Roland Koch im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Herr Ministerpräsident, am Dienstag haben SPD, Grüne und die Linke die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen beschlossen. Am Donnerstag haben Sie gesagt, dass Sie das Gesetz wegen seiner Fehlerhaftigkeit nicht unterschreiben werden. Sie haben Rot-Rot-Grün ganz schön vorgeführt. Da kommt Schadenfreude auf, oder?
Roland Koch: In der Politik geht es nicht um solche Gefühle. Aber mein Einschreiten war auch ein Hinweis darauf, dass Partnerschaft wechselseitig sein muss. Wir beraten, unterstützen, bieten Hilfe an. Wer diese Hilfe nicht annimmt, muss mit den Folgen rechnen.
F.A.S.: Dass diese Hilfe nicht angenommen wurde, wussten Sie schon am Dienstag. Warum haben Sie zu diesem Zeitpunkt nicht gesagt: Da steht Unsinn drin?
Koch: In dem Wettbewerb zwischen Regierung und Parlament, den die drei Linksparteien beim Thema Studiengebühren mit viel Brimborium aufgebaut hatten, müssen diese dann auch die Verantwortung dafür tragen, was sie im Parlament durchgesetzt haben. Und es ist ja nicht irgendein Fehlerchen. Die Mehrheit hat nicht nur die Studienbeiträge nicht abgeschafft, aber dafür die Darlehensregelungen gekippt – und das ist verfassungswidrig. Es hätte übrigens auch völlig ausgereicht, in der nächsten regulären Sitzung des Landtags, am 26. August, die Korrektur vorzunehmen. Die Sondersitzung am 17. Juni ist ja nur der Tatsache geschuldet, dass die drei Parteien glauben, mit dieser Blamage nicht eine ganze Sommerpause lang leben zu können. Wenn man von der Regierung sogar seitenweise exakte Vorschläge bekommt, wie Fehler zu vermeiden sind, und diese Vorschläge ignoriert, dann muss das politische Folgen haben. Sonst würden wir zu politischen Eunuchen werden. Mich wundert, dass Frau Ypsilanti über den „bösen“ Roland Koch schimpft, aber selbst nach einem so groben Fehler nicht die Spur von Selbstkritik zu erkennen ist.
F.A.S.: Wenn der fehlende Satz im Gesetz steht, werden Sie es dann unterschreiben? Oder haben Sie noch mehr Pfeile im Köcher?
Koch: Wenn unserem Änderungspaket jetzt gefolgt wird, dann ist das Gesetz aus meiner Sicht zwar immer noch politisch falsch, aber verfassungsrechtlich in Ordnung. Dann gehört es zu meinen Pflichten, es zu unterzeichnen. Die Rollenverteilung zwischen Parlament und Regierung gilt für beide Seiten. Und ich werde meinen Teil einhalten.
F.A.S.: Sie haben mit der verweigerten Unterschrift Wut ausgelöst. Die Roten schäumen, die Grünen auch. Ist ein Jamaika-Bündnis nun noch unwahrscheinlicher?
Koch: Ich teile Ihre Einschätzung überhaupt nicht. Denn die Parteien im Hessischen Landtag machen ihre mögliche Zusammenarbeit ja nicht davon abhängig, wie man auf Fehler der anderen Seite reagiert. Sondern sie wägen ihr mittelfristiges, eigenes politisches Interesse ab. Die Grünen müssen irgendwann entscheiden, ob sie als Anhängsel der SPD von Frau Ypsilanti in einen immer tieferen Strudel gezogen werden wollen. Oder ob für sie nicht andere Optionen interessanter sind. Solange sie nicht dialogbereit sind, kann es keine falsche Rücksichtnahme geben. Darüber sind die Grünen in Wahrheit auch nicht erstaunt. Und wenn Herr al-Wazir nach den Ereignissen dieser Woche feststellt, dass es auf Jamaika hagelt, dann zeigt das immerhin, dass er sich erstmals für die Wetterlage auf Jamaika interessiert.
F.A.S.: Wenn Sie die drei Parteien gemeinsam blamieren, schweißen Sie sie auch zusammen.
Koch: Nein, weil seit dem versuchten Wortbruch von Frau Ypsilanti die drei Parteien gern zusammen regieren würden. Sie können es aber nicht, sonst würden sie es schon längst tun. Im Moment entscheiden sich weder SPD noch Grüne für eine Alternative zu einer linken Mehrheit. Das wird erst geschehen, wenn die Erkenntnis gereift ist, dass man, so man Wahlen vermeiden will, zu anderen Konstellationen kommen muss. Bis dahin hat keiner Anstoß daran zu nehmen, dass der andere auch seinen eigenen politischen Vorteil sucht.
