Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man diejenigen, die in unserem jeweiligen Umfeld für die Gestaltung der öffentlichen Wirkungen verantwortlich sind, fragt, dann antworten sie, dass dies eine Debatte ist, an der jedenfalls jemand in meiner Position besser nicht teilnehmen sollte. Sehe ich mir aber die Abfolge der Redner an, könnte in der Öffentlichkeit ein falscher Eindruck entstehen, wenn das Abstimmungsverhalten völlig inkongruent zum Debattenverlauf ist. Deshalb halte ich es für notwendig, ein paar Sätze zu sagen.
Ich war an den Gesprächen über die Bildung der großen Koalition auf der Bundesebene beteiligt. Ich verhehle nicht: Ich war in besonderer Weise an der Diskussion über die Frage beteiligt, ob es möglich ist, eine Konsolidierung des Bundeshaushalts und – jedenfalls hat das, wenn ich es richtig gehört habe, häufig eine Rolle gespielt – der Länderhaushalte herbeizuführen.
Die Länder haben schlicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die Eröffnungsbilanz der gegenwärtigen Bundesregierung zwischen den Einnahmen aus Steuern und den laufenden Ausgaben ein Delta in der Größenordnung von 60 bis 65 Milliarden Euro auswies, wenn man Vermögensveräußerungen für eine Sekunde neutralisiert, weil sie nicht zur dauerhaften Finanzierung von laufenden Leistungen geeignet sind.
Es ist festzustellen, dass der überwiegende Teil der Bundesländer Schwierigkeiten hat, die traditionellen Grenzen der Verfassung einzuhalten, und dass andere Bundesländer Probleme haben – das ist Gegenstand der Diskussion mit den neuen Bundesländern in diesen Tagen –, Mittel zu dem ursprünglich vorgesehenen Zweck, nämlich für Investitionen, einzusetzen, und sie stattdessen zur Deckung laufender Ausgaben verwenden. Das ist unsere gemeinsame Situation.
Die Bundesregierung plant im Augenblick – ob sie das Ziel erreicht, werden wir gemeinsam zu ermessen haben –, innerhalb der vergleichsweise kurzen Zeit von 17 Monaten aus einem nationalen Haushalt, dessen Verschuldungsstand etwa drei Mal so hoch ist, wie unsere Verfassung es zulässt, wieder einen verfassungsgemäßen Haushalt zu machen. Ich finde, dass dieser Gesichtspunkt in der bisherigen Debatte nicht angemessen gewürdigt worden ist.
Ich meine, wir haben die Verpflichtung, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zu sagen, dass es – bei allem politischen Streit, den wir haben und der an der einen oder anderen Stelle sicherlich 15 oder 20 Milliarden Euro wert ist – nicht korrekt ist, davon auszugehen, dass in einer überschaubaren Zukunft durch Einsparungen ein Delta von 65 Milliarden Euro auf der nationalen Ebene – in den Landeshaushalten gibt es vergleichbare Deltas – geschlossen werden kann. Alle Länder – mit Ausnahme des offensichtlich mit besonderem göttlichen Segen und langfristiger, kontinuierlicher politischer Herrschaft versehenen Landes Bayern – beweisen ja, dass sie trotz aller Anstrengungen, die sie in ihren Haushalten unternehmen, nicht in der Lage sind, dieses Ziel innerhalb einer überschaubaren Zahl von Jahren zu erreichen. Ich glaube, es ist unangemessen, wenn man das nicht in Rechnung stellt.
An der heutigen Beratung sieht man, wie schwierig Einsparen ist; denn die Bundesländer – gemeinsam, Herr Kollege Beck – erwarten vom Bundesfinanzminister, dass ein durchaus nicht unerheblicher Teil des Einsparvolumens, der die Länder betrifft, anders gestaltet oder teilweise zurückgenommen wird. Wie man den Reden, die soeben zu hören waren – Stichwort „Sparerfreibetrag“ –, entnehmen konnte, wird gerne darauf hingewiesen, dass diese oder jene Kürzung einer Steuervergünstigung oder Subvention – wie immer man den einzelnen Tatbestand nennt – besser nicht vorgenommen werden sollte. Das wird so bleiben. Zu glauben, wir würden für eine Einsparung belobigt oder wir könnten einen politischen Konsens über die objektive Blödsinnigkeit einer größeren Ausgabe herstellen, ist eine Illusion, der ich nach all den Jahren, die ich das Vergnügen hatte, dabei zu sein, nicht mehr anhänge. Deshalb wird es schmerzhaft sein, die Frage zu beantworten: Welche Rahmenbedingungen müssen wir schaffen, um in überschaubarer Zukunft wieder zu den Regeln der Verfassung zurückzukehren? Ich sage ausdrücklich: in überschaubarer Zukunft!
