Roland Koch: An meiner Loyalität zu Angela Merkel hat sich über viele Jahre nichts geändert. Loyalität zur Großen Koalition kann man erst haben, seitdem es sie gibt. Ich habe sie mit herbeigeführt, unter den obwaltenden Umständen nach der Bundestagswahl. Ich sage allerdings auch in aller Klarheit: Das ist eine Koalition auf Zeit. Sie kann wichtige Projekte erledigen, aber die Perspektive für die Zukunftsgestaltung muss von CDU/CSU und SPD getrennt nach der nächsten Bundestagswahl gesucht werden.
Deutschlandradio Kultur: Zwischen den Partnern ist nicht alles harmonisch. Vor allen Dingen die SPD ist häufig frustriert, weil sie schlecht wegkommt im öffentlichen Bild. Angela Merkel ist diejenige, die in der Bevölkerung die großen Punkte einsammelt. Hält diese Koalition bis 2009?
Roland Koch: Natürlich hat Angela Merkel im Augenblick einen Vorteil in der Öffentlichkeit, weil sie das Amt der Bundeskanzlerin ausgezeichnet ausfüllt. Man sollte nicht unterschätzen, dass es in beiden Parteien für die Wählerinnen und Wähler, die normalerweise uns unterstützen und unsere Stammwähler sind, nicht ganz einfach ist, mit einer Großen Koalition zu leben. Beide brauchen zu einer ambitionierteren Politik – im Gegensatz zu der Bundestagswahl von 2005 – die Erkenntnis der Bürger, dass bei der Politik etwas Positives herauskommen kann, dass Veränderungen und Reformen nicht nur negativ sein müssen, sondern auch für den einzelnen Bürger einen Vorteil bedeuten können. Diese Aufgabe kann die Große Koalition im Bereich der Wirtschaft durchaus leisten. Da sind wir auf einem guten Weg. Aber der Weg ist noch nicht abschlossen. Deshalb – glaube ich – ist es in beider großer Parteien Interesse zu sagen, dass wir auch unter sehr schwierigen Bedingungen einer Großen Koalition die uns vorgegebene Zeit von vier Jahren ordentlich durchführen können, ordentliche Arbeit dabei machen und sie natürlich auch zu Ende durchführen. Deshalb ist diese Große Koalition auf der Seite beider Parteien nach meiner Überzeugung stabil.
Deutschlandradio Kultur: Dennoch wundert man sich, worüber man sich streitet. Beispielsweise das Thema innere Sicherheit. Es ist doch irgendwie an den Haaren herbeigezogen, wenn man jetzt darüber diskutiert, ob Flugzeuge abgeschossen werden sollen, die von Terroristen gesteuert werden oder ob es einen terroristischen Atomwaffenanschlag geben könnte – Themen, die auf einmal die politische Debatte bewegen, aber doch eigentlich so nicht diskutiert werden müssten.
Roland Koch: Ich glaube schon, dass wir – ganz unabhängig, wie wir uns parteipolitisch engagieren – gut beraten sind, wenn wir nicht die Augen vor der Dimension der Bedrohung, der auch die Bundesrepublik Deutschland als einem Teil der westlich orientierten freiheitlichen Staaten unterliegt, verschließen. Deshalb sind diese Fragen auf der Tagesordnung, ohne dass sie in jeder einzelnen Frage eine konkrete Gesetzgebung zur Folge haben müssen. Aber wenn Sie über ein Stichwort wie Online-Durchsuchung sprechen oder auch über die Frage der Strafbarkeit des Besuchs eines Terrorcamps, dann muss man mit diesem Thema verbinden, dass wir als Politiker darauf hinweisen müssen, dass wir sehr, sehr große Schwierigkeiten haben, heute noch die Dimension von terroristischen Aktivitäten zu begrenzen, wenn wir sie nicht zu einem frühen Zeitpunkt aufspüren. Bei meinem Besuch in den Vereinigten Staaten vor einigen Tagen hat einer der Sicherheitsexperten – wie ich finde zurecht – am 11. September, das war der Jahrestag, an dem ich dort war, darauf hingewiesen, dass die Terroristen in Amerika 3.000 Menschen getötet haben, lag nicht daran, dass sie nur 3.000 töten wollten, sondern es lag daran, dass sie sich technisch nicht in der Lage fühlten, 30.000 oder 300.000 umzubringen. Diese Dimension von Technik und Auswirkung muss man sehen. Wir sind glücklicherweise bei der Vereitelung einiger Terroranschläge sehr erfolgreich gewesen, weil wir die modernsten Mittel der Technik weltweit genutzt haben. Wir Deutschen sind im Augenblick nicht in allen Punkten ausreichend gesetzgeberisch vorbereitet. Und ich glaube, dass es deshalb richtig ist, dass wir in der Politik diese drängenden Fragen auch offen ansprechen.
