Rede Hessischer Unternehmertag
Rede des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch auf dem Hessischen Unternehmertag 2008
Wiesbaden, den 28. Oktober 2008
Sehr verehrter Herr Prof. Weidemann,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
der VhU ist es in diesem Jahr gelungen, ein Thema zu wählen, das uns im Augenblick alle, sozusagen in einer neuen Form von globalisierter Denkstruktur, beschäftigt. Es geht dabei um die Frage: Wie sind in Anbetracht einer sich verändernden Weltordnung die Chancen verteilt? Welche Standorte profitieren, welche geraten ins Hintertreffen?
Dies ist eine Debatte, die uns in Deutschland als besondere Herausforderung trifft. In den meisten anderen Ländern der Welt sprechen die Menschen vor allem über die vielen neuen Chancen, die sich ihnen bieten – und zwar in der dankbaren Anerkennung, dass jede neue Chance an sich bereits ein Gewinn ist. Wir in Deutschland hingegen leben auf einem hohen Erfolgsniveau, bei dem die meisten von uns Sorge haben, dass sich hinter jeder neuen Chance eher eine Gefahr verbirgt. Jede neuartige Entwicklung wird eher wie ein drohender Abstieg als ein möglicher Aufstieg wahrgenommen. Diesen Eindruck bekommt man nicht nur, wenn man in diesen Tagen die Zeitungen aufschlägt und die schrillen Negativschlagzeilen zur Wirtschaftsentwicklung liest. Stattdessen ist diese Unsicherheit durchaus ein Gefühl, das es seit längerem auch im Kreis der Unternehmerschaft gibt.
Ich erinnere mich an einen Jahreskongress der deutschen Unternehmensberater vor einiger Zeit in diesem Saal. Damals habe ich gesagt – und werde Ihnen dies auch heute sagen –, dass die deutsche Wirtschaft meiner Meinung nach im internationalen Wettbewerb auch auf längere Sicht beachtliche Chancen hat – wenn man allein schon das Wissen, die Kreativität, das Kapital und die Infrastruktur sieht, die es in diesem Land gibt. Da gibt es nun wahrlich keinen unmittelbaren Anlass, in tiefste Depressionen auszubrechen. Die Unternehmensberater, denen ich diese Position vortrug, reagierten zunächst freundlich, was den Beifall anging. Aber als ich dann zurück an meinem Tisch war, begann die Diskussion: „Also, wissen Sie, ich bin gerade aus China wiedergekommen. Dort werden zehnmal so viele Ingenieure pro Jahr ausgebildet. Glauben Sie wirklich, dass wir da eine Chance haben?“ fragte der eine. Und nach der Vorspeise kam der nächste und sagte: „Wir beraten gerade ein Unternehmen auf dem Weg nach Polen. Das ist alles sehr attraktiv dort. Denken Sie wirklich, dass wir da eine Chance haben?“ Was mir persönlich dabei Sorge bereitete, war die quälende Frage: Wenn diejenigen, die Unternehmen beraten, schon so denken, was sollen dann die armen Unternehmen denken, die beraten werden?
Und da sind wir dann dabei, ein Stück unseres Selbstbewusstseins wegzudiskutieren – mit einer in unserem Land besonders entwickelten Fähigkeit, die Schwächen sehr viel deutlicher zu sehen als die Stärken. Wenn wir dies tun, berauben wir uns unserer eigenen Potenziale. Ich will diesen Punkt aber jetzt nicht weiter vertiefen. Natürlich müssen wir bei der Diskussion darüber, wie wir uns sehen, auch immer berücksichtigen, wie andere uns sehen. Also lassen Sie mich nun besser wieder auf unsere Ausgangsbedingungen für ein erfolgreiches „Made in Germany“ am Standort Hessen zurückkommen.
Erfolg auf den internationalen Märkten ist nicht allein eine Konsequenz aus bestimmten Verhaltensweisen, individuell verteilter Kreativität oder der Addition von Zufällen, die dann irgendwann zu einer Art revolutionärem Durchbruch führen können, sondern auch von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Und gerade diese politischen Rahmenbedingungen bilden – neben der guten Tradition – die Legitimation dafür, dass ich heute hier am Rednerpult stehen darf. Der Ministerpräsident eines Landes und die Politik im Allgemeinen leisten jeweils ihren Beitrag, damit das, was individuell geschehen kann und sich an Chancen bietet, am Ende auch optimal genutzt werden kann und in der Summe einen Ertrag für die Menschen bringt.
Darin sehe ich meine Aufgabe. Ihr nachzukommen, fällt mir an diesem Tag unter den gegebenen politischen Umständen jedoch schwerer als sonst. Denn es ist – auch aus der Sicht einiger anwesender Abgeordneter – kaum möglich, Ihnen im Augenblick ein Regierungsprogramm zu verkünden. Wenn ich das tun wollte, könnte ich es erst am Mittwoch wieder. Wenn ich das am Mittwoch nicht kann, kommt es ziemlich anders daher. Das ist nichts Ungewöhnliches. Das ist das Gesetz der Demokratie. Am heutigen Tag aber erschwert es die von mir in diesem Rahmen über viele Jahre gepflegte Tradition, über die Parteiunterschiede hinweg zu reden. Deshalb werden Sie im Laufe der folgenden Bemerkungen meine Parteizugehörigkeit ein bisschen deutlicher erkennen als sonst. Ich bitte die Abgeordneten, die gerne Regierungsfraktionen werden möchten, das zu ertragen – in der tröstenden Erwartung, dass sich vielleicht ihre Hoffnungen erfüllen werden.
