Haben wir in Deutschland – und anderswo – das Problem, dass Politik von Menschen gemacht wird, die ein wenig zu alt sind, um die Herausforderungen von heute zu verstehen und nicht nahe genug bei den Menschen sind?
Das ist mir als Analyse zu pauschal. Ich glaube, dass es notwendig ist, die Erfahrungen – die ja gerade in Deutschland sehr gut waren – auch auf neue Herausforderungen anzuwenden. Es bedarf neuer Formen des Dialogs, wenn es um ungewohnt komplexe Fragen geht: Wie reguliert man Plattform-orientierte Märkte? Wie managt man die neuen ökologischen Rahmensetzungen so, dass daraus kein Staatszentralismus wird? Ich bin überzeugt, dass Erfahrung weiterhin hilfreich ist. Wir müssen nur den Willen haben, uns angesichts der neuen Herausforderungen in gute Dialoge zu begeben. Dazu werden alle gebraucht und können alle noch lernen. Und im Übrigen ist eine Mischung von Jung und Alt immer sinnvoll.
Wo kann jemand wie Sie, der beide Seiten – also die Wirtschaft und die Politik – sehr gut kennt, da vielleicht helfen?
Ich bin auf der einen Seite jemand, der aus ökonomischen und politischen Gründen versteht, dass diese Welt Regulierung braucht. Ich weiß auf der anderen Seite aber aus eigenem Erleben, dass die Fähigkeit des Staates zu Detail-Regelungen begrenzt ist und er kreative und neue Entwicklungen oft behindert. Der Staat muss Regeln und vor allem einen Rahmen setzen. Aber der Staat ist – solange er ein demokratischer und rechtsstaatlicher ist – zu langsam und zu schwerfällig, um dynamische ökonomische Prozesse inhaltlich zu steuern.
„Der Staat muss Regeln und vor allem einen Rahmen setzen.“
Diese beiden Erkenntnisse sollten verbunden werden: Einerseits das Bekenntnis zum starken Staat und andererseits der Respekt vor der Unfähigkeit des Staates, alles zu wissen und richtig zu machen. So denken mit mir viele, die davon überzeugt sind, dass die marktwirtschaftliche Ordnung mit dem freien Spiel der Kräfte die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft ist.
Wenn Sie jetzt sagen, der Staat tut sich schwer, viele Detailregelungen zu treffen: Wie werten Sie dann die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie? Das ist ja zum Großteil von außen betrachtet auch ein gutes Stück Gießkannenprinzip. Es muss sehr schnell und unter viel Unsicherheit sehr viel neu geregelt werden. Wie werten Sie das alles, was gerade passiert in Deutschland?
Zuallererst ist die Pandemie-Bekämpfung Katastrophen-Management. Wir sind in einer Seuchen-Krise. Wenn ein Haus brennt, achtet die Feuerwehr auch nicht vorrangig darauf, dass der Vorgartenzaun bei der Anfahrt unbeschädigt bleibt. Es mussten und müssen immer noch rasch Entscheidungen getroffen werden, die nur unter der Krisen-Anspannung zu rechtfertigen sind. Aus meiner Sicht hat gerade unsere Regierung in all dieser Unsicherheit und Unberechenbarkeit eine ganze Menge richtig gemacht. Ich sehe, dass jetzt auch längerfristige strukturelle Entscheidungen als Krisenreaktion daherkommen, die mir Sorgen machen. Ich glaube definitiv nicht, dass der Staat Aktienanteile erwerben oder Unternehmen aufkaufen sollte, um sie vermeintlich dauerhaft wettbewerbsfähig zu machen oder zu erhalten. Das heißt, neben kurzfristigen Maßnahmen, die den Betroffenen eine Hilfe zum wirtschaftlichen Überleben geben, müssen wir aufpassen, dass der Staat nicht in eine Rolle gerät, die er – selbst, wenn er es wollte –, nicht effizient und wohlstandsmehrend für die Menschen ausfüllen kann. Noch gefährlicher wäre es aber, wenn die Haltung, der Staat müsse alles und jedes richten, sich durchsetzen würde.
Einverstanden. Aber was braucht es Ihrer Erfahrung nach jetzt, um auch nach der Krise die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen? Welche strukturellen Probleme müssen wir angehen?
