Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem „Rheinischen Merkur“
RHEINISCHER MERKUR: Der Kampf um die Krippe geht in die nächste Runde. Nach Ansicht des Augsburger Bischofs Walter Mixa sind Ursula von der Leyens Pläne „schädlich für Kinder und Familien und einseitig auf eine aktive Förderung der Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern fixiert“, sie degradierten Frauen damit zu „Gebärmaschinen“. Teilen Sie diese Befürchtung?
ROLAND KOCH: Bei allem Respekt, den ich als Katholik gegenüber einem Bischof habe: Das ist schlicht Unsinn. Der Respekt vor Frauen gebietet, dass sie bei gleicher Ausbildung gleiche Berufsperspektiven haben und trotzdem nicht auf Kinder verzichten müssen. Gerade Bischöfe sollten sich darüber freuen, dass junge Frauen ihren Kinderwunsch nicht abschreiben, wenn ihnen die Gesellschaft die Vereinbarkeit dieser beiden Ziele unmöglich macht. Gemeinsam müssen wir alles tun, dass – wenn über 90 Prozent aller Frauen mit 20 Familie mit Kinder leben wollen – daraus auch beim übergroßen Teil Familien mit Kindern werden.
RHEINISCHER MERKUR: Entwickelt sich nicht mit Elterngeld und Krippenausbau ein neues Familienbild? Wer arbeiten geht, wird belohnt, wer zu Hause bleibt, geht leer aus?
KOCH: Ich habe großen Respekt vor Frauen, die als Familienmanagerinnen und Mütter zu Hause bleiben. Zugleich dürfen Politiker weder ignorieren noch verschweigen, dass in dieser Gesellschaft die Erwerbstätigkeit von Frauen größer werden wird. Wir müssen dafür sorgen, dass Mütter endlich frei wählen können. Wenn in Deutschland fast 50 Prozent der Akademikerinnen keine Kinder bekommen, ist das ein unerträglicher Zustand, über den sich auch ein Bischof Gedanken machen muss. Hessen handelt genau deshalb. Wir haben die Zahl der Betreuungsplätze bei Tagesmüttern und Einrichtungen allein im vergangenen Jahr um 5000 auf 18700 gesteigert und wir werden das weiter ausbauen.
RHEINISCHER MERKUR: Müsste nicht für Eltern, die zu Hause bleiben und dadurch auch finanziell schlechter stehen, zusätzliches Geldlockergemacht werden?
KOCH: Das Ehegattensplitting hat schon heute vor allem dann finanzielle Wirkung, wenn nur einer der beiden Partner arbeitet. Wer im Beruf aussetzt, bekommt selbstverständlich Anrechnungszeiten für die Rente. Aber es kann doch kein volles Gehalt für Eltern geben, die lange nicht erwerbstätig sind. Sehr wohl hat der Staat die Verantwortung, eine Infrastruktur zu schaffen, in der man guten Gewissens und vertrauensvoll seine Kinder in betreute Obhut geben kann. Wer es immer für eine Errungenschaft gehalten hat, dass Frauen die gleiche Ausbildung haben wie Männer, sich aber für die Konsequenzen nicht interessiert, der zerstört Familie! Ich finde das, was Ursula von der Leyen macht, sehr wohl konservativ und sehr christlich. Es ist nämlich die einzige Chance, dass es künftig noch in dem jedenfalls von der CDU erwünschten Umfang Familien gibt.
RHEINISCHER MERKUR: Auch die SPD applaudiert der Familienministerin. Was ist denn an Ursula von der Leyens Politik konservativ?
KOCH: Die Union macht Familien keine Vorschriften. Die SPD geht davon aus, dass alle Frauen arbeiten, ihre Kinder in Betreuungseinrichtungen und später zwangsweise auf Ganztagsschulen schicken. Wir setzen auf individuelle Entscheidungen der Familien und daher auch auf große Vielfalt. Wir mögen zum Beispiel Tagesmütter mehr als Krippen. Aber genauso wie die SPD achten wir darauf, was Familien wünschen.
RHEINISCHER MERKUR: Was halten Sie von dem SPD-Vorschlag, zur Finanzierung zusätzlicher Krippenplätze auf eine Erhöhung des Kindergeldes zu verzichten? Wo soll das Geld sonst herkommen?
KOCH: Ich finde es zutiefst unfair, Eltern so gegeneinander auszuspielen. Wo Mittel durch zurückgehende Kinderzahlen frei werden, müssen wir darüber sprechen, wie sie in der Familienpolitik bleiben können und verwendet werden.
RHEINISCHER MERKUR: Sollte das bisherige Ehegattensplitting zu einem stärker auf die Kinderzahl abstellenden Familiensplitting ausgebaut werden?
KOCH: Mittelfristig ist das sicher richtig. Ich warne aber vor zu schnellen Erwartungen. Das Ehegattensplitting ist verfassungsrechtlich geschützt und sollte auch politisch verteidigt werden. Ein Familiensplitting kostet also zusätzliches Geld.
RHEINISCHER MERKUR: Sollte das Familiensplitting an die Ehe gekoppelt werden?
KOCH: Wir können die Unterstützung für Kinder beim Familiensplitting nicht deshalb aussetzen, weil die Eltern geschieden sind. Beim Ehegattensplitting ist das anders: Wer davon profitieren will, muss heiraten.