Die Frage, was wir Hessen zu „Made in Germany“ beitragen, ist in der Tat für jeden einzelnen von uns in diesem Saal relevant. Es ist zudem eine Frage, bei der gerade wir Hessen frohen Mutes sein können. „Made in Germany“ ist ein Qualitätsbegriff – gerade auch aus Sicht der Unternehmen in Deutschland. Das sollten wir nicht unterschätzen. Wir sollten diese Differenzierung nicht unterschlagen und uns nur noch einem Preiswettbewerb hingeben, der in diesem Land auf Grund guter marktwirtschaftlicher Strukturen so aggressiv ist wie in kaum einem anderen Land. Hier in Deutschland ist das Differenzierungskriterium von deutscher Wertarbeit immer noch etwas wert. Und natürlich reden wir damit auch über ein Gütesiegel für den Eintritt in andere Märkte. Unternehmen aus Deutschland treten schließlich in viele ausländische Märkte ein. Nicht ohne Erfolg – sonst wären wir nicht Exportweltmeister. Und wir haben, wenn wir über diese Märkte reden, auch noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht.
So machen z. B. deutsche Ausfuhren nach China im Augenblick nur etwa 3 Prozent des gesamten deutschen Exports aus, der sich insgesamt auf eine grobe Größenordnung von einer Billion Euro pro Jahr beläuft. So lauteten zumindest die Prognosen für dieses Jahr, die wir nun vielleicht nicht mehr ganz erreichen werden. Aber ein Exportanteil in der Größenordnung von 3 Prozent ist für ein Land von der Größe und Bevölkerungszahl Chinas fast schon lächerlich. Denn dort muss es objektiv riesige Märkte geben. Und meine Erfahrung auf den vielen Reisen und bei den vielen Debatten mit den Wirtschaftsdelegationen, die ich begleiten konnte, ist: Dieses „Made in Germany“ ist ein zentraler Türöffner.
Manchmal in völlig fremdartiger Weise, indem z. B. ein Entscheidungsträger innerhalb der Großbürokratie, wie es in China immer noch die gesamte Administration ist, schon subjektiv glaubt, dass er das Risiko gegenüber seinen Vorgesetzten, etwas „in den Sand zu setzen“, allein dadurch begrenzen kann, dass er behauptet, ein deutsches Produkt gekauft zu haben. Dieses Qualitätsmerkmal, das da entstanden ist und das es nach wie vor gibt, ist eine Chance, zunächst einmal überhaupt Zutritt zu Märkten zu bekommen. Doch dazu muss man eben auch fähig und Willens sein.
Ich war kürzlich am „Tag des Handwerks“ bei einem Tischlereibetrieb hier in der Gegend. Dieser Betrieb verrichtet seine Arbeiten eigentlich im Umfeld zwischen Darmstadt und Gießen. Mit einer Ausnahme: Es gibt eine Zweigstelle in Irland. Denn diese Tischlerei fertigt Fenster, die nicht nur dicht sind, sondern auch besonders wärmegedämmt. Und das scheint in Irland offenbar noch eine Innovation zu sein. Ausgerechnet die Tatsache also, dass es seine Fenster vollständig in Deutschland fertigt und mit dem Gütesiegel „Made in Germany“ verkauft, hat dem Unternehmen einen stabilen Absatz in Irland beschert. Seitdem fliegt es seine Belegschaft tageweise nach Irland ein, um die vorgefertigten Fenster zu montieren. Die Erfolgsgeschichte eines Tischlereibetriebs in der globalen Welt, die noch lange nicht zu Ende ist: Denn weil in Irland alles so gut funktioniert hat, haben die Geschäftspartner in Irland vorgeschlagen, doch auch in London diese Fenster zu vertreiben und einzubauen.
So entsteht hier in Hessen ein globalisiertes Unternehmen mit 25 Mitarbeitern. Wenn dieses Unternehmen aber an einem Ort säße, von dem aus die Anfahrt zum Flughafen für die Mitarbeiter zweieinhalb, drei, oder vier Stunden betrüge, würde der Unternehmer kaum auf eine solche Idee kommen, weil sie sich für seine Größenordnung betriebswirtschaftlich wahrscheinlich nicht rechnen würde. Das mag banal klingen, aber es zeigt den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Infrastruktur, Zentralität, Erreichbarkeit und der Nutzungsmöglichkeit der Marke „Made in Germany“. Und das ist unser besonderer Vorteil, den wir als Land Hessen haben.
Was tragen wir zu dieser Marke bei? Wir machen möglich, dass in diesem Bundesland mehr ausländische Besucher und Kunden „Made in Germany“ erleben können, weil sie zuerst in dieses Bundesland kommen, wenn sie Deutschland besuchen. Wir machen es möglich, dass mehr Unternehmen mit „ Made in Germany“ in der Welt Geld verdienen können, weil sie von hier aus schneller in der Lage sind, ihre Produkte in andere Teile der Welt zu transportieren. Jetzt kommt die parteiische Zwischenbemerkung: Deshalb ist die Frage, ob der Ausbau des Frankfurter Flughafens in wenigen Monaten begonnen wird oder ob wir uns nach 10 Jahren Debatte eine endlose neue Litanei über die alten Fragen erlauben, eine zentrale Existenzfrage für die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes.
