Roland Koch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, erschienen am 12.06.2023
Es kommt auf die demokratischen Parteien der Mitte an, wie stark die AfD ist oder wird. Sie müssen Themen ansprechen, die die Leute beunruhigen. Dann sind sie das „Original“.
In diesen Tagen herrscht wieder einmal Aufregung über die hohen Zustimmungswerte der AFD. In der Tat müssen alle demokratischen Parteien der Mitte mit Sorge auf diese Zahlen blicken. Ein Wettbewerb zwischen diesen Parteien, wer denn nun daran „Schuld“ sei, führt jedoch nicht weiter. Wir müssen uns schon die Mühe machen etwas tiefer zu graben.
Im Vergleich zu den Zeiten Konrad Adenauers oder Herbert Wehners ist die Lust an der politischen Zustimmung in Deutschland permanent gesunken. Da ich diese Weichspülung wichtiger Debatten nicht mochte, kann ich auch ein Lied von den Reaktionen singen. Aber Politik ist kontrovers, es gibt keine wissenschaftlich richtigen Konzepte. Interessen sind im Spiel und immer eine ganze Menge Emotionen. Das alles ist in Ordnung, es gehört zur Demokratie und die Parteien und insbesondere ihre führenden Repräsentanten sollen darüber nicht lamentieren, sondern damit umgehen.
Wir beobachten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit dieses Landes beachtliche Umbrüche. Deutschland ist das attraktivste Ziel für Migrantinnen und Migranten in Europa, wir leben im Westen und im Osten Deutschlands mit beachtlich unterschiedlichen Wahrnehmungen von Demokratie und Westbindung und nicht zuletzt wird Sprache als Instrument gesellschaftlicher Konflikte genutzt, womit Ausdrucksformen anerkannt oder geschmäht werden. Ob das dann Wokeness, kulturelle Aneignung oder Diversity genannt wird, ist schon eine kaum wirklich verbreitete Differenzierung.
Alle diese Themen gehören in die Mitte der Gesellschaft, aber auch der Streit über diese Themen gehört in die Mitte der Gesellschaft. In den letzten Jahren haben die Parteien der Mitte, besonders CDU/CSU und SPD viele der oben genannten Themen zu sachlichen oder zumindest zu emotionalen Tabuzonen erklärt. Das können Parteien vereinbaren, aber Bürger müssen dem nicht folgen. Sie haben ein Recht auf ihre individuellen Gewohnheiten, ihre grundlegenden gesellschaftlichen Ansichten und ihre eigene Definition ihres Veränderungswillens. Wenn der Eindruck entsteht, dass werde von Regierungen und Parteien nicht akzeptiert, dann entsteht Resignation, aber auch Empörung und Protest. Zuerst drückt sich das zumeist in Wahlenthaltung aus, aber wenn dann auf einmal eine Partei anbietet, den ganzen Frust demokratisch legitim bei Wahlen loszulassen, dann passiert das auch.
Wahlforscher, so mein Eindruck, erliegen in ihren Therapievorschlägen einem grundlegenden und gefährlichen Irrtum. Gerade in diesen Tagen wird wieder davor gewarnt, dass, wenn die Parteien der Mitte die Themen aufnehmen, die etwa auf der rechtsradikalen Seite gerade die AFD eskaliert, dann werde die AFD gestärkt. Denn wenn das Thema legitim sei, wähle man das „Original“, dass sei nun einmal die radikale Partei. Wer auf diese Leimspur geht, akzeptiert, dass engagierter Protest gegen bestimmte Ausprägungen von Veränderung oder auch von Zukunftskonzepten schon deshalb rechtsradikal ist, weil das Thema von rechtsradikalen Parteien instrumentalisiert wird. Genau diese Konsequenz scheint mir auch die Absicht zu sein. Framing nennt man das neudeutsch.
Die Parteien der Mitte dürfen dem nicht nachgeben. Eine Mehrheit der Deutschen erwartet eine Reduzierung der Migration, man darf diese Unions- und SPD-Wähler nicht in die rechte Ecke prügeln. Über die Angemessenheit einer Gendersprache gibt es keinen Konsens und man darf sich über ihre Benutzung empören. Das sich Parteien, die auf ihre historischen Leistungen stolz sein dürfen, von einer rechtsradikalen Partei dadurch vorführen lassen, dass dort Indianerkostüme getragen werden, in denen mindesten 80% aller Mitbürger irgendwann in Karnevalszeiten einmal gesteckt haben, ist absurd.
Wenn die Parteien dazu entschlossene Positionen haben, können sie auch auf Wortradikalismus verzichten. Protzige Worte ohne programmatische Glaubwürdigkeit helfen ja auch wieder nur den Radikalen. Demokratische Parteien können für großzügige Migration, Gendern, Freigabe der Drogen oder das Gegenteil sein. Es entfernt sie nicht aus der Mitte. Sie können die Ukraine bedingungslos unterstützen, oder Verständnis für die Russen haben. Es macht sie nicht radikal.
Da liegt der Irrtum mit dem Original. Die Wähler haben in Jahrzehnten ihre Besonnenheit bewiesen. Sie haben unsere Demokratie stark gemacht und links- wie rechtsradikale Kräfte immer klein gehalten. Sie wissen, wo die ehrlichen Makler der Mitte zu Hause sind. Aber es könnte sein, dass sie mit dem einen Kreuz, dass sie machen können, eine klare Position, eine klare Sprache und den Mut zum Unterschied suchen. Da ist das Original.
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