Koch: „Ich glaube, dass die Bevölkerung ein Anrecht darauf hat – auch angesichts konkreter Ereignisse – zu sehen, wie Politiker reagieren und was ihre Forderungen sind.“
Holger Weinert: Vier Wochen vor einer schwierigen Wahl; da ist doch ein Wahlkämpfer dankbar für eine Titelseite auf der BILD-Zeitung. Meinen Sie aber nicht, dass der Wähler das erkennt?
Roland Koch: Die Debatten, die wir führen, sind nicht auf einen Wahlkampf bezogen, aber werden in einem Wahlkampf nicht weniger wichtig. Und wenn Sie zum Beispiel sehen, wie wir im vergangenen Jahr mit viel weniger Aufmerksamkeit des Hessischen Rundfunks und aller anderen über die Frage offen Jugendstrafvollzugs – wie ihn die SPD will – oder eines klaren und harten Strafvollzugs mit auch Gefängnisstrafen – wie wir ihn im Landesgesetz durchgesetzt haben – betrachten, dann sehen Sie, diese Fragen, die wir da erörtern, haben sehr praktische Relevanz und die müssen nicht verschwiegen werden, bevor Wählerinnen und Wähler eine Entscheidung treffen.
Weinert: Da gab es viel Kritik heute in Berlin und Wiesbaden: ‚Sie entdecken das Ausländerthema im Wahlkampf wieder.’ Hätten Sie nicht früher auch schon etwas lauter darauf aufmerksam machen müssen?
Koch: Ich glaube, dass die Bevölkerung ein Anrecht darauf hat, auch angesichts konkreter Ereignisse (und in einer Mediendemokratie sind Bilder – vielleicht leider Gottes, aber wir müssen damit leben – immer wichtiger geworden, um ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen), zu sehen, wie Politiker reagieren und was ihre Forderungen sind. Die sind in dieser Frage sehr grundsätzlich unterschiedlich. Das beginnt bei der Videoüberwachung. Wenn es der SPD nach ginge, wären die Bilder nie festgehalten worden, die wir heute sehen. Das geht über die Frage des Jugendstrafrechts, gerade im Umgang mit ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die davon betroffen sind. Das geht aber auch in das, was wir in den letzten Jahren in Hessen wirklich mit viel Kraftaufwand und oft auch mit Kritik eingeführt haben, nämlich junge Menschen mit Migrationshintergrund eine Chance zu geben, früh in diese Gesellschaft hineinzuwachsen zum Beispiel, indem wir es verpflichtend machen, dass sie Deutsch können müssen, bevor sie in die Grundschule eingeschult werden. Wenn das einmal überall Wirklichkeit ist – und die hessischen Vorschläge sind jetzt bundesweit überall übernommen worden – werden wir hoffentlich in einem Jahrzehnt nicht mehr die Probleme mit Jugendlichen haben, die keine Beschäftigung in der Gesellschaft finden, wie auch die beiden in München, über die diskutiert wird.
Weinert: In dem Interview benutzen Sie die Vokabel ‚Staatshotel’ für das Gefängnis; Sie kritisieren unsere deutsche Verständnispädagogik. Was ist das, wenn nicht der Versuch, populär oder sogar populistisch zu sein?
Koch: Es ist die sehr klare Sprache über einen sehr schwerwiegenden Fehler der Politik der 80er- und der frühen 90er-Jahre. Indem uns Menschen, häufig aus der linken politischen Szene, erklärt haben, es sei ein Kulturgewinn, wenn man ganz unterschiedlich und unangepasst nebeneinander her in der Gesellschaft lebe. Es gab eine Zeit, in der die Nichtfähigkeit Deutsch zu sprechen eines Kindes, wenn es in die Grundschule kam, als eine Bereicherung für die Grundschule angesehen worden ist. Das war immer Unsinn. Es war Unsinn für die deutschen Schüler und es war ein schwerer Schaden für das Kind, wo immer es herkam, das nicht die deutsche Sprache konnte. Aber es hat Jahre gedauert und als ich diese Diskussion vor zehn Jahren begonnen habe, da war das Wort „Zwangsgermanisierung“ dann in diesem Zusammenhang bekannt. Aber genau diese Jugendlichen, die damals eben nicht von der Politik mit klaren Aussagen in die richtige Richtung bewegt worden sind, nämlich sich in Deutschland zu integrieren, sind heute die jungen Menschen, die uns oft Sorgen und Probleme machen. Und deshalb finde ich, dass es ein Thema ist, das mit in die politische Debatte gehört und um das sich niemand herumdrücken kann und niemand herumdrücken sollte.