Koch: „Politik muss notwendige Härte haben“
Hessens Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der WirtschaftsWoche über neue Regeln für Hartz-IV-Empfänger, Subventionskürzungen und die nächste Steuerreform
WirtschaftsWoche: In jedem Land der Welt freuen sich die Bürger über Steuerentlastungen. Nur hierzulande sagt die Mehrheit: Nein, danke. Sind wir ein Volk von Masochisten?
Roland Koch: Nein, die Vorsicht der Bürger bei diesem Thema ist ein Ausweis demokratischer Reife! Die Menschen stellen ihr natürliches egoistisches Wollen – weniger Geld an Staat und Gesellschaft – zurück aus Sorge vor möglichen Folgen: entweder massives Einschränken staatlicher Aktivitäten, vom Sozialen bis zur Bildungspolitik; oder eine inakzeptabel hohe Staatsverschuldung. Die Menschen haben das klar erkannt. Für uns Politiker bleibt die Aufgabe, ihnen so wenig Geld wie möglich abzunehmen und uns nicht bequem in den Taschen der Bürger zu bedienen.
WirtschaftsWoche: Eine Debatte über die nötigen Aufgaben des Staates findet gar nicht statt.
Koch: Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt doch, dass nach dem Ende der Krise hartes Sparen kommen muss. Es geht nicht nur um Spielraum für Steuersenkungen, sondern vor allem um Umschichtung, denn der Staat soll ja trotz Haushaltsnöten und sinkender Einnahmen mehr in Bildung und Forschung investieren. Dann ist es ganz unvermeidlich, dass wir bei den anderen großen Ausgabenblöcken streichen. Und es muss eine neue Diskussion über Subventionen geben.
WirtschaftsWoche: Nach der legendären Koch-Steinbrück-Liste nun eine Koch-Schäuble-Liste zum Subventionsabbau?
Koch: Dank der Umsetzung des größten Teils der alten Liste gibt es heute 15 bis 16 Milliarden Euro weniger Subventionen. Dennoch ist es kein Problem, noch einmal pauschal zehn Prozent bei allem zu kürzen. Aber der größte Subventionsblock beim Bund ist heute, dass wir für die Industrie den viel zu teuren Strompreis verbilligen. Der Staat verzichtet bei ihr auf die Ökosteuer, die andere Unternehmen und der normale Bürger zahlen. Entweder wir senken diese Steuern für alle, damit die Subvention wegfällt, dann fehlt dem Staat noch mehr Geld. Oder wir streichen die Vergünstigung mit der Folge, dass Strom für die Industrie noch teurer wird. Da müssen wir uns entscheiden. Das Kernproblem beim Subventionsabbau ist heute: Man trifft nicht mehr irgendwelche Randgruppen, sondern man trifft sehr schnell die produzierende Wirtschaft in Deutschland.
WirtschaftsWoche: Es lässt sich nix mehr sparen?
Koch: Anfang der Neunzigerjahre gab es noch viel Überflüssiges. Aber wir fahren seit 15, 20 Jahren Sparhaushalte. Jedes Jahr reduzieren wir Mitarbeiter, Behörden, Sozialleistungen. Jetzt hat der Staat keinen Speck mehr auf den Rippen, den man einfach mal so nebenbei wegschneiden könnte, ohne dass es jemand merkt. Das macht es ja so schwierig und schmerzhaft. Wir müssen uns zwischen verschiedenen durchaus jeweils sinnvollen Staatsaufgaben entscheiden. Unabhängig von der Steuersenkung haben wir schon das Geld für höhere Bildungsanstrengungen gar nicht. Also müssen wir erst mal dafür Geld besorgen. Und dann können wir fragen: Wie schaffen wir Wachstum, um dem Bürger prozentual weniger abnehmen zu müssen. Das ist die Reihenfolge.
WirtschaftsWoche: Früher hieß es: Steuern senken, um Wachstum zu schaffen. Heute heißt es: Wachstum abwarten, um Steuern zu senken. Ist das die neue CDU-Doktrin?
