Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung:Herr Koch, Opel ist gerettet, wie teuer wird das für den Steuerzahler?
Roland Koch: Die staatliche Überbrückung wird auf 4,5 Milliarden Euro begrenzt. Wir gehen davon aus, dass das Ausfallrisiko für die Bürgschaften gering und damit vertretbar ist. Und die neuen Eigentümer wissen: Einen Aufschlag gibt es nicht. Das ist für den Steuerzahler die mit Abstand beste Lösung.
F.A.S.: Der Wirtschaftsminister sieht das anders und hat die Insolvenz als günstigere Alternative bezeichnet.
Roland Koch: Nein. Der Kollege zu Guttenberg hat am Ende die Abwägung der Regierung und der vier Ministerpräsidenten mitgetragen, die gerade darauf basiert, dass die Insolvenz volkswirtschaftlich teurer ist, Arbeitslosengeld wäre zu zahlen, bereits geleistete Zuschüsse wären verloren, vom Massekredit ganz zu schweigen.
F.A.S.: So stecken Sie jetzt 1,5 Milliarden Euro Überbrückungskredit in ein marodes Unternehmen. Sind die nicht in jedem Fall weg?
Roland Koch: Nein. Die werden Bestandteil der Bürgschaft zur Restrukturierung. Damit muss Opel sofort beginnen. Wir haben kein Geld, das wegen Zeitverzug verbrannt werden darf. Im Moment bringt jeder Tag drei Millionen Euro Verlust. Das muss so schnell wie möglich aufhören.
F.A.S.: Wie soll das gehen? Warum sollte das Volk plötzlich wie wild Opel kaufen?
Roland Koch: Der wesentliche Beitrag zur Verbesserung der Lage ist nicht die Erhöhung des Absatzes. Im Gegenteil: Die neuen Eigentümer rechnen in ihren realistischen Plänen mit einem geringfügigen Umsatzrückgang, auch im nächsten Jahr. Da ist kein Optimismus eingeplant, sondern eine Vielzahl von Maßnahmen, um die Kosten zu senken: Am Ende wird das europäische Unternehmen etwa 11.000 Arbeitnehmer weniger an Bord haben.
F.A.S.: Magna hatte versprochen, in Deutschland nur etwa 2000 Stellen zu streichen. War dies das letzte Wort in der Nacht zum Samstag?
Roland Koch: Magna hat erklärt, dass etwas mehr als 2000 Arbeitsplätze in deutschen Werken gestrichen werden – wobei nach Auffassung der neuen Eigner keine betriebsbedingten Kündigungen notwendig sein werden.
F.A.S.: Wie viel eigenes Kapital riskiert Magna?
Roland Koch: In fünf Jahren werden insgesamt 500 Millionen Euro von Magna ohne irgendeine Form von Sicherheit zu Opel geflossen sein. Das beginnt am ersten Tag der Vereinbarung, mit den ersten 100 Millionen Euro. Das ist für jedes Unternehmen eine Größenordung, die auch Skeptikern sein Ansinnen als ernsthaft erscheinen lassen müsste.
F.A.S.: Wenn General Motors am Montag Insolvenz anmeldet, wer konkret zahlt dann am Dienstag Löhne und Material in Rüsselsheim?
Roland Koch: Die Insolvenz in Amerika, Chapter 11, hat keine Folgen mehr für Opel in Europa. Das ist ein Erfolg der Verhandlungen der letzten Tage.
F.A.S.: Der Ärger über die Amerikaner aus dem gescheiterten Gipfel in der Nacht zum Donnerstag ist verraucht?
Roland Koch: Ja, der Ärger war angebracht, er hat auch etwas bewirkt. Am Freitag hat die Bundeskanzlerin mit dem amerikanischen Präsidenten gesprochen. Danach hatten die amerikanischen Unterhändler die nötigen Vollmachten.
F.A.S.: Jetzt können sich keine Hürden mehr auftun?
