Die Zeit nach dem Virus wird nicht einfacher als die Zeit mit dem Virus. So wie die Bevölkerung sich die heutige Situation vor Ausbruch der Pandemie nicht vorstellen konnte, wird es wieder ein böses Erwachen geben. Noch herrscht bei vielen der Eindruck vor, wirtschaftlich handele es sich einfach um so etwas wie Betriebsferien und nach deren Ende fangen alle genau da an, wo sie aufgehört haben. Doch das ist leider falsch und das kommt erst langsam ins Bewusstsein. Wahrscheinlich werden die nur sehr zaghaften Erleichterungen nach der Osterpause als der Zeitpunkt in Erinnerung bleiben, ab dem diese wirkliche Zäsur zunehmend bewusst wird.
Die Welt, Europa und Deutschland haben nicht nur eine schmerzliche Zahl an Verstorbene zu beklagen. Wir alle sind in kurzer Zeit sehr viel ärmer geworden. Die Wohlstandsgewinne der letzten Jahrzehnte werden gerade aufgebraucht. Die öffentlichen Kassen sind leer, die Schulden hoch und die Steuereinnahmen werden dramatisch einbrechen. Viele Unternehmen werden wahrscheinlich gar nicht mehr öffnen, andere werden dann schließen, wenn es die Anmeldepflicht für Insolenzen wieder gibt und leider werden viele, sehr vielen Unternehmen, wie stark sie auch sind, einen Teil der Belegschaft abbauen müssen.
Der Kraftakt von über einer Billion Euro, der sich auf 100 Milliarden genau noch gar nicht wirklich berechnen lässt, entspricht in etwa dem Aufwand für die Deutsche Einheit ohne Einrechnung langfristiger Sozialtransfers. Die Energiewende, eine Herkulesaufgabe, mit der Deutschland in der Welt ziemlich alleine steht, veranschlagte Peter Altmeier seinerzeit als Bundesumweltminister mit einer weitere Billion. Wahrscheinlich geben wir gerade in drei Monaten 5-7% unseres gesamten in über 70 Jahren erarbeiteten Gesamtvermögens aus. Die Summen regen niemand auf, weil sie kaum zu fassen und zu begreifen sind. Aber sie machen unser Leben teuer.
Viele wollen jetzt das Gesundheitssystem besser ausstatten, die Pflege schnell besser bezahlen. Andere fordern Investitionsprogramme in Verkehrswende, die Dekarbonisierung, Digitalisierung und die Bildung. Gleichzeitig sind viele mit mehr oder weniger guten Gründen unter dem Banner der Gerechtigkeit auf dem Weg, neue soziale Leistungen von Mindestlohn über Arbeitszeitverkürzung bis staatsbezuschusste Rentenniveaus und Staatsrenten ohne Vermögensprüfung zu fordern. Unter den gegebenen Umständen ist eigentlich für nichts von alledem wirklich Geld vorhanden.
Das ist eine Analyse und kein Lamento. Es soll bewusst machen, welche Herausforderung vor uns steht. Wer dieser gerecht werden will, muss große Schritte gehen. Die Radikalität des Vermögenverzehrs fordert radikale Maßnahmen zur schnellen Entwicklung neuer wirtschaftlicher Stärke und die zumindest zeitweise Anpassung der wiederkehrenden Ausgaben an die eingeschränkten Möglichkeiten. Das wird für jeden einzelnen im Erwerbsleben und für die Gesellschaft als Ganzes gelten.
Der erste notwendige Schritt ist die Akzeptanz, dass der wirtschaftliche Wiederaufstieg, der fortgesetzten Wohlstand und Schuldentilgung zugleich ermöglichen soll, einer ebenso entschlossenen Steuerung bedarf wie der Infektionsschutz. Die Hoffnung eine kleine Steuerreform, eine Abwrackprämie oder andere kurzfristige Impulse würden das Problem lösen können, erscheint mir falsch. Vielmehr steht eine grundlegende Frage oben an: Glauben wir wie bei Gründung der Bundesrepublik an die „unsichtbaren“ aber wirksamen Kräfte der Marktwirtschaft oder verfallen wir dem Traum nach einem „langen Plan“, wie unsere französischen Nachbarn das gerade erwägen. Ohne Ludwig Erhards mutige Entscheidung mit der Freigabe der Preise und der Beendigung der Zuweisungswirtschaft (Lebensmittelkarten) hätte es das sogenannte Wirtschaftswunder nicht gegeben. Marktwirtschaftliche Lösungen erfordern Loslassen. Sie verlangen von Politikern den Mut, auf konkrete Versprechen und Ergebnisvorhersagen zu verzichten. Marktwirtschaftliche Lösungen erlauben, mit eigenen Ideen auf ihr eigenes Risiko möglichst schnell Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und zu verkaufen, Arbeitnehmer einzustellen und Geld zu verdienen.
