Koch: „Ganz fertig wird man doch nie“
Ministerpräsident Roland Koch im FNP-Interview
Frankfurter Neue Presse: Was sind Ihre Vorstellungen, wie Ihr Leben nach dem 31. August dieses Jahres, des letzten Arbeitstages als hessischer Ministerpräsident, aussehen wird?
Koch: Das kann ich für die erste Zeit ziemlich präzise beschreiben. Ich werde zunächst einmal wirklich Abstand nehmen von Terminen. Damit einher geht die Möglichkeit, verreisen zu können und sich daran zu gewöhnen, diesen fast minütlichen Entscheidungsdruck, den dieses ungewöhnliche und sehr schöne Amt mit sich bringt, wieder auf ein Normalmaß zu reduzieren. Und ich will diese Zeit gleichzeitig dazu nutzen, mir die Berufstätigkeit auszusuchen, der ich dann ab dem kommenden Jahr nachgehen werde. Wie diese genau aussehen wird, weiß ich aber noch nicht. Da bin ich selber gespannt.
FNP: Haben Sie keine Angst vor möglicher Langeweile?
Koch: Überhaupt nicht.
FNP: Ihr politisches Leben war ja auch eher vom Gegenteil geprägt. Was ist Ihnen vor allem in der Zeit Ihrer Ministerpräsidententätigkeit besonders gelungen. Auf was sind Sie vielleicht sogar stolz?
Koch: Ich bin dankbar und sicher auch ein Stück stolz, dass meine politischen Freunde und ich es bei allen Schwierigkeiten geschafft haben, Mehrheiten zu gewinnen und Mehrheiten zu erhalten. Das waren – einschließlich des noch bevorstehenden Rests der Legislaturperiode – eineinhalb Jahrzehnte kontinuierlichen und gelassenen Regierens. Das hat ermöglicht, eine ganze Reihe von mir wichtigen Projekten zu verwirklichen. Ob das der Flughafen mit seinem Genehmigungsverfahren ist, die Veränderung der Universitäten, oder die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement, wo wir erfreulicherweise heute sehr weit vorne sind. Die Liste könnte ich unendlich verlängern. Nehmen Sie etwa die Schulen. Als ich anfing hatten wir 100 000 Stunden Unterrichtsausfall pro Woche. Heute wird über Unterrichtsausfall nicht mehr diskutiert und endlich sieht man auch in den Rankings, dass die Schulpolitik greift. So etwa dauert, aber jetzt belegen wir im Ländervergleich auch vordere Plätze.
FNP: Gibt es auch eine Liste, auf der Punkte stehen, die Sie gerne noch erledigt hätten?
Koch: Klar, die gibt es doch immer. Wer glaubt denn schon, dass irgendwann mal alles fertig ist. Mit der Bewältigung einer Aufgabe erwachsen doch schon die nächsten Herausforderungen.
FNP: Lassen Sie uns mal über Opel, die verschuldeten Landeshaushalte und das nicht durchgesetzte Nachtflugverbot im Zuge des Flughafenausbaus sprechen.
Koch: Politik ist unter der Anwendung von bestimmten Prinzipien die Kunst des Möglichen. Insofern sind natürlich auch einige Dinge nicht hundertprozentig so verlaufen, wie ich mir das vielleicht mal vorgestellt habe, ohne dass ich deswegen unzufrieden sein muss. Nehmen wir das Beispiel Opel. Das Unternehmen steht heute sicherer da als viele noch vor Monaten gedacht hatten und ohne unsere Bürgschaft aus dem Jahr 2009 wäre ein Konkurs unvermeidlich gewesen. Dass wir andere Vorstellungen über die Zukunft Opels hatten als der Eigentümer, der dabei das letzte Wort haben muss, ist nichts Ungewöhnliches. Als gescheitert hätte ich mich nur betrachten müssen, wenn Opel am Ende zusammengebrochen wäre. Die dortigen Arbeitsplätze sind heute auf viele Jahre sicher.
FNP: Viel mehr haben an Ihrem Renommee die gescheiterte Durchsetzung des Nachtflugverbots am Frankfurter Flughafen und der ständig wachsende Schuldenberg gekratzt.
