Koch: „Ideologie hat selten für Arbeitsplätze gesorgt“
Roland Koch im Welt-am-Sonntag-Interview
Hessens früherer Ministerpräsident Roland Koch über sein neues Leben als Vorstandschef von Bilfinger Berger, die Krise Europas und die Gehaltsunterschiede zwischen Politik und Wirtschaft.
Dirk Metz kennt Roland Koch gut genug, um zu wissen, was sein früherer Chef besonders gern trinkt. Metz war Sprecher der hessischen Landesregierung und arbeitet heute als Kommunikationsberater in der Frankfurter City. Das Interview mit Koch findet bei Metz im Unternehmen statt, und Metz stellt Koch eine Flasche Cola auf den Konferenztisch. Doch Koch schiebt sie beiseite und verlangt von seinem verblüfften Gastgeber eine kalorienärmere Variante. Der Vorstandsvorsitzende des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger Berger will etwas Gewicht verlieren und hält Diät.
Welt am Sonntag: „Politik ist nicht mein Leben“ – mit diesem Satz haben Sie vor fast drei Jahren Ihren Abschied aus der Staatskanzlei in Wiesbaden angekündigt. Trotzdem: Vermissen Sie manchmal das Regieren?
Roland Koch: Mir hat die Politik große Freude gemacht, und das ja über viele Jahre. Aber ich vermisse diese Arbeit nicht. Ich freue mich, dass ich jetzt ein großes deutsches Unternehmen leiten darf. Beide Welten in verantwortlicher Position zu erleben empfinde ich als Privileg.
Welt am Sonntag: Ist Wirtschaft Ihr Leben geworden?
Koch: Es ist nicht mein ganzes Leben, aber ein wichtiger Teil davon.
Welt am Sonntag: Was unterscheidet einen guten Unternehmer von einem guten Politiker?
Koch: Die Unterschiede sind gar nicht so groß. Unternehmer müssen genauso wie Politiker die Fähigkeit haben, Menschen zusammenzubringen, Entscheidungen herbeizuführen und dafür zu sorgen, dass die Entscheidungen auch umgesetzt werden. Die mediale Beobachtung ist in der Politik natürlich deutlich intensiver und persönlicher. Ein Politiker darf nichts tun, ohne jedenfalls zuvor darüber nachzudenken, welche öffentliche Wirkung das hat. In meinem heutigen Beruf ist das anders, was mir sehr recht ist.
Welt am Sonntag: Eine Partei kann so etwas wie Heimat sein. Gilt das auch für ein Unternehmen?
Koch: Die CDU bleibt meine Heimat – auch wenn ich keine Funktion in der Partei mehr habe. Bei einem Unternehmen ist das natürlich etwas anders als bei einer Partei mit ihren Werten und ihrem Lebensgefühl. Aber wenn ich sage, dass ich ein Bilfinger bin, dann meine ich das auch so. Ich identifiziere mich stark mit meinem Unternehmen, und ich fühle mich sehr wohl dabei.
Welt am Sonntag: Haben Sie jetzt mehr Zeit für Ihre Familie?
Koch: Das Wochenende hat eine andere Qualität bekommen. Dieses mechanische Verplantsein mit Termin an Termin gibt es nicht mehr. Ich lese auch am Wochenende die eine oder andere Akte, aber das lässt sich gut einteilen – und daher kann ich das Wochenende mit Familie und Freunden genießen. Natürlich habe ich immer noch einen 70-Stunden-Job, aber als Vorstandsvorsitzender wird man ja auch gut bezahlt. Da ist es selbstverständlich, sich mit Haut und Haaren für das Unternehmen einzusetzen.
Welt am Sonntag: Als Ministerpräsident haben Sie weniger verdient als die Bundeskanzlerin, jetzt bekommen Sie wahrscheinlich mehr als ein Sparkassendirektor. Wie nehmen Sie die Gehälterdebatte wahr, die SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück angestoßen hat?
