Rede Sparkassentag
Rede des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch zum Sparkassentag Hessen-Thüringen
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kaminsky,
sehr geehrter Herr Hoffmann, Frau Landtagspräsidentin,
verehrte Kolleginnen und Kollegen von Landtag, Bundestag und der Politik im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zunächst überbringe ich die herzlichen Grüße der Hessischen Landesregierung – und da wir das in Tradition abwechselnd machen, heiße ich Sie auch sogleich im Namen all meiner thüringischen Kollegen und insbesondere auch meines Kollegen Dieter Althaus herzlich willkommen.
Die Herausforderungen anzunehmen, die uns in diesen schwierigen Zeiten gegeben sind, bedeutet nicht nur, über die schwierigen Zeiten zu reden, sondern auch über die Zeit danach. Insofern begrüße ich und begrüßen wir sehr, dass dieser Sparkassentag zu ergründen versucht, was die Megatrends der Zukunft, der nächsten Generation sind. Es passt, dass wir diese Tagung hier in einem so spannenden Gebäude, in einer, was die Wissenschaftsdynamik angeht, so spannenden Stadt abhalten. Ich glaube, dass wir uns in Deutschland darauf konzentrieren sollten, mit Zukunftstrends umzugehen. Wir werden unseren Wohlstand nur erhalten, wenn wir rechtzeitig erkennen, was diese Trends sind und wenn wir an der Spitze ihrer Bewegung stehen. Und keiner derer, die uns die Führerschaft abnehmen könnten, wäre bereit, uns zu subventionieren. Wir werden unseren Wohlstand aber nur erhalten, wenn wir mehr für unsere Arbeit bekommen als jeder andere in einer vergleichbaren Region oder Profession auf der Welt. Das müssen nicht alle auf der Welt gut finden, es spricht sogar manches dafür, dass es meistens als Herausforderung gesehen wird. Aber es ist unsere gemeinschaftliche Aufgabe – eine sehr gemeinschaftliche zwischen denen, die in der Wirtschaft Verantwortung tragen und denen, die im öffentlichen Leben Verantwortung tragen.
Nun gehört zu meiner Auffassung auch, dass die Politik vorsichtig sein sollte, zu glauben, sie könne per Gesetz beschließen, welche Megatrends es gibt. Da hat es Professor Bullinger – da ich eine gewisse Vorstellung habe, was er Ihnen vortragen wird – natürlich wesentlich besser, weil er die Dinge aus der Perspektive einer praxisnahen Wissenschaft betrachten kann. Wir müssen uns dagegen konkret fragen: Was bringt die Zukunft? Worin liegen unsere Stärken? Und wie nahe liegen das, was die Zukunft bringt, und das, was wir können, beieinander? Genau daraus entsteht eben unternehmerische Führerschaft. Ich glaube, dass die Herausforderung für die Politik in diesen Zeiten darin liegt, dass wir mehr zu dieser Prognose und auch mehr zu der Analyse von vorhandenen Schwierigkeiten beitragen müssen und mehr Einfluss auf wirtschaftliche Entwicklung im einzelnen nehmen als jedenfalls mir und meiner politischen Überzeugung über das, was der Staat leisten kann, lieb ist. Trotzdem müssen wir es tun. Die Politik und die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute sind dort oft in einem sehr engen Schulterschluss. In einem Schulterschluss, der sowohl bedeutet, gemeinsam zu überlegen, was man tun kann, um Zukunftsentwicklung zu beschleunigen, als auch darüber nachzudenken, wo es der Anstrengung wert ist, dass Entwicklungen abbrechen, aus denen Zukunftsentwicklungen entstehen könnten. Deshalb würde ich gerne in meinen Bemerkungen drei Bereiche streifen. Erstens möchte ich eine kurze Einschätzung der derzeitigen Lage geben. Wenn man nicht auf einem festen Boden dessen steht und das, an was man glaubt, als Ausgangsposition klar definiert, wird das andere sehr schnell wolkig. Zweitens möchte ich ein paar Bemerkungen aus der Sicht der Landespolitik machen. Ich glaube, dass politische Gestaltung dazu beiträgt, sich um die Entwicklungschancen solcher, nennen wir es Megatrends, zu kümmern. Im dritten Teil möchte ich einige Bemerkungen machen, was die Landespolitik auf der einen Seite und die Sparkassenorganisation auf der anderen Seite gemeinsam betrifft.
Sie haben viele Analysen über die wirtschaftliche Entwicklung und die Krise gehört und gelesen. Es gehört sozusagen zu unserer gemeinsamen Berufstätigkeit im Augenblick, zu lesen, warum das passieren konnte und was man dagegen tun kann. Ich glaube, dass es inzwischen eine ganze Menge Übereinstimmungen gibt, dass eines damit sicher zu tun hat: Nämlich als der Begriff Megatrend erfunden worden ist, war einer der ersten definierten Megatrends die Globalisierung. Und die derzeitige Krise wäre in der Dimension, die wir heute erleben, ohne Globalisierung nicht denkbar gewesen. Nicht, dass es nicht mit einem viel geringeren Grad an Globalisierung in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht auch eine Krise gegeben hätte. Es überrascht allerdings die Tatsache, dass einer der wesentlichen Ausgangspunkte der heutigen Krise die unbalancierte Handelsbilanz zweier wirtschaftlicher Großmächte gewesen ist. Die Chinesen haben mit Freude den Amerikanern Geld geliehen, um Produkte zu kaufen, die die Chinesen produziert haben. Am Ende führte dies zu einer Blase an Geld, die von anderen genutzt, falsch gemanagt und einen Virus ausgelöst hat, der, ohne dass wir dagegen Beschränkungen organisiert haben – und ob wir gekonnt hätten, wäre die spannende Frage –, auch uns in Europa voll getroffen hat. In dem Zusammenhang, da wir über Bank- und Kreditrecht reden, bleibt festzuhalten: Erstens, mit dem deutschen Recht wäre die amerikanische Kreditblase nicht denkbar gewesen. Sie dürften denen, die dort Kredite bekommen haben, keine geben, ohne dass die Bafin Ihnen den „Führerschein“ entzieht. Und ich glaube, wir müssen mit einer gewissen Vorsicht auch sagen: Das Versagen ist nicht dort entstanden, wo die größte Regulierungsfreiheit herrscht – in den berühmten Debatten über die Hedgefonds mit all ihren Risiken, die sie systemisch für die Weltfinanzmärkte haben. Sondern sie ist, jedenfalls auf deutschem Boden, exakt in den Umgebungen entstanden, wo wir die höchste Regulierungsdichte haben – nämlich den klassischen Bankinstituten, die dem Kreditwesengesetz unterliegen. Das muss jedenfalls mit Vorsicht zeigen, dass wir Instrumente brauchen, die dieses System neu organisieren, die nicht so ganz einfach mit ein paar gesetzlichen Schräubchen rechts und links des Weges zu drehen sein werden.
