Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung
FAZ: Herr Ministerpräsident, ist es leichter, mit einem Koalitionspartner zu regieren oder mit einer absoluten Mehrheit?
Roland Koch: Beides hat Vor- und Nachteile. Wir haben jetzt eine in der Sache sehr gut funktionierende Koalition, in der sich die handelnden Personen zudem sehr gut verstehen, was ebenfalls wichtig ist.
FAZ: Sie haben bei Ihrer Wahl nicht alle Stimmen der Koalitionsparteien bekommen.
Koch: Es gehört zu meiner politischen Lebenserfahrung, dass es nichts bringt, den Ausgang geheimer Wahlen zu diskutieren.
FAZ: Kommen wir zum Thema Opel: Warum sind Sie so vehement gegen ein Insolvenzverfahren bei Opel? Das moderne Insolvenzrecht zielt doch gerade darauf ab, ein Unternehmen in einer Krise nicht zu zerschlagen, sondern zu retten.
Koch: Erstens aus Rücksichtnahme auf ein Unternehmen, das am Markt erfolgreich sein will. Es darf nicht so weit kommen, dass ein Unternehmen allein deshalb stirbt, weil sein Tod herbeigeredet wird. Zweitens haben wir zwar inzwischen ein sehr gutes Insolvenzrecht, aber das hilft im konkreten Fall von Opel nicht weiter. Insolvenz bedeutet, dass man sich von bestimmten Zahlungspflichten befreit, und das betrifft in Deutschland normalerweise die Banken als Gläubiger. Opel hat aber keine einzige Bankverbindlichkeit. Manchmal betrifft es auch die Muttergesellschaft, aber in diesem Fall hat die Muttergesellschaft Schulden bei Opel, nicht umgekehrt. Wer als Gläubiger bleibt, sind die deutschen Automobilzulieferer, das heißt, im Falle einer Opel-Insolvenz reißen wir diese in den Strudel. Wir würden ein Problem verteilen, aber nicht lösen.
FAZ: Hat Opel eine Überlebenschance?
Koch: Opel hat dann eine Chance, wenn es gelingt, ein schlüssiges europäisches Modell zu entwickeln und eine neue europäische Unternehmenseinheit aufzubauen. Mit der Insolvenz würde die Abwicklung von Opel beschlossen, nicht der Fortbestand des Unternehmens. Kein Mensch hat das Recht zu sagen: Wir führen Opel auf jeden Fall – koste es, was es wolle – fort. Aber wir haben die Pflicht zu prüfen, ob und wie Rahmenbedingungen für eine Fortführung geschaffen werden können. In diesem Sinne hat die Debatte vom vergangenen Wochenende sehr geschadet, und noch solch ein Wochenende sollte sich die Politik nicht leisten.
FAZ: Andererseits macht die europäische GM-Sparte, von der Opel der größte Teil ist, seit Jahren Verluste. Wo soll künftig eine hinreichend große Zahl von Opel-Käufern herkommen?
Koch: Immerhin war das Opel-Geschäft in Deutschland bis zum Sommer 2008 profitabel. Bei der Frage, ob man aus Opel ein europäisches Unternehmen machen kann, das für einen privaten Investor interessant ist, bin ich durchaus optimistisch. Ja, es gibt Interessenten. Zurzeit können Opel und General Motors aber eine Reihe essentieller Fragen nicht beantworten, vieles hängt an der amerikanischen Regierung. Deshalb muss man die Konzeptdiskussion unter Annahmen fortführen und Vorbereitungen treffen. Wenn General Motors in den USA vom Markt verschwindet, gibt es keinen Technologiepartner mehr, und dann ist eine europäische Einheit zu klein. Ich persönlich glaube aber, dass es wahrscheinlicher ist, dass es General Motors in Amerika, in welcher Form auch immer, weiter geben wird. Aber ein Investor wird erst dann bereit sein, über einen Einstieg konkret zu verhandeln, wenn er das weiß. Das wird entweder am 31. März oder am 30. April der Fall sein – das sind die amerikanischen Fristen.
FAZ: Unabhängig davon, was in Amerika passiert: Wie lange wird die Phase der Unsicherheit noch anhalten, wann kann die Frage beantwortet werden, ob Opel als europäischer Konzern zu retten ist?
Koch: Das kann der Staat nicht entscheiden, das müssen private Unternehmer tun. Für ein Automobilunternehmen werden Banken im Jahr 2009 keinen Cent ungarantiertes Geld geben. Das liegt an der Bankenkrise, nicht so sehr an der Automobilkrise. Deshalb müssen wir eine kreative Lösung finden, und mein Vorschlag ist: Der Staat übernimmt dieses besondere Risiko für die nächsten zwei Jahre durch Bürgschaften, aber wir brauchen einen privaten Investor, der langfristig sein Kapital riskiert, weil er daran glaubt, dass er mit dem Unternehmen in fünf Jahren wieder etwas verdienen kann.