Wir können über viele Dinge diskutieren. Und sicherlich gibt es viele Dinge, über die wir am Ende einen einvernehmlichen Kompromiss haben werden. Aber es gibt eben auch ein paar Punkte, die binär sind. Das bedeutet: entweder null oder eins. Wer zehn Jahre lang über einen Flughafenausbau diskutiert hat, alle Argumente abgewogen, sämtliche Fakten mehrfach überprüft und am Ende eine Entscheidung getroffen hat – der hat eine Entscheidung getroffen, die allenfalls noch die Gerichte zu überprüfen haben. Aber wenn man am Ende versucht, dieses ganze Paket wieder aufzuschnüren, dann fällt alles auseinander – und man muss von vorne wieder anfangen. Ob man dadurch klüger wird, halte ich für unwahrscheinlich, aber länger dauern wird es in jedem Fall. Das ist es, was all jenen klar sein sollte, die einzelne Punkte am Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens zurzeit in Frage stellen.
Ich bin Herrn Dr. Bender sehr dankbar, dass er in den letzten Tagen mit einer für ihn nicht so ganz selbstverständlichen „Undiplomatie“ und Klarheit gesagt hat, was er davon hält. Ich habe auch ein gewisses Verständnis dafür; schließlich hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass der Flughafen heute bereit für diesen Ausbau ist. Und deshalb kann es nicht sein und darf es nicht sein, dass aus einer gefährlichen Kombination von Dummheit und Absicht, alles wieder „in die Tonne“ getreten wird, was so mühsam erarbeitet worden ist. Das ist eine sehr emotionale Aussage, aber die will ich hier auch treffen.
Ich sage das am Beispiel von Fraport, weil Herr Dr. Bender ja auch in einem anderen Zusammenhang ein durchaus bedenkenswertes Zitat im Laufe seiner inzwischen langen Amtszeit geprägt hat. Er hat zu einem Zeitpunkt – das liegt 10 Jahre zurück –, als nicht klar war, ob er eine Chance bekommt, diesen Flughafen hier zu entwickeln, einmal gesagt: „Wir werden eine Aktiengesellschaft. Denn wir können unser Geld auch woanders auf der Welt verdienen.“
Fraport ist inzwischen ein globalisiertes Unternehmen. Wir sind gemeinsam stolz, dass dies so ist. Im Augenblick ist Fraport an 13 Flughäfen auf der ganzen Welt beteiligt. Die Gewinne aus diesen Beteiligungen ermöglichen es dem Unternehmen, im Rhein-Main-Gebiet für Milliardenbeträge Verkehrsinfrastrukturen zu schaffen, ohne dass der Steuerzahler einen Cent dafür bezahlen muss. Dies ist durchaus etwas, das kritische Aktionäre hinterfragen. Morgen früh kann hier eine Situation eintreten, in der es wirtschaftlich attraktiver ist, sich mehr mit den anderen Standorten in der Welt zu beschäftigen, weil sich dort leichter Geld verdienen lässt – während man am Heimatstandort Frankfurt nichts als Ärger hat. Dabei ist Fraport gegenwärtig ein Unternehmen, das nicht frei von staatlichem Einfluss ist. Das erhöht ein Stück weit die Loyalität zum Heimatstandort und ist übrigens auch genau der Grund, warum das Land Hessen an diesem Unternehmen beteiligt ist. Aber es ist eine Ausnahme – für andere Unternehmen gilt dies nicht.
Und deshalb sind wir wieder bei der Frage angelangt: Worin bestehen die Rahmenbedingungen, mit denen man Unternehmen an diesem Standort das Leben erleichtert oder – im negativen Fall – erschwert? Wenn man einmal betrachtet, worin die Besonderheiten von Hessen liegen und welche besonderen Chancen es an diesem Standort gibt, dann kann man dies bildhaft am besten mit den fünf „olympischen Ringen“ beschreiben, die für unsere Stärken stehen.
Erstens: Wir sind ein Bundesland, das über eine große Stärke im Bereich der Automobilindustrie verfügt – quer durch das Land, von Kassel bis in den Süden Hessens; mit großen Automobilherstellern, Entwicklungsabteilungen, Teileherstellern und einer geradezu endlosen Zahl kleinerer und mittlerer Unternehmen, die von der Entwicklung bis zur Produktion das Cluster formen, das sich um die großen Kernunternehmen herum entwickelt hat.
Zweitens haben wir nach wie vor eine sehr beeindruckende chemische und pharmazeutische Industrie. Sie hatte sicherlich in der Vergangenheit manche Schwierigkeit zu meistern, aber ist immer noch von beeindruckender Größe. Und deshalb ist ja der VhU zu danken, dass sie in einem Land, das in besonderer Weise den Dienstleistungssektor repräsentiert, immer auch auf die industriellen Kerne Wert legt. Wir Hessen exportieren in beachtlichem Maß Chemikalien: Grundchemikalien immer weniger, Spezialchemikalien dafür immer mehr. Diese werden von immer mehr Menschen in der Welt benötigt – in einem zunehmend globalisierten Markt. Hessen ist und bleibt eine der Apotheken der Welt.