Roland Koch: Nein. Wenn heute die Haushaltsausschüsse in Hessen und Nordrhein-Westfalen dem Treuhandvertrag zustimmen, wird dieser sofort wirksam: Organisationsrechtlich wird damit Opel Europa zusammengefasst und von GM in Amerika getrennt. Die Finanzierung vom Dienstag an läuft dann bereits mit Hilfe unseres Brückenkredits. Und da Magna schneller als der Staat mit seiner öffentlichen Finanzierung agieren kann, wird der neue Eigner liquide Mittel in einer Größenordung bis zu 300 Millionen Euro innerhalb von wenigen Stunden zur Verfügung stellen können.
F.A.S.: Bei Opel rettet der Staat 25.000 Arbeitsplätze. Das ergibt Kosten von etwa 250.00 Euro pro Job bei einer Gesamtsumme von 4,5 Milliarden Euro – dafür hätten Sie jedem Opelaner ein Häuschen kaufen können.
Roland Koch: Dann wäre er für den Rest seines Lebens arbeitslos. Vor allem aber ist der Vergleich unfair, weil zum Wesen der Bürgschaft gehört, dass der Staat überbrücken, aber das Geld zurückbekommen will.
F.A.S.: Die Erfahrung lehrt: Am Ende ist der Bürger immer der Dumme. Warum sind Sie so zuversichtlich, dass dies im Fall Opel anders ist?
Roland Koch: Wenn ich darauf nicht vertrauen würde, dürfte ich die Bürgschaft überhaupt nicht geben. Die gesetzliche Voraussetzung dafür ist ein geringes Ausfallrisiko. Nach allen, was wir an betriebswirtschaftlichen Kennziffern im Konzept von Magna gesehen und geprüft haben, hege ich daran keine Zweifel. Übrigens liegen unsere Bürgschaftsausfälle in den letzten zehn Jahren bei zwei bis drei Prozent.
F.A.S.: Eigner von Opel werden jetzt indirekt der amerikanische und der russische Staat. Die deutsche Regierung bürgt dafür, warum haben Sie Opel dann nicht gleich verstaatlicht?
Roland Koch: Vorneweg: Der amerikanische Staat ist nicht dauerhaft Eigentümer. Zweiter Punkt: Wir wollen mit Russland Geschäfte machen. Natürlich wissen wir, dass es dort staatlichen Einfluss gibt, selbst dann wenn die Partner formal private Institutionen sind. Aber gerade Russland mit seinem großen Mark ist für Opel interessant. Außerdem wird die unternehmerische Führung bei Magna liegen, der russische Partner ist nur beteiligt.
F.A.S.: Als Automanager sind Politiker dann doch überfordert?
Roland Koch: Ich habe das Gegenteil jedenfalls nie behauptet. Bei allem Selbstvertrauen: Wir sind nicht in der Lage neben dem politischen Amt ein europäisches Wirtschaftsunternehmen neu aufzustellen. Wer sich das zutraut, überhebt sich. Auch wenn unsere Aufgabe in der öffentlichen Verwaltung viel mit Management und Führung. Im Fall Opel sind wir mit dem Erfolg zufrieden, einen privaten Investor gefunden zu haben, dem wir vertrauen. Noch vor fünf Wochen hätte uns das niemand zugetraut. Und viele haben auch geschrieben, dass sich ohnehin kein Privater für Opel interessieren wird.
F.A.S.: Es ist auch noch nicht lange her, dass die Bundesregierung ein Gesetz beschlossen hat, um russische Investoren fern zu halten. Jetzt sind sie hoch willkommen und werden mit Steuermilliarden begrüßt – eine verrückte Entwicklung.