Deutschlandradio Kultur: Aber muss deswegen der Bundesverteidigungsminister im Moment rechtspolitisch Kamikaze fliegen und sich gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts stellen?
Roland Koch: Diese Interpretation ist ja ausdrücklich falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat genau dieses Dilemma so beschrieben, wie der Bundesverteidigungsminister es jetzt beschreibt, wenn eine Konfliktsituation eintritt, in der zwischen Menschenleben abgewogen werden muss. Das ist die Frage, finde ich, die man immer im Hintergrund haben darf und vor der Georg Leber im Jahr 1972 stand – es ist ja alles nicht ganz neu: Was ist, wenn man vermutet, dass ein Flugzeug auf das Olympiastadion zurast, das damals zur Abschlussveranstaltung voll besetzt war. Damals hat Georg Leber entschieden, dass im Zweifel dieses Flugzeug abgeschossen würde. Richtig ist, dass wir nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu einer solchen Frage kein Gesetz, in dem steht, „dieses Menschenleben ist weniger wert als ein anderes Menschen“, jemals bekommen werden. Richtig ist auch, dass der verantwortliche Politiker, in diesem Fall der Bundesverteidigungsminister, in diesem persönlichen Gewissenskonflikt in Sekunden steht, dass er nicht Menschenleben rettet durch den Satz, „mir ist es egal“, sondern dass er eine Entscheidung in der einen oder anderen Richtung treffen muss. Er kann ihr gar nicht ausweichen. Denn er muss ein Ja oder Nein sagen. Auch in der Öffentlichkeit diesen Gewissenskonflikt ein Stück offen zu legen, um zu zeigen, vor welchen Herausforderungen wir stehen, das muss eine demokratische Gesellschaft aushalten. Denn, was wir nicht machen können, ist, dem Verteidigungsminister diese Last abzunehmen, in der Sekunde einer solchen Geschichte eine Entscheidung zu treffen. Wir können nur sagen: Er sollte lieber vorher nicht darüber reden. Und ich weiß nicht, ob das der Gesellschaft wirklich hilft.
Deutschlandradio Kultur: Aber die Juristen würden es ihm hinterher vorhalten. Ich glaube, dass ihm in einem übergesetzlichen Notstand immer wieder gesagt werden würde, dass er ja in Interviews vorher darauf hingewiesen hat, also vorbereitet in die Situation gegangen ist, also gar nicht das Problem hat. Er hat keine Entschuldigung für einen übergesetzlichen Notstand. Also ist es doch unklug, die Diskussion von der Seite aus zu beginnen. Es gibt auch andere Themen.
Roland Koch: In der Politik gibt es viele Themen, aber Politiker müssen nicht immer dem entfliehen, was sie als Herausforderung möglicherweise vor sich sehen müssen. Und wir sollten in Deutschland nicht glauben, dass diese Bedrohung absolut irreal und utopisch ist. Genauso wie wir in Deutschland nicht glauben dürfen, dass es das Risiko einer schmutzigen Bombe nicht gäbe. Ich glaube, dass deshalb Politik vernünftig beraten ist, diese Themen – nicht jeden Tag, nicht immer und an jeder Stelle, aber zu einem geeigneten Zeitpunkt – so auf die Tagesordnung zu bringen, dass sie diskutiert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Tat gesagt: Ein Politiker, der solche Entscheidungen trifft – und das sind wenige, das sind Bundeskanzler, Verteidigungsminister, Innenminister, Ministerpräsident, ein kleiner Kreis von Menschen, der davon betroffen ist -, muss nach unserer Verfassung damit rechnen, dass er sich zunächst einmal durch eine Entscheidung strafbar macht und anschließend über die Rechtfertigung gesprochen wird. Das ist für die Menschen, die solche Verantwortung übernehmen, nicht einfach, aber sie wissen, dass sie dort in einem Dilemma stehen. Und das Verfassungsgericht hat gesagt, wir wollen sie in das Dilemma stellen. Das mag man, wenn man ein solches Amt übernimmt, auch bedauern, aber es ist so. Sie werden mit diesem Dilemma fertig werden müssen. Ich glaube nicht, dass es klüger ist, darüber nicht zu sprechen. Da bin ich persönlich der Auffassung, eine Gesellschaft muss eine solche Debatte auch aushalten.
