Volksparteien sind eine Lehre aus den gesellschaftlichen Konflikten der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Sie haben die Kraft eine Gesellschaft zu prägen und ihren inneren Frieden zu gewährleisten, sie müssen die Fähigkeit haben, unterschiedliche Interessen und Meinungen zu bündeln und sie müssen den Anspruch haben, immer wieder einer Mehrheit des Wahlvolkes hinter ihren Ideen vereinen zu können.
Betrachtet man die aktuellen Zahlen, sind diese Ziele für die große Volkspartei SPD weitgehend unerreichbar geworden und die im Vergleich zu europäischen Schwestern noch relativ stabile Union läuft Gefahr, diesem Schicksal zu folgen. Da ist nicht eine Folge gesellschaftlicher Entwicklungen, es ist das Versagen von politischer Führung.
Das Postulat der „geistig moralischen Wende“ durch Helmut Kohl wurde belächelt, aber alle erinnern sich an die Entschlossenheit zu Neuwahlen nach dem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum und die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses. Heute wissen wir, dass gerade dies unabdingbare Voraussetzungen für den Prozess der Wiedervereinigung waren. Hätte Kohl seine Entscheidungen von Meinungsumfragen abhängig gemacht, hätte er nichts bewirkt. Alles Geschichte? Der in Deutschland stark unterschätzte Emanuel Macron hat die Wahlen zur Präsidentschaft mit einem Bekenntnis zur Europäischen Union gewonnen, deutsche Demoskopen würden wahrscheinlich nicht einmal raten, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.
Volksparteien müssen mit Maß und Mitte führen, aber sie müssen führen. Ja, unsere demokratischen Gesellschaften des Westens sind offener und diverser geworden. Aber heute geht es um die Frage, an welchen Stellen und bei welchen Themen in unserer Gesellschaft der Eindruck entstehet, bestimmte Positionen würden von den gesellschaftlichen Wortführern ausgegrenzt, negativ sanktioniert und damit verdrängt. Weil Union und SPD zu stark auf den Konsens des ersten Tages setzen, „verschonen“ sie die Bürger von allem, was sie empören und verunsichern könnte. Damit verengen sie die gesellschaftliche Debatte, weil sie die unverzichtbare Rolle des Provokateurs gesellschaftlicher Selbstgerechtigkeit und Sattheit nahezu ausschließlich den Rändern überlassen.
Die Große Koalition und die damit verbundene permanente Verschleierung legitimer Konflikte durch Formelkompromisse ist die gouvernementale Ausprägung dieses Phänomens, dass die Marginalisierung der Volksparteien vorantreibt. Solange sie besteht, können beide Volksparteien ihre eigentliche gesellschaftspolitische Verantwortung kaum wahrnehmen.
Sind das einfache Floskeln oder kann man das an konkreten Beispielen veranschaulichen?
Drei Thesen:
Der Glaube an die kreative Kraft des Eigennutzes als Motor für Innovation und Verbesserung der Lebenssituation des Einzelnen und der Menschheit ist verdorrt, er löst keine Impulse der Motivation und Hoffnung mehr aus. Die Sprachlosigkeit der ganzen großen Union auf einen gelungenen Aufritt eines im besten Sinne provokatorischen Bloggers ist in erster Linie kein PR-Desaster sondern die Dokumentation von Mutlosigkeit. Der Hunger verschwindet, die Leben werden länger, Menschen werden zur globalen Gemeinschaft, weniger sterben in Kriegen und aus die ganze Volkspartei CDU traut sich nicht mehr offen zu sagen, dass freie Menschen in freien Gesellschaften auch die ökologischen Herausforderungen lösen können, ohne einem unsozialen und defätistischen Verzicht das Wort zu reden. Das sind nur Beispiele. Aber für die Frage, wer sich emotional in den Volksparteien noch aufgehoben fühlt und auch für die Frage, wer sich eigentlich aus der jüngeren Generation noch für diese Volksparteien begeistern kann, sind sie elementar.
Wenn man diese Fähigkeiten zurückgewinnen will muss man sich fragen, warum sie verloren gingen. Heute fehlen Persönlichkeiten, die von einer Vision geprägt sind und die Bereitschaft zeigen, für diese Vision ihre politische Existenz zu riskieren. Solche Menschensind keine Ideologen, sie werden nur erfolgreich sein, wenn sie eine wertgebundene und unverwechselbare Position ausdrücklich mit der Fähigkeit zum Kompromiss verbinden. Das nämlich ist es, was eine Volkspartei ausmacht. Sie muss eine unverwechselbare Position entwickeln, begründen und anschließend Bündnispartner für eine möglichst prinzipientreue Durchsetzung suchen. Dabei hat die Volkspartei durch ihre innere Pluralität immer auch im Auge, die Durchsetzung dieser Position für die Andersdenkenden erträglich zu machen. Der Kompromiss steht nicht am Anfang, auch nicht als Schere im Kopf, sondern er steht am Ende, er ist ein notwendiges Zugeständnis an den gesellschaftlichen Frieden. Ohne klare Positionen am Anfang allerdings ist ein solcher Kompromiss fade, unambitioniert und motiviert niemanden zum Engagement.