Und es wird auch dabei bleiben, ob wir wollen oder nicht, dass in einer globalisierten Welt unter diesem Megatrend das Geld, das Kapital, die Umsetzung von Leistung und Wertschöpfung und Handelsaustausch in großen Agglomerationen von Geldströmen, mit denen man auch etwas machen kann auf dem Weg von A nach B, dass darin weiterhin ein Merkmal liegen wird. Große billionenstarke Geldströme jeden Tag werden die globalisierte Welt der Zukunft prägen, und wir müssen Wege finden, mit ihnen umzugehen. Ich finde es gut, dass die internationale Staatengemeinschaft in London mit den Beschlüssen der G20 sich zu der klaren Aussage bekannt hat: „Das wollen wir so, das akzeptieren wir so, aber wir müssen dafür sorgen, dass jeder Ort, an dem es stattfindet, jedes Produkt, mit dem es gemacht wird und jeder Akteur, der mit diesen Produkten umgeht, einer einheitlichen, international transparenten Kontrolle unterliegt.“ Damit können wir dann hoffen, und ich glaube, dass vieles dafür spricht, dass durch heilsame Schocks auf viele Jahrzehnte hinaus uns diese Krise so nicht mehr begegnen wird. Trotzdem haben wir sie jetzt. Und wir werden uns in der Bundesrepublik Deutschland in einer besonderen Weise – und in Hessen noch mal in einer ganz besonderen Weise – mit ihr auseinanderzusetzen haben. Denn weil sie in ihrer Dramatik eine Folge der Globalisierung ist, ist sie für diejenigen, die sich am erfolgreichsten in die Globalisierung hinein entwickelt haben, also dem Megatrend gefolgt sind, natürlich in der aktuellen Situation auch in einer besonderen Weise beeinträchtigend und kann sie auch länger treffen.
Dieses Bundesland Hessen ist ökonomisch gesehen internationaler aufgestellt als nahezu jeder andere Raum in Europa. Wir haben viel dafür getan. Wir haben Gott sei Dank unsere industrielle Basis nie vernachlässigt, aber wir haben ebenfalls eine sehr, sehr starke Dienstleistung. Und wir leben davon, dass wir die Plattform für globalisierte Beziehungen sind, für die wir viel zu klein wären, wenn es uns nicht gelungen wäre, viele andere dazu zu bringen, uns als den Knotenpunkt einer solchen Entwicklung zu akzeptieren. Es gibt zahlreiche internationale Unternehmen, zum Beispiel alle asiatischen Automobilunternehmen, die ihre europäischen Entwicklungs- und Handelszentren in diese Region gelegt haben. Das ist eine Entscheidung, die zeigt: Ja, wir sind akzeptiert als eine solche Plattform, aber wir leben eben dann auch mit der Automobilkrise – unabhängig von dem Standort eines einzelnen, bedeutenden Unternehmens – insgesamt in ihrer ganzen internationalen Dimension. Und ja, wir sind ein internationaler Finanzplatz. Wir werden vielleicht am Ende dieser Krise als internationaler Finanzplatz sogar gewinnen, aber das bedeutet, wenn die Finanzindustrie ein Stück zurück geht, werden wir die Entwicklungen dieser Finanzindustrie mitgehen. Und Plattform zu sein, bedeutet auch Logistik und Verbindung. Wir leben stärker von der Logistik und von der Tatsache, dass wir diese Plattform mehr als eine Dienstleistung ansehen als jeder andere. Wenn Sie sich anschauen, was der Frankfurter Flughafen mit seinen rund 75.000 Arbeitsplätzen in Relation zu der nächstgrößeren Branche bedeutet, dann sehen Sie eben, dass diese 75.000 Arbeitsplätze mindestens auf Augenhöhe mit der Finanzindustrie sind. Das heißt, die logistische Dienstleistung ist vergleichbar groß. Wenn Sie das international vergleichen, nehmen Sie Großbritannien, dann arbeiten an den drei britischen Flughäfen ca. 120.000 bis 130.000 Menschen – verglichen mit unseren 75.000. Und wenn Sie dann in die City of London gehen, sind nach allen Reduzierungen im Augenblick dort immer noch mehr als 650.000 Menschen in der Finanzindustrie beschäftigt. Daran sieht man, dass die Wertschöpfung als Logistikplattform bei uns eine besondere Dimension ausmacht
Und was ist die Logik daraus? Wenn es international gut läuft, wenn der Megatrend der Globalisierung funktioniert, dann geht’s uns vergleichsweise besser als anderen. Wenn die Rahmenbedingungen jedoch schwierig sind, dann leiden wir auch in besonderer Weise darunter. Und dieses Leiden ist nicht nur ein Leiden auf einem statistisch abstrakten Niveau. Wenn man sich Studien, wie etwa das jährlich erscheinende Mittelstandsbarometer von Ernst & Young anschaut und mittelständische Unternehmen befragt, inwieweit sie in die Globalisierung involviert sind, dann stellt man fest, dass in Hessen besonders viele solcher kleinen und mittleren Unternehmen bereits globalisiert sind, also am grenzüberschreitenden Handels- und Warenaustausch teilnehmen. Wieder leicht zu erklären: Wir nutzen unseren Vorteil als Logistikplattform. Vor einem Jahr war ich in einem hessischen Schreinereibetrieb mit 40 Mitarbeitern, der 15 Minuten vom Frankfurter Flughafen entfernt liegt. Dieser Unternehmer hat vor einigen Jahren festgestellt, dass in Irland offenbar keine ordentlich dichten Fenster nach unseren Qualitätsmaßstäben angeboten werden. Dichte Fenster in ein vergleichsweise kaltes Land zu liefern, kann ein durchaus erfolgversprechendes Geschäftsmodell sein, dachte sich wohl dieser Unternehmer. Und heute fliegt er einmal in der Woche zum Aufmaß für Privathäuser nach Irland. Das fertigt er alles im Rhein-Main-Gebiet, lädt es einmal im Monat in einen großen Lastwagen und fährt es hoch. Seine Mitarbeiter fliegen hinterher, fliegen morgens hin und am übernächsten Tag wieder zurück, wenn sie die Fenster eingebaut haben. Und schon ist aus einem mittelständischen Schreinereibetrieb ein global tätiges Unternehmen geworden. Diese Tatsache ist für ein Unternehmen im Bayerischen Wald undenkbar, auch für ein Unternehmen im Westfälischen, weil der Aufwand bzw. die Hemmschwellen zu hoch sind. Darin liegt für uns eine große Chance für die Zukunft.
