Koch: „Alle Parteien müssen sich ein Stück neu aufeinander einstellen“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Oktober der hessische Ministerpräsident noch Roland Koch heißt?
Roland Koch: Ich glaube, dass es jetzt, nachdem wir so viele Spekulationen erlebt haben, Zeit für den ernsthaften Versuch ist, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Der Landtag wird sich konstituieren. Es gibt keine linke Mehrheit, die zur Wahl einer Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti genutzt werden kann . Das bedeutet, alle Parteien müssen sich ein Stück neu aufeinander einstellen. Man muss auch den Bürgern offen sagen, dass wir einen Prozess vor uns haben, der eine nennenswerte Zahl von Monaten dauern wird. Manche müssen über Hürden springen, die objektiv und auch im Gefühlsleben sehr hoch sind. Ich glaube, dass ich mich auf zwei Dinge zu konzentrieren habe: Zum einen eine geschäftsführende Landesregierung stabil und leistungsfähig zu führen, solange das sein muss, und gleichzeitig als CDU-Vorsitzender dafür zu sorgen, dass mit der notwendigen Behutsamkeit Gespräche begonnen werden, und das nicht dauernd in der Öffentlichkeit.
FAZ: „Jamaika“ ist derzeit offenkundig Ihre Hauptoption. Die Fraktion würde Ihnen bestimmt folgen. Auch die Partei?
Koch: Ich glaube, dass die Partei mit sehr nüchterner Analyse dem folgt, was die Fraktion und der Landesvorstand in der Bad Wildunger Erklärung gesagt haben. Nämlich, dass man nach einem Wahlergebnis nicht einfach hergehen und dem Bürger sagen kann, wählt noch einmal neu. Und dass das Ergebnis dennoch ein für die CDU wie für alle anderen Parteien sehr schwieriges Ergebnis ist. Ob man neue Wege verantworten kann, wird für alle Parteien erst beurteilbar werden, wenn man sich auf substantielle Gespräche jenseits der vertrauten Fronten eingelassen hat. Dazu ist die CDU bereit, und unsere Bereitschaft kommt auch in der Bad Wildunger Erklärung zum Ausdruck.
FAZ: Die Bad Wildunger Erklärung wird in der CDU als großer Schritt auf die Grünen hin wahrgenommen. Was erwarten Sie eigentlich von den Grünen als Gegenleistung, wenn beide Seiten ins Gespräch kommen sollen?
Koch: Ich glaube, die Grünen sind emotional schon genug gefordert, sich solche Gespräche vorzustellen. Das gilt für viele in unseren Reihen auch. Das wird sich nicht von heute auf morgen ändern lassen, das ist ein Prozess. Die CDU ist nicht gut aus dieser Wahl herausgekommen, wir haben unser Wahlziel deutlich verfehlt. Insofern glaube ich, dass die Bad Wildunger Erklärung durchaus ein Teil der notwendigen Vorleistung war, ohne dass man von jeder anderen Partei ihrerseits Vorleistungen erwarten muss, bevor man redet. Über die Leistung, die erbracht werden muss, ist mit der politisch größtmöglichen Diskretion zu reden. Die nächsten Schritte müssen auf Vertrauen aufbauen, sie müssen in Form von punktueller Kooperation in einem Parlament gemacht werden, das mit offenen Abstimmungsergebnissen leben muss. Langsam müssen sich dann gemeinsame Visionen entwickeln.
FAZ: Wären Sie bereit, den Ministerpräsidentenposten zu räumen, wenn davon das Gelingen von Schwarz-Gelb-Grün abhängt?
Koch: Also ich glaube, dass die CDU dazu das Notwendige gesagt hat. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.
FAZ: Wenn „Jamaika“ nicht geht, käme dann die große Koalition in Betracht?
Koch: Ich glaube, dass Parteien im demokratischen Spektrum, das heißt mit Ausnahme der Linkspartei, verpflichtet sind, miteinander zu sprechen. Aber die SPD ist in einer inneren Verfassung, in der sie mit ihrer Führungsstruktur zu solch weitgehenden Entscheidungen derzeit gar nicht in der Lage ist. Da ist es von uns und den anderen Parteien fair, die SPD zunächst in Ruhe zu lassen, bis sie die Verwundungen überwunden hat, die sie sich selbst zugefügt hat.
FAZ: Ihre Priorität ist also „Jamaika“?
Koch: Alle Leser werden aus dem eben Gesagten die richtigen Schlüsse ziehen.
FAZ: Jetzt einmal angenommen, es käme durch Gewöhnung doch zu einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit im Landtag. Könnten Sie sich dann eine Rückkehr in die Rolle des Oppositionsführers vorstellen? Oder hätten Sie dann mit der hessischen Politik abgeschlossen?
Koch: Ich habe mich nach der emotionalen Achterbahnfahrt der letzten Wochen gerade erst mit der von den Juristen nachdrücklich geschilderten Tatsache angefreundet, dass ich nunmehr nach dem 5. April ein geschäftsführender Ministerpräsident bin, dem verfassungsrechtlich verboten ist zurückzutreten.
FAZ: Wie lange kann eine Landesregierung vernünftigerweise geschäftsführend im Amt sein?
