Koch: „Die Entscheidung von GM ähnelte einem Niederschlag beim Boxen. Man muss aufstehen und weiter kämpfen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem FOCUS
Focus: In den vergangenen Monaten haben Sie mit anderen Ministerpräsidenten und der Bundesregierung reichlich Zeit damit verbracht, Opel aus dem US-Mutterkonzern General Motors herauszulösen und eigenständig zu machen. Wie groß ist Ihr Frust über das Scheitern?
Koch: Die Enttäuschung ist riesengroß, weil ich nach wie vor der Überzeugung bin, dass die von Magna angebotene Lösung neue Marktchancen eröffnet hätte. Opel hätte so eine sicherere Zukunft gehabt. Dennoch geht unsere Arbeit weiter.
Focus: Hat sich die deutsche Politik mit diesem Eingriff in die Wirtschaft nicht total übernommen?
Koch: Ohne das Engagement von Bund und Ländern gäbe es Opel heute gar nicht mehr. Denn GM war zunächst finanziell überhaupt nicht in der Lage, seine Tochter Opel allein aus der Krise zu führen. Und die von dem Unternehmen vorgelegten Konzepte hielten Fachleute außerdem für völlig ungeeignet, um Opel zu retten. Daher haben wir schließlich gemeinsam mit GM eine Investorenlösung gefunden und einen Überbrückungskredit zur Verfügung gestellt. Aufgedrängt haben wir uns wahrlich nicht.
Focus: Wurden Sie von der Kehrtwende überrascht?
Koch: Die hat mich tatsächlich wie ein Blitz getroffen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass der GM-Verwaltungsrat in einer spontanen Entscheidung alles noch einmal umstößt. Zumal GM-Vorstandschef Fritz Henderson hinter dem Magna-Konzept stand.
Focus: Hat Barack Obama Kanzlerin Angela Merkel düpiert? Schließlich hat sie am Tag der GM-Entscheidung mit dem US-Präsidenten gesprochen.
Koch: Präsident Obama hat erklärt, dass er über den GM-Beschluss nicht informiert war. Aber die politische Verantwortung für das Vorgehen muss die amerikanische Regierung schon akzeptieren. Schließlich sind die Vereinigten Staaten der Mehrheitseigentümer bei General Motors. Dass die Abkehr von den getroffenen Vereinbarungen von GM ausgerechnet besiegelt wurde, während der Kongress der Kanzlerin stehend applaudierte, stellt dem GM-Verwaltungsrat ein besonders schlechtes Zeugnis aus. Das war ein grob unfreundliches Verhalten.
Focus: Der frühere Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hielt noch im Mai eine Opel-Insolvenz für eine Alternative. Hätte man auf ihn hören sollen?
Koch: Eine Insolvenz hätte GM in Europa zerschlagen. Das Unternehmen verfügt über Standorte in sieben europäischen Staaten mit jeweils unterschiedlichem Konkursrecht. Es wäre unmöglich gewesen, GM Europa mit Opel als führender Marke als gemeinsame Einheit weiterzuführen.
Focus: Opels Betriebsratsvorsitzender Klaus Franz fordert die Umwandlung Opels von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft. Sichert das eine größere Unabhängigkeit von Detroit?
Koch: Opel war bis vor wenigen Jahren auch schon eine AG. Wichtiger ist mir eine neue Haltung des US-Managements zur Tochter in Europa. Bislang hielt man Opel an der kurzen Leine. Das ist Opel in den letzten Jahren sehr schlecht bekommen. Es fehlt unternehmerische Freiheit, Kreativität, Flexibilität und Anstrengungen in Forschung und Entwicklung. Erst in jüngster Zeit hat sich daran ein bisschen was geändert, und es werden von Opel wieder Autos produziert, die viele Menschen überzeugen. Die Amerikaner müssen begreifen, dass nur eine größere Selbstständigkeit für die europäische Einheit die gewünschten Markterfolge jenseits des Atlantik ermöglicht.
Focus: GM muss den Durchbruch nun selbst schaffen. Glauben Sie an die Weisheit der neuen Unternehmensführung?
Koch: Nach dem, was passiert ist, fällt das sehr schwer. GM muss eine Menge tun, damit dem Unternehmen wieder Vertrauen entgegengebracht werden kann.
Focus: Wie es scheint, will General Motors auf Staatshilfe aus Europa nicht verzichten. Geht das noch?