Und trotzdem: Wer jetzt in der Krise auf die aktuellen Zahlen, die Sie alle vorliegen haben, schaut, der wird feststellen, dass wir vielleicht gerade an der Bodenkante des Auftragsrückgangs angekommen sind. Dafür spricht aus meiner Sicht manches, auch das Wiederansteigen des asiatischen Geschäfts, das für uns von erheblicher Bedeutung ist. Aber wir sind mit Sicherheit noch nicht an der Bodenkante des Beschäftigungsabbaus angekommen, sondern wir werden die wirkliche Dramatik dort erst noch erleben. Das ist wiederum nicht untypisch. Nur wird es uns in einer besonderen Härte treffen, weil jetzt für jeden Unternehmer, mit dem Sie sprechen, bei diesem brutalen Abbruch des Auftragseingangs in vielen Branchen und bei der Stabilisierung auf einem niedrigen Niveau die Frage aufkommt, wie weit die jeweiligen Kapazitäten diesem niedrigen Niveau anzupassen sind. Und das ist eine verflixt spannende Frage, an der die Entscheider der Sparkassen und der Banken mehr mitwirken, als das häufig gesehen wird. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist man schnell dabei, dem Unternehmer zu raten: Bau so schnell wie möglich und so weit wie möglich Fixkosten ab! Während ein Gebot der langfristigen bzw. längerfristigen Betrachtung sein kann: Du wirst in der demographischen Entwicklung, vor der wir stehen (ein möglicherweise negativer, aber auch vorhandener Megatrend unserer Gesellschaft), eine Wiederaufstiegschance unternehmerisch so schnell nicht bekommen, wenn Du jetzt qualifiziertes Personal entlässt. Denn später bekommst Du die Leute nicht mehr wieder. Also halte sie lieber! Dann wird aber das nächste Problem darin bestehen, ob man Dir einen Kontokorrentkredit gibt, um damit wenigstens die Permanenzkosten der staatlich subventionierten Kurzarbeit zu finanzieren.
Spätestens, wenn Sie da nein sagen, hat der Unternehmer eine strategische Entscheidung nicht getroffen, sondern sie ist für ihn getroffen worden. Und jetzt weiß ich, dass für jeden, der in der Kreditabteilung sitzt und für jeden Unternehmer, der zu Hause sitzt und sich das überlegt, sehr entscheidend ist, ob es Ende 2009 wieder aufwärts geht. Oder geht es erst Mitte 2010 wieder aufwärts? Ist es, wie die Ökonomen uns erklären, im Kurvenverlauf eher ein V, ist es ein U oder ist es am Ende gar ein L – mit der längerfristigen Perspektivlosigkeit, die dahinter steht? Wahrscheinlich liegt darin eine der schwierigsten Entscheidungen, die wir überhaupt treffen können. Denn wir wissen, dass wir damit ökonomisches Potenzial vernichten, wenn man das falsch entscheidet, in jeder Hinsicht. Wenn man nämlich die Startchancen für die Zukunft verfehlt und wenn man in der falschen Erwartung oder Hoffnung Kapital vernichtet, das man gebraucht hätte, um sozusagen eine stabilisierte, verringerte Unternehmensleistung zu ermöglichen. Eine unglaublich schwierige Frage. Den Wirtschaftsinstituten, die im Augenblick sagen, „Wir wagen gar keine Prognose mehr“, muss man eigentlich Respekt zollen. Aber das macht es nicht einfacher. Ich habe neulich neben einem Kollegen, der in politischer Verantwortung in der Bundesrepublik steht, gesessen, als jemand gesagt hat: „Wir müssten weiter auf Sicht fahren!“ Und der Kollege hat geantwortet: „Das finde ich ganz spannend, aber ich sehe nichts!“ Wir können nicht stehen bleiben. Wir können die Zeit nicht anhalten. Also müssen wir eine Entscheidung treffen.
Die deutsche Politik insgesamt hat einige Annahmen getroffen – ob sie richtig oder falsch sind, werden wir irgendwann sehen. Sie hat gesagt: Erstens ist es eine atypische Krise, das heißt, wir müssen mit anderen Mitteln als Staat eingreifen, als wir das in einer normalen Konjunkturkrise tun. Deshalb das hohe Bürgschaftsvolumen; deshalb die Versuche, makroökonomisch gemeinsam mit den Notenbanken zu wirken. Das Zweite ist, wir haben gesagt: Wir können nicht ganz Deutschland retten, in der Form, dass wir jetzt alles auf Stabilität stellen, was nicht stabil ist – aber wir kümmern uns um drei konkrete Trägersäulen der ökonomischen Entwicklung in Deutschland. Das ist die Finanzindustrie in Deutschland, die nicht kaputt gehen darf. Das ist die Bauindustrie, die eine Krisenstabilisierung sein kann, wenn sie jetzt nicht einbricht. Das können wir leisten. Und das ist die Automobilindustrie als ein entscheidender, technologischer Schnittmengenträger zwischen Wissenschaft, mittelständischer Industrie und internationaler Repräsentanz deutscher Industrie im Exportwettbewerb. Die kann man für richtig oder für falsch halten. Das einzige ist, da man nicht stehen bleiben kann: Irgendwann muss man Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen haben wir getroffen. Und ich denke, sie sind richtig. Ja, wir gehen davon aus, dass es im Jahr 2010 eine Erholung gibt. Wir glauben, dass wenn heute in einem Jahr der Sparkassentag stattfände, dass wir dann über beginnende Erholungserscheinungen reden könnten. Aber wir sind auch sicher, dass diese Erholung, von einzelnen Branchen abgesehen, langsamer stattfinden wird, als es uns lieb ist. Wir reden heute über Unternehmen, die mit ihrer Personalgröße an der Stelle stehen, an der sie die Produktionserwartungen und die Dienstleistungserwartungen des 1. Quartals des Jahres 2008 abgebildet haben. Wann werden wir diese Zahl wieder erreichen? Dort ist wahrscheinlich richtig davon auszugehen, dass es in einer ganzen Reihe von Branchen drei bis vier Jahre dauern wird, bis man den vollständigen Stand wieder erreicht hat.
