Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.05.19
Das Engagement begann mit der Bitte eines Mitarbeiters: Anke und Roland Koch unterstützen seit 20Jahren den Kampf gegen tuberöse Sklerose.
Am 31. August 2010 legte Roland Koch sein Amt als hessischer Ministerpräsident ab. Dies wäre der geeignete Zeitpunkt gewesen, dass auch Anke Koch die Schirmherrschaft für einen Verein mit einem komplizierten Namen aufgegeben hätte. Doch sie blieb. Und mit ihr engagiert sich auch ihr Mann weiter für eine Sache, die beiden ans Herz gewachsen ist. „Tuberöse Sklerose“ ist für das Eschborner Ehepaar längst kein kompliziertes Wortgebilde für eine schlimme Krankheit mehr, sondern sie verbinden damit leidende Kinder und beherzt kämpfende Eltern. Und die Möglichkeit, sehr konkrete Hilfe zu leisten.
Die Sache begann vor gut zwanzig Jahren. Helmut Hehn, ein Mitarbeiter Kochs und Vater einer an tuberöser Sklerose erkrankten Tochter, fragte Anke Koch, ob sie die Schirmherrschaft für den 1985 gegründeten Verein „Tuberöse Sklerose“ übernehmen wolle. Weder von der Krankheit noch von dem Verein hatte Anke Koch zuvor gehört. Aber sie vertraute Hehn, und als er ihr mehr erzählte vom Schicksal der Betroffenen, sagte sie: „Das muss man ja machen.“
Tuberöse Sklerose ist nicht heilbar, aber die Symptome können behandelt werden. Das Krankheitsbild, das oft mit geistiger Behinderung einhergeht, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt: Eine Betroffene wurde Apothekerin, ein anderer hat sein Leben lang kein Wort gesprochen und keinen Schritt gehen können. Kennzeichen der Krankheit sind harmlose, aber entstellende Veränderungen der Haut, gutartige Tumorbildungen, vor allem am Herzen, an der Netzhaut und den Nieren. Bei drei von vier Patienten treten epileptische Anfälle auf, es besteht im Vergleich zur Normalbevölkerung auch ein höheres Risiko für seelische Störungen wie Autismus, Hyperaktivität, depressive Verstimmung.
Hinter solchen Fakten stecken Schicksale. Wie das des kleinen Oliver, der bis zu seiner zweiten Hirnoperation pro Tag bis zu vierzig epileptische Anfälle erlitt. Oder das der kleinen Helena. Über die ihre Eltern in der Vereinszeitung „Blickpunkt“ schreiben: „Wir freuen uns, Helena zu haben, denn sie ist, trotz aller Last, die sie zu tragen hat, ein unermesslich fröhliches und tapferes Mädchen, tapferer als alle anderen in unserer Familie.“ Helenas Eltern bemerkten bald, dass sich das Baby anders verhielt als ihre größere Tochter. Das Kind weinte viel, ließ sich kaum trösten, Krampfanfälle traten immer häufiger auf, die Familie durchlitt eine lange Phase der Angst, ehe die Diagnose gestellt war.
Hier vor allem hat die Arbeit der Kochs begonnen, die dazu beitrug, die Krankheit bekannter zu machen und eine bessere ärztliche Versorgung anzustoßen. Denn nur eines von sechstausend Neugeborenen kommt mit tuberöser Sklerose zur Welt, die Krankheit war lange Zeit selbst unter Ärzten unbekannt. Da es sich um eine „Multisystemerkrankung“ handelt, empfiehlt sich die Zusammenarbeit mehrerer medizinischer Spezialisten. Deshalb hat sich der Verein starkgemacht für die Einrichtung medizinischer Zentren, in denen sich die verschiedenen Fachärzte auch mit der tuberösen Sklerose auskennen. Inzwischen gibt es rund zwanzig solcher vom Verein zertifizierten Zentren, allein vier an hessischen Kliniken.
