Ministerpräsident Roland Koch im FAZ-Interview
FAZ: Herr Ministerpräsident, als „völlig unzureichend“ beklagt der Bund der Steuerzahler die Eckpunkte zur Föderalismusreform II. Wo sehen Sie Änderungsbedarf?
Roland Koch: Man sollte die guten Ansätze der Vorschläge nicht schlechtreden. Aber ungeklärt bei den Eckpunkten der Föderalismusreform II sind zwei ganz wesentliche Punkte: Höhe der Neuverschuldung und Abbau von Altschulden. Deutschland hat derzeit insgesamt Schulden in Höhe von 1,5 Billionen Euro, mit jedem sechsten Euro aus den Steuereinnahmen werden allein die Zinsen bedient. In den Eckpunkten ist mit keinem Wort geregelt, wann wir anfangen zu tilgen. In den weiteren Verhandlungen müssen wir außerdem hinbekommen, dass in Deutschland die Verfassung im Prinzip nur noch Haushalte zulässt, die ohne neue Schuldenaufnahme auskommen. Es darf hier nur sehr eng begrenzte Ausnahmen geben.
FAZ: Ende April forderten Sie einen „radikalen Schnitt“ in der Finanzpolitik und wollten durch einen gesamtdeutschen Fonds die 1,5 Billionen Schulden gemeinsam von Bund, Ländern wie Kommunen bis zum Jahr 2065 abbauen lassen. Wieso konnten Sie sich nicht durchsetzen?
Koch: Noch ist nichts beschlossen, noch wird diskutiert. Die Fragen nach den Altschulden müssen beantwortet werden. Aber es ist logisch, dass vorher geklärt sein muss, wie wir mit dem Problem der Neuverschuldung umgehen. Der Fehler, dass dies noch nicht geschehen ist, liegt ganz eindeutig bei der SPD. Als Vorsitzender der Föderalismuskommission II hat sich Peter Struck nicht herangewagt an die Klärung dieser Kernfrage. Es ist schade, dass er glaubt, nicht die Kraft zu haben, sich gegen die SPD-Linken, gegen Andrea Nahles und ihre Truppen, durchzusetzen.
FAZ: Die SPD bemängelt an der Union, die von Baden-Württembergs Günther Oettinger in der Kommission angeführt wird, sie habe kein Konzept.
Koch: Oettinger hatte von Anfang an ein klares Konzept. Bei der SPD herrscht das Durcheinander: Die SPD-Linke hält bis zu 0,75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Rahmen zur Kreditaufnahme für möglich, Bundesfinanzminister Steinbrück spricht von 0,5 Prozent. Klarheit dagegen hat die Union. Wir sagen: 0,0 Prozent; es sollten also gar keine neuen Schulden gemacht werden dürfen ohne entsprechende Begründung in eng definierten Ausnahmesituationen.
FAZ: Was für Ausnahmen dürften das sein?
Koch: Eine Naturkrise oder extrem schwache Konjunktur könnten weitere Schulden begründen. Dann muss aber sogleich unter Strafandrohung festgelegt werden, bis wann diese wieder getilgt werden müssen. Ich schlage hier einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren vor.
FAZ: Es soll nach den bisherigen Eckpunkten einen Fonds mit bis zu 1,2 Milliarden Euro für die höchstverschuldeten Länder Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein und Berlin geben. Inwieweit ist Hessen bereit, hier Zinsen für die Schulden der Undisziplinierten mitzuzahlen?
Koch: Gemeinsam mit Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg sichert Hessen diesen finanzschwachen Ländern über den Länderfinanzausgleich längst das Überleben. Dadurch haben wir zuweilen weniger Geld zur Verfügung als jene Länder, die wir aushalten. Das motivierte mich zu dem Modell eines radikalen Schnitts, dass wir uns alle gemeinsam um die Altschulden aller kümmern. Sollte es dazu jedoch nicht kommen und sollte Hessen trotzdem zusätzlich zum Länderfinanzausgleich Geld für die finanzschwachen Länder zahlen, erwarte ich noch sehr schwierige Diskussionen.
FAZ: Heißt das konkret, an Hessen könnte die Föderalismusreform II scheitern?
Koch: Wir wollen, dass schwächeren Bundesländern geholfen wird. Ohne Hessen wären manche davon längst bankrott. Aber wir kennen die Grenze unserer Belastbarkeit. Hessen wird nicht einfach zusätzlich zum Länderfinanzausgleich weiteres Geld geben. Für Hessen verlange ich, dass das Modell der Altschuldentilgung in der Föderalismuskommission II weiter berücksichtigt wird. Dadurch wäre Geld zu gewinnen, was eingesetzt werden kann zur Schuldenreduzierung der finanzschwachen Länder.
FAZ: Was halten Sie vom Eckpunkt der Kommission, dass der Staat bei Erreichen der Kreditgrenze Steuerzuschläge erheben darf? Ist da nicht Steuererhöhung programmiert?
Koch: Auf Dauer geht es nicht ohne dieses Instrument. Denn so hat der Bürger stets abzuwägen, ob er bereit ist, für zusätzliche staatliche Leistung auch zusätzlich Steuern zu zahlen. Die Schuldenbremse ist der eine Teil, und der andere ist, um im Bild zu bleiben, das Steuer-Gaspedal. Die Schweiz macht vor, dass es funktionieren kann. Dort wird in den Kommunen darüber abgestimmt, ob man sich ein neues Schwimmbad leisten will. Wenn ja, kostet es eben mehr Steuern. Nein würde also heißen: runter vom Gas. Die eigentliche Schuldenbremse würde dafür gar nicht betätigt. Deutlich wird dann auch: Wir können nicht mehr Bildung, mehr Straßen, mehr Freizeit auf Kosten der nächsten Generation finanzieren, sondern müssen direkt dafür zahlen, wenn wir uns das wirklich leisten wollen.
FAZ: Der rheinland-pfälzische Finanzminister Deubel (SPD) hat nun ein Kompromissangebot für seine Partei gemacht: Wenn die Union sich verpflichte, ein bestimmtes Steueraufkommen an der gesamtwirtschaftlichen Leistung zu garantieren, dann könne man auch eine Nullverschuldung, wie die Union sie will, festschreiben. Ist das ein Weg?
Koch: Der Vorschlag Deubels ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Auch die Union weiß, dass unterhalb einer bestimmten volkswirtschaftlichen Steuerquote unser moderner Staat nicht finanzierbar ist. Und unsere deutsche Quote ist ja keineswegs höher als in anderen vergleichbaren Ländern. Wenn das wirklich zum SPD-Angebot wird, sollten wir darüber reden.
FAZ: Ihr aus dem Amt geschiedener sächsischer Kollege Milbradt warnte im Frühjahr, wenn bis zur Sommerpause keine konkrete Einigung zur Schuldenbremsung vorliege, würde daraus nichts mehr. Hat er recht?
Koch: Manchmal dauern deutsche Sommer etwas länger. Weil sich aber das Zeitfenster der guten Konjunktur wie auch der großen Koalition absehbar schließt, muss bis Oktober die Arbeit der Föderalismuskommission II abgeschlossen sein.
Das Interview führte Wulf Schmiese.
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