Deutschlandradio Kultur: Denken Sie an eine Verfassungsänderung?
Roland Koch: Ich glaube, dass in der konkreten Situation die Verfassungsänderung sehr schwierig werden wird. Ich glaube, dass wir am Ende hinnehmen müssen, dass das Verfassungsgericht gesagt hat: Wir wollen ja in einer Gesellschaft an bestimmten Stellen auch, dass Menschen mit einem Dilemma fertig werden.
Deutschlandradio Kultur: Nun ist es so, dass Sie aber auch in einer künftigen anderen Koalition, die Sie vielleicht ab 2009 bevorzugen würden, nämlich mit der FDP, in diesem Punkt ja nicht weiterkommen. Wie wollen Sie generell mit den freien Demokraten klarkommen, wenn Sie sich selbst für eine Koalition mit der FDP später einmal aussprechen?
Roland Koch: Wir werden, solange eine Partei keine absolute Mehrheit hat, immer Verhandlungen haben. Die Frage der Koalition von Parteien ist nur, wo es die größte Übereinstimmung in Summe gibt, wohl wissend, dass es immer noch einzelne Felder der Konflikte geben wird. Ich glaube, man muss fairerweise sagen, dass es nach manchem Auf und Ab im Bereich der inneren Sicherheit in den Jahren der Zusammenarbeit von CDU-CSU und FDP nahezu in allen Fragen eine Einigung gegeben hat. Das ist nicht immer einfach, weil die freien Demokraten oft ein bisschen, wenn wir die Meinungsumfragen sehen, jenseits der Meinung ihrer Wählerschaft dort eher einen Konflikt mit der CDU-CSU suchen, obwohl die Wähler von Liberalen und CDU-CSU in diesen Fragen sehr, sehr einig sind, wenn sie dazu befragt werden. Aber jede Partei hat das Recht, ihre Profilthemen selbst zu suchen. Wenn man die Grundannahmen sieht, die mit der jeweiligen Politik zusammenhängen, und das gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern das gilt für die Gesellschaftspolitik allgemein, dann haben wir einen so breiten Fundus der Zusammenarbeit mit der FDP, dass wir manche Fragen – etwa im Bereich des Datenschutzes, in dem wir durchaus unterschiedliche Profile und Ansichten haben – in Verhandlungen lösen werden. Reinrassige CDU-CSU-Politik gibt es nur bei einer absoluten Mehrheit der CDU-CSU. Und solange es die nicht gibt, brauchen wir den besten Partner, um möglichst viel von unserem Programm zu verwirklichen, und zugleich einen Partner, der glücklich ist, weil er einen möglichst großen Teil seines Programms verwirklichen kann. Das ist in der Großen Koalition nicht möglich, weil beide Parteien darüber nicht glücklich sind, wie wenig von ihren Programmen sie verwirklichen können. Aber in einer bürgerlichen Koalition von CDU-CSU und FDP kann es da hinreichende Zufriedenheit auf beiden Seiten geben. Darin haben wir genug Erfahrung, hier in unserem Bundesland und in Deutschland. Insofern glaube ich, dass das nach wie vor eine durchaus attraktive Variante ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja auch stellvertretender Vorsitzender der Bundes-CDU, Herr Koch. Mit Blick auf den Wahlkampf 2009, was wird denn das Programm, was werden die Themen sein?
