Koch: „Wir wollen nicht unsere ambitionierten Ziele aufgeben“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Oberhessischen Presse
OP: Sie bringen gute Nachrichten mit: Laut Konjunkturprognose wächst Hessens Wirtschaft 2010 um 1,5 Prozent und damit stärker als der Bundesdurchschnitt. Ist das mehr als ein Hoffnungszeichen in düsteren Zeiten?
Roland Koch: Es ist ein gutes Zeichen mit zweierlei Bedeutung: Die Folgen der Weltwirtschaftskrise treffen die Bürgerinnen und Bürger in Hessen weniger schwer, als dies in anderen Regionen der Fall ist. Wenn Hessen als Deutschlands Wachstumsmotor auf einem klaren Erholungskurs fährt, ist das auch ein gutes Zeichen für die anderen Regionen, die damit rechnen können, dass zeitversetzt diese Entwicklung auch bei ihnen eintritt. Wir dürfen uns über 1,5 Prozent Wachstum freuen, müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass es noch sehr großer Anstrengungen für zusätzliches Wachstum bedarf, um in überschaubarer Zeit die Delle, die die Weltfinanzkrise auch in unsere Wirtschaft, in unsere Arbeitsplätze, in unsere Steuereinnahmen gerissen hat, wieder in Ordnung zu bringen.
OP: Jetzt droht ein Rückschlag aus Berlin. Die Bundesregierung will trotz der Proteste aus den Ländern ihr Steuersenkungspaket ohne Abstriche durchdrücken. Welche Belastung erwarten Sie für das Land Hessen?
Koch: Das ist schwer zu kalkulieren, weil das Paket aus sehr unterschiedlichen Elementen besteht. Dazu gehören sehr vernünftige Änderungen: In der Erbschaftssteuer werden Geschwister nicht länger wie Fremde behandelt. In der Unternehmenssteuer werden Unternehmen, die keine Gewinne gemacht haben, keine Steuern zahlen müssen. Wir erwarten, dass sich die steuerlichen Ausfälle um die 100 Millionen Euro bewegen. Das ist unterhalb der Schwankungsbreite, in der sich unser Haushalt wahrscheinlich ohnehin bewegt. Im Übrigen ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz nicht dazu da, den Steuerzahler oder die Länder zu ärgern. Es soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Wachstum im kommenden Jahr größer wird – auch größer, als die 1,5 Prozent in Hessen.
OP: Das heißt: Hessen wird dem Gesetz am 18. Dezember im Bundestag zustimmen.
Koch: Im Detail gefällt uns nicht alles zu 100 Prozent, was in diesem Gesetz steht. Aber jedes Gesetz ist ein Kompromiss. Wir halten aber dieses Signal, dass die neue Bundesregierung ganz schnell die Weichen für Wachstum und Jobs stellt, für so wichtig, dass wir diesem Programm zustimmen werden.
OP: Die finanziellen Rahmenbedingungen sind in dieser Legislaturperiode denkbar schlecht: 36 Milliarden Euro Schulden, drastische Einnahmeausfälle und am Horizont die ab 2020 greifende Schuldenbremse: Welche unabdingbaren Sparzwänge werden die Bürgerinnen und Bürger zu spüren bekommen?
Koch: Wir sind derzeit in einer extrem belastenden Situation. Alle Bemühungen auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt, zu dem auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung durch Mehrarbeit ihren Beitrag geleistet haben, wurden durch die Wirtschaftskrise in dramatischer Weise zurückgeworfen. Der Grundsatz, dass wir der nächsten Generation nicht immer mehr Schulden hinterlassen dürfen, bleibt richtig, auch wenn uns dies im Moment weh tut, uns zum Sparen zwingt. Deshalb gilt für Hessen: Die Ausgabenzuwächse im Landeshaushalt müssen deutlich unter den Einnahmezuwächsen bleiben. Der Haushalt, der in diesen Tagen vom Landtag für das Jahr 2011 beschlossen wird, folgt diesem Grundsatz. Das heißt für die Landesregierung: Wir müssen jeden Tag staatliche Leistungen auf den Prüfstand stellen, mit dem Ziel, diese Leistungen zu erhalten, sie aber auch effizienter zu erbringen. Wir werden in Hessen keine staatlichen Leistungen zur Disposition stellen, aber wir werden überall sparsam wirtschaften müssen.
OP: Eine Neuauflage des Sparprogramms „Sichere Zukunft“ ist nicht geplant?
Koch: Nein. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir damals eine richtige Veränderung herbeigeführt haben, die dem Steuerzahler – oder unseren Kindern in Form von Schulden – bis heute jedes Jahr 600 bis 700 Millionen Euro erspart. Ich habe damals gesagt: Das kann man nur einmal machen, und dabei bleibt es auch.
OP: Auf welchem Politikfeld wollen Sie auf keinen Fall sparen?
