Kaum einem anderen Politiker wurde so oft unterstellt, er sei verliebt in die Macht. Und keiner musste öfter bestreiten, dass er Kanzler werden wolle, als Roland Koch, 52. Umso überraschter waren viele, als der CDU-Vize seinen Rücktritt von allen Ämtern ankündigte: „Politik ist ein Teil meines Lebens, aber nicht mein Leben“, tat der Hessen-Premier im Mai kund. Ende August ist nun Schluss mit Politik. Roland Koch empfing BUNTE zum Abschieds-Interview in der Staatskanzlei in Wiesbaden.
BUNTE: Herr Ministerpräsident, Sie haben BUNTE einmal gesagt: „Wer Politik richtig inhaliert hat, den lässt sie nicht mehr los. Die geht abends mit einem ins Bett und man steht morgens mit ihr auf. Politik ist wie eine Droge.“ Wie wollen Sie den Entzug schaffen?
Roland Koch: Ich weiß, es ist eine Herausforderung. Aber gerade wenn man jung anfängt in der Politik, kommt ein Zeitpunkt, an dem das unvermeidlich ist. Es wird eine Umstellung, aber ich bin optimistisch, dass ich das schaffe.
BUNTE: Gehen Sie immer noch, wie Sie sagten, mit wackeligen Beinen?
Koch: Daran hat sich nichts geändert. Im Moment ist eine Phase des Abschieds, in der mir viele Menschen begegnen, die mich auch emotional begeistert, gefesselt, beschäftigt haben. Auch viele, die zu meiner Freude Danke sagen wollen. Aber ich weiß auch: Es wird den Tag danach geben. Und dann muss ich an mir selbst arbeiten. Welches Gefühl überwiegt: Trauer oder Freude? Eindeutig Spannung, Neugier. Aber ich bin nicht frei von Wehmut.
BUNTE: Einige haben schon jetzt Sehnsucht nach Ihnen.
Koch: Ich bin realistisch genug, das nicht überzubewerten. Jene, die mit großem Engagement meine Gegner waren, schweigen sicher im Augenblick in einer gewissen Zufriedenheit. Und die, die meine Unterstützer waren, sagen mir das jetzt deutlicher als sonst.
BUNTE: Sie sind noch bis Ende August im Amt. Fühlen Sie sich als „lame duck“, als lahme Ente?
Koch: Überhaupt nicht. Ich übergebe zwar Stück für Stück die Verantwortung, aber habe – wenn nötig – die volle Entscheidungsgewalt.
BUNTE: Bodyguards, Referenten, die wunderschöne Staatskanzlei. Werden Sie diese Insignien der Macht nicht vermissen?
Koch: Natürlich besteht die Gefahr, diese äußeren Zeichen irgendwann wie eine zweite Haut mit sich herumzutragen. Ich glaube aber, dass es bei mir nicht so weit gekommen ist. Und ich versuche deshalb ja auch, mich nach elfeinhalb Jahren rechtzeitig wieder in das „normale“ Leben zu integrieren.
BUNTE: Kleiner Test, wie Sie im Alltagsleben zurechtkommen werden: Können Sie zum Beispiel mit einem Computer umgehen?
Koch: Ich habe sogar mehrere zu Hause. Word, Excel, iPhone – alles kein Problem.
BUNTE: Und wann haben Sie das letzte Mal selbst ein Auto gelenkt?
Koch: Letztes Wochenende. In meiner Heimatstadt und in der Umgebung fahre ich prinzipiell mit dem eigenen Auto.
BUNTE: Wissen Sie, was ein Normalsterblicher beachten muss, um durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen zu kommen?
Koch: Natürlich. Schon weil ich selbst die Regeln mit aufgestellt habe. Was mich dieser Tage fasziniert, ist, wie man Flugtickets aufs Handy lädt. Das will ich lernen. Ich habe schon innerlich mit einem „Resozialisierungskurs“ begonnen.
BUNTE: Ihre privaten Pläne?
Koch: Erst mal ausschlafen. Und vielleicht schaffe ich es ja, mal einige Tage in einer großen Gastronomieküche mitzuarbeiten. Kochen ist mein großes Hobby. Außerdem muss ich zu Hause einiges auf den Stand bringen. Im Keller stehen zum Beispiel seit vielen Jahren einige Kartons, die ich immer noch nicht eingeräumt habe. In den vergangenen 18 Jahren gab es ja für mich praktisch keine Freizeit.
