Investorenmodell für Opel
Gastbeitrag des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch im Handeslblatt
Opel ist ein wichtiges Unternehmen der für Deutschland zentralen Automobilbranche. Sein Verschwinden hätte ein bedrückendes Schicksal für Zehntausende von Familien zur Folge, würde das Innovationspotenzial verringern und dauerhaft den Wettbewerb verengen. Der Staat darf nicht jedes Mittel ergreifen, um dies zu vermeiden. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Er darf keine Risiken eingehen, die private Investoren nicht tragen wollen. Zugleich befinden wir uns in einer atypischen Krise. Um die systemisch bedingten besonderen Probleme der Finanzierung zu lösen, darf und muss der Staat befristet unterstützend eintreten. Bei Opel gibt es ohne staatliche Hilfe bislang keinen privaten Investor. Der Staat darf jedoch nicht ohne privaten Investor selbst handeln. Die nachfolgenden Punkte sind ein mit zahlreichen Beteiligten erörterter Vorschlag zur Lösung.
1. Es wird eine Europäische Opel/Vauxhall gegründet. Diese Gesellschaft wird mit frischem Kapital in ausreichender Größe für das gesamte Sanierungs-projekt ausgestattet. Dabei handelt es sich je nach der genauen Verteilung von Eigen- und Fremdkapital um eine Summe zwischen drei und fünf Milliarden Euro. In der neuen Aktiengesellschaft werden in geeigneter Weise alle europäischen Aktivitäten, die bisher General Motors gehören, gebündelt. Die neue Gesellschaft wird aus Deutschland geführt.
2. General Motors hält an dieser neuen Gesellschaft maximal 50 Prozent, auf Verlangen eines neuen Investors auch nur 49 Prozent der Aktien. Arbeitnehmer werden zur Beteiligung eingeladen, ebenso die Händlerorganisation. An der Rolle des privaten Investors ändert das nichts. Das Kapital der neuen AG muss durch Geld und nicht durch Sacheinlagen erbracht werden, da die gegenwärtige Opel-Gesellschaft ihr Kapital verbraucht hat.
3. Die öffentliche Hand bietet einem privaten Investor an, sein Engagement im Eigenkapital der neuen Gesellschaft in der Anfangsphase zu sehr erheblichen Teilen zu verbürgen. Das heißt konkret, ein Investor trägt in den ersten Jahren nicht oder nicht in vollem Umfang das Konkursrisiko der neuen AG. Nach einigen Jahren wird er aber das unternehmerische Risiko ohne Unterstützung zu tragen haben.
Dieses Engagement eines privaten Investors nimmt der Staat als Beweis der positiven Fortführungsprognose. Die Verbürgung des Eigenkapitals ist ungewöhnlich, jedoch in der systemischen Finanzkrise die einzige Möglichkeit zur Auflösung des Dilemmas. Die Verbürgung sollte in den ersten beiden Jahren sehr hoch sein, dann stufenweise reduziert und spätestens nach fünf Jahren beendet werden. Je nachdem, wie das Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital gestaltet wird, können normale Kreditbürgschaften in konventioneller Weise notwendig sein.
4. In einem schwierigen Umfeld für private Investoren besteht eine begründete Aussicht, allerdings keine Sicherheit, dass sich unter diesen besonderen Bedingungen Investoren finden lassen. Voraussetzung ist die Überprüfung und Bestätigung des von GM-Europa vorgelegten Sanierungs- und Zukunftskonzeptes. GM muss sehr aktiv an einem schnellen Due-Diligence-Verfahren mitwirken. Das Wissen der vom Staat beauftragten Wirtschaftsprüfer muss eingebracht werden.
Ich gehe davon aus: Die Perspektiven und Maßnahmen ermöglichen einem Investor eine dauerhaft ausreichende Verzinsung und innerhalb der kommenden sechs bis sieben Jahre auch eine nennenswerte Wertsteigerung des Aktienkapitals. In angemessenem Verhältnis zur Bürgschaft ist der Staat durch eine Art Besserungsschein an der Wertsteigerung zu beteiligen.
5. Ohne eine dauerhafte Verbindung zur GM-Organisation ist eine positive Prognose nicht denkbar. Daher kann eine abschließende Entscheidung von Investor und Bürgen erst nach den Entscheidungen in den USA zur Zukunft der Automobilindustrie getroffen werden. Das rechtfertigt aber kein Zögern bei der Vorbereitung. Die Bundesregierung muss Garantien der US-Regierung einfordern, dass gemachte Zusagen für Kapital- und Technologietransfer in jedem Fall eingehalten werden. Ein unerwünschter Abfluss von Geldern aus Europa wird durch die Gesellschaftsstruktur wirksam verhindert. Die Nutzung der in Europa erarbeiteten Patente und der Zugang zum gesamten GM-Patentpool müssen garantiert sein.
6. Ohne eine einschneidende Sanierung wird Opel keine Zukunft haben. Auch der faire Wettbewerb erfordert das. Es ist außerordentlich beachtlich, zu welchen Opfern die Arbeitnehmer nach Aussagen ihrer Vertreter bereit sind. Je mehr Werke erhalten werden, umso einschneidender werden diese Opfer für alle sein. Kein Werk sollte voreilig geschlossen werden. Die Kosten- und Kapazitätseinsparungen müssen ohne Abstriche durchgesetzt werden, um das Überleben sichern zu können. Unternehmensleitung und Arbeitnehmer müssen schnell die richtige Kombination dieser Maßnahmen aushandeln und gegenüber potenziellen Investoren verbindlich erklären.
7. Alle Maßnahmen sollten in einem ersten Schritt von deutscher Seite mit GM verhandelt werden. In einem zweiten Schritt nach erfolgten Strukturmaßnahmen müssen die Beiträge der Sitzländer der verbleibenden europäischen Produktionsstandorte in die Verhandlung einbezogen und im Wege von Kreditbürgschaften beteiligt werden.
Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass jeder dieser Schritte Fragen auslöst und neue Zweifler auf den Plan ruft. Dennoch, dieses Konzept hilft unter strikter Beachtung des Vorrangs privater Investoren. Es ist eine Chance. Es verschafft zugleich Antwort auf die Frage, ob es kundige und risikobereite Unternehmer und Kapitalanleger gibt, die auf die Zukunft Opels setzen. Bleibt nicht zuletzt die Frage, ob wir in der Politik risikobereit genug sind, in schwierigen Zeiten wie diesen den Versuch zu wagen, Opel eine solche Brücke in die Zukunft zu bauen.