Ein Namensbeitrag von Roland Koch in der ifo Schnelldienst 17/2007
Seit einigen Wochen wird in Deutschland nicht nur in den politischen Parteien, sondern auch in Wirtschaft und Wissenschaft intensiv über das Engagement staatlicher Investoren bei in Deutschland beheimateten Unternehmen diskutiert. International, insbesondere in den USA und in Frankreich, ist der Schutz heimischer Industrien seit Jahren ein immer wiederkehrendes Thema.
Diese breite Diskussion ist zu begrüßen, weil sie den Blick für ein Thema schärft, das Fragen aufwirft, die politische Entscheidungen erfordern.
Im Übrigen zeigen die vielen – wenn auch nicht immer öffentlich bekundeten – zustimmenden Kommentare aus der deutschen Wirtschaft, dieses Thema auf die politische Agenda zu setzen, und die zumeist ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt quer durch die Parteien, dass es nicht um das Füllen von Schlagzeilen im politischen Sommerloch geht, sondern vielmehr um eine Frage von grundsätzlicher wirtschaftspolitischer Bedeutung für die Zukunft unseres Landes.
Sicherlich hat zur Ernsthaftigkeit dieser Diskussion beigetragen, dass in diesen Monaten jedem klar wurde, dass aus der Petro-Dollar-Debatte der neunziger Jahre mit dem aufkommenden neuen Reichtum der ehemals sozialistischen oder kommunistischen Staaten eine neue Dimension der Veränderung entstanden ist. Ein Beispiel ist, dass sich russische Investoren an dem deutsch-französischen Luftfahrtunternehmen EADS massiv, über einen bereits vorher von einer russischen Bank erworbenen Anteil von 5% hinaus, beteiligen wollten. Mit diesem Ansinnen wurde vielen erst bewusst, dass sich im Zuge der sich dynamisch entwickelnden internationalen Kapitalmärkte auch die Verhaltensweisen von Investoren einem grundlegenden Wandel unterzogen haben. Worin liegen die Ursachen dafür, dass wir uns derzeit mit einem Thema beschäftigen, das lange nur in Expertenkreisen oder akademischen Zirkeln Anlass für Gesprächsstoff bot?
Mit der positiven weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren sind auch neue boomende Wirtschaftsräume entstanden. Insbesondere in China, Indien, zum Teil in Russland und auch im kleineren Rahmen in den Golfstaaten vollzieht sich eine bemerkenswerte Entwicklung. Ohne die Integration dieser Staaten in die Weltwirtschaft, ohne die Ausweitung der internationalen Arbeitsteilung im besten Sinne der ricardianischen Theorie wäre der immense globale Wohlstandsgewinn mit seit Jahren anhaltend hohen Wachstumsraten des Welthandels gar nicht möglich gewesen.
Und Deutschland als Exportweltmeister profitiert davon in außerordentlichem Maße – durch Wachstum, Beschäftigung und eine beachtliche Investitionstätigkeit, die sich sowohl in deutschen Direktinvestitionen im Ausland als auch durch Investitionen ausländischer Unternehmen im Inland niederschlägt. Die Stellung Deutschlands als im weltweiten Vergleich wirtschaftlich erfolgreiches und politisch einflussreiches Land ist nicht zuletzt auf die Offenheit seiner Märkte zurückzuführen. Das ist uns sehr wohl bewusst. Und dabei wird es bleiben. All die Mahner, die im Zuge der derzeitigen Diskussionen von neuen Schutzzäunen, von Protektionismus oder gar vom Abrücken von marktwirtschaftlichen Prinzipien sprechen, haben zwar recht, wenn sie auf mögliche Gefahren einer Beschränkung von Freiheiten hinweisen, müssen sich aber zugleich auch bewusst sein, dass sie mit ihren Äußerungen, die am Kern des Problems vorbeigehen, eher neue Ängste und Sorgen auslösen, als dass ihre Interessen bei der Problemlösung wirklich gehört werden.
Mit dem Erstarken der neuen Wirtschaftsregionen entstehen neue global agierende Handelspartner. Und ohne jeden Zweifel entscheidet der Zugriff auf begrenzt vorhandene Ressourcen wie Rohstoffe, Energie und Wissen über den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg aller Beteiligten. Vor eben diesem Hintergrund geht es um die Frage, wie wir in Zukunft politisch mit ausländischen staatlichen oder staatlich gelenkten Investoren umgehen wollen.
