Koch: „Die wichtigste Entscheidung meines politischen Lebens“
Roland Koch in der Frankfurter Allgemeine Zeitung über die Bedeutung des Flughafens für die Zukunft der Region und die Lasten des Fortschritts.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: In einer Woche geht die neue Landebahn am Frankfurter Flughafen in Betrieb. Wie hoch ist Ihr Anteil daran?
Roland Koch: Der über ein Jahrzehnt gehende gesellschaftliche und politische Prozess, der dazu geführt hat, dass ein solch großes Projekt mit breiter öffentlicher Beteiligung, aber ohne Eskalation in der Region vollendet wurde, ist durchaus auch von mir wesentlich mitgestaltet worden.
FAZ: Wobei den Beschluss, zunächst über eine Mediation sich der lange tabuisierten Frage eines weiteren Ausbaus zu stellen, noch die rot-grüne Landesregierung unter Hans Eichel gefasst hat.
Koch: Dass die Initiative zur Diskussion über eine Flughafenerweiterung nach dem Vorstoß von Lufthansa-Chef Weber seinerzeit noch von meinem Amtsvorgänger gestartet worden ist, soll überhaupt nicht vergessen werden. Allerdings lassen mich die Geschehnisse, die gerade in diesen Tagen sowohl beim gescheiterten Versuch einer rot-grünen Regierungsbildung in Berlin, aber auch bei Grün-Rot in Baden-Württemberg mit Blick auf wichtige Infrastrukturprojekte geboten werden, nach wie vor glauben, dass Hans Eichel bei allem guten Willen nicht die Möglichkeit gehabt hätte, nach einer gewonnenen Landtagswahl 1999 tatsächlich den Prozess der Flughafenerweiterung in einer rot-grünen Regierungskonstellation zu starten. Ich konnte das nach unserem Wahlerfolg in der Koalition von CDU und FDP. Und ich glaube, dass dieser Prozess zur Verwirklichung eines solchen Großprojektes durchaus Vorbildcharakter für die Zukunft hat.
FAZ: Gab es eigentlich einen Plan B, wenn der Flughafen nicht um eine neue Landebahn hätte erweitert werden können? Etwa eine engere Kooperation mit Hahn?
Koch: Der Vorteil eines solch langen Genehmigungsverfahrens ist ja, dass wirklich jede denkbare Alternative extrem intensiv und wissenschaftlich begleitet ausgelotet wird. Insofern stand auch am Ende fest, es gibt keinen Plan B. Der Nichtausbau des Frankfurter Flughafens hätte dauerhaft die Kapazität auf rund 50 Millionen Passagiere pro Jahr beschränkt und die Region im weltweiten Wettbewerb immer weiter zurückgeworfen. Die enorme Bedeutung dieser Region liegt, bei allem Respekt vor der Leistung der Menschen hier, in diesem Flughafen mit seinem besonderen internationalen Stellenwert. Ein Plan B hätte daher immer Wohlstands- und Zukunftsverlust bedeutet.
FAZ: Vor mehr als elf Jahren hatten die Mediatoren den Ausbau empfohlen, aber gleichzeitig ein absolutes Nachtflugverbot gefordert. Nach dem jahrelangen Gerangel um das Kontingent der Flüge zwischen 23 und 5 Uhr hat vor wenigen Tagen der Hessische Verwaltungsgerichtshof zumindest ein vorläufiges Nachtflugverbot verhängt. Ist das für Sie Anlass, Ihre Ansicht zu revidieren, eine gewisse Zahl von Flügen in diesen Stunden sei rechtlich wie wirtschaftlich unerlässlich?
Koch: Nein. Nach meiner Einschätzung ist die Abwägung, die der damalige Verkehrsminister Alois Rhiel Ende 2007 getroffen hatte, und die ich nach wie vor teile, nach bestem Wissen und Gewissen erfolgt, ich habe keinen Anlass, diese Auffassung zu korrigieren. Ich glaube aber, dass es in einem Rechtsstaat und gerade in einem Verfahren wie dem zum Ausbau des Frankfurter Flughafens wichtig für die Bürger ist zu wissen: Das entscheiden, bei allem Verständnis für lärmgeplagte Menschen, nicht die Politiker allein, sondern da hat eine Gerichtsinstanz das letzte Wort.
FAZ: Aber Sie hatten ja einmal ein absolutes Nachtflugverbot garantiert?
Koch: Auch für mich war es damals sehr schwer, hinnehmen zu müssen, dass aufgrund der Abwägung der Interessen der Anwohner und der Luftfahrtbranche mit ihrer weltweiten Vernetzung eine geringe Zahl von Nachtflügen zugelassen werden müsse. Ich hatte mir zu Beginn der Planungen etwas anderes vorgenommen und erhofft. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Flughafen Berlin im Jahr 2006, die etwas verkürzt lautete, dort ist ein Nachtflugverbot deswegen zu verkraften, weil dieser kein Großflughafen sei, konnte – was man durchaus bedauern mag – im Gegenschluss aber nicht ignoriert werden. Und das jüngste Urteil dieses Gerichts vor wenigen Tagen zum Flughafen Berlin entwickelt sich exakt entlang dieser Logik, die nach meiner Einschätzung nicht zu einem totalen, sondern nur zu einem sehr weit gehenden Nachtflugverbot in Frankfurt führen kann. Bei allem verständlichen Ärger über nächtlichen Lärm: Die vorgesehenen 17 Flüge wären eine Reduzierung um weit mehr als 50 Prozent gegenüber der jetzigen Lage. Das fällt mir zu oft unter den Tisch.
FAZ: Und die Alternative Hahn?