Koch: Wir werden keine ganzen Projekte zur Disposition stellen. Wir müssen aber schauen, ob die Vorhaben auch zu günstigeren Bedingungen zu verwirklichen sind. Von diesem Grundsatz wiederum wird kein Politikfeld ausgespart werden. Wir wollen nicht unsere ambitionierten Ziele aufgeben. Wenn wir – wie zugesagt – in dieser Legislaturperiode 2500 Lehrer zusätzlich in die Schulen schicken, geht das derzeit nur, wenn die Stellen von 2500 Landesbediensteten, die aus Altersgründen ausscheiden, unbesetzt bleiben. Das ist kein einfacher Weg, zumal wir keine Behörden schließen wollen. Wir werden überall darüber reden, wie wir mit den vorhandenen Kräften die Aufgaben erledigen können.
OP: Wird das Land Hessen ein weiteres Mal viel Geld für die Opel-Rettung in die Hand nehmen? Die Konzernmutter GM verlangt nach ihrem Zickzack-Kurs 2,7 Milliarden Euro Staatshilfen, will aber nur 600 Millionen Euro selbst bezahlen.
Koch: Auch General Motors als Eigentümer von Opel hat das Recht, in Deutschland Anträge auf staatliche Hilfe zu stellen. Deshalb müssen wir den Antrag auch prüfen. Wir können uns nicht auf den Standpunkt zurückziehen, weil das Unternehmen sich möglicherweise schlecht benommen hat, prüfen wir nicht. Es geht nicht darum, einem Unternehmen zu helfen. Wir wollen lediglich verhindern, dass viele Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Das machen wir unabhängig von der Branche bei kleinen, mittleren oder auch großen Betrieben.
Allein in Rüsselsheim gibt es über 15000 Arbeitsplätze direkt bei Opel. Dazu kommen bei den Zulieferbetrieben, die nur für dieses Unternehmen arbeiten, weitere knapp 15000 Mitarbeiter. Wenn ich dann auf die Familien schaue, habe ich leicht rund 100000 Köpfe vor Augen, die davon abhängig sind, ob der Vater, die Mutter, oder beide dort beschäftigt sein können. Das zeigt, wie wichtig uns der Erhalt von Opel sein muss. Wir geben Bürgschaften immer nach den gleichen Regeln – so schwer es einigen Unternehmen fällt, dies zu akzeptieren. Wenn ein Unternehmen sagt, wir wollen allein weiter machen, muss der Konzern auch für die Fehler der Vergangenheit die Verantwortung übernehmen. Die Verantwortung von General Motors hätte darin bestehen können zu sagen, wir geben 65 Prozent unseres Eigentums auf. Wenn ein Unternehmen das nicht will – wie GM das jetzt mit gutem Recht für sich entschieden hat – muss es auch ordentlich Geld mitbringen. Angesichts der bisher von GM vorgelegten und bislang angebotenen Eigenbeitrags sehen sie ja niemanden, der dafür staatliche Hilfe für realistisch hält.
OP: Gehört angesichts der schwierigen Haushaltslage für das Geberland Hessen die Reform des Länderfinanzausgleichs neu auf die Tagesordnung?
Koch: Ja, zumal Hessen Hauptzahler ist. Im Zusammenhang mit der Einführung der Schuldenbremse erscheint der Länderfinanzausgleich in einem neuen Licht. Das Geberland Hessen hat am Ende weniger Geld pro Einwohner im Landeshaushalt zur Verfügung als ein Land wie Rheinland-Pfalz, das von uns Ausgleichszahlungen bekommt. Wenn wir beispielsweise die gleiche Leistung für unsere Schulen aufbringen wollten, wie Rheinland-Pfalz, müssten wir Schulden aufnehmen. Das ist absurd – und das dürfen wir in Zukunft mit der Schuldenbremse nicht mehr. Obwohl wir das Land sind, das am meisten in den Länderfinanzausgleich einzahlt, müssen wir unsere Schulen im Vergleich zu unserem Nachbarland schlechter versorgen. Das ist nicht in Ordnung, um es diplomatisch zu formulieren. Deshalb muss es eine neue Diskussion um den Länderfinanzausgleich geben. Denn Hessens Bürger haben einen Anspruch darauf, dass bei den Schulen, den Universitäten, dem Straßenbau, der Polizei ein Standard gewährleistet wird, der nicht unter dem Bundesdurchschnitt liegt, weil wir woanders die Ausstattung der Unis und die Gehälter der Lehrer mitfinanzieren.
OP: Da die Geberländer in der Minorität sind, wird es schwierig werden, politische Mehrheiten für eine solche Reform zu organisieren.
Koch: Den einzig wirklichen Schutz für die wenigen Geberländer bietet das Bundesverfassungsgericht. Deshalb lässt sich eine verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung nicht ausschließen.