FAZ: Wie passen das l ,7-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramm des Landes und die Bürgschaftszusagen mit der erklärten Absicht Ihrer Regierung zusammen, ein Verschuldungsverbot in der Verfassung zu verankern?
Koch: Das Verschuldungsverbot, das ich für Hessen für unerlässlich halte, einzuhalten bedeutet eine große Herausforderung. An der Tatsache, dass man in einer Krisenzeit Geld zur Verfügung stellt, wird sich, unabhängig von einem Verschuldungsverbot, ja auch künftig nichts ändern. Selbstverständlich würden wir in einer vergleichbaren Krise im Jahr 2020 nicht sagen: Tut uns leid, wir lassen alles kippen, denn der Staat hat kein Geld. Aber wir müssen auch darlegen, wie wir langfristig sparen wollen.
FAZ: Zunächst werden aber noch einmal kräftig Steuermittel ausgegeben.
Koch: Wir ziehen wichtige Investitionen, vor allem für Schulen und Hochschulen, vor. Das ist wahr. Und mit Blick auf kleine und mittlere Betriebe in der Krise sprechen wir nahezu ausschließlich über Bürgschaften. Und wir können historisch einen Nachweis für das letzte Jahrzehnt führen, dass wir den weit überwiegenden Teil der geleisteten Bürgschaften, rund 95 Prozent, nie ausgegeben haben. Was wir auszahlen, ist Vertrauen, nicht so sehr Geld. Ich glaube nach wie vor, dass von den 500 Milliarden, die im Banken-Rettungsschirm sind, der Staat am Ende einen Gewinn haben wird.
FAZ: In Hessen wird die Nettoneuverschuldung in diesem und im nächsten Jahr jeweils um zwei Milliarden Euro steigen, das ist eine Menge reales Geld.
Koch: Wenn man mal von Opel und den Bürgschaften absieht, ziehen wir im Augenblick Investitionen vor, und natürlich erhöht das die Verschuldung. Aber im Prinzip ist die Antwort auch hier die gleiche: Was keine strukturelle Verschuldung ist, kann das Land schultern. Alles, was strukturelle Verschuldung ist, was also dauerhaft an Ausgaben für Personal, Infrastruktur, Forschung und Bildung bleibt, muss ich balancieren mit dem, was wir an Einnahmen erzielen.
FAZ: Aber schon da haben Sie ja ein Problem.
Koch: Richtig, aber ich empfehle, dass wir die beiden Probleme getrennt behandeln. Das, was wir jetzt einmalig zur Bewältigung der Krise ausgeben, können wir finanzieren. Aber nach dieser Krisenzeit, wenn die Steuereinnahmen und die Ausgaben wieder normal sind, wird es immer noch ein Defizit geben. Und dieses Defizit abzubauen, halte ich für unsere Verpflichtung. Das wird zu einer sehr schwierigen Debatte führen, die wir in Hessen in eine Volksabstimmung münden lassen werden. Weil ich nicht glaube, dass Politiker eine solche Aufgabe lösen dürfen und können, ohne die Zustimmung des Volkes dafür zu haben.
FAZ: In den Diskussionen um staatliche Hilfe für Opel drohen ein wenig die Mittelständler in Vergessenheit zu geraten.
Koch: Keineswegs. Jeder Zehn-Mann-Betrieb hat prinzipiell den gleichen Anspruch auf Landeshilfe wie Opel, auch auf die gleiche Intensität der Zuwendung. Ich bin gelegentlich etwas erstaunt, dass es im mittelständischen Gewerbe noch immer eine Hemmschwelle gibt, nach dem Motto: Man bittet den Staat nicht um Hilfe. Wirtschaftsminister Dieter Posch und ich sind bemüht, über die Kontakte zu den Industrie- und Handelskammern hinaus zu erreichen, dass in Schwierigkeiten geratene Unternehmen möglichst früh auf uns zukommen. Denn dafür sind die Hilfen des Landes eigentlich vorgesehen, und da sind wir ja mit unseren Bürgschaften – nicht erst jetzt, in der Krise – extrem erfolgreich. Wenn es nicht die Bereitschaft des Landes gäbe, in riskanten Situationen Bürgschaften zu übernehmen, gäbe es bekanntlich weder die Frankfurter Eintracht noch die „Frankfurter Rundschau“ noch.
FAZ: Wann ist die Wirtschaftskrise zu Ende?
Koch: Gute Frage. Ich persönlich glaube, dass die Bodenlinie noch in diesem Jahr erreicht sein wird.
FAZ: Warum?
Koch: Im Moment schaut noch jeder auf den anderen, um zu sehen, ob er sich bewegt. Nach einer gewissen Zeit werden die Ersten kommen und sagen: Da sich hier keiner mehr bewegt, riskier ich es mal.
FAZ: Und wann wird das sein?