Wichtig ist, dass wir uns daran erinnern, dass jeder, der mit freien, marktwirtschaftlichen Kräften arbeitet, zunächst einmal Wohlstand erzeugt und nicht zuerst Schaden verursacht. Wir haben in Deutschland im Augenblick die Tendenz, dass aus der Sicht der Bevölkerung das Vertrauen in den Staat so weit geht, dass man eigentlich sehr beruhigt ist, dass alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, wahrscheinlich verboten ist. Das hat mit Regulierung zu tun, im Sinne dessen, dass wir wirtschaftliches Verhalten immer detaillierter regulieren. Nehmen Sie als aktuelles Beispiel das Lieferkettengesetz: Das Vorhaben erlegt den international tätigen Unternehmen in unserem Exportland Dokumentationspflichten auf, die mittelständische Unternehmen nicht leisten können. Das treibt Unternehmen aus dem Land.
Nehmen Sie die Frage, wie wir Erträge von Start-up-Unternehmen besteuern: In keinem anderen Land wird die Option besteuert, in Zukunft Gewinne in Form neuer Aktien zu erwirtschaften, sondern man besteuert die Gewinne erst dann, wenn sie anfallen. Also wird ein junger Start-up-Unternehmer auch ein noch so hippes Berlin möglichst schnell verlassen und woanders seinen Firmensitz aufbauen. Solche Fesseln zu sprengen, das würde einen Schub auslösen, den wir brauchen, damit wir nicht als Verlierer aus dieser Krise hervorgehen, weil andere Volkswirtschaften, von China bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika – so schwierig sie im Umgang auch sein mögen –, am Ende günstigere Voraussetzungen für Innovation und Wachstum schaffen können als wir in Europa.
Aber ist das kein Widerspruch, denn die Volksrepublik China handelt ja mit sehr viel Einsatz des Staates und sehr wenig individueller Freiheit?
Im Gegensatz zu dem, was Francis Fukuyama im Sommer 1989 geschrieben hat (End of History?), werden wir weiter eine Konkurrenz der Systeme haben. Wir werden uns aber nicht darauf ausruhen können, dass sich der Staatskapitalismus automatisch aller marktwirtschaftlichen Elemente enthält. Das heißt, es gibt schon seit Längerem auch in Diktaturen zum Teil beachtliche marktwirtschaftliche Triebkräfte, die genutzt werden und die diese Länder ebenso zu Wohlstand führen, der ohne persönliche Freiheit – jedenfalls bis zu einer gewissen Grenze – Wachstum erzeugt.
In unserem Denken sind das christlich-jüdische Abendland sowie Europa und seine Traditionen verankert: Wir sind überzeugt, dass das Individuum wichtiger ist als die Gesellschaft und nicht umgekehrt. Und das wollen wir auch zukünftig aufrechterhalten. Das erfordert Wachsamkeit, um ökonomisch nicht das Nachsehen zu haben. Wir dürfen uns nicht bequem zurücklehnen in der Hoffnung, die anderen bekommen das nicht hin, wir sind immer vorneweg.
Das ist jedoch nichts Schlechtes für das System der Marktwirtschaft, im Gegenteil. Es zeigt ja, dass die Ordnungsprinzipien der Marktwirtschaft auch anderswo erkannt werden. Aber es macht den Wettbewerb anstrengender. Wir können diesen selbstverständlich für uns vorteilhaft gestalten, aber wir müssen uns die dazu notwendige Flexibilität verschaffen.
Jetzt zeichnet sich die Soziale Marktwirtschaft durch verschiedene Eigenschaften wie Risikobereitschaft, Mut, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, aus. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen, die Menschen dafür sind noch da, aber der Staat gängelt das alles durch zu strenge Regularien?
Die Gesellschaften in Europa sind ein Stück weit Opfer ihres Erfolges: Das, was weite Teile der Bevölkerung als Wohlstand empfinden, ist aus ihrer subjektiven Sicht so verteidigungswürdig, dass es mehr um Absicherung des Status quo geht als darum, Risiken in Kauf zu nehmen, um Neues oder Besseres zu erreichen. Damit steigt in diesen Gesellschaften automatisch die Zustimmung zu staatlichen Maßnahmen, die vorgeben, den Wohlstand zu schützen – auch wenn sie möglicherweise neue Wohlstandsgewinne verhindern. Dieses Phänomen ist ein Grundproblem der modernen Gesellschaften.
Wer Soziale Marktwirtschaft als geeignetes ökonomisches System begreift, wer Marktwirtschaft als nützliches Instrument zur Wohlstandsmehrung sieht, der muss zeigen, dass die Herausforderungen der Zukunft besser und wohlstandsfördernder gelöst werden können, wenn man das im Rahmen der freien Kräfte und des Wettbewerbs zulässt, als wenn mit staatlicher Regulierung jedes einzelne Detail gelöst werden soll. Wobei Wohlstand dabei nicht mehr nur als Frage des individuellen Portemonnaies, sondern auch des Erreichens weiterer Ziele, wie zum Beispiel einem verantwortlichen Umgang mit dem Klima, definiert wird. Wir sehen ja gerade, dass solche Effekte langsam eintreten. Zum Beispiel im Finanzmarkt im Hinblick auf eine Green Economy. Das lässt sich durchaus marktwirtschaftlich lösen. Wenn die Frage der Nachhaltigkeit den Aktienkurs wesentlich bestimmt, ist staatliche Detailregulierung bis ins Kleinste unnötig. Diese Veränderung kann ein großer Treiber für Innovation und Wachstum werden.