Damit müssen wir umgehen, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt, nicht nur die Unternehmen in ihrem Kern zu erhalten, sondern auch die Arbeitskräfte, die die Qualität ausmachen, die Deutschland hat. Unser entscheidender Vorteil ist ja nicht, dass es bei uns eine große Zahl von Unternehmen gibt, sondern dass wir besonders qualifizierte Menschen haben, die in diesen Unternehmen arbeiten. Was geschieht zum Beispiel mit den jungen Ingenieuren, die hier in Darmstadt ausgebildet werden und denen wir gesagt haben, sie werden auf jeden Fall einen Job bekommen? Ein Ingenieur galt im Prinzip, wenn er durch sein Studium gekommen ist, schon so gut wie angestellt. Jetzt haben wir die Schwierigkeit, dass bei totalen Einstellungstopps großer Unternehmen auf einmal ausgebildete Ingenieure vor den Türen stehen und wir Gefahr laufen, dass die ganze Werbung für das Ingenieurstudium vergebens war. Außerdem ist es so, dass jeder 58-Jährige, den wir jetzt nach Hause schicken, im 62., 63., 64., 65. Lebensjahr nicht mehr an der Wertschöpfung teilnimmt, obwohl wir – und hierfür spricht viel – ihn dann dringend bräuchten. Das heißt: Die Frage, wie wir diese Brücken bauen, um unser Potenzial zu erhalten, ist von entscheidender Bedeutung. Wir Hessen gehen davon aus, dass es bei dem Megatrend der Globalisierung bleibt. Wir glauben, dass die Zahl der Menschen auf der Welt, die an dem teilnehmen, was wir industrialisierte Welt genannt haben oder immer noch nennen, größer werden wird. Wir glauben, dass die Reorganisation der industrialisierten Welt, sich in eine neue technische Dimension zu begeben, auch und gerade unter den Gesichtspunkten der Energie, aber keineswegs nur unter diesen Gesichtspunkten, uns weltweit große Geschäftschancen ermöglicht und uns als Plattform eine große Existenzberechtigung gibt. Darum muss man kämpfen. Das will ich jetzt nicht alles diskutieren, weil Sie dann wieder bei dem Ausbau des Frankfurter Flughafens und vielen anderen Dingen landen – Sie kennen das alles.
Aber das Zweite ist: Wir sind davon überzeugt, dass die mittelständische Struktur, die wir in Deutschland haben, uns helfen kann, in der Welt zu bestehen. Wir glauben, dass Großunternehmen den Megatrend der technischen Innovation, die notwendig ist, nicht allein beherrschen können. Stattdessen glauben wir, dass kleine und mittlere Unternehmen, wenn sie gut vernetzt sind, ihren entscheidenden Beitrag dazu leisten. Allerdings sind das kleine und mittlere Unternehmen, deren Kundschaft die Welt ist und nicht mehr die Region. Selbstverständlich gibt es auch in Zukunft die Dienstleistungen, die wir untereinander erbringen. Aber das ist eine Wertschöpfung, die abgeleitet ist aus der Wertschöpfung, die wir irgendwo sonst erarbeitet haben. Wir werden große Herausforderungen zu bewältigen haben, damit immer mehr Menschen etwa in den Gesundheitsberufen tätig sind. Aber wenn die Wertschöpfung allein darin besteht, sich nur noch gegenseitig zu pflegen, ist das der Beginn von Armut. Nur wenn solche Gesundheitsberufe international genauso leistungsfähig sind, dass wir einen Teil der Leistungen in diesem Bereich auch international erbringen und damit genug Geld verdienen, werden wir uns diese Dienstleistung untereinander im Inland leisten können. Daran arbeiten wir. Und das bedeutet, dass sehr viele Menschen mit sehr vielen Ideen immer wieder zusammen zu bringen sind.
Bei der Automobilindustrie – das ist ein schönes Beispiel und in den nächsten Tagen wird das Thema ja absolut dominant werden – lesen und hören Sie immer nur von Opel, was zu einem völligen Missverständnis führt. Als ob es Aufgabe der Politik wäre, dafür zu sorgen, dass es sechs, sieben, acht, neun oder zehn Automobilmarken gibt. So groß die innere Leidenschaft, meine Sozialisation in dieser Region und meine emotionale Nähe vielleicht zu Opel sein mag – es ist nicht die Aufgabe der Politik zu schauen, wie viele Marken es gibt. Es ist Aufgabe der Politik zu schauen, dass es hinreichend Wettbewerb gibt. Also warum kümmern wir uns überhaupt darum? Übrigens fällt mir, wenn ich die Leitartikel mancher Wirtschaftszeitungen lese, auf: Wenn es darum ginge, dass die Krise einigermaßen nahe an der Zeitungswirtschaft wäre, glaube ich, dass die Sekretärin, die diese Artikel tippt, ihren Schreibtisch aus dem Fenster kippen würde, angesichts des Sprachstils, mit dem hier gelegentlich in der Wirtschaftszeitung über die Frage diskutiert wird, ob man ein Unternehmen mit 40.000 – 50.000 Mitarbeitern als Exempel für das Funktionieren der Marktwirtschaft sterben lassen solle. Ich habe nichts dagegen, dass die Marktwirtschaft ihre harten Elemente hat. Aber dass wir das sozusagen mit einer gewissen inneren Freude begleiten und dann sagen, „Schön, dass wir mal zeigen, dass das System funktioniert“, das ist Zynismus. So lange Journalisten dies im Wirtschaftsteil einer Zeitung machen, ist es nicht so schlimm. Aber wenn wir Übrigen damit anfangen würden, gefährdet es die soziale und demokratische Stabilität des Landes. Denn das würden sich die Menschen nicht gefallen lassen.
Insofern sind wir an einem extrem spannenden Punkt. Opel und das, was wir diskutieren, ist für den Politiker auch eine Frage, wie die Bilder gestellt werden in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigen wird. Das kann man nicht bestreiten. Das Symbol, dass uns dies egal wäre, wäre ein hochgefährliches für viele. Aber hinter Opel und der sachlichen Debatte steckt doch etwas ganz anderes. Hinter Opel und der sachlichen Debatte steckt letzten Endes die Tatsache, dass es in Hessen 1.600 Unternehmen gibt, die mit mehr als 50% ihres Umsatzes an der Automobilindustrie beteiligt sind, vom 5- und 10- und 20-Mann-Betrieb bis zum 900- und 1.500- und 3.000-Mann-Betrieb. Darum stellt sich eher die Frage, wie unsere Netze geknüpft und wie darin die Knoten angebracht sind. Das müsste man mit all denen, die Zukunftsforschung betreiben und die ja heute Mittag hier sind, diskutieren. Was glauben wir denn, womit wir die industrielle Produktionskapazität ersetzen könnten, wenn es die Automobilindustrie morgen früh nicht mehr gäbe – und in der wir immerhin innovativ an der Weltspitze stehen? Wir können ja nicht wieder anfangen, Hemden zu stricken. Das macht keiner mit uns. Darum stellt sich die Frage nach echten Alternativen. Natürlich gibt es Alternativen, die wir Stück für Stück aufbauen, z. B. Nanotechnologie, Telekommunikationsindustrie. Es gibt viele andere Bereiche, in denen wir auch unsere Stakes haben und in denen wir weiter schauen müssen, dass wir dort voran kommen. Aber wer auf die Automobilindustrie verzichtet, organisiert die De-Industrialisierung Deutschlands in dem Maße, in dem unsere Nachbarländer es bereits erlebt haben. Wir haben im Augenblick einen Industrieanteil von 23,5% am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland. Die Briten haben noch 12,6% und die Franzosen sind stolz auf eine Industriequote von 10,3%. Man muss wissen, dass das sozusagen für die Frage, womit in der Zukunft das Geld verdient wird, eine hochgefährliche Entwicklung ist. Und deshalb stehen hinter diesen Überlegungen, „Warum ist die deutsche Politik auf diese Schnapsidee gekommen, Finanz-, Bau- und Automobilindustrie zu unterstützen?“, „Sollen wir uns um diese Dinge wirklich kümmern?“, auch zentrale Wertentscheidungen.