Wir sind, drittens, in der Finanzindustrie stark engagiert. Das mag im Augenblick möglicherweise ein bisschen stressbehaftet sein, aber es ist natürlich eines der Kernelemente unserer wirtschaftlichen Wertschöpfung in den internationalen Märkten. Übrigens betreuen wir auch dort nicht einfach nur Bankkunden, sondern haben eine ganze Menge von Produkten entwickelt, die das Prädikat „Made in Germany“ tragen. Das ist leider nicht überall ins Bewusstsein vorgedrungen – und ich finde, wir könnten auf die Innovationskraft unser Finanzdienstleister in Deutschland durchaus stolzer sein, als wir es mitunter sind.
Darüber hinaus verfügen wir – viertens – über eine bedeutende Informations- und Telekommunikationsbranche. Frankfurt ist der zentrale Internetknoten in Europa. Wir sind durch die Unternehmen, die diese Datennetze betreiben und in Gang halten, in einer Weise mit der Welt vernetzt, wie dies außerhalb der USA niemand sonst von sich behaupten kann.
Und schließlich, fünftens, sind wir – wenn man die Größe unseres Landes mit seiner geografischen Bedeutung in Relation setzt – in ungewöhnlich starker Weise ein Logistikstandort. Und zwar wieder von Nord bis Süd. Kassel ist zwar nicht der Nabel der Welt. Das wäre dann schon eher Frankfurt. Aber Kassel ist eine der Nabelstellen Deutschlands. Und das wiederum kann durchaus spannend für ausländische Investoren sein, die nicht nach Frankfurt wollen, weil dort die Flächen längst knapp und teuer sind.
Deshalb profitiert die nordhessische Region von einem zusammenwachsenden Europa so stark, wie sie es in letzten Jahren getan hat. Keine andere vergleichbare Wirtschaftsregion in Deutschland ist in den vergangenen Jahren schneller gewachsen als Nordhessen. Die nordhessische Wirtschaft ist sogar signifikant schneller gewachsen als die der angrenzenden Regionen in den benachbarten Bundesländern – was kein Vorwurf in irgendeiner Weise gegenüber den Nachbarn sein soll, sondern ein Kompliment an Nordhessen. Es zeigt, dass wir unter der Nutzung aller objektiven Voraussetzungen das Notwendige getan haben, um ein Optimum herauszuholen. Am Ende bedeutet dies, dass man als hessisches Unternehmen eben nicht nur im Großraum Frankfurt seinen Sitz haben muss, um von der Globalisierung zu profitieren. Sondern es bedeutet auch, dass wir den Zugang zu internationalen Märkten mehr und mehr auch für weitere Akteure öffnen, wenn wir die richtigen Subsysteme dafür öffnen. Das betrifft zum einen die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur – darüber habe ich bereits gesprochen -, aber zum anderen auch die Fähigkeit zur Innovation.
Bei der Innovation brauchen wir in Deutschland eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Staat und Unternehmen, weil uns heute auf der Welt viele Länder gegenüber stehen, in denen der staatliche Anteil zur Innovationsförderung signifikant höher ist. Nur weil wir gerade ein staatliches Rettungspaket für Banken aufgelegt haben, heißt dies nun aber nicht, dass wir in vergleichbar spektakulärer Weise auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Forschungslandschaft stärken könnten. Wir werden ein Stück weit zu akzeptieren haben, dass, wenn jemand beispielsweise in Singapur ein Forschungslabor einrichtet, er dort mit staatlichen Fördermitteln geradezu überschüttet wird. Glücklicherweise wissen wir aber auch, dass deshalb nicht immer automatisch mehr dabei herauskommt. Für ein mittelständisches Unternehmen allerdings stellt es schon einen relevanten Standortfaktor dar, ob es die teuren Maschinen und Apparaturen für seine Versuche selbst kaufen muss, oder ob der Staat ein komplett ausgerüstetes Labor zur Verfügung stellt. Deshalb haben wir uns in den vergangenen Jahren auch in Hessen dazu entschieden, unsere Wissenschaftslandschaft zu verändern.
Und zwar so zu verändern, dass die einfältige These inzwischen überwunden ist, Universitäten dürften nichts mit Wirtschaft zu tun haben, weil sie sonst in falscher Weise beeinflusst oder von der Wirtschaft abhängig würden. Wir haben die Strukturen in Hessen so verändert, dass Universitäten und Fachhochschulen ihre akademische Ausbildung heute in einer Symbiose mit der Wirtschaft umsetzen können, bei der beide Seiten zum wechselseitigen Nutzen zusammenarbeiten.
In Frankfurt wird in wenigen Tagen der zweite Bauabschnitt des Frankfurter Innovationszentrum Biotechnologie (FIZ) eröffnet – etwas, das vor einem Jahrzehnt nicht gebaut werden konnte, weil diese Technologie in diesem Bundesland nicht populär war. Heute handelt es sich bei dem FIZ um ein Zentrum, das mit Unternehmen aus der ganzen Welt bestückt ist, um verloren gegangene Schwerpunkte der Medizinforschung hierher zurückzuholen.
