Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“
FAS: Ihr kürzlich verstorbener Vater war wie Sie Politiker, Herr Koch. Haben Sie von ihm etwas für diesen Beruf gelernt?
Koch: Ich bin nicht nur Politiker wie mein Vater, sondern ebenso wie er es war, Rechtsanwalt. Da ist die Leidenschaft für die anwaltliche Tätigkeit immer ein sehr wichtiger Maßstab für die Politik. Das heißt: Klare Positionen beziehen und dennoch in der Lage sein, diese in Verhandlungen am Ende mit den Positionen Andersdenkender in einem vernünftigen Kompromiss zu vereinen. Nur so kann man als Politiker ein Ergebnis erzielen.
FAS: Der Politiker als Anwalt oder der Anwalt als Politiker?
Koch: Anwalt wie Politiker versuchen, konkurrierende soziale Umstände, Umstände der Zeit in Übereinstimmung zu bringen. So wie die Freiheit des anwaltlichen Handelns da aufhört, wo das Recht ihm Grenzen setzt, endet die des Politikers da, wo seine Werte und Überzeugungen berührt werden. Und natürlich auch bei den Gesetzen.
FAS: Es gibt nicht viele prominente Politiker, deren Väter bereits in politischen Führungspositionen waren. Woran liegt das?
Koch: Kinder von Politikern erleben, wie überdurchschnittlich viel Zeit dieser Beruf erfordert. Und dass Politiker in der Öffentlichkeit oft heftig in der Kritik stehen, spielt sicher auch eine Rolle. Das führt in aller Regel nicht zu dem Wunsch, eine solche Lebensform zu kopieren. Hinzu kommt, dass der Politiker für seine Achtzig-Stunden-Woche deutlich weniger Geld bekommt, als jemand in der Wirtschaft mit vergleichbarer Verantwortung.
FAS: Hat der Familienvater Koch je ernsthaft versucht, diesen Zeitaufwand zu verringern?
Koch: Ich fühle mich nicht von meiner politischen Tätigkeit aufgefressen, selbst wenn meine Familie das anders sehen sollte. Jedenfalls nehme ich konsequenter als mancher Politiker in vergleichbarer Position Urlaub, und außerdem schütze ich die Privatsphäre, also die Familie, so gut es geht, vor zuviel Vereinnahmung durch die Politik. Doch lebe ich immer in dem Gefühl, beruflich Dinge nicht zu schaffen, zu denen ich mich verpflichtet fühle. Das hindert mich oft daran, im Privaten abzuschalten. Und so richtig Ruhe, so hundertprozentig, das gibt es in meinem Beruf nur ganz selten.
FAS: Vom Politiker zur Politik: Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck wirft Ihrer Partei, der CDU, vor, sie vernachlässige die soziale Gerechtigkeit, sei neoliberal. Hat er Recht?
Koch: Nein, hat er nicht. Herrn Becks Kritik ist alles andere als konsistent. Er wirft der CDU einerseits neoliberale Gesinnung vor. Andererseits verlangt er, dass Leistung honoriert werden müsse, was ein Kerngedanke der sozialen Marktwirtschaft ist, für die wir stehen. Die Begründer der sozialen Marktwirtschaft werden übrigens die Neoliberalen genannt. Beck verwendet den Begriff „neoliberal“ in falschem Zusammenhang, als untaugliches Schimpfwort. Aber es ist wohl eher nach innen gerichtet, soll die eigenen Leute bei der Stange halten. Der SPD-Vorsitzende versucht, sich verbal der Linkspartei anzunähern, um die SPD zu beruhigen. Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge.
FAS: Beck hat offenbar das gleiche Problem wie Sie: Er will vom Rhein nach Berlin.
Koch: Erstens: Ich fühle mich in Wiesbaden als hessischer Ministerpräsident sehr wohl. Zweitens: Ich weiß nicht, ob Kurt Beck nach Berlin will. Aber er sollte doch gelernt haben, dass die SPD mit der Annäherung an die ehemalige SED in den neunziger Jahren einen katastrophalen Fehler gemacht hat. Indem die Sozialdemokraten Bündnisse mit der PDS eingegangen sind, haben sie die Grenzen zwischen demokratischen Parteien und solchen, die man in der Demokratie nicht haben will, verwischt. So konnte Oskar Lafontaine eine Gegenkraft aufbauen, die für die SPD inzwischen höchst gefährlich geworden ist.
FAS: Ihr Argument, Politik müsse dem Menschen die Möglichkeit geben, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, benutzt die SPD, um die Forderung nach einem staatlichen Mindestlohn zu begründen.
