Koch: Langzeitarbeitslose, die Hilfe benötigen, dürfen nicht zwischen verschiedenen Behörden hin und her geschickt werden
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Wiesbadener Kurier
Wiesbadener Kurier: Streit um ihre Forderung nach einer Grundgesetzänderung für die Hartz-IV-Verwaltung: Warum wäre das der richtige Weg?
Roland Koch: Im Jahr 2003 haben wir die sehr richtige Entscheidung getroffen, dass Langzeitarbeitslose, die Hilfe benötigen, nicht zwischen verschiedenen Behörden hin und her geschickt werden. Diese Grundentscheidung ist nach wie vor vollständig richtig. Dieser Service, diese Betreuung muss auch künftig in einer Hand bleiben. Wenn dies aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur mit einer Verfassungsänderung möglich ist, müssen wir diesen Weg gehen. Wir haben lange genug über eventuelle Alternativen zur Grundgesetzänderung geredet, die zum gleichen Ergebnis führen könnten. Es gibt sie aber nicht. Es gibt – was man ja bedauern kann – nur entweder oder. Mit einer Grundgesetzänderung können wir den Betroffenen deutlich besser helfen als ohne Grundgesetzänderung.
Wiesbadener Kurier: Kritiker werfen Ihnen vor, mit der Grundgesetzänderung das Karlsruher Urteil umgehen zu wollen.
Roland Koch: Nein, wir sind gehalten, aus der Entscheidung Konsequenzen zu ziehen. Nur der Grundrechtskatalog im Grundgesetz ist in Stein gemeißelt. Darüber hinaus ist unser Grundgesetz eine lebendige Verfassung, die immer auch an den jeweiligen speziellen Lebensumständen der Menschen und der Lebenswirklichkeit orientiert ist. Die gerade eingeführte Schuldenbremse ist nur ein Beispiel dafür. Bei der Organisation der Jobcenter haben wir ebenfalls einen solchen Lebenssachverhalt. Die Mischverwaltung von Kommunen und Arbeitsagenturen muss weiter möglich sein. Dafür benötigen wir eine Grundgesetzänderung. Die Erfahrung zeigt: Die beste Lösung für die Betroffenen ist, dass sie in ihrer Notsituation eine einheitliche Antwort vom Staat erhalten. Wenn das nur über eine Grundgesetzänderung zu gewährleisten ist, muss man diesen Weg gehen.
Wiesbadener Kurier: Die SPD signalisiert Zustimmung, in der Unionsfraktion gibt es weiter Widerstand. Wie stehen die Chancen für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat?
Roland Koch: Die Chancen für eine Grundgesetzänderung steigen eindeutig, weil erkannt wird, dass es in der Sache die richtige Lösung ist. Wir sind jetzt in der entscheidenden Phase. Möglicherweise erhöht der Zeitdruck die Einigungschancen. Ich bin Bundesarbeitsministerin von der Leyen ausdrücklich dankbar, dass sie ihre Bereitschaft signalisiert hat, den Weg der Grundgesetzänderung mitzugehen. Das ist kein Streit zwischen der Bundesarbeitsministerin und den Ländern, zumal sie das Thema ja ‚geerbt’ hat. Wir arbeiten jetzt mit allen Beteiligten an einer konstruktiven Lösung.
Wiesbadener Kurier: Aber selbst ihre Parteifreunde aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind nicht von ihrer Forderung überzeugt.
Roland Koch: Wir müssen über die strittigen Punkte offen mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprechen. Da ist einmal die Frage, wie bürokratisch wird die Lösung einer neuen Behörde, und wie kann man die Optionskommunen auch künftig über das bestehende Maß hinaus dauerhaft absichern. Alle Seiten werden sich in den Beratungen bewegen müssen. Aber ich sehe gute Chancen für eine vernünftige Lösung in den nächsten Wochen. Das Gespräch, das wir Ministerpräsidenten mit der Bundesarbeitsministerin am kommenden Sonntag führen werden, soll dazu dienen, die Grundlagen für diesen Weg zu schaffen. Da wird es noch sicher keine abschließende Lösung geben. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir wegen der vielen akzeptierten, guten Argumente in der Sache einen wichtigen Schritt vorankommen werden.
Wiesbadener Kurier: Arbeitsministerin von der Leyen hat ihren Kompromissvorschlag mit dem Argument verteidigt, dass der Spatz in der Hand besser sei als die Taube auf dem Dach. Was, wenn es am Ende weder Kompromiss noch Grundgesetzänderung geben wird?
Roland Koch: Der Kompromissvorschlag der Bundesarbeitsministerin ist weniger als der Spatz in der Hand. Diese Lösung, zwei permanent konkurrierende Behörden, kann auf Dauer nicht funktionieren. Das würde permanente Konflikte mit sich bringen – zu Lasten der Betroffenen. Ich bin gegen faule Kompromisse und setze auf die Grundgesetzänderung.
Das Interview führte Andreas Herholz.