Vor wenigen Tagen erst haben wir das Institut für Solare Energieversorgungstechnik (ISET) in Kassel auf eine weitere wichtige Entwicklungsstufe gebracht. Das zeigt die langfristige Wirkung von forschungspolitischen Aktivitäten – Herr Dr. Gerhardt ist ja heute unter uns. Denn das ISET entstand in der Regierungszeit von Ministerpräsident Walter Wallmann und Wissenschaftsminister Dr. Wolfgang Gerhard in den Jahren 1987-1988. Damals wurde aus einzelnen Forschern ein Institut geformt, das in seiner Materie heute weltweit führend ist und bald auch zu den großen Fraunhofer-Instituten aufschließen wird – etwas, das es bisher in Nordhessen noch gar nicht gab. Das ISET ist mit hoher Kompetenz auf dem Gebiet der erneuerbaren Energietechnik ausgestattet; ohne Ideologien, aber in allen Bereichen kompetent.
In Mittelhessen sind wir dabei, ein Medizincluster aufzubauen. Dies wird nicht mehr die alleinige Aufgabe haben, diese Region medizinisch zu versorgen; denn der Versorgungsbedarf der Region würde bei weitem nicht ausreichen, ein solches Cluster erfolgreich zu betreiben. Vielmehr muss man dafür sorgen, dass Medizinpatienten aus immer entfernteren Regionen zur Behandlung dorthin kommen, wenn man einer so großen Zahl von Ärzten und Forschern, einschließlich zwei Universitätskliniken auf kleinstem Raum, eine Zukunft bieten will. Andernfalls wird die Medizinbranche selbst zum Patienten. Mit der Fusionierung und Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg sowie dem Bau vieler hochmoderner Einrichtungen gelingt es uns bereits, die Region Mittelhessen als Medizinstandort international zu positionieren. Inzwischen kommt es mir so vor, dass Mediziner aus Gießen und Marburg öfter als ihre Kollegen aus Frankfurt bei Delegationsreisen und Messen in Abu Dhabi, Dubai, den Vereinigten Staaten oder in Südafrika zugegen sind, um potenzielle Kunden für ihr Kompetenzzentrum zu begeistern.
Ich glaube, dass damit deutlich wird: Ja, wenn man als Staat und Gesellschaft der Wirtschaft zugewandt ist, kann man in einem globalisierten Markt Wohlstand für die Menschen im Land organisieren. Und ich behaupte, dass das Bundesland Hessen durchaus mit seinen objektiven Voraussetzungen alle Chancen hat, stärker als andere von dieser globalisierten Welt zu profitieren. Die Marke „Made in Germany“ leistet dabei einen wesentlichen Beitrag, um in der Welt überhaupt erst einmal wahrgenommen zu werden.
Nehmen wir dazu den Großraum Frankfurt. Er hat das Potenzial, einer der zehn oder fünfzehn wichtigsten Knotenpunkte im weltweiten Netz ökonomischer Beziehungen zu sein. Wir sind gewiss nicht die Wirtschaftsmetropole vor allen anderen. Mit einem Großraum wie London brauchen wir uns gar nicht erst auf einen Wettstreit einzulassen, denn dieser ist allein schon zehnmal so groß, was die Einwohnerzahl angeht. Andererseits wird man Europa nicht von den britischen Inseln aus erschließen können. Und manche internationalen Unternehmen, die in den letzten Jahren hierher nach Frankfurt gekommen sind, haben dies genau aus diesem Grund getan. Wir müssen also dafür sorgen, dass wir an dieser Nahtstelle, an diesem Netzknoten, zweierlei erreichen: Das erste ist, es muss weiterhin einfach sein, hierher zu kommen und von hier aus woanders hin zu gelangen. Und das zweite ist, es muss darüber hinaus an Ort und Stelle interessante Angebote geben, die jeweils die neuesten wissenschaftlichen oder technologischen Entwicklungen widerspiegeln.
Wenn man dies einmal industriepolitisch betrachtet, dann befinden wir uns in der Tat wieder in der alten Diskussion aus der Ära von Helmut Schmidt – bei der Frage nämlich, ob Deutschland ein Staat der Blaupausen werden kann; mit einer über die letzten dreißig Jahre verbindlich gefundenen Antwort, die lautet: „Nein!“ Das Verhältnis zwischen Dienstleistung und industrieller Leistung wird sich immer mehr zur Dienstleistung verschieben. Das geht gar nicht anders. Aber ohne dass wir selbst etwas industriell herstellen, werden wir weder die technologische Entwicklung noch die industrienahen Dienstleitungen hier halten können.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit General Motors-Vorstandschef Rick Wagoner. Es ging um die Frage, worin die Aufgaben der Opel-Mitarbeiter und Ingenieure in Rüsselsheim im Vergleich zu den übrigen Werken des GM-Mutterkonzerns bestehen. Der überwiegende Teil derer, die in Rüsselsheim heute arbeiten, sind Entwickler, Techniker oder arbeiten im administrativen Bereich. Nur eine Minderheit von ihnen befasst sich unmittelbar mit der Fertigung von Automobilen. Aber wenn diese Mehrheit der Arbeitnehmer in Rüsselsheim nicht mehr mit eigenen Augen sehen könnten, wie man Autos baut, wenn sie die von ihnen entwickelten Technologien nicht mehr in der realen Automobilfertigung im Nebenhaus ausprobieren könnten, dann würden sie irgendwann im Elfenbeinturm sitzen.