F.A.S.: Aber es könnte doch sein, dass sich unter dem Eindruck der Ereignisse das Meinungsbild in der SPD-Fraktion ändert und Frau Ypsilanti es noch einmal versucht, sich zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen?
Koch: Ob sich die Abgeordneten der Linkspartei ausliefern mit ihren teilweise absurden Vorstellungen – von der Europafeindlichkeit über die Abschaffung des Verfassungsschutzes bis zu hemmungsloser Verschuldungspolitik: diese Frage ist eine prinzipielle und hat nichts mit der tagespolitischen Auseinandersetzung zu tun. Und da scheint Frau Ypsilanti den Eindruck zu haben, dass Frau Metzger und einige andere in der SPD mehr Skrupel haben, ihr Wort zu brechen, als sie selbst.
F.A.S.: Die SPD und die Grünen haben Ihnen Tricksereien vorgeworfen.
Koch: Wir haben unsere Kooperationsbereitschaft bewiesen. Zum rot-grünen Gesetzesentwurf zur Abschaffung der Studiengebühren haben wir ihnen auf dem Silbertablett fast vierzig Seiten Änderungsvorschläge gemacht, so dass mich der eine oder andere aus unseren Reihen schon gefragt hat, ob das sein müsse. Der Finanzminister und sein Staatssekretär haben die Finanzierung des Gesetzes überhaupt erst möglich gemacht. Da ist die Regierung weit auf das Parlament zugegangen. Das wird auch übrigens weiterhin so sein.
F.A.S.: Sie verstehen sich also weiter als Partner des Parlaments? In den Augen von Frau Ypsilanti sind Sie das seit Dienstag nicht mehr.
Koch: Das bestreitet sie schon länger, weil sie davon ausgeht, dass das Parlament faktisch auch die Regierungsverwaltung übernimmt. Wenn man aber gut miteinander leben will, dann hat in der Demokratie jeder die Rechte des anderen zu respektieren. Wir als Regierung die des Parlaments, aber SPD und Grüne die der Regierung. Das ist eine Sache auf Gegenseitigkeit.
F.A.S.: Den SPD-Vorschlag zum Haushaltsrecht zählen Sie nicht zu dieser Gegenseitigkeit.
Koch: Nein, die bewährte Landeshaushaltsordnung besteht seit Jahrzehnten und ist mit allen Bundesländern abgestimmt. Danach setzt die Regierung im Haushaltsentwurf Prioritäten und gibt ihn dann für Änderungsvorschläge ins Parlament. Die SPD will nun, dass das Parlament Vorgaben machen kann. Das würde keine Regierung akzeptieren. Das ist ein Versuch, die hessische Sondersituation auszunutzen. Da sollen verfassungsrechtliche Prinzipien aus opportunistischen Gründen auf den Kopf gestellt werden.
F.A.S.: Apropos Finanzen: Das Land muss im Jahr 92 Millionen Euro aufbringen, damit die Universitäten die Einnahmen haben, die ihnen durch die Abschaffung der Studiengebühren entfallen. Ist das nachhaltig gesichert?
Koch: Das ist eine sehr schwierige Frage, weil die Mehrheit der drei linken Parteien sich wenig Gedanken über die Haushaltslage macht. Stattdessen stellt sie Anträge, die die Lasten des Landes erhöhen. Finanziert ist bisher nur, was wir bis zum Ende des Jahres auszugeben haben. Und das Ziel, 2011 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, darf nicht gefährdet werden.
F.A.S.: Haben Sie die Sorge, dass Hessens Universitäten nun von Studenten gestürmt werden, die kostenlos studieren wollen?
Koch: Ich habe zwei Besorgnisse: Ja, es kann sein, dass aus anderen Ländern nun mehr Studenten kommen und dadurch wegen des Numerus clausus weniger hessische Abiturienten in der Nähe ihres Wohnortes studieren können. Und das Zweite ist: Die Hochschulen haben gerade damit begonnen, sich auf eine Dienstleistungswelt einzustellen, darauf, dass Studenten gute Kunden und Studiengebühren mit der Erwartung an eine bestimmte Qualität von Lehre verbunden sind. Daraus wird jetzt wieder ein staatliches Gewähren von Lehre.
Das Interview führten Cornelia von Wrangel und Volker Zastrow.
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