Koch: „Mit ihrer bisherigen Arbeit hat die große Koalition wesentlich zur Verbesserung des wirtschaftlichen Klimas beigetragen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der „WirtschaftsWoche“
WirtschaftsWoche: Herr Ministerpräsident, die Berliner Koalition hat wesentliche Reformvorhaben abgearbeitet: Gesundheit, Rente mit 67, Unternehmens- und Erbschaftsteuer. Der Aufschwung verbreitert sich. Wo sehen Sie noch Reformbedarf?
Koch: Mit ihrer bisherigen Arbeit hat die große Koalition wesentlich zur Verbesserung des wirtschaftlichen Klimas beigetragen. Damit wächst auch das Vertrauen der Bürger in die Politik, und diese erhält so wieder Handlungsspielraum, um die nächsten Reformen überhaupt anzugehen.
WirtschaftsWoche: Und wie sollte die große Koalition dieses Vertrauen nutzen?
Koch: Mit einer Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung, weiterer Flexibilisierung im Arbeitsrecht und Fortführung eines engagierten Programms in der Unternehmensbesteuerung – da sind wir ja keineswegs fertig – sowie die Verfassung eines vernünftigen, Transparenz und Handlungsfähigkeit schaffenden Private-Equity-Gesetzes. Das ist keine Revolution, aber das sind die richtigen und möglichen Schritte in die richtige Richtung – und es ist gut, dass dies mit konjunkturellem Rückenwind geschieht.
WirtschaftsWoche: In der SPD gibt es nach wie vor Kritik an der Unternehmenssteuerreform, viele fordern eine Nachbesserung. Und jetzt hat auch noch Angela Merkel Nachbesserungen angekündigt, um Kritik aus der Wirtschaft entgegenzukommen.
Koch: Ich bin sehr froh, dass wir in allen zentralen Fragen ohne großen öffentlichen Streit eine Einigung zwischen SPD und CDU/CSU in dieser für die Zukunft der deutschen Wirtschaft so wichtigen Frage erzielt haben. Schon bei der Vorbereitung des Kabinettsentwurfs sind viele Vorschläge aus der Wirtschaft aufgenommen worden, und natürlich werden die beiden Seiten der großen Koalition bis zum Beschluss durch Bundestag und Bundesrat für gute Ideen offen sein. In den zentralen Fragen aber sind Nachverhandlungen weder erforderlich noch sinnvoll. Die von der Bundeskanzlerin angesprochenen Punkte sind übrigens bereits auf einem guten Weg, und ich bin ganz sicher, dass der Mittelstand uns für diese Reform sehr dankbar sein wird.
WirtschaftsWoche: Sehen Sie denn die Union nach wie vor als Reformmotor und kann sie damit überhaupt als Partei noch punkten?
Koch: Reformpolitik ist nie endlich. Es gibt immer neue Herausforderungen. Deshalb halte ich auch nichts davon, zu sagen, dass die große Koalition ihr Reformprogramm jetzt abgearbeitet habe. Mit der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen und Gesetze hat die Regierung viel zu tun. Und die Haushaltskonsolidierung bleibt ein gigantisches Reformwerk. Wer glaubt, weil gerade mal ein Jahr die Haushaltslage etwas entspannt ist, könnten wir jetzt die Hände in den Schoß legen und entspannt wachsenden Steuereinnahmen entgegensehen, die dann nur verteilt werden müssen, der irrt.
WirtschaftsWoche: Welche Prioritäten setzen Sie denn? Sparen oder bereits über neue Ausgaben nachdenken?
Koch: Die Regierungskoalition hat ja mit ihrem 25-Milliarden-Programm deutlich gemacht, dass die Welt nicht nur daraus besteht, Geld zur Seite zu legen, wenn man ökonomisch erfolgreich sein will. Sonst hätten wir ja angesichts der Verschuldungslage nicht ein Programm für Infrastruktur und Forschung auflegen können. Das wird immer eine Abwägungsfrage bleiben. Wir müssen vorsichtig umsteuern. Ich befürworte allerdings, dass der Großteil der jetzigen konjunkturell bedingten Steuermehreinnahmen in die Haushaltssanierung fließt.
WirtschaftsWoche: Wann könnten wir denn mit einem ausgeglichenen Haushalt rechnen?