Nochmal zurück auf das Thema Wettbewerb der Systeme. Die Idee von Erhard war ja auch, dass die Wohlstandsmehrung vor allem durch Expansion und permanentes Wachstum kommt. Jetzt kommen wir in eine Phase, wo dieses Wachstum in Europa nicht mehr in dem Maße stattfindet wie in anderen Regionen. Mit wie viel Sorge erfüllt Sie vor diesem Hintergrund, dass Europa abgehängt wird? Es stellt sich auch die Frage, wie stark sich Deutschland auf sich selber konzentriert, sich in Europa einbringen muss, weil es alleine vermutlich keine Chance hat?
Ich sehe da nicht so schwarz. Eines ist sicher richtig: Weltwirtschaftlich gesehen gibt es nicht nur abstrakt unendliche Wachstumspotenziale. Der größte Teil der Menschheit bedarf noch vieler Dinge, die für uns hier selbstverständlich sind, und sie werden diese im Laufe der Zeit auch erlangen. Das nennt man Wachstum. Die Ökonomien, die wir in den westlichen Industriestaaten so erfolgreich geschaffen haben, bedürfen einer grundlegenden Erneuerung und Reform in ihren Produktionsmethoden. Das nennt man ebenfalls Wachstum. Potenzial ist also prinzipiell weltweit vorhanden. Historisch waren die Europäer – später gemeinsam mit den USA – gewohnt, dass sie das Wachstumstempo bestimmten und Wachstumsgewinner waren. Das ist nicht mehr so.
„Der Brexit ist eine schwere Schwächung Großbritanniens, aber auch eine Schwächung Europas.“
Darauf müssen wir reagieren. Eine Reaktion ist der gemeinsame europäische Markt. Deutschland ist mit 70 Prozent des Exports innerhalb der Europäischen Union tätig. Das heißt, unser Markt liegt zunächst einmal in Europa. Dieser Kontinent wird sich in einer globalen Welt, in der die Handelsregeln künftig zwischen großen Wirtschaftsräumen ausgehandelt werden, behaupten müssen. Das kann Europa nur, wenn es mit einer Stimme spricht.
Der Brexit ist eine schwere Schwächung Großbritanniens, aber auch eine Schwächung Europas. Er nutzt niemandem. Insofern muss nun Kontinentaleuropa die wirtschaftliche Einheit weiter angehen und wird damit auch die Stärke erlangen, um die Regeln mitzubestimmen, unter denen globaler Handel und globaler Warenaustausch stattfinden. Dann haben wir eine immer noch sehr kreative Gemeinschaft von Unternehmern, Arbeitnehmern und Wissenschaftlern – als Symbol sei nur der Impfstoff genannt, der nun aus Deutschland kommt. Wir sind diejenigen, die komplexe Vorgänge gut beherrschen und steuern können. Das wird auf der ganzen Welt gebraucht. Wir müssen nur diese Kräfte sich auch entfalten lassen und dürfen uns nicht an allen Stellen so stark fesseln, dass andere uns in jedem Einzelfall überholen.
Kann die Soziale Marktwirtschaft auch ein Modell für Europa sein? Denn gerade jetzt die Verhandlungen zum Finanzpakt haben ja gezeigt, dass es da durchaus Differenzen gibt in der Wahrnehmung von Rechtsstaatlichkeit und dem Umgang mit Menschen?
Die Frage der Rechtsstaatlichkeit kann man nicht allein ökonomisch klären. Das ist ein Stück weit eine kulturelle Frage. Ich glaube, dass es klug ist, miteinander um Grundsätze zu streiten. Europa ist die Geschichte des Individualismus, die Geschichte der Nationalstaaten und die Geschichte der kulturellen Eigenheiten. Das ist unsere Vielfalt und wird nie uniform. Dass Polen und Ungarn im Augenblick im Streit mit den übrigen Europäern liegen – und umgekehrt –, muss Sorge bereiten, aber es lohnt den Streit. Ich glaube auch, dass man den am Ende zu einem guten Ergebnis führen kann. Aber es ist schwierig und bedarf der Klarheit und Positionierung. Man darf nicht einfach schweigend hinnehmen, was geschieht.
