Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Höchster Kreisblatt
Höchster Kreisblatt: Herr Ministerpräsident, in jüngster Zeit tauchen Sie bei offiziellen Terminen im Main-Taunus-Kreis relativ häufig auf. Ist das Wahlkampf oder Heimatliebe?
Koch: Ich denke schon, dass ich versuche, über die Jahre hinweg möglichst oft in meinem Heimatkreis präsent zu sein, aber sicher wäre ich gerne dort noch öfter unterwegs, als es für einen Ministerpräsidenten möglich ist. Grundsteinlegungen wie jetzt beim Bau der Stadtmitte Nord in Kelkheim gibt es jedoch nicht jeden Tag. Für einen Ministerpräsidenten ist es extrem schwierig, die Balance mit dem Wahlkreis zu halten, weil das Land Hessen sehr groß ist und ich überdies Verpflichtungen in Berlin, ja überall in Deutschland habe. Das alles zusammenzubringen, ist eine Herausforderung. Also bearbeite ich meinen Wahlkreis auch dadurch, dass ich Ihre Zeitung lese, durchaus mit vielen Menschen rede. Ich kann aber natürlich nicht so oft präsent sein, wie Kolleginnen oder Kollegen, die sich im wesentlichen auf die Wahlkreisarbeit konzentrieren.
Höchster Kreisblatt: Von der Zukunft des Main-Taunus-Kreises haben einige Politiker ja sehr konkrete Vorstellungen. Die Frankfurter würden ihn am liebsten filettieren und sich Eschborn herausschneiden. Als Ihr Justizminister noch Landrat des Hochtaunuskreises war, wollte Jürgern Banzer sich den MTK ganz einverleiben, während die SPD von einem Regionalkreis träumt. Ist der Main-Taunus-Kreis ein Auslaufmodell?
Koch: Ich bin überzeugt, dass die Struktur der Landkreise eine richtige ist und keine falsche. Ob sich in der damaligen Diskussion der Hochtaunus den Main-Taunus, oder der Main-Taunus den Hochtaunus hätte einverleiben können, ist angesichts der Gleichgewichtigkeit dieser beiden Landkreise nicht so leicht zu beurteilen, hat aber vor allem nichts mit dem Prinzip von Landkreisen zu tun. Dass die Fusion nicht zustande kam, war eine Frage des Klimas. Das stimmte nicht, und deshalb ist diese Debatte beendet. Die kann man in jeder Generation wahrscheinlich nur ein Mal führen. Die Frage von Eingemeindungen stellt sich nicht mehr. Das haben, glaube ich, alle gelernt, und da muss man auch keinen neuen Streit führen. Aber wer den Regionalkreis will, muss wissen, dass dies massiv die Zentralität fördert. Dass der Schattenminister meiner Gegenkandidatin, Herr Walter, die Kreise um Frankfurt herum und danach auch den Main-Taunus-Kreis abschaffen will, provoziert zurecht Empörung. Wenn ich zum Beispiel aus der Sicht von Hainburg im Landkreis Offenbach und von Hofheim die Frage diskutiere, wo eine spezielle Schule am besten errichtet wird und das wirtschaftlich sein soll, sitzt die immer in Frankfurt. Das gilt genauso für Krankenhausstandorte oder Nahverkehrsstrukturen. Die Existenz der Landkreise um Frankfurt herum ist für die Bürger eine wichtige Sicherheit, dass nicht nur auf Zentralität gebaut wird, sondern, dass bestimmte für die Menschen wichtige Einrichtungen dezentral erhalten bleiben. Deshalb bleibe ich dabei, dass für diese Rhein-Main-Region die polyzentrische Struktur ein Vorteil ist – mit allen Schwierigkeiten, Haken und Kämpfen. In der Abwägung mit einer größeren Zentraleinheit, wie ein Regionalkreis es wäre, meine ich eindeutig, es ist besser, die Landkreise zu erhalten. Wie soll ein Kommunalpolitiker aus Langenselbold beurteilen, was für Eppstein richtig ist.
Höchster Kreisblatt: Herr Koch, der Flughafenausbau wird die Region noch lange beschäftigen. Jetzt wird gerade das versprochene Nachtflugverbot aufgeweicht. Was können Sie den Menschen in Hattersheim, Flörsheim und Hochheim eigentlich noch Tröstliches erzählen?