Koch: Es muss ein ernsthaftes Bestreben aller Beteiligten geben, diese Zeit so kurz wie möglich zu halten. Auch die Partner einer Regierung in Organisationen, Verbänden oder Unternehmen erwarten langfristige Verlässlichkeit. Eine geschäftsführende Regierung ist also kein erstrebenswerter Zustand. Auf der anderen Seite ist es falsch, eine Monatszahl zu nennen. Hessen hat lange Zeiten einer geschäftsführenden Regierung in den achtziger Jahren erlebt, ohne dass es Schaden genommen hätte. Die Verfassung ermöglicht uns, dass die Schäden gering gehalten werden, weil sie eine Regierung stark macht. Und ich werde eine Landesregierung führen, die ihre Arbeit zu hundert Prozent leisten wird. Sie braucht sicher eine neue Form des Umgangs mit dem Parlament. Es geht nicht um Wochen, sondern um eine Zahl von Monaten, die man nicht ohne Not ausweiten sollte.
FAZ: Die Opposition, wenn man davon derzeit überhaupt sprechen kann, hat angekündigt, Sie vor sich hertreiben zu wollen. Ist das rechtlich nicht schwieriger, als sich das mancher jetzt denkt?
Koch: Zunächst einmal muss die Regierung anerkennen, dass das Parlament in dieser Situation seine eigene Agenda haben kann. Das werden wir auch respektieren. Zugleich muss auch eine geschäftsführende Regierung erwarten, dass das Parlament die Verfahrensregeln akzeptiert in der Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative. Die Regierung muss darauf bestehen, dass die Regelung weiter gilt, dass derjenige, der bestellt, auch sagt, wie es bezahlt wird.
FAZ: Sie denken an die Studienbeiträge?
Koch: Auf die Studienbeiträge bezogen, bedeutet das: Wer nicht will, dass die Universitäten im zweiten Halbjahr über 50 Millionen Euro weniger zur Verfügung haben, muss gleichzeitig einen Haushalt neu beschließen. Sonst können wir das Geld den Universitäten nicht ersetzen. Man muss dann also sagen, wie man die entsprechenden Ausgabe- und Einnahmerechnungen neu justiert. Das ist das Recht, aber auch die Pflicht des Parlaments. Es geht nicht, nur den angenehmen Teil eines Wahlversprechens aus Sicht der SPD oder der Linken einzulösen. Daher wird es sehr schnell sehr spannende Diskussionen geben. Mit Begriffen wie „die Regierung treiben“ oder gar „piesacken“ sollten die Sozialdemokraten nach den Ereignissen der letzten Wochen vorsichtig sein.
FAZ: Aber einen Haushalt hat ein deutsches Parlament bisher noch nicht eigenständig aufgestellt.
Koch: Nein. Wir werden ja auch freundliche Helfer des Parlamentes bleiben. Aber wer sagt, es soll eine andere Prioritätensetzung geben, der muss die Prioritäten definieren. Wir haben gesagt, wir brauchen die Beiträge der Studenten für eine bessere Qualität der Lehre. Wenn man keine Studienbeiträge will, muss man das Geld woanders wegnehmen oder man muss wie in der Vergangenheit die Rechung für die ganzen schönen Ideen an seine Kinder und Enkel schicken. Das wird mit mir so einfach nicht gehen. Alle Diskussionen, die wir derzeit in der Föderalismusreform führen, zielen darauf, dass wir möglichst bald weit engere Verschuldungsgrenzen einführen als wir jemals in den letzten Jahrzehnten gehabt haben. Der hessische Landtag ist nicht frei, in die große Tüte zu greifen und mit den Dukaten um sich zu werfen. Er muss Prioritäten setzen.
FAZ: Noch vor dem 5. April müssen die Ressorts Bildung sowie Kunst und Wissenschaft besetzt werden. Wird es neue Ressortminister geben oder streben Sie eine Übergangslösung an?
Koch: Wir sind nicht in der Situation, dass wir so tun können, als könne die Regierung komplett neu gebildet werden. Trotzdem habe ich eine Verantwortung, dass jeder Mitarbeiter weiß, dass es eine handlungsfähige, klar gegliederte Regierung gibt. Dafür gibt es unterschiedliche Wege und das werde ich mit meinen Kollegen beraten und in absehbarer Zeit auch sagen, wie ich es mache.
FAZ: Dass Sie Kultusminister werden und Justizminister Banzer zusätzlich das Wissenschaftsministerium übernimmt, wie kolportiert wird, wollen Sie heute also nicht bestätigen?
Koch: Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.
FAZ: Wenn Jamaika nicht kommt, wären wohl Neuwahlen Ihr Ziel. Wie viel Zeit muss vergehen, bis die Wähler die Notwendigkeit eines abermaligen Urnengangs einsehen?
Koch: Der Wähler muss deutlich spüren, dass wir uns um eine Lösung mühen und nicht permanent an Neuwahlen denken. Man muss in der parlamentarischen Demokratie gewisse Regeln anerkennen. Dazu gehört die Gewissensfreiheit der Abgeordneten, um ein aktuelles Thema zu nennen. Aber es gehört auch dazu, dass man als Politiker Wahlen nicht so lange wiederholen kann, bis einem das Ergebnis passt. Die zweite Stufe ist eine ernsthafte Anstrengung, bis an die Grenze der Selbstverleugnung – aber nicht darüber hinaus – das Gespräch mit anderen zu suchen. Das geht nicht, indem man ein paar Briefe austauscht.
Die Fragen stellten Matthias Alexander und Werner D’Inka.