RHEINISCHER MERKUR: Die Länder sind zuständig für die frühkindliche Bildung. Was halten Sie von einem verpflichtenden Vorschuljahr?
KOCH: In Hessen gehen im letzten Jahr vor der Schule 98 Prozent in den Kindergarten. Insofern sehe ich keinen Bedarf, mit Gesetzesmaschinerie und großem Verwaltungsaufwand Pflichten einzuführen. Es muss aber ein politisches Ziel sein, durch Bildungsangebote schon vor dem ersten Schuljahr möglichst viele Kinder zu erreichen, gerade auch solche aus Migrantenfamilien.
RHEINISCHER MERKUR: Die Föderalismusreform sollte die Rechte der Länder stärken. Ursula von der Leyen prescht aber mit ihren Krippenplänen vor, obwohl die Länder zuständig sind. Eine ungehörige Einmischung?
KOCH: Ich lasse mir ja auch nicht verbieten, zu Zuwanderungsfragen zu sprechen, obwohl ich weiß, dass der Bund zuständig ist. Ursula von der Leyen hat doch nicht das Recht an der Garderobe abgegeben, zu gesamtstaatlich interessierenden Fragen Stellung zu nehmen. Am Ende ist natürlich klar: Gesetze kann nicht der Bund machen, sondern nur die Länder. Und wenn der Ausbau der Krippenplätze für den Bund so wichtig ist, muss er uns auch helfen, die finanzielle Last zu tragen.
RHEINISCHER MERKUR: Aber das rot-grüne Ganztagsschulprogramm hat die Union doch genaudeshalb attackiert, weil der Bund sich die Politikhoheit erkaufe. Geht von der Leyens Vorschlag nicht in die gleiche Richtung?
KOCH: Nein, das geht nach der Föderalismusreform nicht mehr. Der Bund darf keinen goldenen Fresskorb mehr hinhängen nach dem Motto: Ihr Länder müsst tun, was wir euch sagen. Wenn er die Länder stärken will, kann er die Länderanteile an den Steuereinnahmen erhöhen. Ich verlange, dass wir Länder eine Kompensation bei den Steuereinnahmen bekommen und uns in Selbstverpflichtungen zum Ziel zusätzlicher Krippenplätze bekennen. Dazu ist Hessen bereit. Föderalismus heißt aber: Wenn ein Land sein Geld nicht in Betreuung stecken will, muss der Bund damit leben.
RHEINISCHER MERKUR: Stimmt eigentlich der Eindruck, dass die CDU-Ministerpräsidenten der Kanzlerin Angela Merkel immer wieder ins Handwerk pfuschen?
KOCH: Ich habe nicht den Eindruck, dass Angela Merkel unter den Ministerpräsidenten leidet. Angela Merkel übrigens auch nicht. Bis heute ist kein einziges Projekt der Regierung am Bundesrat gescheitert. Aber am Ende aller Verfassungsreformen bleibt doch: Deutschland hat nach dem düstersten Teil seiner Geschichte gerade deshalb wieder Anerkennung gefunden, weil es eben kein Zentralstaat ist. Nationale Politik wird nicht nur in Berlin gemacht, sondern auch in den Ländern. Das ist keine Erfindung von egozentrischen Ministerpräsidenten, sondern das Grundprinzip!
RHEINISCHER MERKUR: Sind Sie zufrieden mit dem Profil der Unionsparteien in der Großen Koalition?
KOCH: Eine Große Koalition verlangt immer Kompromisse, die hart an der Grenze dessen sind, was für eine Partei verträglich ist. Wenn man sich aber aus patriotischen Gründen auf ein solches Bündnis eingelassen hat, müssen die gemeinsamen Schritte im Vordergrund stehen und nicht permanent das Trennende. Und wir machen doch mit Haushaltsdisziplin, Unternehmenssteuerreform und Außenpolitik große Schritte in die richtige Richtung.
RHEINISCHER MERKUR: Ein nordrhein-westfälischer Ministerpräsident tritt als Arbeiterführer auf, ein bekannter wirtschaftsliberaler Politiker wie Friedrich Merz scheidet aus Frust über Berlin und Düsseldorf aus. Marschiert die CDU in die falsche Richtung?
KOCH: Die Bürger fragen zunehmend nicht mehr Klischees ab, sondern Leistungsfähigkeit. Mir ist um das Profil der Union nicht bange. Wenn wir nicht mehr die Mehrheit der Arbeitnehmer erreichen, werden wir unser Ziel von 40 Prozent plus x verfehlen. Und natürlich stehen viele aus der CDU der Wirtschaft nahe, vor allem dem Mittelstand. Und am Ende fügen wir das zusammen.
RHEINISCHER MERKUR: Neben dem wirtschaftsliberalen wirkt auch der nationalkonservative Flügel der CDU verwaist. Stoßen Sie in diese Lücke?
KOCH: Ich habe mich immer erfolgreich einer Zuordnung zu bestimmten Parteiflügeln entzogen. Aber ich bin ein Politiker, der die Bürger mit konservativen Wertvorstellungen vertritt und verkörpert. Das ist sicher ein Stück meiner Verantwortung.
Das Interview führten Markus Fels und Robin Mishra.
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