Roland Koch: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den Bürgern im Jahre 2009 sagen können, dass wir mit den Reformen, die wir eingeleitet haben, heute eine bessere Ausgangsbasis haben, um im wirtschaftlichen Wettbewerb in einer globalisierten Welt mitzuwirken, als das im Jahre 2005 nach den rot-grünen Zeiten der Fall war, dass aber die Tatsache, dass wir alle Menschen in Beschäftigung bringen wollen, trotz der Erfolge der Reduzierung der Arbeitslosigkeit noch keineswegs gesichert ist und dass wir deshalb Reformen des Arbeitsmarkts nach wie vor brauchen, Reformen, vor denen sich niemand fürchten muss, weil die Flexibilisierung des Arbeitsmarkt bedeutet, dass wir am Ende – nach allem, was wir in unseren Nachbarländern sehen – mehr Beschäftigung haben. Wir müssen uns nicht abfinden mit sieben oder acht Prozent Arbeitslosigkeit, sondern wir können drei und vier Prozent Arbeitslosigkeit haben, wie Nachbarländer, die Niederlande oder Dänemark oder wie über eine längere Zeit auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir wissen, dass das geht. Und wir müssen auf Dauer unsere Instrumente danach umstellen. Wir müssen zugleich dafür sorgen, dass das Sicherheitsgefühl und Selbstbewusstsein für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöht wird. Das bedeutet, die Frage von individueller Vermögensbildung, von auch Veränderungen der Sozialversicherung in Hinsicht einer besseren Absicherung bei flexiblem Arbeitsmarkt werden Themen sein, die wichtig sind. Dort ist die Kernbotschaft der Union: Wir glauben, dass jeder in Zukunft eine Chance hat, auch einen höheren Wohlstand zu haben als zurzeit, unabhängig davon, in welcher Situation er im Augenblick ist. Wir glauben, dass junge Menschen eine riesig gute Chance haben, sehr gute Arbeitsplätze in Deutschland in Zukunft zu haben. Aber wir werden dies alles mit einer erhöhten Flexibilität unserer Arbeitsmarktstrukturen begleiten müssen. Das ist ein Thema von vielen, aber sicherlich eines, das unter dem Gesichtspunkt Beschäftigung die Menschen sehr interessieren wird.
Deutschlandradio Kultur: Aber wenn man mal den Wahlkampf 2005 nimmt und sich vorstellt, wie er 2009 aussehen könnte: Könnte es sein, dass sich die Intonation ändert, dass man nicht mehr so marktradikal reformerisch in der CDU antritt, aber auch in anderen Parteien, und mehr das soziale Gewissen bedient und die soziale Rechtfertigung des politischen Handelns in den Vordergrund schiebt?
Roland Koch: Na, sicherlich müssen Parteien aus dem Wahlkampf von 2005 lernen, auch die CDU-CSU. Wir sind ja nun mit dem Ergebnis nicht glücklich gewesen. Die Frage ist, ob das eine inhaltliche Veränderung ist oder ob wir möglicherweise unterlassen haben, die Betonung unseres Programms vollständig richtig zu tun. Und in der zweiten Frage ist ganz zweifellos, dass wir nicht ignorant sein dürfen, nicht sagen dürfen, es war alles in Ordnung. Ich glaube nur, dass die Kernbotschaft, die wir haben, diejenige ist, zu sagen: Wir glauben, dass alle in dieser Gesellschaft eine zunehmende Wohlstandsperspektive haben, wenn wir uns einigermaßen klug in einer neuen, veränderten Welt verhalten. Das sozialste Programm von allen ist, wenn ich die Erwerbsfähigkeit der Menschen fördere, ihre Einkommenschancen erhöhe, ihre Möglichkeit, Vermögen zu bilden, verbessere. Dann gibt es nichts Sozialeres. Wir haben auch möglicherweise die Voraussetzungen dieses Wohlstandsgewinns – nämlich eine erhöhte Flexibilität, dass gelassenere Umgehen mit dem Entstehen von Unternehmen, die auch wieder verschwinden, und damit der Notwendigkeit, viele Arbeitsplätze schnell zu schaffen, wenn man eine gute Idee auf der Welt gut verkaufen will, aber in dem Wissen, dass es auch sein kann, dass diese Arbeitsplätze wieder verschwinden und an anderer Stelle neue entstehen -, diese Tatsache nicht genug unterstrichen und dass daraus ein Wohlstandsgewinn für den Einzelnen kommt, wie wir in anderen Ländern sehen können. Wir reden ja nicht über ein theoretisches Modell, über ein Wolkenkuckucksheim, das wir uns irgendwie malen. Sondern wir reden über die sehr praktische Frage: Warum geht es Arbeitnehmern, gerade auch Arbeitnehmern mit einer geringeren Qualifikation, in Deutschland schlechter als in unseren Nachbarländern wie Dänemark oder den Niederlanden oder auch in anderen Ländern auf der Welt? Wenn man das so intoniert – nehme ich mal Ihren Begriff auf -, dann kann man mit den gleichen Prinzipien, wie wir sie in Leipzig und oft danach beschlossen haben und wie wir sie auf dem Parteitag jetzt in Hannover im Grundsatzprogramm wieder beschließen werden, ganz offensiv arbeiten. Aber man muss Rücksicht nehmen auch auf die Frage, wie das Verständnis der Bürger von diesen Fragen ist. Da müssen wir auch aus der letzten Wahl lernen, ohne das Inhaltliche am Programm zu verändern.