Aber stets in der Überzeugung: Es geht um den Mittelstand. Es geht nicht um den Großkonzern. Nur der Mittelstand allein lebt nicht weiter, wenn die Großkonzerne das nicht zusammenbauen, was der Mittelstand in den einzelnen Bereichen hochkompetitiv erfunden hat. Nehmen Sie das mal praktisch: Es gibt in Hessen ein Unternehmen, das Weltmarktführer bei elektronischen Fensterhebern in Fahrzeugen ist. Wenn dort 30% des Umsatzes wegen Insolvenz des betreffenden OEMs, also des betreffenden Automobilherstellers wegfallen, wird dort in kurzer Zeit der finanzielle Spielraum sehr knapp, um die Maschinen zu kaufen, mit denen entsprechend den vorhandenen vertraglichen Zusagen im Jahre 2013 für Toyota bestimmte Heber gefertigt werden sollen. Das ist der Zusammenhang. Wenn wir diesen Zusammenhang jetzt auflösen, wird es am Ende immer noch bei Toyota Fensterheber geben. Aber es spricht vieles dafür, dass diese von Maschinen stammen, die aus der Konkursmasse an dem Ort, von dem ich spreche, gekauft worden sind und nun in einem anderen Kontinent stehen. Das ist unsere Herausforderung, vor der wir im Augenblick stehen. Trotzdem können wir nicht jedes Unternehmen, das schlecht geführt ist, unter Naturschutz stellen. Ich erhalte wie Sie auch Vorlagen, wo Unternehmer sieben Jahre lang mehr entnommen haben, als der Gewinn hergab, und sie sich jetzt wundern, dass sie keinen Kontokorrentkredit erhalten. Dafür bürgen wir nicht. Sie finanzieren das nicht, und wir verbürgen das nicht. Es müssen auch Unternehmen sterben. Es gibt nämlich miserabel geführte Unternehmen, und die haben auch in schwierigen Zeiten kein Recht, vom Staat am Leben gehalten zu werden. Sonst lohnt es sich nicht mehr, dass es unternehmerischen Wettbewerb gibt.
Und vor diesem Hintergrund, dass wir wissen, wir brauchen eine internationale Vernetzung unserer Unternehmen, wir brauchen mittelständische Unternehmen, die dann natürlich auch tendenziell größere mittelständische Unternehmen werden, bin ich relativ nahtlos und zwanglos dabei angekommen, was die gemeinsame Auffassung und die gemeinsame Rolle unseres Banken- und Finanzsystems und der Sparkassen ist. Wir haben in den letzten Jahren – auch hier und auch ich persönlich – über Sparkassen, Sparkassenorganisation und Zukunft diskutiert. Aus meiner Sicht hat sich, und das mag Sie verwundern – ich hoffe nicht erschrecken – an dieser Diskussion gar nichts geändert. Denn erstens bleibt richtig, dass das Dreisäulenmodell der Bundesrepublik Deutschland ein gutes Modell für Deutschland ist. Die Menschen, die das bestreiten, sind jetzt weniger geworden. Da kommt ja jetzt auch manche Erkenntnis zu Tage. Man kann mit dem System der Sparkassen nicht alles in einer globalisierten Welt lösen. Aber es ist eine wichtige, regionalspezifische, gerade dem Mittelstand angepasste Ergänzung – und oft, manchmal zu Ihrer Freude und manchmal zu Ihrem Leid, alternativlos. Die Freude kommt dann, wenn die Geschäfte alle bei Ihnen sind. Das Leid kommt spätestens, wenn der Landrat, Bürgermeister oder gar Wirtschaftsminister oder Ministerpräsident Ihnen sagen, Sie müssen das Risiko jetzt übernehmen, sonst stirbt das Unternehmen, weil außer Ihnen dazu niemand mehr imstande ist und ich mit keinem mehr sprechen kann außer mit Ihnen. Das will noch keiner von Ihnen je erlebt haben, ich weiß. Aber ja, es gibt diese beiden Seiten. There is no free Lunch – es gibt nichts ohne Gegenleistung. Die Tatsache, dass die dritte Säule existiert, hat eine stabilisierende Wirkung. Stabilisierende Wirkung ist aber nichts Theoretisches, sondern das ist etwas extrem Praktisches. Sicherlich beweist und bewährt sich das in diesen Tagen, und man muss sehr aufpassen, dass man da auch nicht auf falsche Pfade gerät. Das weiß ich sehr wohl. Sie haben zunächst eine ökonomische Verantwortung. Gott sei Dank ist die Angst vor der Bafin im Zweifel immer noch größer als die Angst vor dem Landrat – und das muss so bleiben.
Die Frage ist jetzt allerdings in dem zweiten Teil genauso: Wir ringen seit Jahren, manchmal auch politisch, aber weniger parteipolitisch, wie wir dieses System der Bundesrepublik Deutschland mit seinen drei Säulen so aufstellen, dass es auch in Zukunft den Herausforderungen gerecht wird. Die Sparkassen werden in Zukunft andere Konkurrenten haben. Denn die Tatsache, dass in dem Rest der Säulen, jedenfalls in der Säule der privaten Banken, kein Stein auf dem anderen bleibt, bedeutet ja nicht, dass die Privatbanken dauerhaft weg sind – sondern nur, dass sie schmerzhaft lernen. Nachdem eine große, in Deutschland tätige, unseren Namen tragende Bank mal der Auffassung war, sie brauche keine Privatkunden mehr, hat sie inzwischen begriffen, dass sozusagen das eine Element von De-Leveraging vielleicht bedeutet, dass man weniger Geschäft macht, aber das andere ist, dass man um wieder mehr Geschäft zu machen, sich auch um mehr Privatkunden kümmern muss und nicht weniger. Dafür spricht jedenfalls der vordergründige Verdacht. Insofern werden wir eine weiterhin stark wettbewerbsorientierte Landschaft haben, bei der man um neue Produkte und – ich bleibe dabei – neben den Privatkunden exakt auch um diesen Mittelständler ringen muss. Es wird in Zukunft ein Mittelständler sein, der nicht mehr nur im eigenen Landkreis tätig ist, sondern der im Landkreis zu Hause ist und die Welt als Kunden haben kann. Ein Mittelständler, der durchaus häufiger oberhalb der 50-Millionen-Grenze beim Jahresumsatz liegen wird, als dies im Vergleich zu heutigen Unternehmen der Fall ist. Es wird dann auch Vergrößerungen, Verbindungen und Zusammenhänge geben. Und dem muss die Finanzindustrie gerecht werden.
