlkreises hinweisen: Die größte Zahl der dortigen Arbeitnehmer war über Jahrzehnte hinweg bei der Hoechst AG beschäftigt. Sie vertrauten auf die Sicherheit der Arbeitsplätze, die Chancen für ihre Kinder, bei allen unterschiedlichen Begabungen die Möglichkeit zur Arbeit im Betrieb der Eltern zu haben. Oft wohnten sie in firmeneigenen Wohnungen und profitierten vom sozialen Engagement des Unternehmens. Ja, das alles gibt es so heute nicht mehr. Und es ist leicht, Stimmen zu fangen, indem man dem nachtrauert. Aber wahr ist auch: Es wird nicht wieder kommen – und Politiker sind feige, wenn sie falsche Hoffnungen wecken. Das hilft weder den betroffenen Menschen, noch denen, die solche Hoffnung schüren.
Ebenso wahr ist: Im Industriepark Höchst arbeiten heute in über 300 Firmen mehr Menschen, als zum Ende der so gut in Erinnerung gebliebenen Zeit. Dieser Industriepark hat für mehr als 22.000 Menschen heute eine neue Dimension von Zukunft geschaffen, anders, aber durchaus mit vielen gut begründeten Hoffnungen. Das geht nicht überall. Aber im Hessen des Jahrzehnts mit offenen Armen für die chemische und pharmazeutische Industrie war es möglich und das, obwohl es keiner anfangs geglaubt hat.
Auch deshalb hat Hessen allen Grund zu Selbstbewusstsein. Wir müssen im Vertrauen auf unsere eigenen Stärken und unser Wertefundament die Chancen der Globalisierung nutzen und weiterhin den Mut haben, diese Herausforderung glaubwürdig und zugleich risikobereit anzunehmen – ohne die Sorgen der Menschen zu ignorieren.
Die Hessische Landesregierung wird deshalb auch in Zukunft auf ein investitionsfreundliches Klima setzen, das die Ansiedlung von Unternehmen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze begünstigt. Wir wollen weiterhin entschlossen in eine moderne Verkehrsinfrastruktur, den Ausbau des Frankfurter Flughafens, sowie in Bildung und Forschung investieren.
Demographie
Die zweite große Herausforderung, die ich schon zu Beginn der letzten Legislaturperiode beschrieben habe, ist der demographische Wandel. Hessen ist das erste Bundesland, das eigens zu diesem Thema eine Enquetekommission des Landtages einberufen hat. Zugleich hat die Landesregierung mit ihrem Demographiebeauftragten in den vergangenen Jahren wichtige Denk- und Handlungsprozesse bei einer Vielzahl von Entscheidungsträgern überall im Land in Gang gesetzt. Die Modell-Landkreise Darmstadt-Dieburg, Marburg-Biedenkopf, Werra-Meißner und die Landeshauptstadt Wiesbaden sind dafür gute Beispiele – ebenso wie die Zusammenarbeit mit dem Land Sachsen.
In diesem Kontext ist auch die hessische Familienpolitik der letzten Jahre zu sehen: Mit dem massiven Ausbau an Kinderbetreuungsplätzen und der Freistellung des letzten Kindergartenjahres haben wir einen erheblichen Beitrag zu mehr Familienfreundlichkeit in Hessen geleistet. Es bleibt unser aller Wunsch – und die jüngsten demographischen Erhebungen deuten ja bereits eine leichte Trendwende zum Positiven an –, dass durch mehr Familienfreundlichkeit und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Zukunft
wieder mehr Kinder in Hessen geboren werden.