Koch: Wir haben in der Mediation und in vielen anderen Gremien geprüft, ob eine teilweise Verlagerung zum Flughafen im Hunsrück ökonomisch möglich ist. Es gab dann jedoch kein einziges Gutachten, das zu einem solchen Ergebnis kam. Das hat auch mich überrascht, und das wühlt auch heute noch in mir. Auch das führte dazu, dass sich im Laufe der zehn Jahre die ursprünglichen Erwartungen verändert hatten, es könne ein totales, also ausnahmsloses Nachtflugverbot nach dem Ausbau geben. Wie das Bundesverwaltungsgericht nun entscheidet, das erwarte ich mit Demut.
FAZ: Wie erklären Sie sich mit Ihrer Lebenserfahrung und Ihrem juristischen Sachverstand, dass die Richter in Kassel ausgerechnet jetzt, wenige Tage vor Inbetriebnahme der Landebahn, eine solche Entscheidung getroffen haben?
Koch: Wer das Verfahren so stark wie ich begleitet hat, sollte sich mit einer Bewertung von Gerichtsentscheidungen zurückhalten. Es gilt weiterhin: Ich respektiere sie, selbst wenn ich sie zum Teil nicht nachvollziehen kann. Nur so viel: Der völlige Verzicht auf Nachtflüge in den Monaten, bis das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, heißt doch, diese auf einen Schlag von derzeit rund 50 auf null herunterzufahren. Das könnte die Strukturen internationaler Frachtversorgung zerstören. Und das wäre meines Erachtens der größere Nachteil im Vergleich dazu, wenn es gegebenenfalls in zwei Stufen zu einer Absenkung käme: von 50 auf 17, von 17 auf null. Ich komme daher zu einer anderen Abwägung als der Hessische Verwaltungsgerichtshof, aber das ist ja nicht maßgeblich. Jetzt sollten wir alle abwarten, wie das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
FAZ: Unabhängig davon: Sind Sie glücklich darüber, dass die Landebahn jetzt in Betrieb geht?
Koch: Wenn ich auf meine politische Arbeit in der Verantwortung als Ministerpräsident zurückblicke, dann will ich nicht verhehlen, dass es sicher die wichtigste Entscheidung meines politischen Lebens war, diese Entwicklung gesteuert zu haben. Und es ging ja nicht nur um die formalen Strukturen. Ich erinnere mich, wie sich schon im Jahr 2000 angesichts der verschiedenen Varianten, wo eine neue Landebahn gebaut werden könnte, eine Diskussion darüber entwickelte, ob denn die Region eine Auseinandersetzung verkraften würde, in der jeder sich betroffen fühlt. Ich habe mich daher relativ früh entschieden zu sagen, angesichts der Gutachten ist die Nordwestvariante die wahrscheinlichste, weil sie im Vergleich die wenigsten Menschen betrifft und am geringsten in die Landschaft eingreift. Mein Vorstoß diente auch dazu zu verhindern, dass sich die ganze Region gegen einen Flughafen solidarisiert aus der Befürchtung heraus, es könnte auch mich treffen.
FAZ: Aber die Befürchtungen sind ja vielerorts real geworden.
Koch: Natürlich, das Leben in der Region wird durch den Flugverkehr beeinträchtigt, wir muten den Menschen etwas zu. Politik hat aber nun mal die Pflicht, nicht nur Wohltaten zu verteilen, sondern sie ist auch für die Verteilung von Lasten zuständig. Ohne eine solche Kanalisierung der Debatte auf die Nordwestvariante wäre es auch politisch sehr viel schwieriger geworden, das Projekt durchzusetzen. Und der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat ja auch anerkannt, dass wir in einem rationalen und korrekten Verfahren zu der Entscheidung für die Variante gekommen sind.
FAZ: Wenn Sie samstags im Garten sitzen und über Ihnen macht ein Flugzeug Krach, ärgern Sie sich darüber, oder werten Sie das als gutes Zeichen für die Wirtschaft?
Koch: In Eschborn hören wir Flugzeuge, aber in dem zumutbaren Maß, wie man in einem Ballungsraum mit Lärm rechnen muss. Wenn ich bei Freunden zu Gast bin, wo es direkte Überflüge gibt, löst das natürlich keine Freude aus. Auch in der Wiesbadener Zeit habe ich gelegentlich Gespräche mit Gästen in der Dienstvilla unterbrechen müssen, weil wir uns nicht mehr vernünftig unterhalten konnten. Natürlich ist das eine Last. Aber der Glaube, den Teile unserer Wohlstandsgesellschaft mitunter haben, dass wir Zukunft gestalten könnten, ohne Lasten zu verteilen, ist falsch. Wir im Rhein-Main-Gebiet müssen wissen, dass dies der Preis dafür ist, dass wir in Wohlstand mitten in einer pulsierenden Herzkammer der Weltwirtschaft leben, dass Menschen aus aller Welt zu uns kommen, dass wir schnelle Verbindungen überall hin haben.
FAZ: Werden Sie am 21. Oktober am Festakt zur Inbetriebnahme teilnehmen?
Koch: Die Flughafengesellschaft hat mich freundlicherweise eingeladen. Ich habe geantwortet, dass ich auch emotional vieles mit diesem Projekt verbinde und dass ich außerordentlich gerne teilnehmen werde. Ja, ich finde, dass es ein Tag zum Feiern für Frankfurt, die Rhein-Main-Region und für Hessen ist. Und dass die Kanzlerin als Erste landen wird, zeigt, welche Bedeutung der Flughafen für Deutschland hat.
Die Fragen stellte Helmut Schwan.