Und dem muss auch die dritte Säule gerecht werden. Das ist Ihre Aufgabe und das ist Ihre Zukunftschance, aber auch sozusagen Notwendigkeit, um existent zu bleiben. Wir haben hier in Hessen und in Thüringen gemeinsam dafür nach meiner Überzeugung bereits Wichtiges geleistet. Bei manchem, was wir in der Arbeit vielleicht auch unterschiedlich gesehen haben, will ich ausdrücklich nach wie vor sagen, dass aus meiner Sicht die größte Leistung des letzten Jahrzehnts in der hessischen Sparkassenorganisation die Schaffung des Verbundsystems ist, so wie der Amtsvorgänger von Herrn Grandke, Herr Böhmer, das organisiert hat – zwar nicht immer mit der freudigen Zustimmung aller Beteiligten, aber jedenfalls mit der hinreichenden Zustimmung aller Beteiligten, um ein solches System aufzubauen. Und viele in der Bundesrepublik Deutschland wissen inzwischen, wie wichtig das sein kann, nicht nur wenn man Ratingberichte liest. Und wie wichtig das auch sein könnte für die Zukunft, in der keineswegs sicher ist, dass jeder das Glück hat, neben der Krise der Finanzprodukte auch noch die Krise der Realwirtschaft so einfach zu überstehen. Denn was für den Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt „Bottom Line von Risiken“ gilt, gilt für die große Finanzindustrie in bestimmten Dingen nicht weniger. Jetzt müssen wir möglicherweise noch durch eine weitere Krise in der Bewertung von bestimmten Produkten, die die Beteiligten für toxisch erklärt haben; das lesen Sie heute in der Zeitung. Aber wir haben jedenfalls eine ungefähre Vorstellung, wo diese toxischen Papiere liegen. Wo der Kreditausfall der Realwirtschaft ist, davon haben wir noch keine Vorstellung. Ich hoffe, dass er auch gar nicht eintritt; aber fest steht, er wird nicht systemisch, gleichmäßig und flächendeckend eintreten, sondern wird branchen- und betriebsspezifisch eintreten. Und er wird die Leistungskraft der betroffenen Institute fordern.
Deshalb ist es sehr gut, wenn man die Leistungskraft auch mit einem Verbundsystem unterstreicht. Es ist nach meiner Ansicht eine absolut existenznotwendige Voraussetzung. Ich glaube, dass das, was Hessen und Thüringen dort geleistet haben, sich in den nächsten Jahren, vielleicht sogar in den nächsten Monaten noch sehr bewähren wird als ein Element von Gelassenheit gegen Aufgeregtheit, was andere so nicht beitragen können. Die hessen-thüringische Situation ist natürlich auch deshalb besser, weil die Landesbank Hessen-Thüringen ihre Eigentümer – und das sind zum überwiegenden Teil Sie, in einer Minderheit die Länder Hessen und Thüringen – mit einer sehr, sehr guten Performance erfreut. Ich finde, das darf man auch mal sagen. Ich habe das im Landtag neulich gesagt, also sage ich es auch hier. Wir leben ja in einer Welt, die auch durch den Journalismus und unsere deutsche Tradition so aufgestellt ist, dass Lob immer die Gefahr der Anbiederung hat. Und deshalb wird tendenziell erstens schon gar nicht gegenseitig gelobt und spätestens darüber nicht mehr berichtet. Deshalb möchte ich schon noch mal sagen, dass man es nicht ganz achtlos vorüber gehen lassen darf, wenn Sie im Augenblick in Gremien sitzen und sich hier in einer Situation befinden, in der es um die Konsolidierung etwa von schlechten Risiken auf der nationalen Ebene geht. Herr Grandke kennt diese Gespräche in diesen Tagen.
Wir müssen gelegentlich aufpassen, dass da nicht Strukturen entstehen, bei denen wir nicht mehr dabei sind, nur weil alle anderen gemeinsam sich so tief in der Krise befinden, dass sie mit dem Phänomen einer hessisch-thüringischen Landesbank gar nicht mehr konfrontiert werden wollen. Nach dem Motto: Die haben keine Probleme, die kann man außen vor lassen. Das wäre etwas, das uns strategisch schaden könnte. Wir sagen deshalb, wir bestehen darauf, dass man auch mit uns redet, obwohl es uns selbst nicht schlecht geht. Wir beschäftigen uns also mit Krisenmanagement, wo wir es nicht immer nötig hätten. Das ist so, aber das ist auch was, worauf man wenigstens mal zwei Sekunden stolz sein darf, bevor wir wieder zum Tagesgeschäft zurückkehren. Das ist auch Ihre unternehmerische Leistung, denn es ist die Sparkassenorganisation, die dies unternehmerisch führt und die 85% der Anteile an der Helaba besitzt. Das ist im Vergleich zu allen anderen Bundesländern für Sie, für das Bundesland Hessen und für unseren Landeshaushalt eine beachtliche Leistung. Und dafür will ich mich auch bei all denen bedanken, die dazu beigetragen haben – sei es bei der Bank selbst oder in den Aufsichtsgremien. Das ist eine Sache, auf die man stolz und mit der man zufrieden sein kann.
Aber die Frage ist, wie es weiter geht. Wie gelingt es uns, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um in einer sich verändernden Welt klarzukommen, mit einem immer heftiger werdenden Wettbewerb zwischen Unternehmen, die ihre Gestalt verändern werden, mit einer Informationskultur und Transparenz, die durch das Internet beeinflusst ist? Früher, an den ersten Computern, wo noch mit grüner Schrift geschrieben worden ist, hat man z. B. im Reisebüro gesehen: Ich buche eine Route und will übermorgen in Asien oder in Amerika sein; dann war in einer Zehntelsekunde eine Liste da, was der schnellste Flug und was der billigste Flug ist. Das fand man irgendwie faszinierend, es hat einen aber persönlich nicht so betroffen. Wir werden bald in einer Welt leben, in der einer sagt: „Ich brauche zu bestimmten Konditionen einen bestimmten Betrag und auch ein etwas komplizierteres, aber noch überschaubares, vereinheitlichbares Produkt.“ Der Kunde drückt auf einen Knopf – das sehen Sie ja heute schon in den Kostenvergleichen der Energiepreise – und zack, hat er genau für seinen Wohnort unter seinen Bedingungen die richtige Liste mit Angeboten, die konfektioniert sind in der Frage von Preis und sonstigen Bedingungen. Das wird die Finanzindustrie mit betreffen. Das muss man nicht gut finden, weil das sozusagen das normale Gesprächsverhältnis mit der Oma und ihrem Sparbuch ein bisschen erschwert, aber es wird so kommen. Und es ist keineswegs ein Todesurteil für das Filialsystem der Sparkassen. Das bedeutet nur eine Veränderung der Rahmenbedingungen. Es ist eine Chance, der wir uns stellen müssen. Und deshalb haben wir auch in den nächsten Wochen und Monaten die Aufgabe, über solche Fragen zu reden – immer mit dem Prinzip, 50% des Kopfes für die Krise und 50% für die Zukunft danach, sonst wird’s gefährlich.
