Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Deutschlandfunk
Christian Schütte: Bund und Banken wollen den Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate retten, um größeren Schaden vom Land abzuwenden, wie es heißt. Für die Finanzwelt in Deutschland sicherlich eine gute Nachricht; für den Steuerzahler und den Staatshaushalt ist dies möglicherweise mit Risiken verbunden. Nun kommen auch noch beunruhigende Signale aus den USA hinzu. Im Kongress ist das geplante Rettungspaket der US-Regierung im Repräsentantenhaus vorerst gescheitert. Die internationale Finanzkrise und ihre Auswirkungen. Darüber spreche ich nun mit dem CDU-Politiker Roland Koch, geschäftsführender Ministerpräsident in Hessen. Guten Morgen, Herr Koch.
Roland Koch: Guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Das in den USA mühsam zusammengeschnürte Hilfspaket ist überraschend gescheitert. Herr Koch, trauen Sie es den USA noch zu, Ruhe an die aufgeregten Märkte zu bringen?
Koch: Ich glaube, man muss sehr hart sagen, sie müssen es. Ich denke, dass auch die Abgeordneten trotz den Wahlkampfzeiten am Ende das akzeptieren werden. Das ist ja hier eine sehr wahlkampfgeprägte Zeit offenbar, in der die Bevölkerung natürlich darüber empört ist, was auf der Finanzindustrieseite passiert. Nur: Es ist nun einmal in Amerika passiert. Hätte es dort andere, auch staatliche Regelungen im letzten Jahrzehnt gegeben, wären wir in dieser Krise so nicht. Deshalb muss auch die amerikanische staatliche Seite durch Parlament und Regierung die Verantwortung dafür übernehmen, dass wir daraus nicht eine Weltwirtschaftskrise produzieren. Die Lage ist sehr ernst und der Donnerstag, an dem jetzt im Abgeordnetenhaus erneut abgestimmt wird, ist deshalb ein sehr ernster Tag für die internationale Wirtschaft.
Schütte: Ein ernster Tag, sagen Sie. Was, wenn das Paket dann doch scheitert, möglicherweise aufgrund des Wahlkampfes? Welche Folgen hätte dies weltweit und auch für Deutschland speziell?
Koch: Man soll immer vorsichtig sein mit Katastrophenspekulationen, aber ich glaube, man muss dann sehen, dass die Zahl der amerikanischen Finanzierungsinstitute, die das nicht überleben wird, deutlich größer werden wird, als das im Augenblick abzusehen ist. Da kein Bankinstitut national alleine tätig ist, sondern alles weltweit verknüpft ist, wird das erhebliche Schäden auch für die Finanzinstitute in anderen Teilen der Welt auslösen. Die alle können keine Kredite mehr geben für neue Engagements von Bürgern, von Industrieunternehmen, von wem auch immer, und zugleich verlieren diejenigen, die Aktien oder Anleihen in solchen Banken haben, möglicherweise ihr Geld. Das heißt, die Folgen, die daraus entstehen können, sind dramatisch, sind das, was wir im schlimmsten Fall eine systemische Krise, also nicht das Problem eines einzelnen Finanzinstituts, sondern ein Problem der jeweiligen Volkswirtschaft nennen. Deshalb kümmern wir uns in Deutschland darum; so müssen sich auch die Amerikaner darum kümmern.
Schütte: Staatliche Rettungspakete für angeschlagene Banken, das war bisher in Deutschland für den Bundesfinanzminister kein Thema. Nun gibt es doch ein solches, nämlich für die Hypo Real Estate. Hat der Bundesfinanzminister das Ausmaß der Krise für Deutschland unterschätzt?
Koch: Die Schwierigkeit dieser Krise seit dem Juni des vergangenen Jahres ist ja, dass sie sich selbst verschärft. Ich glaube nicht, dass irgendjemand das voraussehen wollte, und man muss auch vorsichtig sein mit Staatsfinanzierungen. Ich mache deshalb niemandem einen Vorwurf, wenn er sich getäuscht hat, aber er hat sich getäuscht.
Schütte: Also jetzt eine politische Kehrtwende von Herrn Steinbrück?