Koch: Wir haben in der Diskussion um das Nachtflugverbot in den vergangenen Jahren schon einiges erreicht: Keine Galaxys mehr, kein Nacht-Poststern mehr, nur sehr verhaltene Diskussionen über Charterflüge – es wird zwar immer wieder versucht, aber das nehme ich nicht sehr ernst. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass wir heute wissen, dass wir ein Nachtflugverbot aussprechen können. Dafür habe ich gekämpft gegen viele Widerstände. Das wussten wir, als wir die Sache begonnen haben, nicht. Aber es ist wie beim Sonntagsfahrverbot in den 70er Jahren auf der Autobahn: Es gibt kein Verbot, bei dem nach sorgfältiger Abwägung des Staats keine Ausnahmen möglich sind. Auch damals wurden frische Waren angeliefert. Die Frage ist nun, wie beherrschen wir, dass die Zahl dieser Ausnahmen extremst gering ist, damit sie den Charakter des Nachtflugverbots nicht verwässern.
Höchster Kreisblatt: 41 Flüge der Lufthansa sind ja schon einmal eine Hausnummer…
Koch: Ich halte es für völlig legitim, dass jeder auf dieser Welt versucht, Wünsche zu äußern …
Höchster Kreisblatt: Mit dem Satz hintendran, sonst gehen wir woanders hin . . .
Koch: … aber das Leben ist auch für die Lufthansa kein Wunschkonzert. Was vor Gericht zählt, ist, ob und wie man eine Straße, Start- oder Landebahn zu bestimmten Dingen benutzen darf, ob es einen Anspruch dafür gibt. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht anhand der für Frankfurt wichtigen Urteile zu Berlin und zu Leipzig präzise Dinge gesagt. Etwa, dass die Lärmbelastung im Einzelfall gegen die volkswirtschaftlichen Interessen abgewägt werden muss – nicht gegen die betriebswirtschaftlichen Interessen der Lufthansa, sondern gegen das Interesse, ob der Raum Rhein-Main zum Beispiel darunter leiden würde, wenn wir Amerika frühmorgens nicht mehr mit Frachtgütern erreichen könnten. Es bleibt so gesehen nur ein kleiner Rest von Dingen, die Kläger geltend machen können. Die Zahl von 41 Nachtflügen überschreitet meine Vorstellungen. Wenn es in der Größenordnung bleibt, die der Chef des Regionalen Dialogforums, Prof. Wörner, mit 15 Flügen beziffert hat, dann wäre das eine Zahl, die uns niemand zugetraut hätte.
Höchster Kreisblatt: Lassen Sie uns auf ein anderes Thema zu sprechen kommen: Die Personalpolitik der Union im Main-Taunus-Kreis. Das muss doch weh tun: Gisela Stang, SPD, in Hofheim wiedergewählt und Michael Antenbrink, SPD, im schuckerabenschwarzen Flörsheim Bürgermeister. Was ist da schief gelaufen?
Koch: Ich glaube nicht, dass es wahnsinnig klug ist, dass ich dazu Kommentare abgebe. Natürlich tut es uns weh. Die Union hat allerdings die Personalwahl auch gewollt. Sie ist Chance und Risiko zugleich.
Höchster Kreisblatt: Hat die Partei im Main-Taunus-Kreis nicht mehr genügend Substanz, fehlen die guten Nachwuchsleute?
Koch: Bürgermeisterwahlen sind heute komplizierter durch die Direktwahl. Denn heute ist mehr denn je gefragt, örtliche Bewerber zu haben. Nicht immer und überall findet man Kandidaten im Ort, die alle Anforderungen erfüllen. Darunter leidet die CDU genauso wie die SPD – also die beiden Parteien, die im Regelfall den Bürgermeister stellen. Am glücklichsten ist eben der Verband, der sozusagen gewachsene Karrieren und Biografien aus der Kommunalpolitik präsentieren kann. Das war ein Stück Erfolgsgeheimnis der Flörsheimer Freunde. Es bricht aber auch mal ab – und wird auch wieder entstehen. Es ist ja nicht so, dass die CDU in Flörsheim aus dem Geschäft wäre.
Höchster Kreisblatt: Es gibt Parteifreunde in der Union, die Kritik am Kreisvorsitzenden üben und sagen, er hätte das Ganze nicht im Griff.