Dazu will ich offen sagen: An den Debatten, die über die Landesbanken stattfinden, werden wir uns als Politik aktiv beteiligen müssen – und ganz besonders meine Ministerpräsidenten-Kollegen in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hamburg, Schleswig Holstein oder Sachsen, um ein paar zu nennen. Wenn Sie die Größe der Herausforderungen sehen, ist doch völlig klar: In den Kreisen der Politik wird über diese Frage gerungen. Und natürlich wird auch in Ihren Kreisen immer über diese Frage gerungen, wie wir uns dort mit bewegen und wie wir eine Umgebung schaffen können, die Zukunft sichert. Wir müssen am Ende auch unter dem Gesichtspunkt reden, dass es um ein gemeinsames Eigentum geht, egal wie die Anteile im Einzelnen verteilt sind. Es geht vor dem Hintergrund der Debatte um Megatrends auch darum, dass Unternehmen in der vernetzten Welt tendenziell größer werden – auch die vormals kleinen Betriebe. Kunden werden eine höhere Markttransparenz haben als jemals zuvor und sich deshalb auch freier bewegen als jemals zuvor.
Was ist dafür die richtige Struktur? Und jetzt rede ich zu Ihrer Beruhigung nicht über Vertikalisierung. Da kennen Sie meine Auffassung: dass das innerhalb der Säule und innerhalb des öffentlich-rechtlichen Eigentums nicht so ein Dogma sein sollte, wie Sie das manchmal sehen. Aber vergessen wir’s an dieser Stelle. Ich will meine fachliche Überzeugung zwar nicht aufgeben, aber ich akzeptiere, dass Sie das in einem erheblichen Teil zu entscheiden haben. Unabhängig von der Vertikalisierung stellt sich dagegen die Frage: Glauben die Sparkassen, ohne eigene zentrale, in ihrem Eigentum befindliche Wirtschaftsinstitute, die am Weltmarkt teilnehmen, auszukommen? Das ist für uns ein sehr schwieriger Aspekt. Ich sage an der Stelle auch offen: Wir alle, die in der politischen Verantwortung der Länder und des Bundes stehen, sind der Auffassung, dass die Antwort darauf nein ist. Wir sehen, dass das in der Sparkassengemeinde jedenfalls diskutiert wird – und dass dies diskutiert wird, ist völlig in Ordnung, denn es handelt sich auch um Ihr Eigentum. Es handelt sich um Ihre Verantwortung. So, wie ich eingangs meiner Rede gesagte habe: Politik ist nicht dazu da, per Gesetz Megatrends zu definieren. Unsere Einschätzung sollten Sie aber genauso ernst nehmen wie wir die Ihre.
Da ist die einzelne Sparkasse, die ihre Regionalität und ihre relative Größe behalten will; die atmen wird – die Großen werden mal ein bisschen größer oder kleiner, aber es wird keine Einheitssparkassen geben. Schon seit Jahren gibt es immer mal wieder Fusionsgespräche und die eine oder andere Veränderung. Aber das ist keine wirklich wichtige Frage. Die wirklich wichtige Frage besteht darin, ob die Einheiten, die dort entstehen, in der eigenen Gemeinde einen in ihrem Loyalitätsverhältnis stehenden – nicht nur in ihrem Wettbewerbsverhältnis stehenden – weiteren Partner haben. Und das meine ich jetzt nicht wieder am einzelnen Beispiel, obwohl das mit Personen hier im Raum durchaus möglich wäre, die genau wüssten, worüber ich rede. Wenn ich konkrete Projekte von Unternehmen sehe, bei denen das Investment, aufgrund der Absicherungsstrukturen von einzelnen Sparkassen nicht leistbar ist – und noch schwieriger in Krisenzeiten –, wird das Geschäft nicht nur riskant, sondern es ist praktisch tot. Die Entscheidung also darüber, ob es solche Strukturen gibt, die man insgesamt tragen kann, die ist von sehr grundlegender Bedeutung. Und die müssen wir treffen.
Auch der Haushaltsgesetzgeber eines Landes will Klarheit darüber haben. Wir haben schließlich gemeinsam Milliarden in der Hessischen Landesbank, Sie und wir. Was entwickelt sich daraus? Wenn ein Eigentümer sagt, wir brauchen die eigentlich nicht mehr, was ist dann die Konsequenz? Wir stehen doch in einem Spannungsfeld zwischen Verstärkung und Verbesserung der Geschäftstätigkeit einerseits und De-Investition andererseits. Wenn die Sparkassen wie in Bayern am Ende sagen, wir wollen damit nichts mehr zu tun haben, lesen Sie am nächsten Tag in der Zeitung, dass diese Institution, die jetzt in hundertprozentigen bayerischen Besitz gerät, irgendwann politisch thematisiert wird. Jedenfalls für mich sage ich das ausdrücklich: Wir wollen doch um Himmels Willen nicht am Ende als Land eine Bank organisieren – mit all der damit einhergehenden unternehmerischen Verantwortung. Wir sind auf das Bitten der Sparkassenorganisation wieder Miteigentümer der Helaba geworden, nachdem wir es eine Zeitlang gar nicht mehr waren. Aber die unternehmerische Verantwortung, die will ich als Politiker weder für Opel noch für eine Bank haben. So lange ich Politiker bin, weiß ich, dass meine Rahmenbedingungen ungeeignet sind, unternehmerische Entscheidungen zu treffen, weil ich ganz anderen Zwängen unterliege als ein Unternehmer. Und insofern ist das eine Frage, über die bei einer hochgradig erfolgreichen Bank, wie es aus meiner Sicht die Helaba im Augenblick ist, ihre Eigentümer miteinander diskutieren müssen. Deshalb steht sie auf der Tagesordnung. Und das einzige, was Unternehmer immer gemeinsam wissen – und als Eigentümer sind wir zumindest ein Stück weit Unternehmer – ist: Es gibt zwei Todsünden. Die eine ist Übermut und die andere ist Verzagtheit. Und es gibt keine hinreichende wissenschaftliche Evidenz, welche schneller zum Tod führt. Man muss sich sehr genau das einzelne Objekt anschauen. Und deshalb müssen wir ein sehr intensives Gespräch führen, wie wir die dritte Säule in dieses Jahrhundert hinein stabil führen wollen. Darum ist es aus meiner Sicht eine sehr entscheidende Diskussion, die man nicht alleine aus der aktuellen Angst um Haftungsvolumen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsentwicklung der gesamten Institution betrachten muss. Das ist eine der Aufgaben, die wir in diesen Monaten haben und die wir einfach gemeinsam bewältigen müssen – die aus meiner Sicht aber auch große Chancen bietet.
