Koch: „Transferempfängern muss Anstrengung abverlangt werden“
Ministerpräsident Roland Koch im Welt-Interview
WELT ONLINE: Herr Ministerpräsident, mit Ihrer Forderung nach einer Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger haben Sie eine Welle der Empörung ausgelöst. Haben Sie das erwartet?
Roland Koch: Ich habe ein kontroverses Thema angesprochen, mit dem auch Emotionen verbunden sind. Wer das Interview gelesen hat, weiß, dass es dabei nicht um eine Pauschalkritik an allen Hartz-IV-Empfängern geht. Es gibt viele Menschen, die sich sehr intensiv um eine Stelle bemühen, aber eben auch andere, die das System ausnutzen. Das Wort „Arbeitspflicht“ – das Sie im Interview gar nicht finden werden – emotionalisiert natürlich. Das dient zwar nicht der Sache, aber ich will der Diskussion nicht ausweichen.
WELT ONLINE: Kritiker werfen Ihnen Populismus vor; die Arbeitspflicht sei schon längst Gesetz.
Koch: Richtig ist, dass wir bereits über einige Instrumente verfügen. Doch der Vollzug ist offensichtlich schwierig, sonst wären wir ja auf diesem Gebiet schon ein Stück weiter. Durch ein besseres Gesetz könnten wir es der Arbeitsverwaltung erleichtern, mit mehr Nachdruck dafür zu sorgen, dass auch eine Beschäftigung ausgeübt wird.
WELT ONLINE: Plädieren Sie für den Vorschlag der Wirtschaftsweisen, die den Regelsatz senken und gleichzeitig die Hinzuverdienstgrenzen verbessern wollen?
Koch: Wir sollten in Deutschland keine Diskussion um die Absenkung der Regelsätze führen. Der Vorschlag der Wirtschafweisen würde alle treffen. Die, die sich engagieren, und auch die, die sich nicht engagieren. Das ist ein schwieriges Konzept. Doch die Fixierung auf die 100 Euro, die man ohne Abzug hinzuverdienen kann, hat dazu geführt, dass sich manche in einer Kombination von staatlicher Leistung und Hinzuverdienst einrichten. Sie sind nur bis zur Freigrenze motiviert, dann bricht die Arbeitsbereitschaft abrupt ab. Möglicherweise bessern einige ihr Einkommen auch mit Schwarzarbeit auf. Trotz der Krise war die Schwarzarbeit im vergangenen Jahr offenbar so verbreitet wie noch nie. Die staatlichen Regeln dürfen nicht dazu führen, dass die Dinge nicht mehr der Gemeinschaft zugute kommen, sondern an der Gemeinschaft vorbeigehen.
WELT ONLINE: Wie müssen die Regeln aussehen?
Koch: Es gibt zwei wichtige Punkte: Wir müssen beim Zuverdienst anders staffeln. Man muss mehr zuverdienen können und davon weniger abgezogen bekommen als heute. Und die Arbeitsverwaltung muss verpflichtet werden, Sanktionen auch einzusetzen. Viele Jobcenter schrecken heute angesichts der zahlreichen Prozesse vor den Sozialgerichten vor Sanktionen zurück. Sie wollen sich nicht noch mehr Klagen einhandeln. Das hat offensichtlich auch etwas mit rechtlichen Unsicherheiten zu tun.
WELT ONLINE: Wie groß schätzen Sie die Gruppe der Arbeitsunwilligen unter den Hartz-IV-Empfängern? Sind es nur einige schwarze Schafe, wie Arbeitsministerin von der Leyen sagt?
Koch: Eine Prozentzahl zu nennen, wäre rein spekulativ. Doch in den großen Städten ächzen die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung darunter, dass sie auch von arbeitsunwilligen Personen herausgefordert werden. Das ist nicht die Mehrheit, das steht fest. Doch auch eine deutlich sichtbare Minderheit diskreditiert ein ganzes System. Wir dürfen auch die Auswirkungen auf Bürger, die jeden Tag hart arbeiten müssen, nicht übersehen. Diese müssen feststellen, dass eine vierköpfige Familie mit einem Verdiener ein Einkommen von 2300 bis 2500 Brutto erzielen muss, wenn sie netto dasselbe haben will, wie eine Familie, die von staatlicher Unterstützung in Form von Hartz IV lebt. Wenn das nicht zur Provokation werden soll, dann muss den Transferempfängern eine Anstrengung abverlangt werden. Selbst wenn wir nur von einer kleinen Minderheit sprechen, kann es trotzdem unsere ganzen Anstrengungen zunichte machen.
WELT ONLINE: Wo sollen die Arbeitsplätze für die Hartz-IV-Empfänger herkommen?
Koch: Ohne gemeinnützige Bürgerarbeit oder Gemeindearbeit, wie es sie in manchen Regionen Deutschlands schon gibt, wird sich das nicht bewerkstelligen lassen. Für die Kommunen ist das eine Herausforderung, doch in der Gesellschaft gibt es genug Arbeit zu tun. Deshalb bin ich auch für eine dezentrale Organisation von Hartz IV, verbunden mit einer finanziellen Erfolgsbeteiligung für diejenigen Kommunen, die es besser machen. Für den Staat ist das sicherlich keine bequeme Sache, Arbeit für alle zu organisieren, die Unterstützung bekommen. Aber wir können uns nicht hinsetzen und sagen, da sind ein paar Leute faul, denen bieten wir nichts an. Das ist genauso falsch, wie zu sagen, es gibt viele Menschen, die sind in Not und suchen händeringend eine Stelle, und um diese nicht zu diskreditieren, sprechen wir den Missbrauch nicht an. Beide Antworten taugen nicht zur Lösung des Problems.
WELT ONLINE: Wie viel Arbeitsplätze müssten geschaffen werden? Droht da ein riesiger zweiter Arbeitsmarkt?
Koch: Je besser ein solches System organisiert ist, desto weniger werden wir es brauchen. Dennoch: Wir reden über hunderttausende von Plätzen. Das müssen wir anpacken. Die Legitimation von Politikern beruht auch darauf, dass sie Schwächen und Fehler des Systems ansprechen, die jeder normale Bürger auch sehen kann. Sonst machen wir uns unglaubwürdig.
WELT ONLINE: Die Jobcenter müssen reorganisiert werden. Wer kann die Hartz-IV-Empfänger besser betreuen: Die Kommunen oder die Arbeitsagenturen?
Koch: Wer arbeitslos wird, wird in den ersten zwölf Monaten von der Bundesagentur für Arbeit betreut. Diese hat enorm an Effektivität gewonnen, verfügt über ausgezeichnete Computersysteme und kann bundesweit über die regionalen Grenzen hinweg vermitteln. Wer aber mehr als ein Jahr arbeitslos ist, hat ein spezifisches Problem, das kann mit seiner Qualifikation, Gesundheit, Motivation oder seinen Lebensumständen zu tun haben. Das lässt sich nicht zentral lösen. Je mehr Einfluss die Kommune hat, desto besser wird das System werden. Ich hoffe sehr, dass wir dafür eine Lösung in Berlin finden werden.