Koch: Es ist immer ein wenig im Preis inbegriffen, dass die höhere Ebene da ein bisschen in Anspruch genommen wird. Das gilt für einen Landesvorsitzenden und das gilt für einen Kreisvorsitzenden. Aber ein Kreisvorsitzender ist nicht der Vormund von Stadt- und Gemeindeverbänden. Die Menschen, die sich dort engagieren, würden es sich gar nicht gefallen lassen, dass einer von außen kommt und sagt, das macht ihr gerade mal alles anders herum. Flörsheim ist vielleicht ein gutes Beispiel dafür. Die haben genug Selbstbewusstsein, ihre Probleme selbst anzugehen und genauso das Recht, nach vielen Erfolgen mal daneben zu schlagen. Trotzdem spielt Axel Wintermeyer eine sehr wichtige Rolle hier im Main-Taunus-Kreis, der ja schließlich nach wie vor eine CDU-Hochburg ist. Es gibt genug Kraft, Kreativität und starke Leute, so dass die CDU mit einem gesunden Selbstvertrauen nach vorne blicken kann.
Höchster Kreisblatt: Axel Wintermeyer hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, auch einmal gerne nach Berlin zu gehen. Aber es heißt, der Heinz Riesenhuber sitzt so lange dort, bis Roland Koch den Posten mal gebrauchen könnte. Insofern sind Wintermeyers Chancen, nach Berlin zu gehen, gleich Null.
Koch: Bitte halten Sie den Ball flach. Ich brauche den Axel Wintermeyer in Wiesbaden, und ich habe den Eindruck, an der Schaltstelle der Entscheidungen – da sitzt nämlich ein parlamentarischer Geschäftsführer – kann man sehr viel mehr politisch gestalten als an vielen anderen fernen Plätzen. Insofern hoffe ich, dass er daran auch Spaß hat, so wie ich in der Zusammenarbeit mit ihm. Und dann lassen Sie doch mal alles ruhig sein, was die Zukunft angeht …
Höchster Kreisblatt: Na dann stimmt’s ja , dass Herr Riesenhuber Ihnen den Platz im Wahlkreis und Bundestag frei hält …
Koch: Nochmal, halten Sie den Ball bitte flach. Wir alle schätzen Heinz Riesenhubers Elan und seine Dynamik. Da gibt es manchen 40- oder 50-Jährigen, der kann sich bei ihm eine Scheibe abschneiden. Und so lange das so ist, hat Erfahrung Zukunft.
Höchster Kreisblatt: Erfahrungen haben Sie selbst ja auch schon reichlich gesammelt. Zum Beispiel mit dem Hofheimer Kreishaus. Das hat der Kreis für 90 Millionen Deutsche Mark von einem privaten Investor bauen lassen, um es dann nach horrenden Mietzahlungen für 90 Millionen Euro zurückzukaufen. Nun geht die Regierung Koch im Land den umgekehrten Weg. Sie verkaufen für einige Milliarden Gebäude, ganze Ministerien und Polizeipräsidien, um sie dann zurückzumieten. Wollen Sie die Immobilien später auch mal zum doppelten Preis zurückkaufen?
Koch: Da muss man doch ganz deutlich unterscheiden zwischen dem Bauleasing-Modell für das Hofheimer Kreishaus und den aktuellen Aktivitäten des Landes. Das Kreishaus wurde damals gemeinsam von CDU und SPD getragen, nachdem die kommunalen Aufsichtsbehörden dem Kreis den Bau aus Finanzgründen nicht erlauben wollten. Der Kreissitz sollte aber damals aus guten Gründen von Höchst nach Hofheim verlegt werden – dieser mutige Schritt, den wir in den 80er Jahren gemacht haben, ist für die Existenz dieses Kreises noch heute sehr, sehr wichtig. Und wie wichtig die Landkreise sind, das habe ich ja vorhin gesagt. Was wir im Land heute machen, ist das gleiche wie jedes große Industrieunternehmen, sich von seinen Immobilienbestandteilen weitgehend zu trennen, weil wir gar kein Interesse daran haben, große Immobilienbesitzer zu sein. Dem Landesrechnungshof müssen wir bei jedem einzelnen Verkauf nachweisen, dass das auf 20 Jahre gerechnet billiger ist, als wenn wir es selber in Besitz gehalten hätten. Wir sind flexibler geworden, haben gute Mietbedingungen ausgehandelt und müssen uns nicht mehr um die Renovierung der Gebäude kümmern. Das Land Hessen hat heute statt 2000 Leute in der Bauverwaltung nur noch 600. Übrigens wird auch die Polizeistation in Kelkheim nach diesem Modell errichtet. Wenn der Staat sie bauen müsste, würde sie in 10 Jahren noch nicht stehen.