Zwischen Übermut und Verzagtheit gilt eben der Satz an dieser Stelle durchaus: Was ist zum Beispiel mit Direct Banking? Wenn wir über Megatrends reden, wird es so sein, dass immer mehr Menschen die modernen Technologien nutzen, um manche Geschäfte zu machen. Ob das immer gut ist, dass man sie auf diese Weise macht, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es immer mehr tun. Und ich fände es ganz fürchterlich, wenn die dritte Säule daran nicht richtig beteiligt wäre. Wir könnten die auf diesem Gebiet führende Sparkassenorganisation in Deutschland werden. Wir könnten das für alle anderen mit machen – aber nur unter der Bedingung, dass wir in den Sparkassenorganisationen einen Weg finden, wie alle am Ertrag teilhaben. Dass einer verdient und die anderen nicht, wird so nicht funktionieren. Das ist mir völlig klar. Das verstößt gegen das Regionalprinzip. Die spannende unternehmerische Frage jenseits der Krise ist: Schaffen wir es, diese Dienstleistung für die Bürger zu erbringen und nicht uns gegenseitig sozusagen beneiden zu müssen, dass jetzt bedauerlicherweise der andere das Geschäft macht und man selbst nicht mehr. Man kann technisch vieles erreichen. Aber will man das? Will die Sparkassenorganisation das? Und spätestens da sind Sie alleine bei Ihren Themen, mit denen wir nur noch dann zu tun haben, wenn wir irgendwo zufällig ein Miteigentümer sind, aber wo es um Ihre strukturellen Fragen geht. Deshalb: Es bleibt dabei, wir haben enorme Veränderungen. Wir werden Veränderungen in der Aufsicht bekommen, wir werden Diskussionen über das Eigenkapital bekommen. Eine der großen Antworten aus der globalisierten Krise ist, dass man mehr eigenes Geld haben muss, um in Zukunft Risiken zu übernehmen. Das gilt auch für Banken und Sparkassen. Die große Sorge dieser Stunden ist, dass die Umstellungsprozesse sich abkürzen und uns Entwicklung wegnehmen könnten. Denn natürlich ist jeder von Ihnen im Augenblick bemüht, nur noch die Geschäfte zu machen, die wirklich die Allerbesten sind im Verhältnis zu dem Eigenkapital, das ich zur Verfügung habe – mit der Sorge, dass mein Eigenkapital durch die Migration der Risiken ein Stück heruntergeht.
Wenn das so bleibt, dann haben wir irgendwann die Kreditklemme wirklich, und zwar auf allen Ebenen. Die 2008er Zahlen sind dabei unbedeutend für diesen Zusammenhang. Ich finde sie liebenswert, wenn sie immer vorgetragen werden. Aber das Gesamtkreditvolumen des Jahres 2008 ist sozusagen nicht in den letzten drei Monaten definiert worden. Und jeder, der im Augenblick seine Geschäftspolitik macht, weiß, dass die Sachbearbeiter aus dem Bereich für Immobilien und die Sachbearbeiter aus dem Bereich von Gewerbekrediten hereinkommen und sagen, „Ich hätte so viele Geschäftsangebote, die sind gut“, und häufig die Antwort bekommen, „Du kannst aber nur die Hälfte davon machen, sonst gefährdest Du meine Bilanzstrategie“. Das ist in der Tat eine Kreditklemme, wie auch immer man das nennt. Es ist eine Sorge, die wir haben müssen und die wir nicht in der ersten Sekunde lösen. Und die natürliche Anforderung an die Sparkassenorganisation ist: Löst Ihr das doch! Ich weiß, dass das so einfach nicht geht. Ich bin mir aber sicher, dass die Sparkassen am Ende ein Interesse daran haben, und darin sehe ich unsere Gemeinsamkeit: Dafür zu sorgen, dass es Ihrer jeweiligen Region wirtschaftlich gut geht, weil Sie wissen, dass Sie nicht aus ihrer Region ausweichen können – während die großen Privatbanken auch mal die Chance haben, eine Region aufzugeben. Wer sich zuvor mit RBS angelegt hat, erlebt heute eben, dass der neue Eigentümer, die britische Regierung, findet, dass man als britische Bank in Deutschland keine Kredite geben muss. Das ist der prinzipielle Unterschied. Das ist einer der Gründe der Existenznotwendigkeit, zumindest der Existenzberechtigung der dritten Säule. Und deshalb wollen wir als Hessische Landesregierung mit unseren Möglichkeiten und mit unserem Gespräch auf der Basis der Gesetze, die wir haben – ohne dass wir jetzt sehr intensiv wieder über neue Gesetze diskutieren müssen – erreichen, dass wir dies als eine Gemeinsamkeit in einer schwierigen Krise haben.
Aber es ist nicht nur eine Frage von Gesetzgebung, sondern es ist eine Frage von sehr viel Interaktion, bei der Sie mir abschließend erlauben, dass ich mich bei Ihnen allen herzlich bedanke. Ich sehe ja im Augenblick, was das Finanzministerium, Wirtschaftsministerium, die Bürgschaftsbank und viele andere diskutieren. Das sind Hunderte von Fällen, die wir dann in Summe doch miteinander bearbeiten. Ich sehe, dass es ein sehr vernünftiges, sehr rationales, nicht die eigenen Interessen außer Acht lassendes, aber letztlich zu der Gemeinschaft des Landes und der Bürger des Landes loyales Verhältnis für diese Gespräche gibt. Das ist das wichtigste, was wir in dieser Zeit brauchen. Und damit verbunden die Offenheit zu sagen: Wir befinden uns in einer Krise, die uns zwei, drei, vier Jahre irgendwie beschäftigen wird. Wie genau, wissen wir nicht. Aber sie wird uns beschäftigen. Es wird definitiv ein Ende der Krise geben. Und wir leben in einem Land, der Bundesrepublik Deutschland, das aufgrund von vielen klugen Entscheidungen der Menschen der letzten 60 Jahre eine große Chance hat, stärker aus dieser Krise hervorzukommen als es hereingegangen ist. Das ist so, das können nicht viele sagen, aber es liegt daran, dass wir über 60 Jahre nach heftigem Ringen im Großen und Ganzen mehr richtige als falsche Entscheidungen getroffen haben. Und in diesem Sinne müssen wir auch weiter miteinander arbeiten und die Verantwortung tragen. Dazu sind wir in der Landesregierung gerne bereit und freuen uns auch in Zukunft auf die Zusammenarbeit.
Vielen herzlichen Dank!
Es gilt das gesprochene Wort!