Niemand kann die komplette Entwicklung eines Fahrzeugs dort betreiben, wo keine Autos mehr hergestellt werden. Und deshalb: Wenn wir nicht geeignete Rahmenbedingungen für die industrielle Fertigung schaffen – in Form von vernünftigen Energiepreisen, in Form von einem hinreichend flexiblen Arbeitsrecht etc. –, dann wandert die Produktion ins Ausland ab. Und mit geradezu logischer Konsequenz folgen der Produktion dann irgendwann auch die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie der Dienstleistungssektor.
Die Aufspaltung von „wir entwickeln“ und „andere produzieren“ wäre ein Vorgang, der das Ende des Industriestandorts und damit auch das Ende des Wohlstands in Deutschland herbeiführen würde. Ich denke, das sollten wir uns in Hessen zu Herzen nehmen.
Ich komme zurück zur Ausgangsfrage und zu meiner Anekdote vom Unternehmensberater-Kongress: Haben wir denn als Standort Deutschland eine Chance im internationalen Vergleich? Die Auszeichnung der Unternehmen beim Wettbewerb „Hessen-Champions“ hat uns da schon einen ersten Hinweis gegeben: Ja, natürlich haben wir eine Chance! Wir haben beispielsweise einen riesigen Vorsprung bei der Qualität unserer Ausbildung. Wir sind zwar oft dabei, unsere Bildung in Grund und Boden zu reden, was andere in der Welt mit einem gewissen Unverständnis begleiten. Wer aber in Amerika einen College-Abschluss in Elektrotechnik hat, sollte nicht versuchen, sich mit einem in Deutschland ausgebildeten Kraftfahrzeug-Elektroniker eines durchschnittlichen Kfz-Betriebs zu messen. Er würde nämlich im Zweifelsfall einsehen müssen, dass der Geselle aus Deutschland über einen höheren technischen Wissensstand verfügt und in der Praxis deutlich besser ausgebildet ist. Bedauerlicherweise wird der deutsche Kfz-Elektroniker jedoch von der Statistik nicht als Akademiker erfasst – weshalb wir im internationalen Bildungsvergleich schlechter abschneiden.
Wer sieht, wie Berufungen bei internationalen Forschungseinrichtungen, etwa in der Physik oder in der Medizin, vonstatten gehen, der wird erkennen, dass es oft geradezu eine Eingangsvoraussetzung ist, in Deutschland studiert zu haben. Wer in Deutschland studiert hat, ist in seiner universitären Laufbahn außerhalb Deutschlands oft erfolgreicher, als derjenige, der nicht in Deutschland studiert hat. Das können wir auch anhand von Statistiken sehen. Wenn deutsche Universitäten also wirklich so schlecht wären, wie ihr Bild in der Öffentlichkeit manchmal gezeichnet wird, dann würde die Realität anders aussehen.
Über die Stärken unseres Bildungssystems reden wir nur leider viel zu selten. Stattdessen leben wir in geradezu panischer Angst davor, dass unsere Schulkinder gegenüber chinesischen, japanischen, amerikanischen, französischen oder finnischen Altersgenossen im Nachteil sind, weil das deutsche Bildungssystem angeblich so schlecht ist. Es steht außer Frage: Wir müssen an unserem Bildungssystem vieles nachjustieren, um eine bessere individuelle Förderung zu ermöglichen und den Erfordernissen der Integration besser als bisher Rechnung zu tragen. Das alles ist richtig. Aber wir haben heute in Deutschland eine Ausgangsposition, die von sehr hoher Qualität zeugt und für die aufstrebende Wirtschaftsnationen wie Indien oder China erst recht noch Jahrzehnte brauchen werden, um auf ein annähernd vergleichbares Niveau zu gelangen.
Die meisten anderen Länder dieser Welt haben auch keine sozialen Verhältnisse mit vergleichbarer Stabilität wie wir hier in Deutschland. Bei Reformen reden wir hierzulande über die Details von sozialen Sicherungssystemen, um die uns andere Nationen außerhalb Europas nur beneiden können. Wir leben hierzulande in einer stabilen Demokratie. Wir leben auf einem Kontinent, in dem es keine Gefährdung durch kriegerische Auseinandersetzungen gibt. Wir haben anderthalb Jahrhunderte Erfahrung in Teamarbeit, industriellen Prozessen, der Errichtung moderner Infrastruktur, sowie die Gewissheit, dass sich in unserer freiheitlichen Demokratie jeder nach eigener Maßgabe und eigenen Fähigkeiten frei entfalten darf. Es gibt kaum andere Regionen auf der Welt, die vergleichbar auftreten können.
Wir müssen uns deshalb eher mit der Aufgabe befassen, was wir aus diesen hervorragenden Ausgangsbedingungen machen: Ob wir mit Selbstbewusstsein darangehen, diese Chancen weiter zu entwickeln. Das betrifft dann eben die Bildungs- und Hochschulpolitik, die Infrastruktur, aber beispielsweise auch die Steuerpolitik und vieles andere.
