Koch: „Das schlimmste Problem ist längere Arbeitslosigkeit bei Menschen mit geringer Qualifikation. Und genau dort vernichten wir mit Mindestlöhnen die letzten Arbeitsplätze.“
Ministerpräsident Koch im Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Focus“
FOCUS: Erleben wir beim Thema Managerbezüge eine Neid- oder eine Gerechtigkeitsdebatte?
Koch: Es geht nicht um Neid. Aber wenn einige Manager den Eindruck erwecken, dass ihnen jegliches Maß verloren gegangen ist, hat dies Signalwirkung in Zeiten, in denen noch nicht alle Menschen voll am Aufschwung teilhaben. Das erschwert es uns Politikern, wichtige Maßnahmen zu Gunsten der Wirtschaft einzuleiten, die wir zum Aufbau des Landes brauchen.
FOCUS: Was geht es die Politik an, was ein Anteilseigner seinen Mitarbeitern zahlt?
Koch: In einem freiheitlichen Land funktionieren die meisten Rahmenbedingungen erfreulicherweise auch ohne gesetzliche Regelung. Es geht die Politik aber durchaus etwas an, wenn durch solche Verhaltensweisen die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft gefährdet wird.
FOCUS: Aber die Sozialdemokraten können jetzt mit Blick auf Angela Merkels Managerkritik sagen: Die Kanzlerin tut nichts, die will nur spielen …
Koch: Der Streit mit der SPD, die immer denkt, der Staat kann alles besser regeln, ist nicht neu. Wir sind stolz darauf, dass es nicht zu jedem Problem das passende Gesetz gibt, sondern auch Initiative, Engagement, Einsicht und Rücksichtnahme.
FOCUS: Erfreut es Sie, wie Berlin mit dem Mindestlohn umgeht?
Koch: In einer großen Koalition ist der Kompromiss vertretbar, nur einige Branchen in das Entsendegesetz aufzunehmen und einen Mindestlohn einzuführen. Bei der Post waren wir in einer skurrilen Situation: Der Arbeitgeber Post war nicht an geringen Kosten interessiert, sondern hat die Arbeitnehmer in höhere Löhne getrieben, weil er die Konkurrenz ausschalten will. Das war zumindest an der Grenze zum Missbrauch. Eine solche Konstellation gibt es bei anderen Branchen nicht.
FOCUS: Gerät die Union in die Defensive, wenn die SPD immer neue Branchen für Mindestlöhne vorschlägt?
Koch: Es ist für Konservative nicht völlig neu, mit der emotionalen Keule angegriffen zu werden.
FOCUS: Wie kontern Sie?
Koch: Niemand von uns will, dass jemand von 3,50 Euro oder 3,80 Euro leben muss. Aber das schlimmste Problem ist längere Arbeitslosigkeit bei Menschen mit geringer Qualifikation. Und genau dort vernichten wir mit Mindestlöhnen die letzten Arbeitsplätze. Besser ist es, möglichst viele Arbeitsplätze zu haben, auch wenn sie nicht so gut bezahlt sind, und das Einkommen dann beispielsweise durch Kombilöhne aufzustocken, sodass Menschen dann ordentlich leben können.
FOCUS: Die Arbeitgeberverbände wollen plötzlich einen allgemeinen Mindestlohn. Fallen die Ihnen in den Rücken?
Koch: Wir sind nicht die Partei der Arbeitgeber ? das wäre mit diesen Partnern für uns auch ziemlich riskant. Die Arbeitgeber haben ein Grundmaß an Opportunismus, jeden Tag neu zu entscheiden, was ihnen vielleicht am meisten hilft. Ordnungspolitik darf das nicht. Die von manchen Arbeitgebervertretern gehegte Hoffnung, ein allgemeiner staatlicher Mindestlohn sei ganz niedrig, und das dauerhaft, ist eher ein Beleg für politische Naivität. Denn die Sozialdemokratie hat ja jetzt schon einen hohen Mindestlohn ins Gespräch gebracht.
FOCUS: Fürchten Sie in Hessen eine Unterschriftenaktion der SPD zum Mindestlohn?
Koch: Ich gelte ja wegen unseres Wahlkampfs 1999 als nationaler Experte für Unterschriftensammlungen. Als solcher sage ich: Ich fürchte das überhaupt nicht. Jeder Hesse weiß, dass sich durch den Wahlausgang nichts an den Löhnen ändert.