Wegen der Seltenheit der Krankheit steht sie nicht gerade im Fokus der Pharmaforschung. Darum hat das Ehepaar Koch 2012 den Betrag von 50000Euro in die Gründung der „Deutschen Tuberöse Sklerose Stiftung“ gesteckt. Sie lebt von Zustiftungen und Spenden und unterstützt nicht nur die ehrenamtliche Tätigkeit des Vereins, sondern vergibt zwei Stipendien an junge Mediziner in den Vereinigten Staaten, wo die ganzheitliche Betreuung der jungen und älteren Patienten eine längere Tradition hat.
Besonders wichtig: Die Stiftung schreibt einen Forschungspreis in Höhe von 10000 Euro aus. Diese Summe stellt für jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durchaus einen gewissen Anreiz dar, zumal es leichter ist, zusätzliches Geld einzutreiben, ist man erst einmal mit einem Preis bedacht worden. Oder wie der erfahrene Politiker Koch sagt: „Das ganze Spiel der Komplementärfinanzierung in der Forschung steht und fällt mit dem ersten Stein.“
Noch eine andere Sache ist vorrangig, wenn ein medizinischer Preis sich einen Namen machen soll: die oder der Jury-Vorsitzende. Mit Karl Max Einhäupl hat die Stiftung immerhin den Vorstandsvorsitzenden der Berliner Charité gewinnen können, er und Roland Koch kennen sich aus wissenschaftspolitischen Zusammenhängen: „Er ist nicht nur ein Aushängeschild, er interessiert sich auch für die Arbeit der Bewerber.“
Stiftung und Verein darf man sich nicht als große Organisationen vorstellen, beides schwankt laut Roland Koch „zwischen Selbstorganisation und Minimalprofessionalisierung“. Der Verein finanziert sich durch Krankenkassenzuschüsse, (sehr niedrige) Mitgliederbeiträge und (verbesserungsfähige) Spendeneinnahmen, Koch hat in seiner Zeit als Politiker oft zugunsten einer Spende auf ein Rednerhonorar verzichtet. Der Publizist Hugo Müller-Vogg, der jährlich zu einem Saumagen-Essen in BadHomburg einlädt, hat bei seinen illustren Gästen für Verein und Stiftung seit 2007 rund 170000 Euro an Spenden eingesammelt. Immer wieder helfen Institutionen wie Frankfurter Sparkasse und Handwerkskammer, indem sie ihre Räume für Veranstaltungen zur Verfügung stellen.
Es gibt außerdem, sagt Anke Koch, „ein unglaubliches Engagement der Vereinsmitglieder“, die mit dem Verkauf selbstgebackener Kuchen und zahlreichen anderen Aktivitäten Geld einsammeln – oft mit hohem Einsatz für kleine Summen. Anke Koch sagt, von Anfang an habe ihr der Elan der betroffenen Familien Respekt abgerungen: „Sie haben so viel mit ihren Kindern zu tun, sie haben so viele Sorgen und finden trotzdem die Zeit, sich einzubringen. Da habe ich mit meinen zwei gesunden Kindern manchmal direkt ein schlechtes Gewissen gehabt.“ Auch ihr Mann meint: „Diese innere Stärke der Gruppe ist schon faszinierend. Nicht, dass sie frei von Problemen oder Spannungen wäre, aber am Ende ist da eine unglaubliche Kraft, die sich die Mitglieder selbst geben.“
Überhaupt war es dieses Engagement der Eltern, das die Kochs auch nach dem Ausstieg aus der Politik bei der Stange gehalten hat. Weder Koch noch seine Frau tragen ihr Herz auf der Zunge. Aber Anke Koch sagt: „Die Eltern, die sich in dem Verein engagieren und die ihr krankes Kind betreuen, sind so belastet und zeitlich so extrem durchgetaktet, dass sie jede freie Minute genießen. Und wenn ich mich mit ihnen vergleiche, dann denke ich: ,Oh mein Gott, was hast du für ein Glück gehabt‘.“
Spenden kann man auf das Konto des Tuberöse Sklerose e. V., IBAN DE64 5004 0000 0339 0333 00, überweisen.
Bildung
// Energie
// Finanzen
// Flughafen Frankfurt
// GM
// Interview
// Opel
// Schule
// Steuerpolitik
// Wirtschaft
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | ||
6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 |
13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 |
20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 | 26 |
27 | 28 | 29 | 30 | 31 |