Koch: Wissen Sie, ich glaube, dass das Politik nur noch relativ wenig zu tun hat. Hier muss ökonomisch entschieden werden, wie größere Schäden in Form dessen, was ich Weltwirtschaftskrise nenne, durch jeden einzelnen, der daran Verantwortung tragen kann, unter Kontrolle gehalten wird. Da können wir zunächst einmal sagen, die Amerikaner, die das jetzt verursacht haben, müssen ihren Teil dazu beitragen, aber das kann uns nicht blind machen. Der Staat hat eine größere Verantwortung für das Finanzsystem, als er für eine Unternehmung, die Schrauben produziert, hätte, denn wenn die Schraubenproduktion ausfällt, gibt es für eine bestimmte Zeit möglicherweise zu wenig Schrauben. Wenn die Finanzindustrie ausfällt, gibt es überhaupt nichts mehr, was sich wirtschaftlich entwickeln kann, denn jedes Unternehmen und jeder Privatmann muss die Chance haben, Zugang zur Finanzindustrie zu haben. Deshalb gibt es da eine staatliche Verantwortung. Ob der Staat übrigens am Ende Geld draufzahlt an dieser Stelle, das werden wir sehen. Im Augenblick ersetzt der Staat mit seiner Bürgschaft mehr fehlendes Vertrauen, als dass er schlechte Geschäfte finanzieren würde, etwa bei diesem Punkt, den wir jetzt mit der Hypo Real Estate haben.
Schütte: Herr Koch, so argumentiert ja auch der Bundesfinanzminister. Es sei eine Bürgschaft, es sei nicht gesagt, dass der Steuerzahler tatsächlich für die Schwierigkeiten der Hypo Real Estate aufkommen muss. Ist das Wunschdenken?
Koch: Nein. Das ist natürlich auch immer ein Stück der Erwartung wie bei jeder Bürgschaft. Sie wissen, der Bund hat bisher 300 Milliarden Bürgschaften für Unternehmensgeschäfte verschiedenster Art in seinen Büchern, so dass immer die Einschätzung natürlich dahinter ist, wir hoffen, dass es dazu nicht kommt, sonst würden wir die Bürgschaft gar nicht ausgeben.
Schütte: Ist das verantwortungsvolle Politik, darauf zu hoffen, dass der schlimmste Fall, dass der Steuerzahler für knapp 26,6 Milliarden Euro geradestehen wird, dass dieser schlimmste Fall nicht eintreten wird?
Koch: Das ist eine außerordentlich verantwortungsvolle Politik, weil wenn man diese Maßnahmen im Augenblick nicht trifft – so schwierig das ist -, ist man absolut sicher, dass man durch den Zusammenbruch des Finanzsystems sehr viel höhere Ausfälle haben wird. Wir sind leider seit der IKB in der Situation des gleichen Problems: ein Finanzierungssystem, das zusammenbricht, weil das System nicht mehr funktioniert. Das würde in unseren modernen Volkswirtschaften Schäden auslösen, die viel, viel größer sind als das, was ein amerikanischer Risikoschirm selbst von der gigantischen Summe sagen wir mal von 700 Milliarden US-Dollar oder was ein deutscher Rettungsschirm, der sehr viel kleiner im Augenblick ist, jeweils schützen kann. Das heißt, die Investition oder die Entscheidung ist aus meiner Sicht richtig. Sie ist notwendig. Wenn der Staat das nicht tut, werden die Schäden für die einzelnen Bürger, der Verlust ihres Arbeitsplatzes, der Verlust von Anlagen für die Alterssicherung, die sie gemacht haben, und die fehlende Chance, dass neue Investitionen geschaffen werden, sehr viel größer sein. Leider Gottes, aber es ist so.
Schütte: Der Fall Hypo Real Estate ist aber auch eine Art Präzedenzfall, auf den sich bald weitere angeschlagene Banken berufen werden können.
Koch: Der Zusammenbruch von Instituten aus Gründen, die in der derzeitigen Vertrauenskrise liegen, wird weiterhin auf der Tagesordnung stehen. Wir können nicht garantieren, dass dies das Ende ist. Wir haben heute Nacht gesehen, dass eine weitere belgische große Finanzinstitution unter den Schutzschirm der dortigen Regierung gehen musste. Ich glaube, dass unsere Privatbanken und unsere Sparkassen, die sehr stark auf den Einlagen ihrer Anlieger beruhen und nicht jeden Tag in der ganzen Welt das Geld neu zusammensammeln müssen, in einer ausgesprochen günstigen Position sind, wie wir in der ganzen Welt sehen, dass Universalbanken im Augenblick sehr viel weniger davon beeinflusst sind als andere, so dass der Kern des deutschen Finanzgeschäftes aus meiner Sicht stabiler ist und ein sehr großes Vertrauen von Bürgern und Anlegern verdient und nicht in den Sog auch der aktuellen Aktienspekulationen hineingeraten sollte. Aber wir haben auch Institutionen, über die es nach wie vor Gespräche gibt, und ich hoffe, dass dort Verantwortliche so sind, dass sie möglichst früh Alarm schlagen und nicht versuchen, sich unter einer Decke zu verstecken, um am Ende mit den schlechtesten Reaktionszeiten zu kommen. Das gilt für die Landesbanken, das gilt möglicherweise auch noch für einige andere Institute, die im Augenblick in Deutschland in der Diskussion sind.