Koch: Ich werde mit allen mir zu Gebote stehenden Möglichkeiten gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns angehen. Es darf nicht sein, dass der Staat sagt, welches der gerechte Preis für Arbeit ist. Das muss der Markt tun. Wir haben keinen staatlich festgelegten Brotpreis, keinen für Salat und brauchen keinen für Arbeit. Und es ist viel besser, wenn jemand für einen niedrigen Lohn arbeitet und der Staat diesen aufstockt, damit er davon leben kann, als dass er – weil sich ein Mindestlohn nicht rechnet – arbeitslos wird und die Gemeinschaft ihn komplett alimentiert.
FAS: Wird die soziale Gerechtigkeit das große Streitthema der nächsten Bundestagswahl?
Koch: Ob die SPD darin ihr Glück suchen wird, weiß ich nicht. Aber die Sozialdemokraten sehen natürlich, dass es unter der von ihnen geführten früheren Regierung wirtschaftlich bergab gegangen ist, seit Angela Merkel Kanzlerin ist, jedoch wieder aufwärts geht. Werben mit eigener Wirtschaftskompetenz scheidet da aus. Also versucht die SPD, ein anderes Thema zu finden – alles sieht ein bisschen verzweifelt aus.
FAS: Was gibt es denn noch zu tun für die große Koalition?
Koch: Die Bundesregierung hat schon viel damit zu tun, das Angefangene zu einem guten Ende zu bringen. Ich unterschätze diese Aufgabe nicht. Nehmen sie nur die Haushaltskonsolidierung, eine der wichtigsten, ja historischen Aufgaben der großen Koalition. Die ist noch lang nicht bewältigt. Wenn alles gut geht, kann es im Haushalt 2010 gelingen, keine neuen Schulden zu machen. Doch davon sind wir heute noch weit entfernt.
FAS: Nichts Neues bis zur Wahl?
Koch: Doch. Die Erbschaftssteuer ist ein wichtiges Vorhaben, auch am Arbeitsmarkt muss, besonders für die Geringqualifizierten, noch viel getan werden. Eines wird aber immer deutlicher: Die großen Fragen des Arbeitsrechts sind mit den Sozialdemokraten nicht zu lösen. Das gilt für Teile der Gesundheitsreform ebenso wie für Teile der Reform der Pflegeversicherung.
FAS: Womit wirbt die CDU um den konservativen Teil ihrer Wähler?
Koch: Konservative Wähler erwarten von der Politik, dass diese ihnen die Freiheit zur eigenen Lebensgestaltung gibt. Außerdem muss ihre Sicherheit gewährleistet sein, auch das gehört zur Freiheit. Schließlich wollen sie nicht, dass ihre Grundwerte angetastet werden. Das alles leisten wir. Es ist richtig, dass die CDU in ihrem Grundsatzprogramm am hohen Wert der Freiheit festhält.
FAS: In den Wahlkampf ging die CDU mit einem wirtschaftsliberalen Programm, den wirtschaftlichen Aufschwung erreicht sie, indem sie sehr viel Geld in die Hand nahm. Das ist Keynes statt konservativ.
Koch: Na ja, es sind 25 Milliarden verteilt über vier Jahre. Das ist angesichts von 500 Milliarden Steueraufkommen im Jahr eine große, aber doch keine unmäßige Summe. Außerdem wird nicht alles Geld in Konjunkturprogramme investiert, sondern viel in die Bildung. Es wäre im Übrigen schön, wenn die Bundesregierung Letzteres stärker herausstreichen würde.
FAS: Die Familienpolitik der CDU, die starke Ausrichtung auf Erwerbstätigkeit der Frauen und Fremdbetreuung von Kindern ist aber nicht sehr konservativ.
Koch: Es hat keinen Sinn, einem einzigen Modell das Wort zu reden, das mit der praktischen Lebenserfahrung vieler Beteiligter – auch der Konservativen in der CDU – nichts mehr zu tun hat. Junge Frauen wollen heute arbeiten und auch Kinder bekommen. Ihre Mütter sind stolz darauf, dass sie es an Schulen und Hochschulen weit gebracht haben. Und wir müssen politisch helfen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit aus dem Kinderwunsch der jungen Frauen auch Kinderwirklichkeit wird. Wenn wir das nicht akzeptieren, werden wir dauerhaft unglaubwürdig. Wenn eine Partei nicht den Mut hat, so eine Debatte zu durchleben, verliert sie den Anschluss an die nächste Generation. Ich kämpfe für das Recht auf Wahlfreiheit. Viele junge, gut ausgebildete Frauen werden aber nie und nimmer die CDU wählen, wenn wir ihnen sagen: Entscheidet Euch gefälligst zwischen Beruf und Familie. Sie werden sich dann gegen die Familie und gegen die CDU entscheiden.
Das Interview führten Eckart Lohse und Volker Zastrow