OP: Stichwort Einnahmeseite: Wie hartnäckig dürfen Hessens Steuerfahnder nach den Frankfurter Vorfällen ermitteln?
Koch: Die Steuerfahnder müssen sehr hartnäckig ermitteln – das galt immer in den letzten 10 Jahren und das bleibt auch so. Jenseits der Diskussion, ob einzelne Mitarbeiter vom Medizinischen Dienst, der mit der Finanzverwaltung nichts zu tun hat, korrekt oder falsch beurteilt wurden, bleibt auch richtig, dass die Finanzverwaltung den bestmöglichen Weg sucht. Sie hat diesen nach unserer Überzeugung auch gefunden, indem sie möglichst viele Steuersünder der 90er Jahre einem gerechten Verfahren zuführte. Eine Debatte um Fehlleistungen der Steuerfahndung ist in Hessen nicht zu führen. Unser System ist transparent. Jeder Bürger muss damit rechnen, dass im Zweifel die Steuerfahndung aufdeckt, was aufzudecken ist.
OP: Bleibt Ihr enger Vertrauter Franz Josef Jung nach seinem Scheitern als Bundesminister in Berlin als Bundestagsabgeordneter oder sehen Sie für ihn eine Zukunft in der hessischen Landespolitik?
Koch: Ich denke, dass Franz Josef Jung Bundestagsabgeordneter in Berlin bleibt. Er ist mit einem beeindruckenden Ergebnis in einem ursozialdemokratischen Wahlkreis, den die CDU zuvor noch nie gewonnen hatte, mit dem Vertrauen der Bürger ausgestattet worden. Das Vertrauen wird er nicht enttäuschen. Er ist zu meinem und zu seinem Bedauern nicht mehr Minister, aber er bleibt freigewählter Abgeordneter eines wichtigen hessischen Wahlkreises.
OP: Sie haben im ZDF-Verwaltungsrat die Ablösung von Chefredakteur Nikolaus Brender durchgesetzt, den Sie indirekt für ein mieses Betriebsklima und schlechte Quoten verantwortlich gemacht haben. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt hängen: Die Parteien reißen sich öffentlich-rechtliche TV-Sender unter den Nagel. Was ist an dieser Wahrnehmung falsch?
Koch: Die Mehrheit der Mitglieder der Gremien des ZDF sind keine Politiker. Sie gehören den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen an: Kirchen, Gewerkschaften, Tierschützern, Arbeitgeberverbänden und anderen. Es gibt aber auch politisch verantwortliche Repräsentanten unserer Gesellschaft in den Gremien von ZDF und ARD. Um es klar zu sagen: Es muss außerhalb der angestellten Mitarbeiter jemanden geben, der die Verantwortung trägt. Bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist letztlich der Gebühren zahlende Staatsbürger der Eigentümer.
OP: Wer repräsentiert den?
Koch: Am ehesten sind dazu legitimiert die Vertreter, die aus der Politik kommen. Die Politiker sollten in diesen Gremien nicht die Übermacht haben. Aber dass sie mit ihrer beruflichen Erfahrung Einfluss nehmen auf das Gestalten eines Milliardenhaushaltes mit Tausenden Mitarbeitern halte ich für selbstverständlich. Ich habe das gleiche Recht und die gleiche Verantwortung zu sagen, ich vertrete in diesem Gremium die Bürger dieses Landes, wie andere Mitglieder, die eine Gewerkschaft oder eine Glaubensgemeinschaft repräsentieren.
OP: Guido Westerwelle will verhindern, dass die hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach einen Sitz im Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung bekommt, obwohl sie als Vertriebenenpräsidentin oberste Repräsentantin derjenigen ist, deren Geschichte in dem Beirat verhandelt wird. Kommt Westerwelle damit durch?
Koch: Ich bin mit dem Vorgehen Guido Westerwelles in dieser Frage nicht einverstanden. Ich glaube, dass Erika Steinbach in dieser Frage Unrecht geschieht. Sie gehört zu denjenigen, die mit Leuten wie dem Sozialdemokraten Peter Glotz oder Ralph Giordano dem Bund der Vertriebenen eine neue Perspektive in der Mitte der Gesellschaft gegeben hat. Erika Steinbach lebt die Versöhnung. Wir als größerer Koalitionspartner finden, dass mit der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen fair umgegangen werden muss. Das ist ein handfestes Streitthema in der Koalition. So etwas kommt vor, das muss man nicht überbewerten. Aber Guido Westerwelle muss wissen, dass nach unserer Überzeugung der Bund der Vertriebenen seine Repräsentanten selbst auswählen darf, wie das jede andere Institution in diesem Lande macht, die Abgesandte in Gremien zu entsenden hat. Es gibt keinen Grund zu sagen: Der BdV darf jeden schicken – nur Erika Steinbach nicht.
Das Interview führte Matthias Mayer.