Schütte: Schaden abwenden ist das eine; Fehlspekulationen im großen Stil verhindern ist das andere. In den vergangenen Wochen ist immer wieder von Konsequenzen die Rede gewesen. Hier und da ist tatsächlich ein Vorstandsmitglied einer Bank entlassen worden. Herr Koch, sehen Sie schon Ansätze, dass sich der Bankensektor grundsätzlich ändert, um Fehlspekulationen im großen Stil künftig zu vermeiden?
Koch: Marktwirtschaftliche Ordnungen sind besser, als wenn Beamte die Finanzindustrie auf der Welt führen, und Marktwirtschaft bedeutet, dass auch am Markt Fehler gemacht werden. Das wird es auch in Zukunft sicherlich geben. Trotzdem: Wir werden aus dieser Krise eine Menge zu lernen haben. Es beginnt, ohne dass das ein hämisches Fingerzeigen ist, ganz sicherlich in den USA und ich glaube, man sollte auch deutschen Bürgern immer wieder sagen, das was dort jetzt zu dem Auslösen der weltwirtschaftlichen Krise geführt hat, nämlich die Tatsache, dass Menschen Häuser gekauft haben und Kredite dafür bekommen haben, die höher waren als der Wert des Hauses, ist in Deutschland schon rechtlich ausgeschlossen. Jeder der einmal eine Wohnung oder ein Haus finanzieren will, weiß, dass spätestens bei 80 Prozent des aktuellen Wertes Schluss ist. In Amerika hat man 130 und 150 Prozent des Wertes bekommen und darin liegt der erste Ausgangspunkt der Krise. Das heißt, gute finanzielle Regulierung im Land ist notwendig. Das gab es in Amerika nicht ausreichend. Bei uns gibt es viel davon. Und trotzdem hat Peer Steinbrück aus meiner Sicht einen richtigen Katalog von Fragen aufgeworfen, die wir auch regulierend ändern müssen für die Weltfinanzmärkte, aber wir Deutsche müssen auch offen sagen: Es reicht nicht, dass wir das in Deutschland regeln, sondern das ist eine Verabredung, die die großen Industriestaaten der Welt miteinander mindestens treffen müssen, wenn es nicht alle Staaten der Welt vernünftigerweise machen würden.
Schütte: Herr Koch, Sie äußern sich bundespolitisch. Rechnen Sie damit, dass Sie als Landespolitiker, als Landeschef in Hessen bald abgesetzt sind? Schließlich wollen heute die drei Landtagsfraktionen von SPD, Grünen und Linken probehalber abstimmen, ob sie eine Mehrheit bekämen für Andrea Ypsilanti.
Koch: Ich glaube das, was heute geschieht, ist eher etwas für die öffentliche Wahrnehmung. Die richtige Entscheidung wird in einigen Wochen getroffen und ich bin ein sehr optimistischer Mensch zu sagen, dass ich glaube, dass Hessen in Verhältnissen bleiben wird, die stabil sind, und nicht mitten in einer Krisenzeit in einen unkalkulierbaren Linksblock führen. Alles andere werden wir in der Politik sehen.
Schütte: Was, wenn Andrea Ypsilanti die Probeabstimmung besteht? Verabschieden Sie sich dann schon innerlich?
Koch: Nein. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies eine Probeabstimmung ist, die eher eine Farce ist, weil diese Fraktionen stimmen ja ab über die Frage, ob sie wählen wollen, zu einem Zeitpunkt, in dem sie noch gar nicht wissen, was sie miteinander verabreden. Das ist eine Show-Veranstaltung heute und die wird keinerlei Auswirkungen auf irgendetwas haben, ganz bestimmt auch nicht auf mein Verhalten.
Schütte: Roland Koch (CDU), geschäftsführender Ministerpräsident in Hessen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.