Fünf Tage ist er noch Regierungschef. Im Abschiedsinterview mit der FAZ Rhein-Main-Zeitung äußert sich Koch zu den Gründen für seinen Ausstieg aus der Politik, zu Erfolgen und Misserfolgen und zu seiner Zukunft. Für die Wahl seines designierten Nachfolgers Volker Bouffier ist Koch optimistisch: Die CDU/FDP-Koalition werde ihre Handlungsfähigkeit beweisen.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Von München bis Berlin erschallt derzeit der Ruf: Die Union braucht Roland Koch. Selbst Ihre Kritiker äußern Bedauern über Ihren bevorstehenden Abgang von der politischen Bühne. Eigentlich müssten Sie doch ein schlechtes Gewissen haben.
Roland Koch: Schlimmer wäre es, wenn sich alle erleichtert über meinen Entschluss äußern würden. Vielleicht ist es ja auch ein Stück Kultur in der Politik. Dass man, solange man im Wettbewerb steht, das Trennende oder die Kritik in den Vordergrund rückt, aber, wenn jemand aus dem Wettbewerb ausscheidet, wechselseitig die Souveränität entwickelt, sich etwas abstrakter mit dem Leistungsprofil eines Konkurrenten oder eines Objekts der Berichterstattung und den persönlichen Erfahrungen zu beschäftigen, die man mit ihm gemacht hat. Ich glaube, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe und vielleicht auch einigen anderen ein Beispiel geben kann: Es ist auch eine Möglichkeit, aus freien Stücken aus der Politik auszuscheiden. Man muss nicht unbedingt so lange warten, bis man aus dem Amt gezerrt wird.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Dennoch fragen sich viele noch immer: Warum der freiwillige Rückzug mitten im Rennen? Anders formuliert: Würden Sie jetzt auch aus dem Amt scheiden, wenn die Landtagswahlen 2008 und 2009 für Sie und Ihre Partei besser ausgegangen wären?
Koch: Diese Was-wäre-wenn-Fragen sind immer ein Problem. Deshalb ist meine Antwort: Ich hoffe, ja. In der Demokratie bekommt man Macht immer nur auf Zeit verliehen, und ich glaube, viele Menschen würden es nicht mehr verstehen, wenn ich am Ende dieser Legislaturperiode, nach 15 Jahren, sagen würde: Ich möchte gern noch bis zum 20. Jahr weitermachen. Davon abgesehen kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem die eigene Reformfähigkeit an Grenzen stößt, wo man auf einmal etwas reformieren müsste, was man selber vor Jahren schon einmal reformiert hat. Die Demokratie löst dieses Problem relativ einfach: durch den Wechsel der Handelnden. Elfeinhalb Jahre an der Spitze einer Regierung sind eine lange Zeit. Wer da überzieht, provoziert die Leute. Ich habe zwar in meinem Politikerleben viele Provokationen begangen, aber an diesem Punkt wollte ich nicht noch eins draufsetzen.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Dennoch: Sie hatten versprochen, bis zum Ende der Wahlperiode im Amt zu bleiben. Haben Sie Verständnis dafür, dass es Ihre Anhänger irritiert, wenn Sie diese Zusage nun nicht einhalten?
Koch: Ich verstehe durchaus, dass es diese Diskussion gibt. Ich sage aber auch, dass ein Politiker die Frage, wie lange er im Amt bleiben will, eigentlich nicht beantworten dürfte. Sie ist nämlich objektiv nicht vernünftig zu beantworten. Es liegt nicht im Interesse der Regierten, dass die Regierenden durch die Angabe von Fristen ein Vakuum entstehen und Spekulationen sprießen lassen. Das ist wie bei einem Fußballtrainer, der zu Beginn des Spiels weiß, dass dessen Ausgang über seine berufliche Zukunft entscheidet, aber dennoch so tut, als ob das keine Rolle spielte. Wenn er sich anders verhalten würde, würden seine Spieler anders auftreten, die Zuschauer anders reagieren. Das ist ein unauflösbares Dilemma.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Der letzte Hessentag, die letzte Landtagssitzung, die letzte Zusammenkunft des Kabinetts am vergangenen Montag – Abschied nehmen allerorten. Wird der vermeintlich hartgesottene Machtmensch Roland Koch da gelegentlich sentimental?
Koch: Ja natürlich. Ich habe den Anspruch gegen mich selbst, diese Sentimentalität nicht allzu deutlich werden zu lassen. Ich war immer der Ansicht, dass Politiker zwar durchaus emotionale Menschen sein dürfen, dass aber die Repräsentation des Staates keine emotionale Veranstaltung sein sollte. Aber natürlich gibt es in diesen Tagen viele Situationen, in denen mir ganz besonders bewusst wird: Das war jetzt das letzte Mal. Ich finde das schön, weil es mir Gelegenheit gibt, auf eine persönlich zufriedenstellende Weise Danke und Auf Wiedersehen sagen zu können, mir noch einmal ein Bild von Dingen zu verschaffen, auf die ich durchaus stolz bin und bleiben will. Dazu hat man in der Politik selten eine Chance, und mein Abschied hätte nach der Landtagswahl 2008 auch ganz anders aussehen können.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Wie werden Sie den neuen Lebensabschnitt am kommenden Mittwoch beginnen? Haben Sie einen festen Plan?