Es ist unangemessen, wenn eine nationale Regierung und eine zweite Kammer es hinnehmen, dass über mehrere Jahre hinweg tatenlos zugeschaut wird, wie die Regeln der Europäischen Union und die Regeln unseres Grundgesetzes missachtet werden. Ich habe mich genügend damit beschäftigt: Ich kenne keinen Vorschlag, mit dem man auch nur annähernd in der Lage wäre, ohne steuerliche Maßnahmen auf der Einnahmeseite zu Haushalten im Rahmen des Artikels 115 des Grundgesetzes und der meisten Verfassungen der Länder innerhalb absehbarer Zeit zurückzukehren. Ich meine, man ist verpflichtet, dies der Öffentlichkeit zu sagen. Auch der Bund der Steuerzahler, der sehr viel Geld hat, um sehr viele Autos, beschriftet mit Werbung, persönlich adressiert, durch diese Stadt fahren zu lassen, ist freundlich darauf hinzuweisen, dass die Verschuldung Lasten produziert, die in den nächsten Jahren erhebliche Folgen haben werden und die, Herr Professor Pinkwart, in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ebenso zu betrachten sind.
Ich widerspreche Ihnen nicht, dass über alle Fragen, die Sie erwähnt haben, gesprochen werden kann. Dann muss aber auch darüber geredet werden, was es gesamtstaatlich bedeutet, wenn wir international erklären müssen, dass wir unsere Ausgaben nicht mehr beherrschen können. Ich sage noch einmal: Ich kenne keinen Vorschlag, der das Delta auch nur annähernd schließt, es sei denn – vor dieser Frage standen wir; einige in diesem Saal waren bei den Beratungen anwesend –, man erklärt, dass der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung signifikant gekürzt und etwa der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner signifikant erhöht werde. Mit dieser Option kann man im Bundeshaushalt 10 bis 15 Milliarden Euro jährlich sparen.
Ich habe mich entschieden, dies nicht zu tun; denn das wäre hinsichtlich der deutschen Einheit und des Generationenvertrages ein Signal, dessen volkswirtschaftlicher Schaden genauso groß wäre. In Bezug auf einen Rentnerhaushalt geht es an dieser Stelle um Kaufkraft, nichts geht aufs Sparkonto. Auf der anderen Seite bedeutete es die Aufkündigung einer Zusammenarbeit in unserem Land, was ich für nicht akzeptabel hielte. Aber wenn man diese Entscheidung trifft, muss man sich die Frage stellen, wie man dennoch zu einigermaßen ausbalancierten Budgets zurückkehren kann.
Ich will klar sagen: Die Mehrwertsteuererhöhung reicht nicht aus. Das muss jedermann klar sein. Sie ist e i n Element einer Strategie der Veränderung. Über andere Strategien gibt es Streit. Ich verhehle nicht – das gehört zu dieser Position dazu –: Mir wäre es lieber, die Bundesregierung würde anfangen, den Arbeitsmarkt mit flexibleren Regeln in Ordnung zu bringen. Das würde sehr zur Entspannung und zur Lösung unserer Beschäftigungsprobleme beitragen. Ich nehme zur Kenntnis, dass dies im Augenblick nicht möglich ist, aber ich gebe zumindest zu Protokoll, dass ich das bedauere und mir diesbezüglich raschere Einsicht und Reaktion wünsche.
