„Politik ist eine Berufung, man muss dafür eine Leidenschaft empfinden.“
Wenige Tage vor seinem Abschied aus dem Amt des hessischen Ministerpräsidenten spricht Roland Koch im Interview mit der F.A.Z. über persönliche und politische Krisen, schwierige Entscheidungen für die CDU und sein Vermächtnis als Politiker.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Herr Ministerpräsident, es sind noch sechs Tage bis zu Ihrem Abschied aus dem Amt. Haben Sie Ihren Rücktrittsbeschluss schon bereut?
Roland Koch: Nein. Ich habe ihn mir sehr gut überlegt und hatte auch Zeit, innerlich damit fertig zu werden. Ich empfinde die Tage, die ich jetzt erlebe, emotional als sehr schön, sie berühren mich sehr. Zu sehen, dass ein solcher Abschied aus dem Amt möglich ist, während Abschiede in der Politik häufig einem Rauswurf gleichkommen. Das nicht erleben zu müssen, sondern sich von vielen Menschen, Gruppen und Institutionen in sehr schöner Atmosphäre verabschieden zu können, freut mich sehr.
FAZ: Jetzt können Sie es ja sagen. Gab es Zeiten, in denen Sie Bundeskanzler werden wollten? Es hieß ja schon zu JU-Zeiten: „Koch studiert auf Kanzler.“
Koch: Vielleicht habe ich ja den Vorteil, dass die Tatsache, dass so oft darüber geschrieben worden ist, bei mir eine andere Form der Auseinandersetzung damit nötig machte. Wer sich in der Politik engagiert, muss nach Einfluss streben. Wer sich in der Politik engagiert, ist aber schlecht beraten, nach festgelegten Karrierekriterien seinen Erfolg beurteilen zu wollen. Es gibt sehr einflussreiche Menschen in der Politik, die nie ein Staatsamt hatten, und es gibt Menschen in Staatsämtern, die nie Einfluss hatten. Ich bin sehr zufrieden und dankbar. Ich habe wahnsinniges Glück gehabt, weil ich in eine Position gekommen bin, in der ich beachtlichen Einfluss hatte und die mir großen Spaß gemacht hat.
FAZ: Also keine Wehmut über verpasste Chancen?
Koch: Nein, ich blicke nicht auf verpasste Chancen zurück.
FAZ: Sondern?
Koch: Darauf, dass ich mir in jungen Jahren nie zugetraut hätte, dass ich jemals ein Abschiedsgespräch als Hessischer Ministerpräsident führen könnte.
FAZ: Welche Eigenschaften muss ein Politiker heute mitbringen, um sich nach oben zu kämpfen und dort auch zu bleiben?
Koch: Politik ist eine Berufung, man muss dafür eine Leidenschaft empfinden. Aber es ist kein klassischer Beruf, es gibt dafür keinen Ausbildungsgang. Zwei Dinge sind wichtig: Man muss bereit sein, Politik mit Haut und Haaren zu machen und nicht nebenbei. Und man muss durch seine berufliche Ausbildung so selbständig sein, dass man sich zutrauen kann, noch etwas anderes zu machen. Man darf in einer schwierigen Situation nicht abhängig davon sein, politisch so zu entscheiden, wie eine Mehrheit das will oder nicht. Nur so kann man sich selbst treu bleiben auch in Zeiten, in denen es kritisch wird.
FAZ: Wie in der Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU, die Sie nur knapp politisch überlebt haben. Der Preis dafür war Ihr dauerhaftes Negativimage in den Medien als eiskalter Machtpolitiker. Würden Sie heute anders handeln?
Koch: Ich habe bei meiner damaligen Entscheidung, um das Amt und den Einfluss für meine Partei zu kämpfen, gewusst, dass dies Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung auf lange Zeit mit sich bringt, so als ob ich für die Vorgänge aus den achtziger Jahren verantwortlich wäre. Ich glaube aber auch heute noch, dass die Politik, die die Bürger ja gerade bei der Landtagswahl 1999 mehrheitlich wollten, nicht hätte fortgesetzt werden können, wenn ich hingeworfen hätte. Und deshalb war es richtig, dies durchzustehen.
FAZ: Haben Sie denn alles richtig gemacht?
Koch: Nein. Aber ich habe es immerhin innerhalb von wenigen Monaten geschafft, unter einem riesigen Druck und ohne dass das Amt des Ministerpräsidenten Schaden litt, eine komplizierte, jahrzehntelang schwelende Affäre so aufzuklären, dass bis heute nie mehr eine Frage dazu gestellt werden kann, weil alles aufgeklärt wurde. Das war neben der Solidarität der hessischen CDU und einer sehr beachtlichen, vertrauensvollen Loyalität meines Koalitionspartners die wichtigste Voraussetzung dafür, dass eine solche Krise, für die ich überhaupt nichts konnte, zu überstehen war. Aber ich habe Wunden davongetragen, die ich nie loswerde.
FAZ: War Ihre Wortschöpfung „brutalstmöglich“ im Zusammenhang mit der Aufklärung der Affäre eigentlich eine spontane Eingebung? Dieses Adjektiv haftet Ihnen ja auch bis heute bei der Beschreibung Ihrer Politik an.