Koch: Jetzt wird die Debatte unfair. Wir geben doch gerade in diesem Jahr in einem der größten Steuersenkungsprogramme der Geschichte ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Steuern zurück, um Wachstum zu fördern: 25 Milliarden Euro für Konsum und Investitionen. Steuersenkung darf aber nicht dazu führen, dass die übrigen staatlichen Ziele grob verletzt werden. Denn das würden die Bürger nicht akzeptieren.
WirtschaftsWoche: Ihre Prioritätenliste lautet: erst Bildung und Forschung, dann Soziales. Und wenn dann noch Geld übrig ist: Steuern runter?
Koch: Meine Priorität ist: Es darf keine zusätzliche Staatsverschuldung geben. Und da ist mir egal, für welchen noch so guten Zweck es diese geben würde. Ich habe schon während der Koalitionsverhandlungen gesagt: Ich werde auch für die Bildung keine zusätzlichen Kredite aufnehmen. Die Wirkung der Schuldenbremse in den nächsten Jahren wird noch völlig unterschätzt. Wir müssen das Geld aus allen anderen Feldern holen, auch aus dem Sozialbereich, und da ist erst mal egal, ob aus dem Bundeshaushalt oder aus den Sozialversicherungen. Ich sehe nach wie vor Möglichkeiten, beispielsweise in der Arbeitsverwaltung Milliardenbeträge einzusparen. Wir müssen generell die Aufgaben einschränken.
WirtschaftsWoche: Und wo?
Koch: Schließen wir erst mal einiges aus. Die Ausgaben für die Renten wird niemand infrage stellen. Bei der Gesundheit gilt es, so wenig wie möglich aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Denn es ist viel leichter, ein Defizit in der Krankenversicherung über die allgemeinen Schulden zu verstecken. Weder die Beiträge noch die Steuern zu erhöhen, sondern alles als höhere Verschuldung der nächsten Generation zuzuschieben – dieses Spiel ist mit der Föderalismusreform II und der Schuldenbremse beendet.
WirtschaftsWoche: Dann bleibt nur die Arbeitslosenfürsorge. Ministerin von der Leyen und Ihr Kollege Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen fordern bereits Reformen bei Hartz IV.
Koch: Diese Debatte ist doch gar nicht neu. Die Zuverdienstgrenzen sind nicht optimal, um die schrittweise Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu fördern. Im Augenblick geben wir den Beteiligten das Signal, sich in Hartz IV mit einem kleinen Zusatzjob einzurichten. Denn wenn sie mehr eigene Anstrengungen unternehmen, ist das zu ihrem Nachteil. Das müssen wir ändern. Auch der derzeitige Umgang mit den Nöten der Alleinerziehenden bedarf einer Korrektur. Andererseits ist die Belastung der Staatskassen durch Hartz IV heute schon zu hoch – sowohl bei den Kommunen als auch beim Bundeshaushalt. Da muss entlastet werden. Am Ende der Hartz-Reparaturen muss die Beschäftigung der Betroffenen höher sein und die Gemeinschaft daher weniger aufbringen, nicht mehr. Das wird auch in der CDU keine leichte Diskussion.
WirtschaftsWoche: Eine vierköpfige Familie mit 3000 Euro brutto hat netto nicht mehr als eine vierköpfige Hartz-IV-Familie. Wieso redet niemand über das Lohnabstandsgebot?
Koch: Das Lohnabstandsgebot kann nicht befriedigend erfüllt werden. Das Verfassungsgericht schützt – entsprechend dem Sozialstaatsgebot – den Menschen in Not sehr viel stärker, als dies in anderen Ländern der Fall ist. Was wir Arbeitslosenhilfe nennen, gibt es in den USA nur für Menschen mit Kindern und nie länger als fünf Jahre. In Deutschland gibt es Leistungen für jeden, notfalls lebenslang. Deshalb müssen wir Instrumente einsetzen, damit niemand das Leben von Hartz IV als angenehme Variante ansieht.
WirtschaftsWoche: Wie soll das gehen?