Koch: Ich wundere mich über diese Diskussion. Peer Steinbrück ist eigentlich erfahren genug, um zu wissen, dass die Gehaltsunterschiede zwischen Politik und Wirtschaft erstens gut begründet und zweitens nicht zu ändern sind. Zur demokratischen Welt gehört, dass die Bürger die Gehälter von Politikern noch in einer gewissen Relation zu ihrem eigenen Gehalt sehen wollen und können. In der Wirtschaft ist das völlig anders. Da geht es um die Frage, welchen Anteil der Rendite die Eigentümer eines Unternehmens an das Management abgeben. In den meisten Großunternehmen, bei Bilfinger sehr stark, orientieren sich Managergehälter übrigens am Erfolg.
Welt am Sonntag: Sie waren Gast beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Koch: Die Lage der Wirtschaft wird weniger dramatisch eingeschätzt als noch vor einem Jahr. Alle sehen immer noch die Risiken: die erschütterte Stabilität des europäischen Raums, die Schuldenprobleme der Amerikaner und die Frage, ob die chinesische Führung das Wirtschaftswachstum auf relativ hohem Niveau halten kann. Keiner der Verantwortlichen, die ich erlebt und gesprochen habe, behauptet, die Probleme seien gelöst. Aber bei allen drei großen Herausforderungen überwiegt die Einschätzung, dass es in eine positive Richtung geht. Die Wirtschaft wird in diesem Jahr nicht kometenhaft aufsteigen, aber auch nicht in neue Turbulenzen geraten.
Welt am Sonntag: Ist Europa dabei, die Krise zu überwinden?
Koch: Ich würde von einer Seitwärtsentwicklung mit positiven Tendenzen sprechen. Die Euro-Krise ist nicht vorbei, aber sie ist beherrschbar geworden. Vor einem Jahr gab es in Davos noch einige, die gewettet haben, dass der Euro in der bisherigen Form nicht überleben wird. Da werden jetzt erhebliche Wettschulden fällig.
Welt am Sonntag: Was bedeutet diese Entwicklung für Ihren Konzern?
Koch: Unsere exakten Zahlen werden im Februar bekannt gegeben. Ich sehe aber keinen Anlass, pessimistisch in das neue Jahr zu blicken. Bilfinger profitiert davon, dass die deutsche Industrie ausgelastet ist. Und die Rückschläge, denen viele unserer europäischen Kunden ausgesetzt sind, können wir durch internationale Aktivitäten kompensieren.
Welt am Sonntag: Wird die Rolle der Bundeskanzlerin als Euro-Retterin überbewertet?
Koch: Keineswegs. Deutschland ist in einer Schlüsselrolle, und Angela Merkel gelingt es, die richtige Balance zu finden. Sie bewegt die europäischen Schuldenstaaten zu notwendigen Reformen. Und sie hält in Deutschland eine proeuropäische Stimmung aufrecht. Das ist eine beachtliche Leistung. Da hätte auch viel schiefgehen können, man denke nur an die Gründung einer europafeindlichen Partei.
Welt am Sonntag: Welches Land macht Ihnen die größten Sorgen?
Koch: Frankreich. Alle anderen europäischen Länder sind auf dem Pfad, den sie eingeschlagen haben, mehr oder weniger erfolgreich. Eine ökonomische Havarie Frankreichs jedoch kann man nicht mehr ausschließen. Daher hoffe ich, dass der französische Präsident rechtzeitig den Weg von seinen Wahlversprechen zur Realität findet.
Welt am Sonntag: Und wenn nicht?
Koch: Ich glaube, dass die Zahl der suizidgefährdeten Politiker begrenzt ist. Sie alle wollen wiedergewählt werden. Und die ökonomischen Bedingungen sind so hart, dass man sich ihnen allenfalls eine begrenzte Zeit entziehen kann. Die industrielle Basis Frankreichs kann nur stabilisiert werden, wenn die Bereitschaft groß genug bleibt, von außen in dieses Land zu investieren. Die Wirtschaft verliert sehr schnell wertschöpfende Arbeitsplätze. Und das ist noch schwerwiegender, als wenn vermögende Schauspieler das Land verlassen.
Welt am Sonntag: Wäre das Krisenmanagement einfacher ohne die Briten?