Höchster Kreisblatt: Die Gemeinde Liederbach macht ein 20 Hektar großes Baugebiet auch von einer Internationalen Bauausstellung IBA abhängig. Warum haben Sie sich dafür entschieden, diese Bauausstellung erst einmal nicht anzugehen?
Koch: Die Frage ist, hat das Land Geld für eine Bauausstellung? Für die IBA steht ein Betrag von 40, 50 Millionen im Raum, den man innerhalb eines Jahrzehnts dafür aufwenden muss. Das Land wendet in dieser Zeit aber mehr als 40 Millionen für das Kulturprojekt auf, das wir gerade auflegen. Zwei Mal kann man das Geld nicht ausgeben. Die Priorität ist nach meiner Überzeugung richtig gesetzt, ich glaube, das Kulturprojekt Rhein-Main ist derzeit das wichtigere. Wenn die Leute in Europa Frankfurt etwas zutrauen, dann ist das hier eine prägnante Stadtstruktur. Wir sind die einzige Stadt in Deutschland mit einer sichtbaren Skyline, wir haben vorbildliche Siedlungsprojekte innerhalb der Region. Aber Frankfurt büßt international an Stellenwert ein, weil diejenigen, die hierherkommen sollen, sagen: Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen eher kulturelle Diaspora – obwohl das teilweise nicht stimmt. Wir haben uns entschieden, gemeinsam mit vielen in der Region, das kulturelle Programm so zu bündeln, dass daraus eine vernünftige Botschaft wird. Das ist jedenfalls für die nächsten Jahre das drängendere Problem.
Höchster Kreisblatt: Warum braucht das Rhein-Main-Gebiet noch ein Multifunktionscenter für Sport und kulturelle Veranstaltungen und warum sollte das in Eschborn stehen?
Koch: Ich glaube, dass ein Landkreis bestimmte Zentralfunktionen vorhalten muss. Wir haben ja schon immer die Kreissporthalle in Kriftel, das heißt, es ist nicht neu, dass sich der Kreis an bestimmten Stellen, wo er Schwerpunkte hat, engagiert. Ich glaube auch, dass Berthold Gall die richtige Frage aufgeworfen hat: Ist es vernünftig, wenn ich mich auf Flächen, an denen ich solche Dinge machen kann, alleine auf den Sport konzentriere oder muss ich nicht eine Multifunktionshalle daraus machen, die im Vergleich zu dem, was jedes einzeln kostet, die billigere Version ist? Aber ich bin zu sehr Landespolitiker, als dass ich sage, das ist richtig oder falsch. Da muss der Kreistag am Ende eine Entscheidung treffen. Eschborn ist sicher ein Platz, der nicht gleich die nächste Bürgerinitiative gegen Verkehrsbelastung mit sich bringen würde. Und da gibt es ja nicht so viele Plätze. Ich möchte mal sehen, wenn man diese Multifunktionshalle dorthin bauen wollte, wo jetzt die Kreissporthalle in Kriftel ist, wieviel Protest wir dann wegen des Verkehrs hätten. Aber egal an welchem Standort: Die wichtigste Entscheidung muss sein, will der Kreis seinen Vereinen, seinen Verbänden – auch denen zum Beispiel, die in der Musik tätig sind – etwas Zusätzliches anbieten oder will er das nicht? Und dann müssen die Kommunalpolitiker entscheiden, wo das ist. Und ich werde einen Teufel tun zu sagen, das muss da oder dort hin.
Höchster Kreisblatt: Sie haben in ihrem Wahlkreis den früheren Parteifreund Thomas Braun aus Bad Soden als Gegenkandidaten, mit dem Sie Stress hatten – Stichwort Geld für Nicht-Antritt der Freien Wähler bei der Landtagswahl. Können Sie sich vorstellen, falls die FWG den Sprung in den Landtag schafft, mit Herrn Braun über eine Regierungsbildung zu verhandeln?
Koch: Ganz offen gesagt, ich glaube nicht, dass die FWG den Sprung in den Landtag schafft.