1948 gab es keine in allen Details kundige und handlungsfähige Verwaltung und es gab kein großes Staatsvertrauen der Bürger. Man wollte, konnte und durfte einfach anfangen. Die Gründe für diesen Zustand sollt sich niemand zurückwünschen. Aber unsere geübte Praxis, alles bis ins Kleinste „durchzuregulieren“ dürfte mit höchster Wahrscheinlichkeit Fortschritt und Aufschwung behindern. Die Balance zwischen Fortschritt und Regulierung muss als zentrale Stellgröße der Wiedergewinnung unseres Wohlstandes anerkannt werden. Das ist zurzeit nicht ausreichend der Fall.
Es gibt auch nach der Krise unverändert wirtschaftliche Chancen für moderne Gesellschaften in dem noch jungen Jahrhundert. Digitalisierung, künstliche Intelligenz, regenerative Energien, Dekarbonisierung und die Ernährung der Weltbevölkerung sind wichtige Stichpunkte. In den meisten dieser Bereiche haben wir durchaus gute Ideen und kreative Forscher und Entwickler in Deutschland. Aber daraus allein entsteht nichts Großes und Neues. Zu viele Ideen werden in Deutschland nicht Wirklichkeit. Das hat Gründe und ohne dort anzusetzen, werden wir der unvermeidlichen aktuellen Verarmung nichts entgegenzusetzen haben.
Nehmen wir die Arzneimittel. Deutschland galt einmal als die Apotheke der Welt. Jetzt jammern wir über die Abhängigkeit von Asien. Erinnern wir uns: Als die Grünen noch „Bilderstürmer“ waren, waren sie es, die nicht einmal eine auf Basis von gentechnisch veränderten „stink“normalen Cholibakterien basierende Produktion von Insulin in Deutschland erlauben wollten. Zu dieser Zeit wurden große Teile der pharmazeutischen Forschung aus Deutschland abgezogen. Tierversuche für medizinische Forschung sind in Deutschland fast unmöglich. Also wurde ein großer Teil der pharmakologischen Grundlagenforschung und der anwendungsorientierten Verfahren in andere Teile der Welt verlagert.
Wir ringen uns mit zitternden Knien gerade zu der Erkenntnis durch, dass Daten einer App uns trotz Virus einen schnelleren Rückweg zu mehr Normalität ermöglichen können. In einigen Ländern Asiens längst mit Erfolg praktiziert. Und schon verzögert sich die Vorstellung einer deutschen App – obwohl es dies mit großem Erfolg vor allem in mehreren asiatischen Staaten wie Südkorea längst gibt – Woche um Woche, weil immer mehr und komplexere Anforderungen der Datenschützer das Projekt erschweren. Da hatten wir doch gerade den Durchbruch der Datenschutzgrundverordnung in ganz Europa und jetzt warnt der Bundesaußenminister (leider zurecht), dass eine europaweite App wegen der unterschiedlichen Anwendung eben dieser schon sehr detaillierten Regelungen gefährdet sei. Und so geht wertvolle Zeit verloren.
Wer heute in einer Bank arbeitet, weiß, dass die Regulierung so engmaschig geworden ist, dass kreative neue Wege gar nicht mehr gedacht werden dürfen. Und nach den Fehlern der Automobilhersteller haben wir jetzt auch da eine Regulierungsbehörde, die jede technische Veränderung an Automobilen so zu einem Genehmigungsmarathon macht, dass viele Verbesserungen, jedenfalls in Deutschland, nicht mehr wirtschaftlich sind.
Was haben die deutschen Parlamente in den letzten Wochen im beeindruckenden und lobenswerten Schnelldurchgang nicht alles beschlossen. Auch bei diesen Gesetzen ist vieles mit heißer Nadel gestrickt und engagierte Ministerialbeamten konnten den Parlamentariern noch manche verquere Detailregelung unterschieben. Aber diese Gesetze bleiben eine tolle Leistung, sie schützen Deutschland und bewirken Stabilität in einer sehr kritischen Zeit. Manchmal leuchten aber dann an ganz kleinen Kristallen Spuren von dem auf, was uns behindert. So dürfen jetzt auch Betriebsratssitzungen per Video-Konferenz stattfinden („wow“). Aber irgendeinem schrägen Geist ist es warum auch immer gelungen, diese Banalität des 21.Jahrhunderts bis Ende des Jahres zu befristen. Dann darf das wieder nur der Vorstand.
Ich weiß, dass es ungerecht und polemisch ist. Dennoch benutze ich gerade dieses Beispiel der Video-Konferenz des Betriebsrates als Symbol für den strategischen Kriechgang, mit dem wir schon in guten Zeiten die Wettbewerbsfähigkeit verlieren würden. Ich hätte auch als Beispiel wählen können, dass bei den Corona-Tests die Daten der Getesteten nicht so in Dateien gespeichert werden können, dass das Testergebnis automatisch weiterverarbeitet werden kann, was dazu führte, dass überlastete Gesundheitsämter dem Betroffenen (im schlimmsten Fall schon auf der Intensivstation) telefonisch mitteilten, dass er oder sie infiziert seien.