Koch: Nein. Beim Krisenmanagement ist London loyal. Eine andere Frage ist, ob die europäische Einigung ohne Großbritannien einfacher wäre. Jedenfalls wird kein europäisches Land die Chance haben, seinen Wohlstand allein zu verteidigen. In einer Welt, in der der Anteil der Europäer an Weltbevölkerung und Weltwirtschaft immer kleiner wird, kann das den Europäern nur gemeinsam gelingen. Und Großbritannien kann nicht bestimmen, wie weit die Integration Europas gehen wird. Ich sage nicht, dass wir die Vereinigten Staaten von Europa gründen müssen. Ich sage nur, dass eine Freihandelszone zu wenig wäre, um in der Welt zu bestehen.
Welt am Sonntag: Sind Sie in Davos auch auf die deutschen Großprojekte angesprochen worden, die in Schieflage geraten sind?
Koch: Nein, das war kein Thema. Es mag sein, dass der eine oder andere über diese Misslichkeiten grinst. Dass der Berliner Flughafen und die Elbphilharmonie schiefgegangen sind, ist ja auch ärgerlich – und es schadet dem Ansehen des Wirtschaftsstandorts. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Deutschland sehr wohl in der Lage ist, Großprojekte zu organisieren. Wir von Bilfinger wirken an zahlreichen solcher Projekte im In- und Ausland erfolgreich mit.
Welt am Sonntag: Nehmen wir den Berliner Flughafen: Haben Sie eine Erklärung für das Fiasko?
Koch: Da bin ich sehr vorsichtig, denn von außen lässt sich das nur schwer beurteilen. Dass es Managementfehler gegeben hat, ist offenkundig. Die Entscheidung der Berliner Politik, aus Kostengründen auf einen Generalunternehmer zu verzichten, war sicher nicht hilfreich. Da kann der eine schnell behaupten, er habe mit dem anderen nichts zu tun. Aber kein Unternehmen darf so arrogant sein zu sagen, dass bei ihm alles funktioniert – und der Staat darf es erst recht nicht.
Welt am Sonntag: Ist der Staat der schlechtere Bauherr?
Koch: Der Staat baut teurer und langsamer. Das liegt aber auch an den komplizierten Regelungen bei der Auftragsvergabe, zum Beispiel, um richtigerweise vor Korruption zu schützen. Über manche Bemerkung des Rechnungshofs, öffentliches Bauen sei zu den gleichen Bedingungen möglich wie privates, kann ich mich nur wundern. Ich habe mich als Ministerpräsident darum bemüht, so viele Projekte wie möglich in private Hände zu geben. Der Staat sollte nur machen, was unbedingt notwendig ist.
Welt am Sonntag: Eignen sich Politiker als Aufseher großer Bauvorhaben?
Koch: Warum denn nicht? Die beiden Ministerpräsidenten, um die es beim Berliner Flughafen geht, steuern ja auch Milliardenhaushalte und große Verwaltungen. Private Aufsichtsratsvorsitzende machen genauso Fehler. Eine Mischung aus Politik und Fachverstand ist aus meiner Sicht angemessen.
Welt am Sonntag: In der Politik wird über Sexismus diskutiert. Ist das auch in der Wirtschaft ein Thema?
Koch: Rücksichtnahme aufeinander ist immer ein Thema, ob im kleinen Biotop eines Unternehmens oder in der großen Welt. Was wir brauchen, ist eine sachliche Diskussion – und keine Skandalisierung.
Welt am Sonntag: Was unternimmt Bilfinger, um Zudringlichkeit am Arbeitsplatz zu unterbinden?
Koch: Wir sind ein internationales Unternehmen mit vielen Kulturen, und Respekt vor Menschen gehört zu unseren ethischen Standards. Jedes Individuum muss den gleichen Respekt bekommen. Das gilt gerade für den Umgang zwischen Männern und Frauen. Ein lockerer Spruch muss natürlich auch mal möglich sein, wenn er nicht aus mangelndem Respekt gemacht wird. Wir bei Bilfinger pflegen eine Kultur, in der jeder vom anderen weiß: Der nimmt mich ernst. Auf dieser Basis kann man über vieles lachen.
