Festakt am 11. Juni 2008 im Musiksaal des Hessischen Landtags
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist uns eine große Ehre, dass der Hessische Landtag mit dem Hessischen Friedenspreis jedes Jahr im Rahmen einer solchen Feierstunde die Bühne bietet, um jenseits der Verantwortung für unsere Region auch einmal über die gemeinsame Verantwortung für das friedliche Zusammenleben der Menschheit zu sprechen.
Dieses friedliche Zusammenleben zu organisieren ist eine dauerhafte Aufgabe. Auch in Zukunft werden wir uns auf die Suche nach verlässlichen Organisationsmechanismen begeben müssen, mit denen sich menschliches Fehlverhalten und menschliche Unzulänglichkeit eingrenzen lässt. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen: Die ökologische Herausforderung bei der Entwicklung unserer modernen Zivilisation ist ein Beispiel dafür. Doch in keinem anderen Feld werden die Gefahren in so schneller und so drastischer Weise augenfällig wie in der Fähigkeit des Menschen, die zerstörerische Kraft nuklearer Waffen einzusetzen – sofern er dies will und ihn keiner davon abhält. Zu verhindern, dass dies jemand will, und Instrumente zu finden, jemanden von einer solchen Maßnahme abzuhalten, stellt eine Aufgabe dar, die uns die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt hat und wahrscheinlich auch das gesamte vor uns liegende Jahrhundert noch beschäftigen wird.
Wir werden die Quelle des Risikos nicht beseitigen. Wir werden darüber hinaus vor der Gefahr stehen, dass die Zahl derer, die Zugang zu dem Bedrohungspotenzial haben, immer schwerer zu kontrollieren sein wird. Dennoch wird es unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass eine in die Milliarden gehende Zahl von Menschen auf der Welt nicht in täglicher Angst vor einer solchen Bedrohung leben muss. Dort, genau an dieser Stelle, setzt das Wirken von Senator Nunn an. Dafür – und für das, was er zusammen mit Richard Lugar im Senat der Vereinigten Staaten in die Wege geleitet hat – wollen wir ihn heute auszeichnen.
Wir Hessen sind nicht frei von diesen Erfahrungen. Viele amerikanische und russische Soldaten, viele Strategen weltweit, haben aus den Zeiten den Kalten Krieges „Point Alpha“ in Erinnerung. In unserem Bundesland bei Fulda gelegen, war es jener Ort, an dem die amerikanischen und sowjetischen Streitkräfte einander näher gegenüberstanden als an jedem anderen Punkt der damaligen Weltordnung. Und wir wissen sehr genau, was unter dem Stichwort „Fulda Gap“ als Szenario einer möglichen militärischen Auseinandersetzung in den Köpfen und Plänen der militärisch Verantwortlichen stand: Es beinhaltete die Gefahr eines Truppenaufmarsches – und die Verhinderung dieses Truppenaufmarsches durch den Einsatz nuklearer Waffen. Wenn wir als Hessen darüber reden, dass die Gefahr eines Nuklearwaffeneinsatzes eine Geißel der Menschheit darstellt und ein wichtiges Ziel in der Befreiung der Menschen vor diesem Albtraum liegen muss, dann sprechen wir also nicht ohne Betroffenheit. Die Verantwortung Deutschlands aus seiner eigenen Geschichte heraus verpflichtet uns, mit dieser Erfahrung in besonders sensibler Weise umzugehen – nicht nur, weil wir selbst betroffen sind, sondern weil wir wissen, welches Unheil Krieg in die Welt bringen kann.