Koch: Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung. Dass er eben nicht bloß zu Hause sitzt.
WirtschaftsWoche: Das werden die Hartz-IV-Empfänger als bedrohlich empfinden.
Koch: Es kann aber kein funktionierendes Arbeitslosenhilfe-System geben, das nicht auch ein Element von Abschreckung enthält. Sonst ist das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich.
WirtschaftsWoche: Geld nur gegen Arbeit, sei es eine gemeinnützige Tätigkeit oder ein Ein-Euro-Job?
Koch: Auf Dauer wird es anders nicht gehen. Wir haben ja zwei Gruppen: jene, die durch die Unbilden des Lebens, völlig ohne eigene Schuld, in Not geraten sind. Denen möchte man Hartz IV eigentlich nicht zumuten. Und wir haben Menschen, die mit dem System spielen und Nischen ausnutzen. Wenn man das nicht beschränkt, wird das System auf Dauer illegitim. Ein Gesetz muss für alle gelten.
WirtschaftsWoche: Fehlt es den Kommunen an geeigneten Jobs oder an Mut und Rückhalt, eine solche Arbeitspflicht auch durchzusetzen.
Koch: Wir haben einige Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit signifikant zurückgedrängt werden konnte, durch ein entschlossenes Durchsetzen solcher Gegenleistungen. Man kann also nicht mehr behaupten, das sei alles Theorie und ginge in Deutschland nicht. Politik muss die notwendige Härte haben, solche fordernden Elemente einzuführen und durchzusetzen, weil sie die Gegenleistung für eine sehr großzügige Unterstützung der Bürger und Steuerzahler sind.
WirtschaftsWoche: Ist die Sorge um die Mittelschicht nicht auch der Grund für den Streit in der Koalition? Die FDP will diese Wähler mit dem Versprechen niedriger Steuern gewinnen, die CDU will sie mit solider Haushaltspolitik und Generationengerechtigkeit ködern?
Koch: Gut ist, dass endlich über die leistungsorientierte Mittelschicht geredet wird. Das Problem ist, dass die Steuerpolitik instrumentalisiert worden ist, um diese Hinwendung zur Mittelschicht zu dokumentieren. Diese Erfahrung trifft nicht nur, aber vor allem die FDP. Diese Erkenntnis greift um sich, aber es haben noch nicht alle verarbeitet.
WirtschaftsWoche: Also waren die dauernden Steuersenkungsversprechen Scharlatanerie?
Koch: Nein. Bürgerliche Parteien müssen immer an Steuersenkungen interessiert sein, sonst wird der Staat zu fett. Aber für die letzten zwölf Monate ist das Thema im Vergleich zu den wirklichen Herausforderungen – Arbeitsmarkt, Energie, Forschung, Familie – zu weit nach vorne geraten.
WirtschaftsWoche: Es war das zentrale Werbeargument der FDP. Nun muss sie liefern.
Koch: Die FDP interpretiert den Koalitionsvertrag sehr offensiv. Der Finanzierungsvorbehalt für Steuersenkungen steht im Text. Wer ihn überwinden will, muss die wirtschaftliche Entwicklung abwarten und eigene Sparvorschläge machen. Davon sehe ich bisher wenig.
WirtschaftsWoche: Umgekehrt sagt die FDP, die Union habe nichts vom „liberalen Sparbuch“ hören wollen, das allein zehn Milliarden bringt.
Koch: Es gibt wohl kaum ein Gespräch zur Finanzpolitik, an dem ich nicht teilgenommen habe. Wir haben gefragt: Wollt ihr wirklich die Nachtzuschläge besteuern? Da war die FDP sehr vorsichtig, sicher auch, weil sie wusste, wo bei der CDU die Grenzen sind.
WirtschaftsWoche: Im Koalitionsvertrag steht beides – Steuersenkungen und Finanzierungsvorbehalt. Hat die FDP sich übers Ohr hauen lassen?