Migration und Integration
Meine Damen und Herren, die zentralen Themenfelder „Globalisierung“ und „demographischer Wandel“ bleiben weiterhin auf der Tagesordnung. Sie haben in ihrer Bedeutung nichts eingebüßt. Es dient jedoch der Präzisierung unserer Arbeit, wenn wir zwei daraus abzuleitende Aufgabenbereiche als eigene Herausforderungen anerkennen und uns diesen ebenfalls mit Vorrang widmen. Es sind dies die Fragestellungen im Zusammenhang mit der „nachhaltigen Entwicklung“ – insbesondere, was die Bewältigung des Klimawandels betrifft – sowie der Umgang mit „Migration“.
Über Nachhaltigkeit und Klimawandel habe ich bereits bei der Vorstellung der „Nachhaltigkeitsstrategie für Hessen“ gesprochen. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle noch etwas zum Thema „Migration“ sagen. Es ist nicht zu bestreiten, dass ein immer größer werdender Teil unserer Gesellschaft über einen Migrationshintergrund verfügt.
Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, teilweise mit den traumatischen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung, gehört zu den herausragenden Leistungen unseres Landes. Die Heimatvertriebenen haben in erheblichem Umfang dazu beigetragen, unser Land aufzubauen, und sie stellen seit Jahrzehnten einen integrierten Bestandteil unserer Gesellschaft dar.
Eine ebensolche Leistung haben all jene erbracht, die seit den deutschen Wirtschaftswunderjahren aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland nach Hessen zugewandert sind und die kulturelle Vielfalt unseres Landes bereichern.
Die Herausforderung der Integration aber bleibt bestehen. Auch die Versäumnisse und Fehler vergangener Jahre haben dazu geführt, dass eine große Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund – und zwar überall in Deutschland – in sozial schwächeren Gruppen verhaftet sind. Viele Migrantenkinder stammen heute aus bildungsfernen Schichten und verfügen von Haus aus nicht über ausreichende Deutschkenntnisse, um im Schulunterricht folgen zu können. Defizite in der Schulausbildung führen in der Folge zu geringeren Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Und zur Wahrheit gehört auch: Im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund laufen mehr von ihnen Gefahr, straffällig zu
werden.
Meine Damen und Herren, dies sind keine zwangsläufigen Entwicklungen. Die von mir geführte Hessische Landesregierung hat seit 1999 die Notwendigkeit einer verantwortlichen und erfolgreichen Integrationspolitik erkannt, die daraus in den letzen Jahren gezogenen Konsequenzen sind Vorbild für die Integrationsarbeit in fast allen deutschen Bundesländern:
– Wir haben Missstände angesprochen und dadurch verhindert, dass sie unter einer falsch verstandenen Konsensrhetorik schöngeredet werden und gleichzeitig fortbestehen bleiben. Das werden wir, und ich ganz persönlich, auch in Zukunft tun. Ohne die präzise und manchmal auch undiplomatische Formulierung der gegenseitigen Erwartungen von Mehrheitsgesellschaft und Migranten leben wir in einer vermeintlich schönen Scheinwelt, die eines Tages an der Mutlosigkeit des Ringens um gegenseitige Anpassung scheitern wird.
– Mit wegweisenden Maßnahmen wie der Schaffung verpflichtender Deutsch-Vorlaufkurse und eines Integrationsbeirates haben wir bundesweit Akzente gesetzt.
– Wir haben erkannt: Sport und ehrenamtliches Engagement leisten einen ganz zentralen Beitrag zur Integration. Sport vermittelt Teamgeist, Fairness und Akzeptanz. Er hilft Vorurteile abzubauen und schafft Brücken zwischen Menschen. Eine herausragende Rolle spielen hier die vielen Sportvereine in unserem Land.
– Als erstes Bundesland haben wir deshalb Engagement-Lotsen aus dem Kreis der Migrantinnen und Migranten ausgebildet, und wir haben so die Vereinsarbeit in Hessen auf vielfältige Weise gestärkt und in den Dienst des Miteinanders gestellt.