Die Leidenschaft des politischen Streits muss in der Mitte der Gesellschaft lodern, nicht an den Rändern! Die Unzufriedenen müssen sich hinter Volksparteien versammeln können, sonst werden sie eben radikal. Für diese Auseinandersetzungen um den richtigen Weg in der Mitte der Gesellschaft muss es Anwälte und Sprecher geben. Menschen, die prägnante Positionen mit Sachverstand und Autorität vertreten. Die Union mag da an so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Hans Katzer, Norbert Blüm, Alfred Dregger, Klaus Töpfer und Rita Süssmuth denken. An wen denken Sie heute? Wer sind die glaubwürdigen Protagonisten der ökologischen Herausforderung in Union und SPD? Wie kann es sein, dass den Volksparteien die Führungscharaktere abhanden gekommen sind.
Es gibt eine wohlfeile Ausrede. Sie lautet, die Wähler wollten es so. Hat nicht Angela Merkel mit der asymmetrischen Demobilisierung große Erfolge erzielt? Will die Mehrheit der Deutschen nicht gerade diese langweilige und ideenlose Große Koalition? Ja, vielleicht ist es so. aber hier werden die mittel- und langfristigen Mechanismen der Demokratie verkannt. Wer von uns will Kontroversen entscheiden, Interessen abwägen, Streit aushalten? Solange das Angebot von Parteien lautet, auf diesen Streit zu verzichten, werden sie nicht viele hinter sich versammeln.
Am Ende dieses Prozesses steht aber eben nicht die Zufriedenheit aller. Die Summe derer, die sich ärgern, sich abwenden oder Parteien suchen, die es „denen da oben“ einmal richtig zeigen, wird immer größer. Es gibt ja auch keinen übergeordneten Grund mehr zu einer bestimmten politischen Loyalität. Kein Wähler kann sich mit allen Entscheidungen und gar mit allen Kompromissen „seiner“ Partei wirklich einverstanden erklären. Das wäre ja auch schlimm. Die Loyalität entsteht aus einem gewissen „trotzdem“. Man ärgert sich über eine Entscheidung oder auch mehr, aber man unterstützt eben doch die ganze Richtung. Man ist ja bei Wahlen eben gerade nicht nach einzelnen Entscheidungen, sondern dieser grundsätzlichen Richtung gefragt. Da sind wir wieder bei der Rolle der Volksparteien, die man wegen einer vermuteten Grundeinstellung, nicht aber wegen einzelner Fragen, und seien sie noch so wichtig, wählt.
Beide großen Volksparteien haben in den ersten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts den Weg eingeschlagen, die grundsätzlichen Unterschiede unbedeutender zu machen. Ihr langfristiges gemeinsames Regieren ist ein sichtbarer Ausdruck. Damit haben sie aber nicht nur die Leidenschaft, sondern auch die Motivation des „trotzdem“ von der Mitte an die Ränder geschoben. Anschließend die Wähler zu beschimpfen, die kein „trotzdem“ mehr kennen und ihre eigenen Interessen an den Rändern – und sei es nur „denen da oben“ vors Schienbein zu treten – gut vertreten sehen, ist sinnlos.
Man kann diese Entwicklung nicht vollständig beschreiben, ohne auf die Rolle der Meinungsforschung einzugehen. Dieses Handwerk, das keineswegs eine Wissenschaft ist, hat die Prognosehoheit über zukünftiges Wählerverhalten übernommen. Das steht ihr nicht zu. Demoskopie kann kurzfristige Wahlentscheidungen vorhersagen und abgelaufene Entscheidungen erklären. Voraussagen aber würde ein lineares Verhalten von Politikern voraussetzen. Beraten von Meinungsforschern sieht man solches Verhalten oft, aber es ist falsch. Von Erhard und der Freigabe der Preise, über Adenauer und die Gründung der Bundeswehr, von Willy Brandts neuer Ostpolitik und Kohls Nato-Doppelbeschluss bis zu Macrons Europa-Kurs, alle Entscheidungen waren nicht von Demoskopen geboren, sondern von Politikern gegen Widerstände und zumeist den anfänglichen Mainstream erkämpft. Genau darin liegt eben der Beruf des Politikers.
Alles, was hier beschrieben wurde, ist änderbar. Die Geschichte der Volksparteien und ihrer Führungen kennt viele Erfolge. Also ist die Wiedergewinnung der Stärke, um aus der Mitte heraus zu gestalten, möglich. Aber es muss schnelle und sichtbare Änderungen geben. Viele Faktoren und Akteure müssen zusammenwirken. Patentrezepte zu verkünden, wäre nur arrogant. Dennoch einige bewusst unvollständige und tagesaktuelle Ideen d zum Schluss:
Wer will, dass Menschen ihm folgen, muss als erster vorangehen. Geschützt durch seine Werte und Visionen, nicht durch die Prognosen von Meinungsforschern. Die Führung einer Partei muss von den eigenen Ideen so überzeugt sein, dass sie bereit ist, dafür mit dem Preis der Opposition zu zahlen. So errungene Stärke ermöglicht dann den Kompromiss mit ebenfalls kompromissbereiten Mitbewerbern. Nur wenn sich die beiden großen Volksparteien diesen Konflikt wieder zutrauen, haben sie eine gute Chance, Zukunft zu gestalten.
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