Koch: Die FDP und ihr Vorsitzender sind nicht dumm, sie haben im Wahlkampf allerdings ein Maß an Erwartungen geschaffen, das sie nun zwingt, alle Möglichkeiten auszureizen. Man soll den Konflikt aber nicht überhöhen. Die Herren Pinkwart und Solms aus der FDP haben ebenso wie die Bundeskanzlerin gesagt, am Prinzip halten wir fest, und dann schauen wir, was machbar ist. Und da sind sie sich dann ja wieder einig.
WirtschaftsWoche: Die Wahllüge soll erst nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl auffliegen?
Koch: Es gibt keine Wahllüge. Es wird ja weitere Steuersenkungen und eine Strukturreform geben. Aber es muss der Zeitpunkt gefunden werden, an dem eine Größenordnung möglich ist, die Sinn macht. Klar ist: Ab sieben Stufen wird der Stufentarif albern, und drei sind derzeit nicht machbar, weil zu teuer. Aber vielleicht könnte man ja etwas später mit fünf Stufen anfangen. Im Koalitionsvertrag steht, dass der neue Tarif „möglichst zum 1. Januar 2011 in Kraft treten“ soll. Es geht also um das Wann und das Wie, nicht aber um das Ob.
WirtschaftsWoche: Auch beim neuen Energiekonzept, das bis zum Herbst fertig sein soll, rumpelt es hinter den Kulissen. Was muss drinstehen?
Koch: Das Konzept muss realistische Schritte für den Umstieg auf erneuerbare Energien definieren. 2050 werden wir ohne fossile Brennstoffe eine moderne Industriegesellschaft versorgen. Aber das wird in erster Linie dank moderner Technik eher in einem Windpark in der Nordsee geschehen als mit kleinen Windrädern an jedem Bauernhof. Oder aus einem riesigen Solarpark in der Wüste, nicht mit Kollektoren auf jedem Dach. Wir reden nämlich nicht nur über die Versorgung der Privathaushalte mit sicherer und finanzierbarer Energie – Deutschland ist vielmehr ein Industriestandort und sollte es auch bleiben können. Auch die Erneuerbaren können nur im industriellen, großtechnischen Maßstab effizient und zu vertretbaren Kosten eingesetzt werden. Es muss Schluss sein mit der romantischen Träumerei, als würde künftig jeder seine Energie selbst produzieren.
WirtschaftsWoche: Momentan fördert der Staat genau das.
Koch: Das muss man differenzierter sehen. Es kann auf die Dauer keinen generellen Vorrang für die Einspeisung von privatem Solarstrom vom Dach geben, auch wenn den Strom gerade niemand braucht. Denn wir haben heute schon verzweifelte Energiekonzerne, die Geld dafür zahlen, dass ihnen jemand überschüssigen Strom abnimmt. Das verteuert den Strom. Regenerative Energie ist eine Industrie der Zukunft, die Hunderttausende Arbeitsplätze schaffen kann und großes Wachstum, aber keine romantische Veranstaltung.
WirtschaftsWoche: Wollen Sie auch die Einspeisevergütung reduzieren?
Koch: Die Einspeisevergütung ist ein Übergangsinstrument. Ohne sie hätten wir nicht die moderne Solartechnologie entwickeln können, die wir künftig in der Wüste einsetzen. Aber auf Dauer kann es das nicht geben.
WirtschaftsWoche: Kommt das Konzept rechtzeitig, damit das hessische Kernkraftwerk Biblis nicht abgeschaltet werden muss?
Koch: Niemand darf Entscheidungen verzögern, damit Kraftwerke vom Netz gehen müssen. Da sind wir uns aber mit der Bundesregierung einig.
WirtschaftsWoche: Was verlangen Sie für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke?
Koch: Die Verlängerung wird es zugunsten der Gesellschaft geben, nicht zugunsten der Aktionäre von Stromkonzernen. Was die Unternehmen sparen, muss in die Energietechnik der Zukunft fließen.
WirtschaftsWoche: Zu 100 Prozent oder nur zu 50?
Koch: Ich nehme hier an keiner Versteigerung teil. Aber ein bloßer Anerkennungsbeitrag wird es nicht sein.