FOCUS: Warum sind mehr als 50 Prozent mit Ihrer Regierungsarbeit nicht zufrieden?
Koch: Wer ist denn schon heute in Deutschland mit der Arbeit von Regierungen zufrieden? Unsere Problemlösungskompetenz liegt doppelt so hoch wie bei der SPD, und wir haben nach der neuesten Sonntagsfrage vor ihr gut zehn Prozentpunkte Vorsprung.
FOCUS: Die meisten Hessen scheinen aber die Bildungspolitik Ihrer Ministerin Karin Woilff abzulehnen.
Koch: Das ist die Bildungspolitik unserer Landesregierung. Wir sind in einer sehr komplizierten Umstrukturierungsphase. Wir versuchen, die Versäumnisse der Vergangenheit, als das Hessen-Abitur nicht viel wert war, aufzuholen. Das ist uns gut gelungen. Parallel reduzieren wir die Schulzeit bis zum Abitur um ein Jahr und ziehen mit fast allen anderen Bundesländern gleich. Das kann schon mal den Beteiligten auf die Nerven gehen. Was die rot-rot-grüne Opposition will, geht aber grundsätzlich in die falsche Richtung. Wenn deren Einheitsschule käme, läge Hessen bei der Bildung bald wieder auf einem Abstiegsplatz.
FOCUS: Der hessische Staatsgerichtshof hat das Kopftuchverbot für Beamtinnen gerade bestätigt. Werden Sie auch an anderen Stellen islamisch-fundamentalistischen Tendenzen entgegentreten?
Koch: Meine Regierung fördert gezielt die Integration der muslimischen Bevölkerung in unsere Gesellschaft. Viele Moslems fühlen sich aus den eigenen Reihen unter Druck gesetzt. Das ist nicht hinnehmbar. Deshalb denken wir auch an ein Burka-Verbot an den Schulen. Ein voll verschleiertes Mädchen kann nicht gleichberechtigt am Unterricht teilnehmen. Es wird massiv an der Entfaltung seiner Persönlichkeit behindert. Jede Schülerin muss ihr Gesicht offen zeigen können. Und zum Schulbesuch gehört auch, dass jeder Schüler und jede Schülerin am Sport- und Schwimmunterricht, an Wandertagen und an Klassenfahrten teilnimmt. Auch darum werden wir uns in der nächsten Legislaturperiode kümmern.
FOCUS: Wollen Sie das Kopftuch auch Schülerinnen verbieten?
Koch: Nein, hier gilt das Toleranzgebot.
FOCUS: WestLB und die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) wollen sich zusammenschließen. Freut Sie das?
Koch: Es lohnt sich, ergebnisoffen darüber zu reden, ob man zusammenkommen kann für ein sehr spannendes Geschäftsgebiet.
FOCUS: Die Hessen als Retter für Nordrheinwestfalen?
Koch: Die Helaba wird nur mitmachen, wenn es ein klares kapitalrechtliches Engagement der nordrhein-westfälischen Eigentümer gibt. Wir müssen und werden die hessischen Interessen wahren. Es muss sichergestellt sein, dass eine gesunde Institution entsteht. Die Hessen können und dürfen nicht Sanierer sein für NRW. Risiken, die bis heute entstanden sind, muss Nordrhein-Westfalen tragen.
FOCUS: Bei jüngsten Umfragen lagen SPD, Grüne und Linke mal knapp hinter, aber auch mal knapp vor CDU und FDP. Fürchten Sie den Machtverlust?
Koch: Durch die Existenz der Linkspartei hat sich das Gesamtbild verschoben. Sicher wissen wir erst am Wahlabend, ob die Postkommunisten in den Landtag einziehen. Weil es knapp wird, sagen wir den Bürgern, was sie dann erwartet. Programmatisch hat sich Rot-Rot-Grün stark angenähert. Nach allen Umfragen hat Frau Ypsilanti nur mit den Stimmen von SPD, Grünen plus Linkspartei eine Chance, zur Ministerpräsidentin gewählt zu werden.
FOCUS: Was tun Sie, wenn Frau Ypsilanti gewinnt, emigrieren Sie dann nach Berlin?
Koch: Sie wird nicht gewinnen.
Das Interview führten M. van Ackeren, H. Krumreit und T. Zorn.