BUNTE: Keine Angst vor innerer Leere?
Koch: Nein, weil ich glaube, dass ich in der privilegierten Situation bin, mir eine Beschäftigung suchen zu können, die spannend ist. Ich erwarte, dass man mich in der Wirtschaft mit 52 Jahren noch für jung genug hält. Aber meine Absicht ist auch Entschleunigung. Der Entscheidungsdruck, die Managementverantwortung so eines Amtes, das ist eine Geschwindigkeit, die muss man sich nicht das ganze Leben geben.
BUNTE: Welche Rolle spielte Ihre Frau bei der Entscheidung aufzuhören?
Koch: Sie hat in den vergangenen 33 Jahren bei jeder Entscheidung eine große Rolle gespielt. Wir haben alles im Leben zusammen entschieden. Meine Frau und ich waren uns seit Langem einig, dass dies ein nötiger Schritt ist. Sie hat es dabei zu Recht so eingeschätzt, dass es mir besser geht, wenn ich einen Zeitpunkt finde, zu dem ich völlig frei entscheide und nicht über mich entschieden wird. Das dient auch der Partnerschaft, weil Zufriedenheit ja ein nicht unbedeutendes Element ist.
BUNTE: Waren es glückliche Jahre?
Koch: Eindeutig ja. Wir haben ein sehr glückliches Leben in allen Phasen führen dürfen. Das ist wenigen Menschen so vergönnt. Ich bin rundherum damit zufrieden.
BUNTE: Was sagt Ihr Freund, der Dalai Lama, dazu?
Koch: Ich habe mit ihm persönlich noch nicht darüber gesprochen. Aber ich kenne seine Antwort: „Du wirst schon wissen, wie du deinen Weg gehst.“ Klar ist übrigens, dass ich mich weiter für die Tibeter einsetzen werde.
BUNTE: Und wie hat Frau Merkel reagiert?
Koch: Ich glaube, sie hat meine Motive verstanden. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie das besonders fröhlich aufgenommen hat.
BUNTE: Haben Sie sich verändert?
Koch: Ich bin zu selbstkritisch, als dass ich mit voller Überzeugung Nein sagen würde. Aber ich meine, dass ich immer in der Lage war, diese äußere Haut, diese öffentliche Person zu unterscheiden von dem, was ich selbst bin. Aber gelegentlich wurde es schon obszön-absurd. Wenn zum Beispiel in Fernsehsendungen die Frage aufgeworfen wurde, ob meine Lippenbewegungen verraten, ob ich die Wahrheit oder Unwahrheit sage. Dazu fällt mir dann nicht mehr viel ein.
BUNTE: Stapeln sich Jobangebote bei Ihnen?
Koch: Es sind jedenfalls so viele, dass man sich keine Sorgen machen muss. Fest steht: In diesem Jahr gibt’s eine Periode der Ruhe, des Ausklingens. Anfang Januar gehe ich noch mal ordentlich Ski laufen und dann geht’s neu los.
BUNTE: Was würde Sie denn reizen? Vorstand eines Dax-Konzerns?
Koch: Ich bin gelernter Anwalt, das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit. Ich weiß ja, dass es Spekulationen gibt, ich wisse längst schon, was ich machen werde. Das finde ich etwas ärgerlich, denn es bremst vielleicht Leute, die an mir interessiert sein könnten. In jedem Falle werde ich in Ruhe auswählen.
BUNTE: Lockt Sie das große Geld?
Koch: Ich denke, mein Einkommen wird besser werden und nicht schlechter. Ich habe übrigens deutlich mehr verdient, bevor ich Ministerpräsident wurde. Aber ich suche mir meine Tätigkeit nicht so sehr unter diesem Gesichtspunkt aus.
BUNTE: Schließen Sie eine Rückkehr in die Politik ein für allemal aus?
Koch: Ich habe mir diese Entscheidung, nicht mehr im politischen Karussell zu sein, sehr gut überlegt. Und wenn man das tun würde, um gleich wieder darüber nachzudenken, ob man wieder in die Politik reingeht, wäre man ganz schlecht beraten.
BUNTE: Sie schließen es also nicht aus?
Koch: Das ist ja so, als würde ich Sie fragen: Schlagen Sie Ihre Frau immer noch? Antworten Sie nur mit Ja oder Nein.
Bildung
// Energie
// Finanzen
// Flughafen Frankfurt
// GM
// Interview
// Opel
// Schule
// Steuerpolitik
// Wirtschaft