Koch: „Wir versuchen, für unser Verständnis von Freiheit und Demokratie zu werben.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“
SPIEGEL: Herr Koch, Angela Merkel will am kommenden Sonntag als erste deutsche Regierungschefin den Dalai Lama empfangen. Ist das klug, wenn man gleichzeitig gute Beziehungen zu China wünscht?
Koch: Ich glaube, dass das sehr richtig ist, gerade wenn man gute Beziehungen zu China wünscht und unterhält. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die chinesische Führung auf Dauer denjenigen ernst nimmt, der offen und ehrlich mit ihr redet, auch wenn es zunächst Bauchgrimmen verursacht.
SPIEGEL: Der deutsche Botschafter in Peking ist ins Außenministerium bestellt worden. Er berichtet von „echter und tiefgehender Verärgerung“ der chinesischen Seite.
Koch: Natürlich ist die chinesische Regierung nicht begeistert über den Empfang. Sie hat ein Interesse daran, dass das Thema Tibet möglichst nicht auf der internationalen Tagesordnung erscheint. Wir müssen den Chinesen klar sagen, dass wir gute Beziehungen zu China wollen, aber dass sie auch das Problem verantwortlich regeln müssen. Dann wird es auch von der Tagesordnung verschwinden.
SPIEGEL: Noch einmal: Droht eine ernsthafte Belastung der deutsch-chinesischen Beziehungen?
Koch: Uns Deutschen nützt es, wenn wir in der Welt als ein Land wahrgenommen werden, das seine Werte lebt. Wir gucken auch an anderen Orten der Welt nicht nur, ob wir Geld verdienen können. Wir versuchen, für unser Verständnis von Freiheit und Demokratie zu werben. Im Übrigen ist es ganz normal, dass sich ein Regierungschef mit dem Führer einer wichtigen Weltreligion trifft.
SPIEGEL: Die Kanzlerin hat erst neulich China aufgefordert, die Menschenrechte zu achten, ohne Tibet direkt anzusprechen. Ist es die hohe Kunst der Diplomatie, den Dalai Lama so kurz danach zu empfangen?
Koch: Es gab lange Zeit außerhalb der USA nur wenige Politiker, die den Dalai Lama empfangen haben. Das hat in China die Hoffnung gestärkt, man könne das Thema vergessen machen. Es ist richtig, der Führung in Peking zu signalisieren, dass dies nicht gelingen wird. Die Chinesen wissen im Übrigen, dass sie in der Kanzlerin Angela Merkel einen sehr verlässlichen Partner haben.
SPIEGEL: Verstehen sie die Sorgen der deutschen Wirtschaft, der Besuch könne sich negativ auswirken?
Koch: Der Dalai Lama trifft den amerikanischen Präsidenten regelmäßig. Ich kann nicht erkennen, dass das die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und China beeinträchtigt hätte. Das Auswärtige Amt hat dem hessischen Landtag in den neunziger Jahren geschrieben, ein Empfang des Dalai Lama wäre schlecht für die hessische Wirtschaft. Das war auch unbegründet. Wir Hessen arbeiten mit China glänzend zusammen, und die Führung hat nach meiner Erfahrung akzeptiert, dass ich ein Freund Chinas und des Dalai Lama bin.