Deutschlandradio Kultur: Es heißt immer, die beste sozialdemokratische Politik in der Großen Koalition macht Angela Merkel. Sind die Positionen der CDU heute noch wirklich konservativ?
Roland Koch: Es ist ja eine der beliebten Vereinfachungen, die letzten Endes am Anfang auch zur Großen Koalition geführt haben, zu glauben, dass es heute so wesentliche Übereinstimmungen zwischen CDU-CSU und SPD gäbe, dass man die Unterschiede nicht mehr richtig erkennen könne. Richtig ist, dass diese Koalition überall dann, wenn es zu der Grundsatzfrage kommt, nämlich der Frage: Was ist der entscheidende Maßstab? Die Möglichkeit der Gestaltung einer Gesellschaft durch den Einzelnen mit seinen Möglichkeiten, Begabungen, aber auch mit seiner Freiheit sich für das eine oder andere zu entscheiden, das ist die Position der CDU-CSU. Oder aber zu sagen: Wir glauben eigentlich nicht, dass der Einzelne das noch so genau überschauen kann. Wir sollten möglichst verbindliche Regelungen haben, die für die Gruppe insgesamt stehen und in denen der Staat den Rahmen vorgibt oder andere kollektive Gruppen wie Gewerkschaften und Arbeitgeber, möglichst viel regeln, damit der Einzelne nicht in so große Risiken kommt. Das ist eher die Position der SPD. Das beginnt bei der Debatte darüber, wie man sein Vermögen anlegt für die Alterssicherung: Riesterrente mit sehr detaillierten Vorschriften und alles andere wird nicht anerkannt oder eben der Chance zu sagen, ja, ich kann mir auch ein Eigenheim kaufen. Das ist auch ein Stück der Alterssicherung, was nach der Riesterrente ja nicht möglich ist, wo wir aber durchaus sagen, das ist doch vernünftig, wenn jemand das tut. Bis hin zur Einheitsschule, die wir in Hessen gerade wieder diskutieren, wo man sagt, möglichst lange alle in eine Klasse und mit möglichst wenig Differenzierung. Diese programmatische Trennlinie ist die Kernlinie, die die beiden großen Parteien auseinander hält. An der Stelle ist Angela Merkel eben eine sehr, sehr überzeugte Christdemokratin und macht das absolute Gegenteil einer sozialdemokratischen Politik. Dies ist auch das, was uns als Konservative letzten Endes auszeichnet: das Bekenntnis zu einem zentralen Wert. Die CDU ist eine Partei, die immer die Aufgabe hat, von der Mitte der Gesellschaft bis in den konservativen Bereich hinein alle Menschen zu repräsentieren und anzusprechen. Und wenn ich mal sehe, wie andere Volksparteien wie die SPD im Augenblick mit ihrer Aufgabe umgehen, ein großes Spektrum abzudecken, muss ich ja mit dem, was wir als CDU leisten, wahrlich nicht unzufrieden sein.
Deutschlandradio Kultur: Das, was Sie da als programmatische Trennlinie sehen, sehe ich noch nicht. Denn eigentlich alle Parteien leisten sich da einen Methodenstreit, themengebunden fürwahr, aber auch Sie beispielsweise: Um des Wettbewerbes willen muss man eingreifen in ein Marktgeschehen, um die globale Wirtschaft zu steuern. Auch Sie sagen, um Familienpolitik zu machen, muss man staatliche Angebote präsentieren. Und Sie sagen auch, um Klimaschutz zu machen, muss man Regelungen finden. Das machen alle Parteien. Wo ist da der Unterschied?