Roland Koch: Einspruch. Da ich zu den „Erfindern“ des Gesetzes gehöre, bin ich ein sachverständiger Zeuge: Wir haben beschlossen, dass der Staat ein Widerspruchsrecht bekommt bei Investitionen ausländischer Staatsfonds, ob die aus China, Russland oder sonst wo herkommen, sofern es strategischen Interessen Deutschlands widerspricht. Ich glaube nicht, dass ein Automobilhersteller zu den strategischen oder Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik gehört, vergleichbar etwa zur Militärtechnik.
F.A.S.: Wenn Opel weder strategisch wichtig, noch systemrelevant ist – wo hört dann das Retten auf?
Roland Koch: Für Opel gelten die gleichen Kriterien wie für jedes andere Unternehmen in Deutschland, ob es nun 5, 15 oder 500 Menschen beschäftigt: Es hat Anspruch darauf, dass der Staat die Gewährung von Unterstützung prüft, wenn das Unternehmen in eine Notfallsituation gerät. Das machen wir seit 60 Jahren so in Deutschland, jedes Jahr mit Hunderten von Millionen Euro, nach klar definierten Kriterien und einer sehr geringen Ausfallquote bei den Bürgschaften. Der Staat hat eine Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn er die nicht wahrnimmt, würde er sehr schnell die demokratische Legitimierung verlieren.
F.A.S.: FDP-Chef Westerwelle hat im Moment großen Erfolg bei den Wählern mit dem Spruch: Zu großen Firmen in Not kommt der Staat, zu kleinen der Insolvenzverwalter.
Roland Koch: Der Satz ist falsch, er widerspricht der Lebenserfahrung und der Statistik. Jeder Unternehmer erhält dasselbe Verfahren: Er muss seine Bücher vorlegen und eine Prognose von unabhängigen Wirtschaftsprüfern über die Zukunftsperspektive. Sie ahnen nicht, wie viele, gerade kleinen Unternehmen im Moment zu unserem Wirtschaftsminister Posch oder mir kommen und denen wir mit Bürgschaften helfen. Das lesen Sie nur nicht in der Zeitung, schon weil diese Firmen kein Interesse haben, dass ihre Lage publik wird.
F.A.S.: Der Arcandor-Chef trommelt sehr öffentlich für Karstadt – unter anderem mit dem Argument, er sei so wenig systemrelevant wie Opel, er brauche das Geld aber genauso dringend. Helfen Sie ihm auch?
Roland Koch: Ich habe da erheblich Zweifel. Es stellt sich, abgesehen von der Zukunftsfähigkeit der Kaufhäuser, eine entscheidende Frage: Hat ein Unternehmen Anspruch auf staatliche Hilfe, das mit der Mehrheitsbeteiligung an einem profitablen Tourismuskonzern erhebliches Vermögen besitzt? Müsste dieses Aktienpaket nicht zuerst verwertet werden?
F.A.S.: Das Grundprinzip der Marktwirtschaft lautet: Gute Ideen finden Kreditgeber und setzen sich durch. Schlechte gehen unter. So haben Sie es selbst mal formuliert, gilt das heute nicht mehr?
Roland Koch: Wir haben es mit einer besonderen Situation zu tun, einer tiefen Krise der Finanzindustrie. Banken weltweit haben entschieden, überhaupt kein Kapital mehr in die Autoindustrie zu stecken. Dabei wird die Branche einer der großen Wertschöpfer bleiben. Wenn die Autohersteller sich aber jetzt nicht mehr finanzieren können, ist das für kaum ein Land gefährlicher als in Deutschland.
F.A.S.: Wolfsburg liegt auch in Deutschland. Dort hätte man eine Opel-Pleite gerne gesehen und die Astra-Fahrer als neue VW-Kunden begrüßt.
Roland Koch: Ein Unternehmen, das zu 20 Prozent dem Staat gehört, kann natürlich eine gewisse Gelassenheit an den Tag legen. Wir, als Regierung in Hessen haben uns entschieden, nicht Eigentümer von Autofabriken zu werden. Deswegen lassen wir es uns nicht nehmen, im Einzelfall helfend einzuspringen.
Das Interview führte Georg Meck.