Koch: Es ist ein etwas ungewöhnlicher Weg, in den Duden zu kommen. Es war eine einmalige spontane Reaktion in einem Fernsehinterview, um deutlich zu machen, dass ohne Wenn und Aber aufgeklärt wird. Ich habe daher nach einem harten und klaren Wort gesucht. Da ist mir kein anderes eingefallen. Es ist aber in zum Teil absurder Weise vom politischen Gegner gegen mich verwendet worden.
FAZ: Die CDU steht im Herbst vor schwierigen politischen Entscheidungen über die Zukunft der Bundeswehr und der Atomkraft. Werden Sie sich vor dem Bundesparteitag noch aktiv daran beteiligen?
Koch: Ich habe mich seit dem Tag, an dem ich meinen Rückzug aus der Politik verkündet habe, mehr mit den prinzipiellen Fragen beschäftigt. Sie werden mich also nicht mehr als Frontkämpfer in der einen oder anderen tagespolitischen Frage finden.
FAZ: Dennoch: Was halten Sie von dem Modell einer drastisch verkleinerten Bundeswehr, in der die Wehrpflicht ausgesetzt ist? Ein Modell, das Verteidigungsminister zu Guttenberg favorisiert.
Koch: Ich äußere mich nicht zu Modellen. Aber ich finde eines, was Karl-Theodor zu Guttenberg macht, ausdrücklich richtig: uns alle vor Alternativen zu stellen, bei denen das Verstecken von Fragen hinter wohlfeilen Erklärungen nicht mehr erlaubt wird. Dann muss man aber auch die Frage stellen, was zur Verteidigung eines Landes notwendig ist. Und nach meiner Ansicht muss man das auch bezahlen können. Diese Debatte muss jetzt geführt werden. Man kann kein souveränes Land sein, das zu den führenden Nationen der Welt gehört, und sagen, wenn es Schwierigkeiten woanders gibt, sollen die von anderen gelöst werden, weil wir dafür kein Geld haben.
FAZ: Und was geschieht mit der Wehrpflicht?
Koch: Mir wäre es wichtig, wenn über die Wehrpflicht nicht nur in der Frage diskutiert wird, was die Bundeswehr braucht. Wir sollten auch die Frage stellen, was wir tun, um junge Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. Die Bundeswehr hat diese Aufgabe zu einem beachtlichen Teil historisch erfüllt. Ich betrachte dieses Thema als ein Erziehungsthema. Muss es nicht das Ziel sein, dass sich junge Menschen eine bestimmte Anzahl von Monaten für die Allgemeinheit einbringen? Wenn man den Wehr- und Zivildienst aussetzen will, muss die Frage eines sehr attraktiven freiwilligen Jahres bis hin zu einer allgemeinen Dienstpflicht wieder auf die Tagesordnung.
FAZ: Sie haben also Sympathien für eine allgemeine Dienstpflicht, die ja auch wieder eine Zwangsmaßnahme ist?
Koch: Ich hätte jedenfalls gerne ein Modell, von dem man sicher sein kann, dass sehr viele daran teilnehmen, denn das bereichert junge Leute und unsere Gesellschaft. Ich persönlich habe seit vielen Jahren Sympathien für die allgemeine Dienstpflicht. Daran hat sich nichts geändert. Die Gesellschaft wird ärmer, wenn junge Menschen vor jeder Art von Herausforderungen, etwas für die Gesellschaft zu tun, verschont bleiben.
FAZ: Der Streit um die Kernenergie und die Verlängerung der Laufzeiten für Kraftwerke spaltet Ihre Partei. Wie lange braucht Deutschland noch die Atomkraft?
Koch: Prinzipiell, glaube ich, hat die Bundeskanzlerin recht, wenn sie sagt: Wir kommen nur zu einer modernen Gesellschaft mit regenerativen Energien, wenn wir die Kernkraft als Brücke dahin nutzen.
FAZ: In Berlin streitet sich die aus Hessen stammende Familienministerin Schröder mit ihrer Kollegin von der Leyen über den Sinn der geplanten Chipkarte für Bildungsangebote. Unterstützen Sie Frau Schröder in Ihrer Kritik?
Koch: Ich glaube dass es richtig ist, in dieser Frage, die das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, um den besten Weg zu ringen. Es muss jedenfalls sichergestellt werden, dass das Geld, das wir Familien mit geringem Einkommen für Bildung geben, auch für Bildung ausgegeben wird. Wie das geschieht, ist keine Frage des Prinzips.
FAZ: Sie haben eine Rückkehr in die Politik ausgeschlossen. Gilt das auch für den Fall, dass es 2011 um das politische Überleben der schwarz-gelben Koalition geht und der Ruf nach Ihnen in der Partei sehr laut wird?
Koch: Ich habe mir diese grundsätzliche Entscheidung sehr genau überlegt. Ich habe gesagt, jetzt ist Schluss, ich möchte einen anderen Lebensabschnitt eingehen. Dabei bleibt es.
FAZ: Was wird von dem Politiker Koch bleiben?
Koch: Politiker sollten sich ihre Denkmäler nicht selber bauen, das machen die Menschen und die Geschichte so oder so. Sie bleiben in Erinnerung oder werden vergessen. Ich persönlich habe Wert darauf gelegt, dass ich mich in meiner aktiven Zeit nicht allzu sehr mit dieser Frage beschäftige, weil das nicht das Motiv für mein Handeln war.
Das Interview führte Thomas Holl.