Also brauchen wir eine zweite Welle beschleunigter Gesetzgebung zur Wiedergewinnung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Deutschland. Diese Gesetze müssen Freiheit schaffen, Verordnungen aufheben, Ermessenspielräume für Genehmigungen schaffen. Sie müssen Risiken wirtschaftlich attraktiv machen und Geld aus der ganzen Welt nach Deutschland ziehen. Wenn die Politik darüber die nächsten zwölf Monate debattiert, ist es nicht nur zu spät, sondern die Kooperation aller Bedenkenträger wird den Versuch der Befreiung wieder in sein Gegenteil verkehren.
Bedeutet das, dass Datenschutz, Umweltschutz, Arbeitsschutz, soziale Sicherheit, jetzt auf dem Altar der Nach-Corona-Rettung geopfert werden müssen? Klar und eindeutig nein. Je mehr Freiheit die Wirtschaft haben soll, umso klarer müssen Rahmen und Zielsetzung definiert sein. Wirtschaft im 21.Jahrhundert ist kein catch-as-catch-can. Aber wir reden doch schon lange nicht mehr über Rahmen und Ziele, sondern um den Glauben der Politik, dass sie eine Gesamtverantwortung für den Zustand der Gesellschaft in allen Facetten habe. Die amerikanische Verfassung, auch aus den Erfahrungen Europas im 18.Jahrhundert geboren, postuliert das Recht zum „Streben nach Glück“. Das ist etwas anderes als das heute von Parlamenten versuchte Versprechen des Glücks durch Gestaltung aller Lebensbereiche.
Die Gewährung des nötigen Freiraums ist allerdings auch eine politische Richtungsentscheidung. Nehmen wir die Digitalisierung. Dass wir uns im Augenblick gegenüber anderen Ländern der Welt bei der dezentralen digitalen Unterrichtsgestaltung bemitleidenswert darstellen und belächelt werden, ist das Ergebnis der gesellschaftlichen Geringschätzung der Digitalisierung insgesamt. Ein großer Teil der Deutschen und noch mehr ein großer Teil der deutschen Bürokratien hat zur Digitalisierung das Verhältnis wie Kaiser Wilhelm II. zur Eisenbahn („Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung“). Ja, schnelles Internet fehlt und ja, Laptops für alle Schüler sind teuer. Aber die Wahrheit ist doch, dass es Lehrern gelungen ist, sich der epochalen Umstellung mit oft absurden pseudopädagogischen Argumenten zu verweigern und damit die Schule in Deutschland zu einem Kommunikationsmuseum verkommen ließen.
Wenn es also zu einem eiligen Gesetzentwurf zur „Gründung und Weiterentwicklung innovativen Wirtschaftens und zur Beschleunigung des Wachstums“ kommen sollte, über welche Leitlinien müssten wir sprechen:
Diese Gedanken sollen durchaus auch manchen protestieren lassen. Sie sollen klarmachen, dass die Zeit nach Corona nicht wie vor der Pandemie sein kann und wird. Natürlich ist jeder Vorschlag austauschbar, die Liste nicht vollständig. Sie ersetzt auch keineswegs alle fiskalpolitischen Maßnahmen, sei es auf der Angebots- oder der Nachfrageseite. Sie wird auch nicht im völligen Konsens umsetzbar sein; wer sie verwirklichen will muss vorangehen, kämpfen, überzeugen und führen wollen. Aber jeder, der glaubt, er oder sie können dies sich oder der Gesellschaft nicht zumuten, muss wissen, dass die lineare Fortschreibung der Entwicklung ökonomisch zu einem ähnlichen Problem führt, wie es ein zu langes Zuwarten bei der Bekämpfung des Virus bedeutet hätte.
Das Allerwichtigste aus diesen pessimistisch klingenden Zeilen ist jedoch, dass es keinen Grund gibt, die Zukunft zu fürchten. Wenn wir unsere selbst auferlegten Fesseln sprengen und von Wohlstand geschenkte Bequemlichkeiten aufgeben, hat Europa und ganz besonders Deutschland ausgezeichnete Optionen. Nirgends ist der Durchschnitt der Menschen besser ausgebildet, kein Sozial- und Gesundheitssystem ist besser. Selbst unsere hohen Schulden sind niedriger als in anderen Teilen der Welt. Nach 2010 haben sich viele über den schnellen Wiederaufstieg unserer Wirtschaft die Augen gerieben. Wir können das schaffen, aber eben nicht im alten Trott. Das neue Jahrhundert muss Technik nutzen, um den Planeten zu retten, Es muss künstliche Intelligenz nutzen, um Milliarden Menschen miteinander friedlich leben zu lassen. Aber wie in der Mitte des letzten Jahrhunderts wird dazu radikaler Mut gebraucht. Jetzt.
Führung in den Zeiten der Pandemie bedeutete, schnelle und einheitliche Vorgaben zu entwickeln. Führung mit dem Ziel der Wiederkehr von Wachstum, Beschäftigung und finanzierbarem Sozialstaat bedeutet, den unsichtbaren Kräften einer freien Ordnung, also unserer Sozialen Marktwirtschaft, zu vertrauen und sie zu stärken.
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