Und der Erfolg dieser Maßnahmen zeigt uns, dass wir diesen Weg fortsetzen werden und auch müssen. Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Hessen genauso erfolgversprechende Zukunftsperspektiven haben wie Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
Solide Landesfinanzen
Die Bewältigung dieser vier zentralen Herausforderungen – Globalisierung, Nachhaltigkeit, Demographie und Migration – stellt die übergeordnete Klammer dar, die unser politisches Handeln inhaltlich zusammenhält und ihm eine Richtung gibt. Gewissermaßen als zweite „Leitplanke“ für unser Handeln habe ich darüber hinaus bereits die Haushaltspolitik genannt. Auch für ein Parlament ohne stabile Mehrheit gilt, dass es einen Haushalt zu verabschieden hat, der den Vorgaben der Verfassung und der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen, insbesondere was das Ausmaß der Verschuldung anbelangt, gerecht wird.
Meine Damen und Herren, das Land Hessen befindet sich in einer finanzpolitisch durchaus paradoxen Situation: Weil wir gemessen an der Bevölkerungszahl das mit Abstand wirtschaftsstärkste Land der Bundesrepublik sind, schultern wir allein fast 40% des gesamten Länderfinanzausgleichs. Rund 2,9 Milliarden Euro hat Hessen im Jahr 2007 in den Länderfinanzausgleich eingezahlt – inklusive einer Nachzahlung sogar mehr als 3,1 Milliarden Euro. Dies übertrifft beispielsweise die gesamten LFA-Einnahmen von Berlin (2,9 Milliarden Euro). Jeder Einwohner von Hessen hat im vergangenen Jahr 474 Euro
Steuergelder an den Länderfinanzausgleich überwiesen. Hätte er oder sie in Baden-Württemberg gewohnt, wären es nur 214 Euro gewesen, in Bayern 184 Euro.
Aber gerade weil unsere LFA-Zahlungen so hoch sind, steht uns zur eigenständigen Bewirtschaftung, gemessen an der Wirtschaftskraft, weniger Geld zur Verfügung als allen anderen Bundesländern. Von jedem Euro des hessischen Bruttoinlandsproduktes bleiben dem Finanzminister nach Abzug des Länderfinanzausgleichs zum Ausgeben gerade noch 8 Cent. Ländern wie Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern, die erhebliche Mittel aus dem Länderfinanzausgleich beziehen, bleiben dagegen 25 bzw. 20 Cent von jedem Euro ihres Bruttoninlandsprodukts. Wen wundert es da, dass unter diesen Rahmenbedingungen die finanzschwachen und zugleich hoch verschuldeten Länder früher als Hessen zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen?
Wenn Sie diese Zahlen vor dem Hintergrund betrachten, dass Hessen mit 27 Studierenden pro 1.000 Einwohnern die höchste Studierendenquote aller Flächenländer hat, dann führt dies einerseits zu einem sehr beachtlichen Bild, was unsere finanzielle Ausstattung der hessischen Hochschulen anbetrifft. Es bedeutet aber auch, dass wir die in unserem Land so besonders notwendige Ausstattung mit überproportional viele Studienplätzen damit bezahlen, dass wir pro Studienplatz deutlich weniger Geld haben, als manche unserer von uns finanzierten Nachbarn. Deshalb rate ich, sich gut zu überlegen, was durch die jährliche Bereitstellung von zusätzlichen bis zu 110 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt an die Universitäten zum Ersatz der Studienbeiträge aufgrund der unausweichlich begrenzten Mittel im Gegenzug geopfert werden muss. Zu glauben, es gehe ohne ein solches Opfer, ist eine der romantischen
Lebenslügen, die nicht lange halten.
Am Beispiel der von SPD und Grünen gewünschten Abschaffung der Studienbeiträge und der eingereichten Deckungsvorschläge muss die Haushaltspolitik aber viel grundsätzlicher diskutiert werden.