Koch: Das hängt von der Entwicklung in den USA und in China ab – und natürlich auch davon, wann die Banken wieder ein verlässlicher Partner sein werden. Die Konjunkturprogramme des Staates sind da ja nur Überbrückungshilfen. Irgendwann werden die Ersten wieder mutig beim Investieren, und das wird in Hessen übrigens noch ein wenig länger dauern als in anderen Bundesländern, weil wir hier stärker als andere vom Export abhängig sind.
FAZ: Anderes Thema: Wie gehen Sie damit um, dass Ihnen kein Mensch abnimmt, dass es Ihnen als Mitglied des ZDF-Verwaltungsrats in der Frage der Neubesetzung der Chefredaktion um die Sache, die Zukunft des ZDF, und nicht um Parteipolitik geht?
Koch: Das ärgert mich. Ich habe versucht, darzulegen, dass es sich hier um eine substantielle Frage handelt, nachdem ZDF-Mitarbeiter einen Diskussionsprozess, der in die Gremien gehört, öffentlich gemacht haben. Ich habe nie geltend gemacht, dass ein CDU-naher Journalist Chefredakteur werden soll, wie ständig behauptet wird. Und das wird am Ende der Debatte ja auch auf gar keinen Fall so sein. Ich werde im ZDF-Verwaltungsrat nur einem Chefredakteur zustimmen, der auch die Stimmen meiner sozialdemokratischen Kollegen bekommt. Ich will eine einmütige Entscheidung. Die Unterstellung, ich würde in der Diskussion über Herrn Brender parteipolitisch etwas bereinigen können, ist Unfug. Aber wenn ich mir das Recht nehmen lasse, über eine einzelne Personalie und ihre Bedeutung für die Zukunft des ZDF zu diskutieren, ist der Verwaltungsrat sinnlos. Personalentscheidungen zu treffen ist nämlich dessen zentrale Aufgabe. Ob das den Leuten passt oder nicht.
FAZ: Bei vielen Menschen ist der Eindruck entstanden, es gehe um Politik, nicht um die Sache.
Koch: Es gibt in den Feuilletons Menschen, die der Ansicht sind, dass die Politiker möglichst ganz aus der Verantwortung für die öffentlich-rechtlichen Medien verschwinden sollten. Aus meiner Sicht wäre das nicht sehr vernünftig, denn ich glaube, die demokratische Legitimation von Politikern, auch die Verantwortung für öffentlich-rechtliche, von den Gebührenzahlern finanzierte Medien zu haben, ist genauso groß wie diejenige jedes Verbandsvertreters in den Gremien, sei es von Gewerkschaften oder anderen Organisationen. Das ZDF ist ein sehr guter Sender, wir reden darüber, wie man dafür sorgen kann, dass es auch für das nächste Jahrzehnt ein sehr guter Sender bleibt.
FAZ: Fällt das in das Kapitel, das einer Ihrer Parteifreunde einmal so beschrieben hat: Roland Koch macht gute Politik, aber nicht immer schöne Politik?
Koch: Das kann sein. Damit bin ich auch bereit zu leben, weil ich mich selbst am Ende daran messe, ob die Ergebnisse gut sind. Ich kann nur Politik machen, wenn ich dabei mit mir selbst im Reinen bin. Mir würde es wenig helfen, wenn mir die Demoskopen bestätigten, ich machte schöne Politik.
FAZ: Reden wir zum Schluss noch ein wenig über Sie. Haben Sie noch Lust auf Hessischer Ministerpräsident?
Koch: Das Amt des hessischen Ministerpräsidenten ist ein sehr stabiler, sicherer Ausgangspunkt für die nächsten fünf Jahre: Ich habe die Chance, mit einer sehr breiten Gestaltungsmehrheit Dinge zu verwirklichen, und ich kann auch Einfluss auf die nationale Politik nehmen. Viele, die in Berlin darüber nachdenken, wie man es denn dauerhaft in einem Bundesland, abschätzig Provinz genannt, aushalten könne, unterschätzen die Bandbreite der Möglichkeiten, die man hier hat. Zudem habe ich Gestaltungsmöglichkeiten im Bundesrat und als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender, habe mir über die Jahre Einfluss in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik erarbeitet. Ohne das alles würde ich vielleicht anders denken, aber angesichts dieser Möglichkeiten und permanent neuer Herausforderungen ist es sehr reizvoll, von Wiesbaden aus gestaltend zu wirken. Und abends daheim in Eschborn zu sein.
FAZ: Aber Ihre Begeisterung für das Amt ist nicht so groß, dass Sie in fünf Jahren noch einmal antreten werden?
Koch: Meine Professionalität gilt zunächst einmal der Gegenwart. Wer hat in Zeiten wie diesen schon einen Fünfjahresvertrag?
Die Fragen stellten Werner D’lnka, Ralf Euler und Peter Lückemeier.
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