Dabei stellt sich auch die entscheidende Frage: Sind wir noch in der Lage, gesellschaftliche Innovationen auch bei uns heimisch zu machen? Wir haben einen Teil der Arzneimittelindustrie aus diesem Land mitsamt der Forschung vertrieben. Horst Seehofer hat einmal darauf hingewiesen, dass Deutschland einst geradezu ein weltweites Monopol auf die biotechnologische Arzneimittelforschung hatte – bis wir mit entgegengesetzten politischen Rahmenbedingungen diesem Wissenschaftszweig solche Schwierigkeiten gemacht haben, dass die deutschen Unternehmen sich dazu durchgerungen haben, redundante Forschungszentren in den Vereinigten Staaten und in Japan zu gründen, weil sie dem Standort Deutschland nicht mehr trauten.
Die Auswanderung der Biotechnologie ist keine Frage der Dummheit von deutschen Forschern, der Unfähigkeit oder mangelnden Kreativität im bundesrepublikanischen Wissenschaftssystem gewesen. Sondern es war eine Frage des Nichtwollens einer Gesellschaft und der gesellschaftlich-politischen Blockaden gegenüber neuen modernen Entwicklungen der Industrie. Mit diesen hätte man hier viel Geld verdienen können, das heute andere in der Welt verdienen. Und darüber muss man offen reden.
Wenn man mit „Made in Germany“ international Geld verdienen möchte, dann darf man sich nicht auf das Schreiben von Geschichtsbüchern beschränken, sondern muss am anderen Ende der Entwicklung stehen. Wir waren und sind in Deutschland bei vielen Technologiebereichen an der Spitze. Dazu gehörte früher auch einmal die Kernenergie. Jedesmal, wenn ich am Offenbacher Kreisel bei AREVA vorbeifahre, denke ich daran, dass ich den Betrieb schon sehr lange kenne. Es arbeiten immer noch fast 2.000 Menschen in diesem großen Bereich. Aber früher gab es hier einmal 10.000 Arbeitsplätze. Die gibt es nun im Ausland. Es gab für sie keine Chance, bei uns einen kerntechnischen Referenzbetrieb zu gründen. Die Politik hat in Deutschland nämlich vor einigen Jahren beschlossen, dass die Kerntechnik in dieser Welt keine Zukunft mehr haben soll. Es muss da aber wohl ein Kommunikationsproblem gegeben haben, denn der Rest der Welt hat es offenbar nicht mitbekommen.
Inzwischen gibt es Entscheidungen der G8 und der Europäischen Union, bei denen sich eine gelähmte deutsche Politik zwar der Stimme enthält, alle anderen Staaten aber Milliarden-Beträge aufwenden, um diese Technik weiterhin anzuwenden. Hunderttausende von Ingenieuren werden weltweit damit ihr Geld verdienen; nur wir Deutschen werden Probleme haben, in diesem Wettbewerb überhaupt noch mitzumischen. Wir haben einst alles an Technik hier besessen, was es brauchte, um diese Technologie – zum Wohle auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – in die ganze Welt zu exportieren. Diese Technik umfasst weit mehr als das Bauen einer Stahlbetonhaube oder eines Reaktorkerns; sie umfasst beispielsweise auch die Informationstechnologien. Aber heute haben wir vieles davon einfach an das Ausland abgegeben.
Ich rede nicht gering, was mit Windkraftwerken in Deutschland geschieht. Dies ist eine wirtschaftliche Entwicklung, die spannend ist und mit der man viele Exportmärkte in der Welt erschließen kann. Es ergibt zwar keinen großen Sinn, jeden Taunusberg mit Windkraftanlagen zu versehen, weil wir bedauerlicherweise ein Land sind, in dem es relativ wenig Wind gibt. Aber dafür gibt es durchaus Gegenden in der Welt, in denen Windräder echte Energiemaschinen sind, weil dort bis zu 8.000 Stunden Wind pro Jahr herrschen. Auf dem Taunusberg mit 900 Stunden Wind überwiegt die Verschandelung der Landschaft. Das ist der Unterschied. Es ist nicht eine Frage von Ideologie, sondern von nüchternem Rechnen. Damit man deutsche Windkraftwerke in der Welt verkaufen kann, braucht es hierzulande Referenzprojekte; und deshalb wurden hier auch bereits viele aufgestellt. Aber wer damit gegen marktwirtschaftliche Prinzipien verstößt, tut sich selbst und der Marke „Made in Germany“ keinen Gefallen.
Wir müssen aufpassen, dass wir den gleichen Fehler nicht bei der deutschen Automobilindustrie begehen, die ein bestimmtes Segment abdeckt. Natürlich können wir jetzt wieder vergeblich beschließen, dass die Menschheit in Zukunft kleinere Fahrzeuge fahren sollte – dem Klima zuliebe. Es spricht aber einiges dafür, dass Geschäftsleute in China oder den USA weiterhin lieber Audi, BMW oder Mercedes fahren wollen. Wenn wir durch zu strenge Umweltauflagen unsere eigene Industrie schädigen, bevor sie ihre Produkte auf moderne Ökotechniken umgestellt hat – was hätten wir dadurch gewonnen? Wir alle hier im Saal dürften uns einig darüber sein, dass es in 30 Jahren ohnehin kein Auto mehr geben wird, das mit Benzin fährt. Die Frage ist nur, ob es in 30 Jahren noch Audi, BMW oder Mercedes gibt. Mit den aktuell diskutierten Normen zum Schadstoffausstoß setzen wir genau dies aufs Spiel. Und eines Tages wird man an dieser Stelle vielleicht fragen: Warum haben wir in Deutschland die Automobilindustrie verloren?