Koch: Es ist nicht verboten, einen Antrag zu stellen. Der einfachste Weg wäre aber sicher, wenn GM die Restrukturierung von Opel allein bezahlte. Das Unternehmen könnte sich so Diskussionen mit staatlichen Institutionen ersparen. Es passt einfach nicht zusammen, erst alles selbst machen zu wollen und dann den Steuerzahlern in Deutschland und Europa die Rechnung zu stellen. Falls Hilfen gefordert werden, wird man sich die Anträge sehr kritisch anschauen müssen. Warum sollte man einen Großkonzern besserstellen als ein mittelständisches Unternehmen mit 20 Beschäftigten?
Focus: Weil Zehntausende von Arbeitsplätzen an Opel hängen. Sind die Politiker erpressbar geworden?
Koch: Ich würde niemandem raten, das auszuprobieren. Wir haben Magna Hilfe versprochen, weil uns das Sanierungsmodell des Konsortiums mit Abstand am plausibelsten erschien. GM muss uns jetzt erst mal ein zukunftsfähiges Konzept vorlegen. Wir werden bei eventuellen Bürgschaften natürlich wieder darauf achten müssen, dass das Risiko des Steuerzahlers, Geld zu verlieren, minimal ist. Wir können außerdem nicht so tun, als habe GM keine Fehler gemacht.
Focus: Dann drohen also wieder endlose Verhandlungen?
Koch: Wenn GM um finanzielle Unterstützung bitten würde, erschwerte dies gewiss eine schnelle Rettung.
Focus: Sind Sie nicht zu streng? Mancher Experte glaubt, dass Opel bei seiner alten Mutter besser aufgehoben ist als bei Magna?
Koch: Die Bundesregierung und die Länder haben die Konzepte von GM und mehreren Investoren unter intensiver fachlicher Begleitung über viele Wochen genau geprüft. Die Wahl auf Magna fiel nicht in einer Lotterie. Das österreichisch-kanadisch-russische Konsortium bot mit der Öffnung Osteuropas die besten Zukunftschancen.
Focus: Die Europäische Kommission war weniger beeindruckt und hat die zugesagten Beihilfen als verbotene Subvention deutscher Arbeitsplätze gewertet.
Koch: Eine Diskriminierung von Bewerbern gab es zu keiner Zeit. Die EU-Wettbewerbskommissarin hat das Beihilferecht eigenwillig ausgelegt. Es ist doch wohl klar, dass bei der Gewährung von Beihilfen ein Staat sehr genau schauen muss, dass Steuergelder gut
angelegt sind. Das ist doch keine Versteigerung. Aber für einige im GM-Board mögen die Brüsseler Bedenken ein willkommener Vorwand gewesen sein.
Focus: Werden bei Opel jetzt mehrere deutsche Werke, zum Beispiel Bochum und Eisenach, geschlossen?
Koch: Die Bundesregierung und die Länder kämpfen um den Erhalt aller deutschen Werke. Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.
Focus: Ist die von GM angekündigte Streichung von 10.000 Arbeitsplätzen in Europa nur der Anfang?
Koch: Ich denke, dass GM die technologische Bedeutung von Opel für den Gesamtkonzern zu schätzen weiß. Wenn das US-Unternehmen aber seine Präsenz in Europa ausbauen will, muss es beweisen, dass es dazugelernt hat. Sturheit und Ignoranz haben Opel an den Abgrund geführt. Nun wären Einfallsreichtum und Einfühlungsvermögen gefragt.
Focus: Oder nicht doch die Selbsterkenntnis der Politik, dass man die
Wirtschaft stärker dem Markt überlassen sollte?
Koch: Meine Kollegen in der Bundesregierung und den Ländern haben sehr gewissenhaft und mit Sachkunde an der Lösung für Opel gearbeitet. Es ist im Augenblick sehr populär, Politiker als ökonomische Ignoranten darzustellen. Ich finde es aber zynisch, die Hände in den Schoß zu legen und auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu verweisen, wenn Zehntausende Arbeitsplätze bei Opel und vielen kleinen Zulieferern zu verschwinden drohen.
Focus: Sie sehen sich von GM getäuscht. Was motiviert Sie dann noch, sich für Opel einzusetzen?
Koch: Die Entscheidung von GM ähnelte einem Niederschlag beim Boxen. Man muss aufstehen und weiter kämpfen.
Das Interview führte Thomas Zorn.