Ich halte eine Mehrwertsteuererhöhung ohne Fortsetzung dessen, womit in der Unternehmensteuerdiskussion begonnen worden ist, für unmöglich. Die Unternehmer wissen, dass es auf Grund der Warnung vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer einen Konsumanstieg in diesem Jahr gibt. Die OECD – jeder hat bei solchen Diskussionen seine Gutachter – sagt uns, diese Maßnahme sei richtig und es werde im nächsten Jahr nicht zu starken Verwerfungen kommen. Im ersten halben Jahr wird es natürlich – das ist banal – zu Verwerfungen kommen. Sie sind übrigens eingerechnet. Sie führen nicht zu einer Minderkonsolidierung; denn sie sind Bestandteil der Kalkulation der Bundesregierung und, wie ich unterstelle, aller Landeshaushalte.
Mit der zweiten Stufe – Anreiz zu Investitionen – wird über die Höhe der Abschreibung kurzfristig aber ein Weg eingeschlagen, der uns über die ersten Tage hinwegbringen kann – ohne eine wirksame Unternehmensteuer, die signalisiert, dass wir im internationalen Bereich wettbewerbsfähig sind. Das bewegt sich um 30 in Richtung auf 25 %. Wenn man die Besteuerung der Dax-Unternehmen in Deutschland betrachtet, weiß man: Sie versteuern im Schnitt weniger als 28 %. Sollten wir mittelfristig nicht dahin kommen, wird weiter Geld aus Deutschland herausfließen, und wir können Steuerreformen vornehmen, so viele wir wollen, das Geld wird am Ende woanders sein.
Deshalb sind wir in diesen Tagen mit gewaltigen weiteren Hausaufgaben belastet. Ohne sie werden wir es neben dem, was wir notwendigerweise tun, nicht erreichen, innerhalb von 17 Monaten zu einem verfassungsgemäßen Haushalt zurückzukehren.
Ich stimme dem Gesetz auch deshalb zu, weil ich optimistisch bin, dass die weiteren Schritte im Steuerrecht und in einigen anderen Bereichen – ich nehme es hin, dass Maßnahmen etwa im Arbeitsrecht nicht kommen – ausreichen, einen Kurs in die richtige Richtung zu beschreiben. Man kann sich ihn schneller und schöner vorstellen, nach meiner Überzeugung aber nicht ohne den Schritt, den wir heute tun. Das muss man in aller Deutlichkeit sagen.
Ich wollte die Zustimmung des Landes Hessen auf diese Weise begründen. Ich rede damit nicht jeder Detailregelung das Wort. Das vorliegende Gesetz ist ein Kompromiss. In meinem Kabinett hat es heftige Diskussionen darüber gegeben. Ich bin mir sicher, in anderen war das auch der Fall. Nach meiner Überzeugung wäre der Schaden, stimmten wir nicht zu oder riefen den Vermittlungsausschuss an, in einer gigantischen Dimension höher.
Ich halte es für richtig, über die Regionalisierungsmittel weiter zu sprechen und einen Weg zu finden, der den Ländern Rechnung trägt, die langfristige Verträge abgeschlossen haben. Aber ich bin Herrn Kollegen Beck dankbar für seinen Hinweis, dass es in Bezug auf Sparen keine Tabubereiche gibt; sie darf es nicht geben. An jeder einzelnen Stelle muss geprüft werden, wie gespart werden kann. Das wird die Basis der weiteren Gespräche mit der Bundesregierung sein.
Die Hessische Landesregierung stimmt dem Gesetz in der Erwartung zu, dass es gelingt, eine große Herausforderung der derzeitigen nationalen Regierung in Angriff zu nehmen. Es wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die nächste Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit nicht Koalitions- oder Regierungsverhandlungen als Notvorstand für Sanierungen führen muss. Diese große Koalition musste das auf Grund des inakzeptablen Unterschiedes zwischen Einnahmen und Ausgaben tun. Die nächste Regierung muss die Chance haben, mit ihrer Arbeit auf der Basis eines einigermaßen konsolidierten Haushalts zu beginnen und sich mit Zukunftsaufgaben, nicht mit Sanierung zu beschäftigen.
Das ist ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung. Er ist nicht möglich, ohne die Bürger zu beteiligen. Ich meine, das muss man offen sagen. – Vielen Dank.
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