Ich ende mit diesem Beispiel, um auf ein letztes zu kommen: das der Finanzindustrie. Der Standort Frankfurt ist in der gegenwärtigen Krise bislang sehr viel besser davongekommen als andere Finanzzentren auf der Welt. Darin liegt manchmal auch ein Stück Zufall. Wie lange haben wir bedauert, dass es in Frankfurt so wenig Investmentbanking gibt! Im Augenblick hat es sich nicht als Nachteil erwiesen. Wir haben dagegen Asset-Management. Wir betreuen das Vermögen von Kunden, und – so schlimm es für einige Kunden auch sein mag – in der Summe gibt es immer noch eine ganze Menge Vermögen. Der Pfandbrief ist eine deutsche Erfindung. Mit Verbriefungstechniken, die transparent sind, kennen wir uns vielleicht besser aus als unsere Konkurrenz im Ausland. Die Deutsche Börse hat inzwischen eine doppelt so hohe Marktkapitalisierung wie die nächstkleinere Börse auf der Welt. Von der Finanzindustrie in Frankfurt können seit vielen Jahren schon zwischen 70.000 und 80.000 Arbeitnehmer sehr erfolgreich leben. Ich weiß aber auch, dass es dem „German Financial Engineering“ lange Zeit an dem Image und dem Selbstbewusstsein fehlte, um sich gegenüber den angelsächsischen Finanzplätzen erfolgreich zu positionieren. Auch daran wird die gegenwärtige Krise vielleicht noch manches verändern.
Und deshalb lautet meine Zusammenfassung: Der Staat kann und muss eine Menge an Rahmenbedingungen setzen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich ihrerseits überlegen, was sie wollen und was nicht. Aber die Gesellschaft insgesamt kann ihre Ziele nur mit Unternehmen und Unternehmern erreichen, die sich mit diesen Zielen und diesem Standort identifizieren. Für die Banken ist die Frage, in welchem Land sie Zuhause sind, im Augenblick nicht egal. Ich will nicht hoffen, dass dies momentan für andere Industrien in derselben Weise gilt. Aber eines kann man daraus schon schließen: Es ist nicht ganz egal, wo man sich auf der Welt befindet. Und Heimatrechte hat man nur, wo man Heimat lebt. Industrie-, Wissenschafts- und Dienstleistungsunternehmen erfahren in diesen Tagen der Globalisierung, dass Heimatrecht etwas ziemlich Existenzielles sein kann.
Darum müssen wir uns alle anstrengen: die Bürgerinnen und Bürger mit allem, was in einer modernen und positiv denkenden Leistungsgesellschaft dazu gehört. Der Staat muss sich anstrengen, indem er die Voraussetzungen für erfolgreiches unternehmerisches Handeln schafft, ohne die Wirtschaft unnötig zu behindern. Aber auch Unternehmen müssen uns ein Signal geben, dass sie bereit und willens sind, sich hier zu engagieren – und dass sie sich lieber dreimal quälen, als fortzuziehen und es anderswo zu probieren. Dies ist notwendig, denn sobald es keine Rolle mehr spielt, ob man in Deutschland produziert oder nicht, verliert auch die Marke „Made in Germany“ als internationaler Türöffner für die Unternehmen an Strahlkraft.
Heute noch kann man fast nicht von Indien oder China aus nach Amerika fliegen, ohne in Frankfurt, London oder Paris zwischenzulanden. In 10 Jahren wird man in Dubai und Abu Dhabi genauso bequem zwischenlanden können, so dass man Europa gar nicht mehr berühren muss, um zwischen Asien und Amerika Geschäfte zu machen. Die Frage ist, wo wir selbst uns in diesem Wettbewerb einordnen. Wenn wir das Selbstbewusstsein haben, „Made in Germany“ genauso ernst zu nehmen wie während der deutschen Erfolgsgeschichte der vergangenen 60 Jahre, dann gibt es für uns keinen Grund, den internationalen Wettbewerb zu fürchten.
Stattdessen gibt es, finde ich, gute Gründe, dass Unternehmensberater ihren Kunden sagen: „Bleibt hier!“ Ja, vielleicht sogar sagen: „Kommt hierher zurück!“ Deutschland ist kein Schlaraffenland. Es ist mitunter ein schwieriges Land, mit eigenwilligen Bürgern und vielleicht auch merkwürdigen Politikern – das mag alles sein. Aber es ist in der Summe ein Land, in dem die Vorteile dauerhaft überwiegen. Hier gibt es das weltweit höchste Maß an Präzision, Qualität, Kontinuität und Seriosität. Hier findet man Rahmenbedingungen wie kaum noch sonst auf der Welt.
Und vielleicht sollten wir uns in Hessen bemühen, dieser Entwicklung auch in Zukunft nicht im Weg zu stehen.
Vielen herzlichen Dank!