Roland Koch: Der Unterschied liegt schon, wenn man ein bisschen genauer hinguckt, bei allen Fragen im Prinzip. Also, nehmen wir die drei in der Reihenfolge, wie Sie es sagen: Sozialdemokraten diskutieren gelegentlich, wir wollen kein ausländisches Kapital. Herr Struck hat gesagt, das darf nicht mehr als 25 Prozent eines ‚Private-Equity‘-Fonds sein, obwohl es auch deutsches ‚Private Equity‘ gibt. Nur weil wir das heute ausländisch nennen, ist das noch lange kein ausländisches Kapital. Wir sagen, wir brauchen Kapitalfreiheit auf der Welt. Aber Kapitalfreiheit bedeutet die Entscheidung von Individuen. Wir wollen keine Staaten als Unternehmer. Wir wollen nicht, dass RWE in Deutschland mühsam privatisiert worden ist, damit es am Ende der russische Staat kauft. Das ist die klare Trennlinie. Überall, wo Private handeln, ist Freiheit. Der Staat hat dabei nichts verloren. Die Sozialdemokraten sagen, wenn es private Ausländer sind, sind die für uns gefährlich und wir regeln etwas, dass nur noch die Deutschen das machen dürfen. Nehmen Sie das Beispiel der Kinderbetreuung. Sozialdemokraten wollen letzten Endes eine Ganztagsbetreuung als staatliche Regel. Wir wollen ein Angebot, dass es ganztägige Betreuung mit der Garantie der staatlichen Fürsorge und Organisation gibt. Aber wir wollen ausdrücklich, dass jede einzelne Familie weiß, dass der Staat das als ein Wahlrecht betrachtet. Oder im Umweltschutz: Wir reden von Anreizen, bei denen der Einzelne an möglichst vielen Stellen für sich persönlich entscheidet, „ja, ich nehme dieses System, weil es günstiger ist, auch in den Preisen“, die dadurch entstehen, weil natürlich Umweltkosten eingerechnet werden müssen. Während eben unsere sozialdemokratischen Kollegen in den rot-grünen Zeiten versucht haben, tausend Verordnungen zu machen und alles im Detail vorzuschreiben, was nach unserer Ansicht eher langsamer zum Umweltschutz führt. Also, genau diese Trennlinie beschäftigt uns – nicht in allen Bereichen der Politik. Haushaltssanierung kann man nicht individuell oder kollektiv machen zum Beispiel. Föderalismusreform macht man nicht individuell oder kollektiv. Also, gerade an den Stellen, an denen wir uns in der Großen Koalition geeinigt haben, sieht man, dass dieses Element eher keine Rolle gespielt hat. Und überall, wo wir Durcheinander und Ärger in dem Weg zu einer richtigen Lösung haben, taucht dieses Problem auf.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben das Problem von ausländischen Staatsfonds angesprochen. Herr Koch, Sie sind ja als hessischer Ministerpräsident auch Förderer des Finanzplatzes Frankfurt. Insofern ist klar, dass Ihnen das Thema am Herzen liegt. Wenn Sie sagen, Sie wollen nicht, dass ausländische Staaten sich über Fonds in die Wirtschaft einmischen, was ist denn z.B. mit den Schwellenländern wie China oder Indien? Ist das nicht eigentlich auch sinnvoll, wenn die sich in der Weltwirtschaft und z.B. auch im Norden engagieren? Trägt das nicht auch zur Stabilität bei?
Roland Koch: Um es vor der Klammer zu sagen: Es geht nicht darum, dass ein Staatsfonds nicht in Deutschland investieren kann. Es geht darum, dass ein Staatsfonds oder ein staatlich gelenktes Unternehmen – weil das ziemlich egal ist, ob es ein Staatsfonds oder wie ‚Gazprom‘ ein Staatsunternehmen ist – in Deutschland nicht investieren sollte, ohne dass die Bundesregierung eine Möglichkeit hat zu sagen, „wenn das den nationalen Interessen widerspricht, dürfen wir es auch verbieten“. Diese Regelung gibt es in allen anderen industrialisierten Ländern. Wir sind im Augenblick sozusagen ein Einfallstor für solche Aktivitäten. Die Amerikaner haben seit langer Zeit Gesetze dafür. Die Briten haben Gesetze dafür. Die Franzosen haben Gesetze dafür, die Spanier, die Italiener. Nur wir Deutschen würden erst reagieren, wenn der erste Fall auftritt, so hektisch hinterher. Dann steht wieder in allen Zeitungen: Warum hat die Politik geschlafen? Ich werbe dafür, dass wir uns vorher mit der Frage beschäftigen, um zu sagen, wenn ein staatlich gelenktes Unternehmen