Wir reden immer noch über einen Haushalt, der gemäß Plan 2008 eine Nettoneuverschuldung von 548 Millionen Euro aufweist. Im kommenden Jahr haben wir nach den Ihnen bekannten Planungen für eine fortgesetzte Reduzierung der Nettoneuverschuldung einen zusätzlichen Einsparbedarf von mehr als 250 Millionen Euro, wobei das auf der inzwischen gefährdeten Hoffnung gründet, 500 Millionen Euro zusätzliche Steuern einzunehmen; sonst steigt der notwendige Einsparbetrag. Jetzt sagen Sie, und wir bestreiten es, Sie hätten im Haushalt 2008 nicht erforderliche Ausgaben in Höhe von 28,7 Millionen Euro gefunden. Die wollen Sie jetzt aber nicht einsparen, sondern neu ausgeben. Im kommenden Jahr brauchen Sie gemäß den derzeitigen Planungen aber fast das Neunfache dieser Summe, nämlich 250 Millionen Euro an Einsparungen. Haben Sie eine Idee, wo diese herkommen sollen, wenn Sie jetzt schon nur auf teilweise höchst windigem Weg überhaupt etwas glauben, gefunden zu haben, was Sie einsparen können? Und woher wollen Sie darüber hinaus die erforderlichen 110 Millionen Euro ab dem Haushaltsjahr 2009 für die wegfallenden Studienbeiträge herholen?
Mein Credo ist: Wir sind dem Ziel der Nachhaltigkeit auch im Bereich der Haushalts- und Finanzpolitik verpflichtet. Zukünftige Generationen verlangen zu Recht, dass wir sie nicht mit Schulden überlasten.
Diese Frage wird uns in den nächsten Wochen in der Föderalismuskommission sehr beschäftigen. Ich kann mich dort im Sinne des von mir formulierten Credos nicht anders verhalten, als der Hessische Landtag es hier für sich selbst gelten lassen will. Das ist eine wirklich fundamentale Frage. Dabei müssen wir uns mit großer Nüchternheit darüber im Klaren sein, dass selbst für ein wirtschaftsstarkes Land eine schwarze Null im Landeshaushalt 2011 mit erheblichen Anstrengungen verbunden ist. Dies geht auf der Ausgabenseite nur mit strikter Haushaltsdisziplin und substanziellen Einsparungen.
Und die Mitte März verkündete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Absetzbarkeit von Krankenkassenbeiträgen verschärft die notwendigen Haushaltsanstrengungen nochmals. Mit dieser Entscheidung kommen auf die öffentlichen Haushalte ab 2010 Mindereinnahmen von bis zu 13 Milliarden Euro zu. Für Hessen bedeutet dies eine Größenordnung von jährlich 300 bis 500 Millionen Euro, die den Handlungsbedarf auf dem Weg zur schwarzen Null noch einmal eklatant vergrößert.
Deshalb werden wir in den kommenden Wochen hier im Landtag ein Votum darüber abzugeben haben, ob wir uns mit den Stimmen der Mehrheit der Abgeordneten diesem Ziel verpflichtet fühlen, oder ob es uns egal ist, dass den zukünftigen Generationen weitere millionenschwere Schuldenberge aufgehäuft werden.
Und hinzu kommt, dass auf der Einnahmenseite bereits nach dem ersten Quartal das Heraufziehen dunkler Wolken nicht ausgeschlossen werden kann. Es wäre naiv zu glauben, dass sich die vom US-amerikanischen Subprime-Segment ausgehende weltweite Kredit- und Finanzmarktkrise nicht auch bei uns niederschlägt. Darüber hinaus sind die in den letzten Wochen abgesenkten Wachstumsprognosen der Forschungsinstitute ein deutlicher Fingerzeig.