Der Politikforscher und Futurologe Herman Kahn hat bereits 1960 in einem Buch zum Ausdruck gebracht, dass das Nuklearwaffenpotenzial von Ost und West eines Tages so unüberschaubar groß werden würde, dass beiden Seiten über alle weltanschaulichen Gegensätze hinweg an einer Verringerung ihrer Arsenale gelegen sein müsste. In den freiheitlichen Ländern ist dieser Gedanke schneller entstanden als in anderen Teilen der Welt. Insofern könnte man es als logisch ansehen, dass sich aus dem amerikanischen Parlament heraus eine Initiative zur Kontrolle und Eindämmung dieses nuklearen Risikos entwickelte. Aber nicht alles, was logisch ist, passiert am Ende auch. Und selbst eine Initiative von Senatoren, deren Macht und Einfluss sich mit unserem deutschen parlamentarischen System kaum vergleichen lässt – ich glaube, jeder Abgeordnete eines deutschen Parlaments wäre gerne einmal US-Senator –, aber auch eine solche Initiative ist aus sich heraus noch kein Selbstläufer. Doch Senator Sam Nunn und seinen Partnern ist es gelungen, im Ringen der Supermächte eine Veränderung herbeizuführen und die Welt letztlich ein Stück sicherer zu machen.
Wenn wir heute über neue Herausforderungen diskutieren, sollte uns eine Zahl in Erinnerung bleiben: Von mehr als 27.000 atomaren Sprengköpfen in der Welt sind nach Schätzungen der Carnegie-Stiftung immer noch rund 26.000 auf die USA und das heutige Russland verteilt. 16.000 Sprengköpfe befinden sich demnach in Russland, 10.000 in den USA. Dies bedeutet nicht zuletzt, dass beide Länder eine große sicherheitspolitische Verantwortung tragen. Senator Nunn hat bewiesen, dass man unter den Staaten Vereinbarungen treffen kann, die das Risiko, welches von solchen Waffen ausgeht, beherrschbarer machen. Zugleich liegt darin aber auch der Appell, neue Risiken nicht von vornherein als unbeherrschbar zu betrachten, sondern zu versuchen, Elemente der Beherrschbarkeit zu finden.
Es gibt immer mehr Staaten, die trotz aller Non-Proliferations-Abkommen Zugang zu atomaren Waffen haben. Es gibt immer mehr Staaten mit schwierigen inneren Strukturen, immer mehr Staaten ohne jegliche demokratische Struktur und ohne die friedenssichernden Tendenzen, die allen Demokratien innewohnen. Die Gefahr, dass nicht nur Staaten, sondern auch Einzelne in Form von kriminellen Machenschaften Zugang zu radioaktiven Stoffen bekommen könnten, hat leider Gottes zugenommen. Die Tatsache aber, Russland in den 90er Jahren geholfen zu haben, damit diese Gefahr nicht überbordend wurde, ist ein bleibendes Verdienst. Gerade in einem Land wie dem unseren, das von seiner Bedeutung als wichtiger Knotenpunkt im internationalen Handel und Verkehr lebt, liegt ein enormer Gewinn in der Gewissheit, keiner unmittelbaren Bedrohung durch Staaten oder kriminelle Gruppen ausgesetzt zu sein. Es ist ein Gewinn an Sicherheit, den wir nicht hätten ohne das, was Senator Nunn und seine Mitstreiter angeregt haben.
Deshalb hoffe ich sehr, dass von dem Signal des Hessischen Friedenspreises und der Arbeit der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung ein Impuls ausgeht. Ein Impuls, dass sich niemand zufrieden geben sollte mit der Situation einer Bedrohung, die für jeden einzelnen auf der Welt im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich sein könnte. Und dass es nicht allein des guten Zuredens bedarf, sondern verbindlicher und am Ende auch durchgesetzter Abkommen und Restriktionen. In Anbetracht der vielfältigen Bedrohungen auf der Welt gäbe es durchaus nachvollziehbare Gründe, zum Pessimisten zu werden. Aber Sie, verehrter Senator Nunn, sind einer von denjenigen, die mit ihrem politischen Wirken ein Beispiel gegeben haben, dass man nicht im Pessimismus verharren darf, sondern tatsächlich etwas auf der Welt bewirken kann. Diese Einsicht ist manchmal sogar wichtiger als ein konkreter Vertrag.
Herzlichen Dank dafür – und herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis!
Bildung
// Energie
// Finanzen
// Flughafen Frankfurt
// GM
// Interview
// Opel
// Schule
// Steuerpolitik
// Wirtschaft