in Deutschland Einfluss auf ein deutsches Unternehmen nehmen will in einer nennenswerten Höhe – nehmen wir mal 25 Prozent der Aktien an, was aus meiner Sicht eine vernünftige Zahl wäre, dann muss es das anmelden und die Bundesregierung hat eine Möglichkeit zu sagen, „das widerspricht unserem Interesse, wenn es volkswirtschaftlich wichtige Bereiche der deutschen Wirtschaft betrifft“. In vielen Fällen, nehmen Sie Kuwait, die seit langer Zeit einen kleinen Anteil an DaimlerChrysler haben oder einen kleinen Anteil an anderen Unternehmen gehabt haben in Deutschland, wie der Hoechst AG früher, wird das sicher jeder immer genehmigen. Schon weil es unter 25 Prozent ist, interessiert es keinen Menschen. Wir haben auch ein Interesse daran, dass das, was die Schwellenländer, wie China, an Überschuss haben, wieder in die Weltwirtschaft investiert wird. Aber, offen gesagt, wir haben ein Interesse daran, dass es möglichst schnell private Unternehmen auch in China und in Russland gibt, die als Investoren teilnehmen und genauso wenig Beschränkungen unterliegen wie jedes andere privatwirtschaftliche Unternehmen irgendwo auf der Welt. Nur, ein Staat und eine Regierung müssen nicht nur auf Zinsen achten. Die können auf einmal auch sagen: „Wir haben ein strategisches Interesse einem Land wie Deutschland zu sagen, weißt du eigentlich, wie viel wir bei dir besitzen? Deshalb sollten wir uns im Weltsicherheitsrat noch mal unterhalten“. Diese Frage ist nicht irreal. Was Russland bei EADS, der Airbus, aber auch der Militärproduktionsfirma gemacht hat, war zu versuchen, Anteile zu kaufen – mit dem Ziel, die Technologie, die in Deutschland vorhanden ist, auch auf Russland zu übertragen, was die anderen Anteilseigner nicht wollen. Das ist abgewehrt worden. Das ginge in einem multinationalen Unternehmen mit Hilfe des staatlichen Eigentums. Aber wir können ja nicht alle Unternehmen als Staat kaufen wie bei EADS, wo der Staat beteiligt ist, nur damit andere Staaten nicht hineingehen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass es die Privaten selbst machen und der Staat in der Weltwirtschaft möglichst wenig Einfluss hat. Das finde ich sehr vernünftig.
Deutschlandradio Kultur: Aber den gleichen Vorwurf könnte man doch auch gegenüber privaten Investoren aufwerfen. Wir haben es ja an der Frankfurter Börse erlebt – ich würde sagen, es ist gut gegangen, dass beispielsweise Hedgefonds bezogen auf eine Unternehmensstrategie auch eine zerstörerische Wirkung haben und dann die Umwelt sagt, z.B. der Finanzplatz Frankfurt, „die machen uns unseren Markt kaputt“.
Roland Koch: Die Börse ist ein ganz gutes Beispiel. Niemand hat die Unternehmen der deutschen Finanzindustrie gezwungen, die Deutsche Börse zu verkaufen. Sie gehörte den Frankfurter Banken. Und die hätten sie klugerweise mit einem größeren Anteil behalten sollen. Dass die anschließend weinen und schimpfen, dass ein Teil ihrer Infrastruktur weggeht, weil sie selbst verkauft haben, ist auch ein Stück ein Lernprozess. Und dass Hedgefonds nicht die Lösung aller Probleme der Welt sind, das lernen in diesen Tagen viele in der internationalen Bankenwelt sehr schnell und sehr nachdrücklich. Deshalb glaube ich, dass wir durchaus weiterhin marktwirtschaftlichen Prozessen in der Welt vertrauen sollen. Der Markt ist klüger als der Staat. Aber wenn der Satz richtig ist, der Markt ist klüger als der Staat, dann haben wir eine Verpflichtung dafür zu sorgen, dass nicht hinterrücks durch ehemals sozialistische Staaten, die jetzt sehr reich werden, der Staat wieder die Herrschaft im Markt übernimmt, nachdem wir mühsam darum gekämpft haben, die Privatisierung einzuleiten. Diese Debatte muss man führen. Die sollte man auch schnell führen, weil das staatliche Vermögen in einigen Staaten der Welt im Augenblick in gigantischer Geschwindigkeit wächst, wie man es früher nicht vermutet hätte.
Deutschlandradio Kultur: Herr Koch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Mit dem Hessischen Ministerpräsidenten sprachen Christel Blanke und Ernst Rommeney.