Koch: Kein Mensch glaubt mir, dass ich irgendetwas ohne Plan mache. Dieses Image werde ich nicht mehr los. Ich versuche beides: Mir Ziele zu setzen für die nächsten Monate, beispielsweise Reisen oder aber Dinge, die im und ums Haus herum zu tun sind, für die ich ein Jahrzehnt keine Zeit hatte. Allerdings muss ich aufpassen, dass daraus nicht schon wieder ein tagesfüllendes Programm wird. Ich möchte auch Tage erleben, an denen ich am Abend einfach mal nichts vorhabe oder mir spontan etwas vornehme. Abgesehen davon muss ich mich natürlich ernsthaft darum kümmern, wie meine berufliche Zukunft aussehen soll. Was vor mir steht, ist schließlich nur eine Übergangszeit in eine neue aktive Periode.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Viele halten Sie für einen Politikabhängigen. Befürchten Sie Entzugserscheinungen?
Koch: Mein Rückzug bedeutet sicher beides: ein Stück Freiheit und ein Stück Entzug. Ich war nie der Auffassung, dass einzig und allein Politik spannend ist, obwohl Politik eine wunderbare Beschäftigung für mich war.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Die „Bild“-Zeitung glaubt zu wissen, dass Sie demnächst Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Bilfinger Berger sein werden. Ist der Bericht völlig aus der Luft gegriffen?
Koch: Es gibt prinzipiell keine Verhandlungen und demzufolge auch keine Zusagen, an wen auch immer. Natürlich haben mich in den letzten Wochen eine ganze Reihe von Menschen in grundsätzlicher Form auf mögliche Tätigkeiten in der Zukunft angesprochen. Vom 1. September an werde ich mich mit diesem Thema näher beschäftigen. Es gibt mehrere Optionen: Ich war Anwalt, und das wäre wieder eine sehr interessante Perspektive, aber ich habe als Ministerpräsident auch ein sehr großes Unternehmen gemanagt.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Am Ende ihrer Amtszeit trübt nicht zuletzt ein um 14 Milliarden Euro gewachsener Schuldenberg das Bild. Das Ziel Ihrer Regierung war stets ein ausgeglichener Haushalt. Was ist da schiefgelaufen? Hat Hessen über seine Verhältnisse gelebt?
Koch: Das Hessen des Jahres 2010 hat im Vergleich mit anderen Bundesländern verhältnismäßig wenig Schulden. Zudem hätten wir einen ausgeglichenen Haushalt, wenn wir nicht Milliarden in den Länderfinanzausgleich zahlen müssten. Ohne die Wirtschafts- und Finanzkrise hätten wir das Ziel sogar trotz des Länderfinanzausgleichs schon erreichen können.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Ein schmerzhaftes Scheitern?
Koch: Natürlich ist es sehr schade, dass das nicht geklappt hat. Aber ich glaube, dass wir das Land immerhin auf einen Pfad geführt haben, auf dem bei kontinuierlicher wirtschaftlicher Weiterentwicklung das Ziel, das wir uns mit der Schuldenbremse gesetzt haben, erreichbar erscheint. Deshalb ist es auch richtig, dass die Regierungskoalition aus CDU und FDP dieses Ziel zum Thema einer Volksabstimmung machen will.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Aber was ist, wenn sich eine Mehrheit der Hessen gegen eine Schuldenbremse ausspricht?
Koch: Ich glaube, eine ganz große Mehrheit will diese Selbstbeschränkung, auch in dem Bewusstsein, dass das unangenehme Folgen haben kann, weil man auf bestimmte Dinge verzichten muss und weil es gilt, Prioritäten zu setzen. Eine Herausforderung bleibt diese Aufgabe zweifellos. Unangenehme Dinge mehrheitsfähig zu machen ist immer wesentlich anspruchsvoller als dem Wähler angenehme Dinge nahezubringen. Aber ich bin sicher, dass die Mehrheit der Verschuldung entgegenwirken will und nicht das Gegenteil beschließen wird.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Am Dienstag soll der jetzige Innenminister Volker Bouffier, der Sie schon als CDU-Landesvorsitzender beerbt hat, Ihnen auch im Amt des Ministerpräsidenten nachfolgen. Sie mussten bei Ihrer Wiederwahl Anfang vergangenen Jahres vier Gegenstimmen aus der CDU/FDP-Koalition verdauen. Fürchten Sie, das könnte auch Bouffier so ergehen?
Koch: Man muss immer Respekt haben vor der souveränen Entscheidung unabhängiger Abgeordneter. Ich glaube aber, dass die Entscheidung von damals eine heilsame Wirkung entfalten wird: Jeder einzelne Abgeordnete ist sich jetzt bewusst, dass er auch Teil einer Gesamtverantwortung ist. Ganz Deutschland schaut darauf, dass wir in Hessen eine stabile, ruhig und erfolgsorientiert arbeitende bürgerliche Koalition haben. Ich bin optimistisch, dass wir diese Handlungsfähigkeit auch am nächsten Dienstag demonstrieren können.
FAZ Rhein-Main-Zeitung: Was bleibt nach elf Jahren als Ministerpräsident? Mit welcher Idee, mit welchem Ideal soll Ihr Name möglichst verbunden bleiben?
Koch: Im Zentrum meiner Politik stand der Gedanke, dass sich der Staat auf die wesentlichen Dinge konzentrieren sollte. Verbunden mit dem Appell: Wir können nicht alles selber machen, die Bürger müssen sich mitengagieren und können damit auch Dinge frei gestalten. Das ist die Frage von Ehrenamt, Stiftungen, Privatisierungen, Dezentralisierung – von der Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen. Diese einheitliche Melodie hat meine Politik durchzogen, bis hin zu der Entscheidung, dass Gesetze grundsätzlich nach fünf Jahren daraufhin überprüft werden müssen, ob sie überhaupt noch nötig sind. Das ist mir mit meinem Verständnis von Freiheit sehr wichtig, und ich finde, wir sind da auch ein ganzes Stück vorangekommen.
Das Interview führte Ralf Euler.
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