Koch: Die von mir schon erwähnte Kunst des Möglichen gilt sicher auch für die Veränderungen in der Rechtsprechung oder die Zwänge, neue Schulden zu machen. Beim Flughafen ist nur eine Gerichtsentscheidung in die Quere gekommen. Und beim Haushalt: Durch die vom ehemaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und mir ausgehandelten Strukturveränderungen standen wir im Jahr 2007 unmittelbar davor, ausgeglichene Haushalte zu haben. Im Bund und in Hessen. Da waren die Defizite in einer Größenordnung von dem, was der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar jetzt in einem Jahr einspart. Dazwischen lag aber eine Weltwirtschaftskrise, die wir einerseits erfolgreich gemeistert haben. An den Schäden in Form von öffentlichen Schulden werden wir auf der anderen Seite aber noch viele Jahre zu knabbern haben.
FNP: Sie haben als Grund für Ihren Rückzug aus der Politik einen natürlichen Autoritätsschwund genannt. Hat sich dieser schon in den Wahlergebnissen 2008 und 2009 dokumentiert?
Koch: Natürlich war das Wahlergebnis des Jahres 2008 für mich persönlich ein bedeutender Punkt. Es war am Ende keine Wahlniederlage, weil wir knapp die stärkste Partei geblieben sind, aber es hat uns allen klar gemacht, dass die Umstände unserer politischen Arbeit andere geworden waren.
FNP: Und dann sind Sie in die Wahl 2009 mit der Gewissheit gegangen, die Legislaturperiode nicht zu Ende zu führen. Gehört es zu den Mechanismen der Politik, dass man die Menschen über seine Ziele im unklaren lassen muss?
Koch: Die Alternative ist, sofort zu gehen. Denn andernfalls ist die Autorität weg.
FNP: Was empfinden Sie denn, wenn schon die ersten Rufe laut werden, ein Talent wie Sie dürfe die CDU nicht einfach so gehen lassen?
Koch: Ich empfinde Zufriedenheit darüber, dass ich einen Zeitpunkt gefunden habe, diesen Teil meines politischen Lebens aus freien Stücken zu beenden. Solche Rufe gehören dazu und es wäre unehrlich, nicht zuzugeben, dass es einen freut, wenn Leute sagen «der wird fehlen». Diejenigen, die sich über meinen Abgang freuen, tun es halt mehr in der Stille.
FNP: Haben Sie einen Rat, der um sich greifenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken?
Koch: Ich rate allen, transparent zu arbeiten und auf die Menschen zuzugehen, aber dann auch sehr offen über die Alternativen zu sprechen. Ich glaube nicht, dass Politikverdrossenheit dadurch beseitigt wird, dass Politiker den Eindruck erwecken, sie sprächen im Namen aller und seien irgendwo irgendwie eigentlich alle einer Meinung. Die Attraktivität unserer Demokratie ergibt sich auch daraus, dass sie die kultivierte Kontroverse sucht, um den Menschen zu verdeutlichen, wie wichtig ihre Stimme eigentlich ist.
FNP: Wie soll denn einem politischen Menschen wie Ihnen die Abkehr von der Politik gelingen?
Koch: Ob ich das kann, werden wir sehen. Ich habe nie behauptet, dass das frei von Risiken und Emotionen sein wird.
FNP: Welche Zielsetzungen folgen denn jetzt?
Koch: Seit meiner Schulzeit hat mich immer fasziniert, Probleme zu lösen, die vielen nicht lösbar erscheinen und dafür Menschen zusammenzubringen, die daran gemeinsam arbeiten. Ein Ziel vor sich zu sehen, zu dem der Weg unerkundet ist, wo auch immer der ist. Daran hat sich wenig verändert und wird sich hoffentlich auch nichts verändern.
FNP: Wie sind Sie denn mit dem bisherigen Eingang der beruflichen Angebote zufrieden?
Koch: Ich habe ja den Vorteil, dass ich 2008 schon einmal vor der Beschäftigungslosigkeit stand. Seit dieser Zeit weiß ich, dass ich auch außerhalb der Politik eine Beschäftigung finden werde. Ich nehme mir jetzt die Freiheit, die reizvollste Aufgabe aus den Angeboten herauszusuchen.
Das Interview führten Georg Haupt und Thomas Scholz.