Prinzipiell sind die Phänomene der Staatsfonds nicht neu. Auch in Deutschland kennen wir sie seit vielen Jahren. Was also verändert sich? In vielen Ländern haben sich in der Vergangenheit neben privaten Investoren aus unterschiedlichsten Gründen auch staatliche Fonds gebildet. Diese »Staatsfonds« der ersten Generation stammen aus den rohstoffreichen Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Norwegen und auch aus dem Handelszentrum Singapur. Diese Länder investieren ihre staatlichen Überschüsse erfolgreich weltweit in staatliche Anleihen und Unternehmen. Daneben verfügen auch Industriestaaten wie die USA und Japan über so genannte »Reservefonds«. Die meisten dieser Fonds unterliegen allerdings von Hause aus erheblichen Restriktionen hinsichtlich ihrer Anlagepolitik. Der 1990 gegründete norwegische Ölfonds – er wird heute als Staatlicher Pensionsfonds bezeichnet – investiert beispielsweise seine Mittel strikt nach ethisch-ökologischen Richtlinien als Minderheitsbeteiligungen (höchstens 3%) bei ausländischen Unternehmen. Die Abu Dhabi Investment Authority aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit einem Anlagevermögen von geschätzten 875 Mrd. US-Dollar gilt als weltweit größte staatliche Investmentgesellschaft. Der Fonds »Dubai International Capital« erwarb im Juli dieses Jahres 3% am Flugzeughersteller EADS und im Januar 2006 knapp 2% des Autoherstellers Daimler. Von Kuwait ist seit langem bekannt, dass der nationale Fonds »Kuwait Investment Authority« seit Mitte der siebziger Jahre mit ca. 7% an Daimler beteiligt ist. Der Stadtstaat Singapur verfügt über zwei Staatsfonds – die bereits 1974 gegründeten Temasek-Holdings (rund 100 Mrd. US-Dollar Anlagevermögen) und der Government of Singapore Investment Corporation (ca. 330 Mrd. US-Dollar). Beide Fonds sind weltweit investiert, u.a. in den Hafenbetreiber PSA. Japan hat seine Mittel im Gegensatz dazu bisher ausschließlich in Anleihen zumeist im amerikanischen Markt investiert. Dies galt bis vor kurzem auch für die Volksrepublik China, die mit über 1,2 Bill. US-Dollar über die höchsten Devisenreserven weltweit verfügt. Die Beteiligung des chinesischen Staatsfonds an dem amerikanischen Finanzinvestor Blackstone in Höhe von 3 Mrd. US-Dollar leitete einen generellen Wandel des Anlageverhaltens des Landes hin zu einer aktiveren Beteiligungspolitik ein.
Seit wenigen Jahren agieren staatlich gelenkte Investoren bzw. staatlich aufgelegte Fonds der zweiten Generation vermehrt strategisch, um die Interessen ihrer Länder in für sie interessanten Märkten durchzusetzen. Russland, bei dem die Grenze zwischen staatlichen und privaten Konzernen häufig intransparent und fließend ist, hat das in seinen Nachbarländern bereits demonstriert. Gerade deshalb muss uns das Interesse Russlands an Beteiligungen deutscher Unternehmen in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Telekommunikation, der Post und insbesondere dem Energiesektor beschäftigen.
Noch problematischer ist es, wenn der Eindruck entsteht, dass die von staatlich gelenkten Investoren angestrebte Rendite nicht primär monetärer, sondern strategischer Art ist. Angesichts des vorhandenen umfangreichen Vermögens staatlicher Fonds von mehr als 3 Bill. US-Dollar – mehr als die Mittel aller weltweiten Hedge-Fonds zusammen – sind wir gut beraten, Vorsorge zu treffen, damit es früher oder später nicht zu politisch motivierten Marktbeeinflussungen oder zu einer beginnenden ökonomischen und psychologischen nationalen Abhängigkeit von den Entscheidungen fremder Regierungen kommt.
Dabei wäre ein gemeinsames europäisches Vorgehen, idealerweise zusammen mit den USA, sicherlich wünschenswert. Allerdings fürchte ich, dass der erforderliche Koordinierungsaufwand und die schon in Europa sichtbaren unterschiedlichen Interessenlagen zeitnahe Lösungen verhindern. Deshalb ist es in unserem nationalen Interesse, bereits jetzt eine intensive Prüfung der Situation vorzunehmen und zunächst eigenständig zu handeln. Dies gilt besonders deshalb, weil die meisten westlichen Industriestaaten bereits über ein Repertoire von Instrumenten verfügen, um eventuell unerwünschte Investitionen von Ausländern, u.a. bei Unternehmen der Verteidigungsindustrie, aber auch in vielen anderen Bereichen zu erschweren oder gar zu verhindern. Allein der Hinweis darauf reicht meist aus, um unerwünschte Investoren abzuhalten. Die im deutschen Außenwirtschaftsgesetz bestehenden Regelungen, die Übernahmen in der Verteidigungsindustrie verhindern, reichen dagegen nicht aus.
Ziel einer möglichen Neuregelung sollte es sein, im Einzelfall festzustellen, welche Ziele, welches Konzept ein potentieller Investor mit der Investition verfolgt. Es geht darum, die nötige Transparenz zu schaffen, um die jeweiligen Interessen nachvollziehen zu können. Das ist nicht einfach. Es geht ja gerade nicht darum, alle diese Investitionen in Deutschland zu verhindern. Im Gegenteil, nach Prüfung werden die meisten dieser Investments auch im deutschen Interesse sein, aber Deutschland braucht die Instrumente, das eine vom anderen zu trennen. Nicht zuletzt deshalb ist vor vorschnellen Schüssen zu warnen. Vorschläge, wie z.B. die Einführung von »Goldenen Aktien«, die selbst in Großbritannien im Rüstungssektor Anwendung finden, Satzungsbeschränkungen, Aktienrückkäufe, Stimmrechtsbeschränkungen oder ein Vorkaufsrecht müssen zunächst auf ihre Auswirkungen hin geprüft werden, sonst führen sie nur kurzfristig zu einer Scheinsicherheit.