Koch: Bei durchwachsener Konjunktur wird man bis zum Anfang des nächsten Jahrzehnts brauchen. Bei guter Konjunktur kann dies auch früher sein.
WirtschaftsWoche: Und was halten Sie von einer verfassungsrechtlichen Eingrenzung der Neuverschuldung wie von den Wirtschaftsweisen vorgeschlagen?
Koch: Wir benötigen bessere Regeln für die Grenzen der Neuverschuldung. Das ist eine wichtige Aufgabe der Föderalismusreform II. Ich halte dabei sowohl die Vorschläge des Sachverständigenrates für eine präzisere Formulierung des Investitionsbegriffs, aber auch seine Ablehnung eines generellen Verschuldensverbotes für richtig.
WirtschaftsWoche: Auch in der CDU gibt es Stimmen, die sagen, der Aufschwung ist da, jetzt wollen wir den Menschen nicht zu viel zumuten.
Koch: Das ist nicht meine Argumentation. Die CDU will und muss der Antreiber von Reformen bleiben. Sie will auch gewählt werden, weil die von ihr betriebenen Veränderungen zu dauerhaftem Wohlstand und Sicherheit in einer globalisierten Welt beitragen. Und deshalb gibt es überhaupt keinen Grund für eine Reformpause. Die Union hat vor der Bundestagswahl für ambitioniertere Vorstellungen geworben, die konnten wir in der großen Koalition nicht verwirklichen. Aber diese Orientierung ist deshalb ja nicht aufgehoben.
WirtschaftsWoche: Welche weiteren Reformen meinen Sie?
Koch: Flexibilisierung des Arbeitsrechts, Vermögensbeteiligung von Arbeitnehmern und betriebliche Bündnisse für Arbeit.
WirtschaftsWoche: Die Union hat bei der jüngsten Bundestagswahl mit diesem Programm ein denkbar schlechtes Wahlergebnis erzielt. Glauben Sie, dass man in Deutschland wirklich mit Reformpolitik Wahlen gewinnen kann?
Koch: Die Politik hat seit den Neunzigerjahren anfangs zu wenig verändert und später – wenn ich an die Erfolgsankündigung von Schröder und Clement denke – einen massiven Vertrauensverlust erlebt. Viele Menschen glauben uns Politikern nicht mehr, dass unsere Versprechungen wirklich eintreten. Deshalb halte ich es für vorrangig, Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Da hilft das, was die große Koalition gegenwärtig tut, sehr. Weil sie demonstriert, dass Politik wieder Dinge beschließt, dann um- und durchsetzt – und Erfolg eintritt. Das wirkt noch nicht dauerhaft, weil die Menschen einer einjährigen positiven Entwicklung noch nicht so große Bedeutung beimessen. Das muss über längere Zeit gehen. Und das ist auch der Grund, dass beide Partner an der Stabilität der großen Koalition Interesse haben. Als Union haben wir das Interesse, über die Erfolge der kleinen Schritte der großen Koalition die Legitimation für große Reformschritte zu bekommen.
WirtschaftsWoche: Wie passt Ihr Eintreten für einen Mindestlohn in dieses Konzept?
Koch: Ich muss Sie bremsen: Wir glauben, dass ein einheitlicher, staatlich festgesetzter Mindestlohn nicht machbar ist. Wir glauben aber, dass es für tarifliche Mindestlohnvereinbarungen in bestimmten Branchen und regional unterschiedlich gute Gründe gibt.
WirtschaftsWoche: Der marktwirtschaftlichen Klientel der Union dürfte das schon zu weit gehen. Viele, die bei der Bundestagswahl die Union gewählt haben, sehen einen Verrat an den marktwirtschaftlichen und wertkonservativen Traditionen der CDU. Ein Teil der Wähler geht zur FDP oder wählt gar nicht mehr. Was setzen Sie dem entgegen?
Koch: Man muss damit gelassen umgehen. Unsere Wähler werden sich fragen, ob sie die Union stark genug machen wollen, damit sie wieder unabhängig von der SPD wird und zusammen mit der FDP eine Koalition der großen Schritte bilden kann. Und je näher wir zur nächsten Bundestagswahl kommen, desto stärker werden wir nicht nur Erfolge der Koalition herausstellen, sondern auch was eine CDU/CSU-geführte Regierung nach 2009 tun will. Da hilft uns auch die Diskussion über das neue CDU-Grundsatzprogramm.
