Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Wiesbadener Kurier
Wiesbadener Kurier: Herr Ministerpräsident, als Sie vor neun Jahren erstmals gewählt wurden, war das zum Teil Folge einer heftig umstrittenen SPD-Schulpolitik. Heute steht Ihre eigene Schulpolitik im Zentrum der Kritik. 59 Prozent der Hessen lehnen sie ab. Wie kommt’s?
Koch: Wir diskutieren heute anders als damals nicht mehr über katastrophalen Unterrichtsausfall oder ein bundesweit niedriges Ansehen des hessischen Abiturs, sondern über Schwierigkeiten in einer sehr komplizierten Übergangsphase, in der neue Dinge zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Schulen eingeführt werden. Da hätten wir uns natürlich zwei oder drei Jahre mehr Zeit lassen können, das hätte uns weniger Ärger gemacht, aber es hätte eben mindestens drei Jahrgängen von Schülern eine bessere Ausbildung vorenthalten.
Wiesbadener Kurier: Sehen das die Eltern auch so?
Koch: Ich glaube, dass die Eltern sehr wohl sehen, dass es Unterschiede gibt zwischen dem, was im Augenblick ihnen und uns als Regierung Schwierigkeiten macht und Korrekturen erfordert, und der prinzipiell völlig unterschiedlichen Wege, wie wir sie eingeschlagen haben, und wie sie die SPD einschlagen würde. Dann ginge es nämlich in Richtung Einheitsschule.
Wiesbadener Kurier: War Ihr Tempo zu hoch?
Koch: Ich höre immer wieder die Frage: Warum macht ihr das alles zu schnell? Die Antwort ist: In der Schulpolitik ist jedes Jahr, in dem man eine Schwäche länger bestehen lässt, ein Jahr, das ein Jahrgang von Schülern durch eine nicht so gute Ausbildung bezahlen muss.
Wiesbadener Kurier: Zum Beispiel?
Koch: Schauen wir uns die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre an. Wir sind das Land Nummer 14 in Deutschland, das G 8 eingeführt hat. Wenn da Schüler aus Hessen in ein anderes Land umzogen, mussten sie oft ein Jahr wiederholen, um dort in das Schulsystem hereinzukommen. So eine Entscheidung kann man nicht ein paar Jahre anstehen lassen, nur weil man politisch Ruhe haben will. Alle Länder, die umgestellt haben, hatten am Anfang Schwierigkeiten, die man möglichst schnell überwinden muss. Da sind wir gerade dabei.
Wiesbadener Kurier: Wie konnten denn, nachdem anderswo Erfahrungen gesammelt worden waren, die Probleme entstehen?
Koch: Die Schüler müssen heute gerade in den unteren Klassen sehr, sehr viel Stoff in kurzer Zeit durchnehmen. Das war von denen, die die Lehrpläne gestaltet haben, und das sind ja auch Lehrer, so nicht geplant und nicht gewollt. Wir sehen aber, dass die Lehrer sich gezwungen fühlen, da eine Menge Stoff hineinzupacken. Es muss und wird daher eine zweite Runde des Entrümpelns der Lehrpläne geben. Und in die Verantwortung der Schule gehört es, ab dem zweiten Schulhalbjahr den Nachmittagsunterricht ebenso zu begrenzen wie die Menge der Hausarbeiten. G 8 darf nicht mehr Stress bedeuten als G 9.
Wiesbadener Kurier: Wäre es nicht sinnvoll angesichts der vielen Schüler, die ins Gymnasium drängen und dort dann mit dem verdichteten Unterrichtsstoff konfrontiert werden, die Grundschulempfehlung verbindlich zu machen?
Koch: Die Entscheidung, dass der Elternwunsch respektiert wird, halte ich nach wie vor für richtig – wobei klar ist, dass es eine Querversetzung gibt, wenn es an der gewünschten Schule nicht klappt.
Wiesbadener Kurier: Wer trägt denn für die aktuellen Probleme die Verantwortung?
Koch: Sie liegt innerhalb der Organisation, von der einzelnen Schule bis zur Schulaufsicht.
Wiesbadener Kurier: Haben Sie nicht mit dem Begriff Unterrichtsgarantie plus mehr versprochen als Sie halten konnten?
Koch: Diese Frage stellt man sich heute natürlich immer wieder. Manche sagen, wir hätten es besser Betreuungsgarantie nennen sollen. Das ist allerdings nur ein wichtiger Teil dessen, was wir erreichen wollten. Wir wollten aber auch einen Mehrwert in schulischer Entwicklung. Das geht nur, indem wir Menschen von außerhalb in die Schulen holen. 70 Prozent derer, die sich für die Vertretung melden, haben heute pädagogische Bildung. Und deshalb läuft U plus inzwischen auch weitestgehend sehr ordentlich. Wir haben einen Standard gesetzt, der Vorbild für andere Länder geworden ist – vom CSU-geführten Bayern bis zum SPD-regierten Berlin. Hätten wir von Betreuungsgarantie gesprochen, wären heute alle zufrieden. Aber wir hatten uns mehr vorgenommen. Ich will eine bessere Schule, nicht einen bequemeren Weg.
Wiesbadener Kurier: Kultusministerin Karin Wolff muss derzeit viel Kritik einstecken. Und man hat das Gefühl, dass auch die CDU-Fraktion von ihr abrückt. Ist der Eindruck richtig?
Koch: Nein, das sehe ich nicht. Frau Wolff hat die Unterstützung der Fraktion. Es ist natürlich klar, dass sie die Hauptlast der Auseinandersetzung zu tragen hat. Ihre Politik wird von mir, der für die Richtlinien zuständig ist, wie von der Fraktion mitgetragen. Und wir sind durchaus in der Lage, den Wählern zu sagen, was sie von der SPD zu erwarten haben, nämlich die Einheitsschule. Ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten Eltern nicht wollen, dass Gymnasien, Haupt- und Realschulen abgeschafft werden.
Wiesbadener Kurier: Wird Frau Wolff einem neuen Kabinett Koch angehören?
Koch: Die Felle werden nach Wahlen neu verteilt. Wir haben eine gute Mannschaft und Karin Wolff hat mein Vertrauen.
Das Interview führte Risch.