Der Ansatz, einen Katalog von schützenswerten Branchen zu erstellen, dürfte sich angesichts der sehr unterschiedlichen ökonomischen und psychologischen Komponenten und daraus resultierenden Abwägungsnotwendigkeiten als nicht zielgerichtet genug erweisen. Ein methodischer Ansatz mit abstrakten Merkmalen eröffnet mehr Möglichkeiten und kann, behutsam angewendet, zu einem transparenten und berechenbaren Verfahren beitragen.
Dabei mag als Anhaltspunkt die US-amerikanische Regelung gelten. Die USA schützen Industrien und Unternehmen, die für die nationale Sicherheit von großer Bedeutung sind. Der amerikanische Präsident hat gemäß der 1988 verabschiedeten »Exon-Florio-Provision« die Möglichkeit, ausländische Direktinvestitionen in den USA zu untersagen, wenn er eine Gefahr für die nationale Sicherheit sieht. Seit dem 11. Juli 2007 wurden die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten verschärft. Sämtliche Direktinvestitionen, an denen eine ausländische Regierung beteiligt ist, werden von dem zuständigen »Committee on Foreign Investments in the United States« (CFIUS), das sich aus zwölf Ministerien bzw. Institutionen zusammensetzt, einer 75 Tage dauernden, eingehenden Prüfung unterzogen. Die Entscheidungen sind von hochrangigen Vertretern des CFIUS zu unterschreiben. Der Präsident kann innerhalb von 15 Tagen die Akquisition untersagen. Der Kongress erhält nach Ablauf der Frist einen Bericht.
Denkbar wäre in Deutschland eine Anmeldepflicht größerer Transaktionen. Wenn innerhalb einer kurzen Frist von bis zu drei Wochen keine Entscheidung über die Einleitung eines Genehmigungsverfahrens getroffen wurde, wäre die Transaktion genehmigt. Ein eventuell notwendiges Genehmigungsverfahren müsste nach klaren gesetzlichen Vorgaben durch eine unabhängige Instanz eingeleitet werden. Damit wäre gewährleistet, dass für die ganz überwiegende Zahl ausländischer Investitionen in Deutschland keine gravierenden zeitlichen Nachteile entstehen. Eine politische Kontrolle könnte durch eine mögliche Regierungsentscheidung und eine umfassende Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag gewährleistet werden. Zusätzliche Maßnahmen, wie eine Verschärfung der Vorschriften für Namensaktien, sind denkbar.
Von grundlegender Bedeutung ist schließlich nicht zuletzt, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit – Ökonomen sprechen von der Reziprozität – bei grenzüberschreitenden Investitionen zu gelten hat. Wir sind offen für ausländische Investoren, fordern aber den Marktzugang, den wir ermöglichen, auch im Ausland. Hier ist noch viel zu tun, durchaus auch in Europa, wie unsere Erfahrungen mit Frankreich und Spanien zeigen. Mehr noch aber müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass in fast allen Ländern des Nahen Ostens und in China ausländische Investoren auf Minderheitenbeteiligungen beschränkt sind. Die Behinderungen bestehen nicht nur aus offenen Marktzugangsbeschränkungen. Neben hohen Einfuhrzöllen kommen auch zahlreiche nicht-tarifäre Handelshemmnisse zur Anwendung.
Es bleibt dabei: Abwehrmaßnahmen müssen die Ausnahme und nicht die Regel bleiben. Zu häufig führen gut gemeinte Maßnahmen letztlich zu einem gefährlichen Verschreckungspotential. Wir müssen uns stattdessen gegenüber neuen wirtschaftlichen Entwicklungen öffnen und die Herausforderungen des weltweiten Wettbewerbs annehmen. Grenzüberschreitende Investitionen waren und sind Grundlage für eine prosperierende nationale und internationale wirtschaftliche Entwicklung. Wir sind aber nicht der passive wirtschaftliche Spielball anderer Nationen oder großer staatlicher Unternehmen. Wir wollen aktiv die Globalisierung mit gestalten. Dazu müssen wir auch Spielregeln setzen. Ein handlungsfähiges Staatswesen braucht ein wirksames Instrumentarium zum Schutz vor potentiellem politischen Druck von außen. Deshalb werde ich gemeinsam mit meinen Kollegen Ronald Pofalla und Norbert Röttgen in den nächsten Wochen für die CDU Deutschlands ein Eckpunktepapier erstellen, das im Anschluss an die unaufgeregte Abwägung von Vor- und Nachteilen einzelner Maßnahmen Vorschläge für den Umgang mit staatlichen und staatlich gelenkten Investoren und zu den Grundprinzipien für den Marktzugang aus Drittländern enthalten wird.