WirtschaftsWoche: Aber schon bei der Wahl 2005 hat die Union ein Viertel ihrer Wähler verloren.
Koch: Ich sage ja nicht, dass das gut war. Aber dieses Ergebnis hängt auch mit dem von mir beschriebenen Vertrauensverlust zusammen.
WirtschaftsWoche: In Frankfurt wurde die CDU-Kandidatin, Frau Roth, bei 33,6 Prozent Wahlbeteiligung nur von 20 Prozent der Wahlberechtigten zur Oberbürgermeisterin gewählt. Ist das für Sie ein Problem?
Koch: Die Menschen haben doch ein Recht, abgestuft nach Bedeutung zu entscheiden. Auch nicht zur Wahl zu gehen kann eine bewusste Entscheidung sein. In Frankfurt beispielsweise waren die Bürger mit der Arbeit von Petra Roth sehr zufrieden. Wir werden bei Bundestagswahlen weiter 80 Prozent und mehr Wahlbeteiligung bekommen. Wenn es bei Landtagswahlen knapp über 60 und bei Kommunalwahlen knapp unter 40 Prozent sind, ist das in Ordnung. Es muss doch nicht jeder dauernd zu jeder Wahl gehen.
WirtschaftsWoche: Trägt die CDU nicht zu diesem Vertrauensverlust bei, indem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident einen dezidiert linken Kurs verfolgt, andere Ministerpräsidenten aber das genaue Gegenteil?
Koch: Die Union kann ohne die Pflege von bürgerlichen, konservativen und marktwirtschaftlichen Traditionen nicht existieren. Unser Ziel muss weiter sein, die notwendigen 40 plus X Prozent der Stimmen zu bekommen. Daran werden alle mitarbeiten.
WirtschaftsWoche: Aber führt nicht die große Koalition zu einer Verschiebung des Koordinatensystems in der Union?
Koch: Nein, wir sind allerdings zurzeit gezwungen eine Politik zu machen, die in der Mitte zwischen Union und SPD liegt. In der Konsequenz ist dies aber hoffentlich lehrreich: Denn die Menschen sehen, dass die beiden großen Parteien in den großen Fragen nun mal keine großen Lösungen hinbekommen – folglich sind doch auch in der Wahrnehmung der Menschen die inhaltlichen Schwerpunkte der Parteien weiter auseinander als Journalisten und Politikwissenschaftler jedenfalls vor der Bundestagswahl oft behauptet haben. Bei allen Grundsatzfragen sind wir sogar soweit voneinander entfernt, dass wir unseren Wählern einen Kompromiss gar nicht zumuten können. Aber wir machen natürlich jetzt bei weniger wichtigen Fragen Kompromisse, und selbst die führen uns offenbar in einigen Fällen an den Rand der Wählerbindungsfähigkeit.
WirtschaftsWoche: Aber müsste die CDU, müssten nicht auch Sie und die Kanzlerin deutlicher die Seelenqualen bei diesen Kompromissen zum Ausdruck bringen?
Koch: Nochmals: Wir werden mehr Vertrauen für eine ambitioniertere Politik nur dann bekommen, wenn die große Koalition ein Erfolg wird. Ohne Erfolg der großen Koalition gibt es keine größere Zustimmung zur Union. Und wenn die Erfolge eintreten, werden sie eher der Nummer eins, also Angela Merkel und der Union, als der Nummer zwei der Koalition zugeschrieben.
WirtschaftsWoche: Beim Thema Kinderkrippen scheint die Union ihre konservativen Wähler zu verschrecken.
Koch: Das sehe ich anders. Selbst die, die jetzt überrascht sind, werden häufig beim Blick auf ihre eigene familiäre Situation, auf ihre Töchter, sehr schnell sehen, dass wir einen richtigen Weg gehen. Ich kenne aus meinen Veranstaltungen so viele Mütter der Nachkriegsgeneration, die ihren Töchtern ein Studium ermöglicht haben und die sich heute für ihre Töchter krummlegen, damit diese als Rechtsanwältinnen oder Ärztinnen im Beruf bleiben können. Das sind gerade auch unsere Wähler. Die würden uns davonlaufen, wenn wir nicht auf ihre Lebenssituation eine Antwort finden. Wenn wir das Thema mit Behutsamkeit angehen, werden wir niemanden verlieren.