Auch wenn sich Genaueres erst nach der Mai-Steuerschätzung sagen lässt, ist deshalb schon jetzt völlig klar: Wir haben leider überhaupt keinen Anlass davon auszugehen, dass die tatsächlichen Steuereinnahmen für das Jahr 2008 über den im Haushalt veranschlagten Steuereinnahmen liegen werden. Im Gegenteil: Es besteht eher das Risiko, dass die tatsächliche Einnahmeentwicklung unter der geplanten liegen wird. Insoweit dürfte allen klar sein, dass die Überlegungen, die von einigen Wahlkämpfern zur Finanzierung ihrer teuren Ausgabenprogramme angestellt wurden, Traumschlösser waren und auch definitiv bleiben. Der behauptete finanzielle Spielraum für neue Maßnahmen aufgrund konjunkturell bedingter Steuermehreinnahmen existiert – leider – schlichtweg nicht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte glauben sie nicht, dass diese Fragen langen Aufschub dulden.
– Sie werden bereits in den nächsten Tagen entscheiden müssen, ob Sie die im Haushaltsplan 2008 eingeplante Privatisierung von Landesimmobilien des LEO III-Portfolios unterstützen oder ablehnen. Weil potenzielle Investoren Berechenbarkeit brauchen und ein wirtschaftlich vernünftiger Verkauf die Teilnahme einer großen Zahl möglicher Investoren am Bieterverfahren voraussetzt, brauchen wir ein eindeutiges und verlässliches Votum der Abgeordneten dieses Hauses. Sollten Sie mehrheitlich die Privatisierung mit anschließender langfristiger Rückanmietung ablehnen, würde allein dies im Haushalt ein Loch von 400 Millionen Euro bedeuten. Oder anders ausgedrückt: Allein durch diese Entscheidung käme es annähernd zu einer Verdopplung der geplanten Nettoneuverschuldung.
– Die Rückkehr in die TdL bei wirkungsgleicher Übernahme der Regelungen auf den Beamtenbereich bedeutet bei Kompensation der wegfallenden Arbeitszeit durch Neueinstellungen eine Mehrausgabe pro Jahr von bis zu 230 Millionen Euro. Wenn Sie jetzt eine solche Entscheidung treffen würden, wäre dies ein Schritt mit dem derzeit nicht abschätzbaren Risiko der Verfassungswidrigkeit des Haushaltes 2009, von den Zielen des Schuldenabbaus mal ganz abgesehen.
Meine Damen und Herren, allein die Dimension dieser Zahlen, die nur das in Geld ausdrücken, was einige Fraktionen dieses Hauses inhaltlich in den nächsten Wochen beabsichtigen zur Abstimmung zu stellen, verdeutlicht, dass grundlegende Weichenstellungen zu treffen sind.
Handeln ohne Beliebigkeit
Natürlich werden heute im Verlauf des Tages erste einzelne Punkte auf der Basis der Fraktionen beraten. Und manche von Ihnen brennen geradezu darauf, endlich einzelne Punkte der jeweiligen Wahlaussagen vor das Plenum dieses Hauses bringen zu können. Und das muss auch so sein. Jedes Versprechen gehört hierher. Sie werden verstehen, dass ich dazu nach wie vor auch das Versprechen zähle, mit einer bestimmten politischen Gruppe nicht zusammenzuarbeiten. Die Wähler werden es sich merken, wenn auch dieses gebrochen werden sollte.
Namens der Landesregierung weise ich darauf hin, dass es hier und heute um mehr geht. In diesem Haus wird es einen Wettbewerb geben, wer den Mut hat, über das Machbare zu sprechen und es zu gestalten – und wer sich andererseits in die schöne faule Welt der Wünsche stehlen will, ohne sich um den Tag danach zu scheren.
Dies ist eine geschäftsführende Regierung. Sie wird ihren Handlungsspielraum voll ausnutzen. Sie ist Partner des Parlaments. Sie wird den Stil der offenen Tür pflegen. Aber diese Regierung wird niemals beliebig.
Diese Regierung hat den Mut zu neuen Wegen. Ich werbe darum, dass Regierung und Landtag gemeinsam diese neuen Wege suchen, finden und gehen. In gemeinsamer Verantwortung für Hessen.