Welt am Sonntag: Treibt es Sie um, dass Frauen in deutschen Unternehmen spürbar weniger verdienen als Männer?
Koch: Die Frage des Verdienstes beschäftigt mich – genauso wie die Frage der Karrierechancen. In meinem Unternehmen tun wir vieles, und wir müssen auch vieles tun. Die Bauwirtschaft, zu der Bilfinger bis vor wenigen Jahren gehörte, ist eine traditionelle Männerdomäne. Der Anteil der Ingenieurinnen, die Bilfinger einstellt, ist aber bewusst höher als die Quote der Hochschulabgängerinnen in solchen Fächern. Wir brauchen die Effektivität und Kreativität von Frauen, damit unser Unternehmen erfolgreich bleibt. Entscheidend ist dabei ehrliches Bemühen der Führung, nicht Quoten.
Welt am Sonntag: Das müssen Sie erklären.
Koch: Noch vor zehn Jahren haben sich bei Bilfinger praktisch keine Frauen beworben. In einer Diskussion über die richtige Führung kann ich da nicht als Erstes mit Quoten kommen, sondern ich muss die Einstellung von Frauen aktiv vorantreiben. Die Arbeitskräftesituation wird uns insgesamt ohnehin dazu zwingen, verstärkt auf Frauen zu setzen. Ich glaube, dass es notwendig ist, die Debatte zu führen. Aber ich glaube nicht an staatliche Quoten.
Welt am Sonntag: Setzt Bilfinger sich selbst ein Ziel, wie viele Frauen in zehn Jahren in Aufsichtsrat und Vorstand sein sollen?
Koch: Wir werden uns intern Ziele setzen. Sicher gehören auch Aufsichtsrat und Vorstand dazu. Wichtiger ist allerdings, dass unter den gesamten Führungskräften möglichst viele Frauen sind – und damit Entwicklungsmöglichkeiten nach oben eröffnet werden. Und dass unabhängig, auf welche Stufe im Unternehmen man schaut, stärker auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geachtet wird. Bilfinger hat einen Vertrag mit einem Familienserviceunternehmen, das sich um die Kinderbetreuung unserer Mitarbeiter kümmert. Wenn solche Dinge berücksichtigt werden, ergibt sich die Frage nach Aufsichtsrat und Vorstand von selbst.
Welt am Sonntag: Berührt es Sie noch, wenn Sie sehen, wie die CDU eine Landtagswahl nach der anderen verliert?
Koch: Ich bleibe in meinem Herzen Christdemokrat, aber ich muss mein Herz nicht jeden Tag öffnen.
Welt am Sonntag: Die schwarz-gelbe Regierungskoalition im Bund streitet viel – auch über einen allgemeinen Mindestlohn. Was würde eine flächendeckende Regelung bedeuten?
Koch: Ich glaube nicht an die Fähigkeit des Staates, mit einer allgemeinen Formel für Lohngerechtigkeit zu sorgen. Die Frage der Löhne müssen die Tarifpartner beantworten. Arbeitgeber und Gewerkschaften haben das gemeinsame Interesse, dass Beschäftigung da ist. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn wäre nicht das Richtige. Ideologie hat selten für Arbeitsplätze gesorgt.
Welt am Sonntag: Sie sehen keinen zusätzlichen Regelungsbedarf?
Koch: Ich bin sicher: Die gefundenen dezentralen Mindestlohnregelungen sind die richtige Lösung. Und wenn sich die Tarifpartner auf weitere verständigen und die Politik sie für verbindlich erklärt, ist das völlig in Ordnung.
Welt am Sonntag: Ist es eigentlich ausgeschlossen, dass Sie eines Tages in die Politik zurückkehren?
Koch: Gegenfrage: Wird es jemals ausgeschlossen sein, dass diese Frage in einem Interview gestellt wird?
Welt am Sonntag: Komplett.
Koch: Das ist dann auch meine Antwort. Eine Rückkehr in die Politik schließe ich aus. Komplett.