WirtschaftsWoche: Also reiben Sie sich die Hände, dass es der Union und insbesondere der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gelingt, in SPD-Milieus einzubrechen?
Koch: Mal unabhängig davon, dass sie die SPD verunsichert, bin ich sehr froh, dass es mit der Personifizierung von Frau von der Leyen gelungen ist, langjährige programmatische Forderungen der CDU jetzt auch in praktische Politik umzusetzen. Familienpolitik ersetzt zwar nicht unsere Kompetenz in der Außen-, Wirtschafts- oder Innenpolitik. Aber sie ist wichtig, um die junge Generation anzusprechen.
WirtschaftsWoche: Sie plädieren für ein klares Profil der Union – aber wie klar ist dieses noch, wenn man sieht, mit welcher Freude sich auch Unions-Politiker inzwischen für einen Einstieg des Staates bei gefährdeten Unternehmen aussprechen?
Koch: Durch ein intellektuell nicht nachvollziehbares Steuergeschenk der rot-grünen Bundesregierung, der Freistellung von Gewinnen aus Unternehmensveräußerungen, ist es zu einer abrupten, ungeplanten Auflösung der Deutschland AG gekommen. Dadurch ist großer Schaden entstanden. Denn es ging nicht um neue, sinnvolle unternehmerische Strukturen, sondern um schnelles Kassemachen, wie die Vorgänge um die Deutsche Börse.
WirtschaftsWoche: Kommt dadurch nicht auch ausländisches Kapital nach Deutschland, das früher einen großen Bogen um uns gemacht hat?
Koch: Ich glaube, dass dies bei einer vernünftigen Anpassung der Versteuerung auch so möglich gewesen wäre. Wir können und wollen das jetzt nicht zurückdrehen, aber wir müssen in der Globalisierung dafür sorgen, dass Kapitalmärkte Kapitalmärkte bleiben. Staaten wie Russland und China könnten mit ihren Währungsreserven den kompletten deutschen Dax kaufen. Das ist eine Herausforderung, die wir erst allmählich in Deutschland wahrzunehmen beginnen. Allerdings sollte der Staat nur in absoluten Ausnahmefällen einsteigen.
WirtschaftsWoche: Warum?
Koch: Die Deutsche Börse hat eine Marktkapitalisierung von zehn Milliarden Euro, DaimlerChrysler von 46 Milliarden Euro. Wenn der Staat in jedes übernahmegefährdete Unternehmen einsteigen wollte, wären wir schnell am Ende. Der Glaube, der deutsche Staat könnte mit der KfW winken und Investoren abhalten, ist eine Illusion.
WirtschaftsWoche: Welche andere Lösung haben Sie dann?
Koch: Wir sollten das Außenwirtschaftsgesetz zumindest dahin überprüfen, dass wir zwar nicht bei Anteilskäufen durch ausländische Privatunternehmen ein Vetorecht haben, aber beim Einstieg von Staaten oder Staatsfirmen.
WirtschaftsWoche: Gilt das auch für Frankreich, das bei der EADS die Führung anstrebt?
Koch: Wir werden uns sicher mit Frankreich bei EADS immer einigen.
WirtschaftsWoche: Hat die CDU nach dem angekündigten Rückzug von Friedrich Merz noch das Personal für ein klares wirtschaftliches Profil?
Koch: Sicherlich ist ein Land wie Hessen kein schlechtes Beispiel dafür, was man mit einer vernünftigen CDU-Wirtschaftspolitik erreichen kann. Als jemand, der sich in seinem ganzen politischen Leben mit Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik beschäftigt hat, sehe ich wie andere auch meine Verantwortung darin, unsere Wirtschaftspolitik nicht nur mit Blick auf unser Bundesland, sondern auch auf Bundesebene zu prägen. Wir zeigen mit Hessen, dass es mitten in Europa gelingen kann, eine Region, ein Bundesland auch in der Globalisierung wettbewerbsfähig und wachstumsorientiert zu führen.