Im Übrigen: Ja, natürlich muss Europa nach den Regeln einer Sozialen Marktwirtschaft leben! Das ist allerdings nicht so selbstverständlich, wie man das in Deutschland sieht. Wir wissen, dass im französischen Ansatz eine sehr viel mehr staatsvertrauende ökonomische Grundstruktur seit Jahrhunderten vorhanden ist und wir uns da in einem Konflikt befinden. Da dürfen wir unsere Position nicht aufgeben, müssen möglichst viel von ihr erreichen und trotzdem am gemeinsamen Europa festhalten. Europa wird immer – und das ist ein Gegensatz zu Ländern wie China – ein Kontinent sein, auf dem Spannungen ausgetragen werden, indem aus den selbständigen Rechten Einzelner ein Gemeinsames gemacht werden muss. Das geht nicht durch Kriege oder Befehle, sondern nur durch Diskussionen, durch Ringen und Verhandeln. Das wird in Europa so bleiben, aber das hat Europa auch bis zum heutigen Tag sehr weit gebracht. Ich sehe keinen Grund, dass das für die Zukunft anders wäre.
Man könnte sagen, trotz aller guten Entwicklungen in den vergangenen Jahren geht die Schere zwischen Arm und Reich ein wenig weiter auseinander – und zwar stetig. Was muss sich also ändern, damit es auch künftig beim „Wohlstand für alle“ bleibt?
Ich glaube, dass die Frage der ungleichen Verteilung von Vermögen und Chancen eine der großen Fragen bleiben wird, gerade in einer Gesellschaft, die sehr transparent ist im Gegensatz zu früheren Gesellschaften. Ich glaube allerdings, dass eine marktwirtschaftliche Ordnung – insbesondere eine Marktwirtschaft, die möchte, dass eben „Wohlstand für alle“ nicht nur ein Werbe-Begriff ist – sich immer darauf konzentrieren muss, dass es nicht um eine staatliche Verteilung von Erträgen geht, sondern dass es faire Möglichkeiten gibt, sich eigenständig Chancen zu eröffnen. Chancen haben etwas mit Bildung zu tun, sie haben etwas damit zu tun, Unternehmen gründen zu können. Chancen haben etwas damit zu tun, in einer solchen Gesellschaft Vermachtung im Sinne von Wettbewerbsstrukturen zu vermeiden, in die man mit eigenen, neuen Ideen nicht mehr hineinkommen kann. Sie haben auch etwas damit zu tun, dass ein relevanter und effizienter Arbeitsmarkt besteht. In all diesen Bereichen gibt es immer wieder Erneuerungsbedarf. Gerade wenn man über Plattformen, Internet und vieles andere spricht, ist die Frage der Vermachtung – und damit des Ausschlusses von neuen Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten – sicherlich eine sehr zentrale Frage. Deshalb muss man mit dem heutigen Zustand nicht zufrieden sein.
Meine Antwort ist nicht, dass der Staat, der Geld gleichmäßig verteilt, die bessere Lösung wäre. Dann bestünde zwar formal Gleichheit, aber es wäre eine Gleichheit in Armut. Diese Gleichheit wird nicht funktionieren, weder indem man Mieten oder andere Preise reguliert, noch indem man Zukunftschancen und Einkommen regeln will. Soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass keiner zurückgelassen wird in einer Armut, die ihm nicht mehr die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Aber Soziale Marktwirtschaft bedeutet auch Wettbewerb und bedeutet auch Belohnung für Erfolg.
Das heißt, Sie plädieren auch für eine schöpferische Zerstörung nach Schumpeter, dass die, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben, durch welche Gründe auch immer, auch mal aus dem Markt ausscheiden können?
Selbstverständlich lebt der Markt davon, dass immer neue Anbieter hinzukommen und dass andere, etablierte ausscheiden. Er lebt davon, dass es dafür Regeln gibt. Nicht Kabinettsbeschlüsse entscheiden, wer ausscheidet, sondern der Markt.
Sie haben es schon ein paar Mal angedeutet, dass der Staat nicht alles retten kann. Wir machen unfassbar viele Schulden gerade. Im Jahr 2019 haben die Sozialausgaben erstmals eine Billion Euro überstiegen. Stößt der „Sozialstaat“ hier irgendwann an seine Grenzen, und ist das nicht ein natürliches Ende der Sozialen Marktwirtschaft? Oder denke ich da viel zu kurz?
Die Soziale Marktwirtschaft ist ohne diese gigantischen Transferpotenziale entstanden, die wir heute haben. Sie ist auch nicht dadurch definiert, dass sie im Wesentlichen Transferpotenziale organisiert, sondern sie ist darauf ausgerichtet, dass jeder Einzelne in Eigenverantwortung seine Chancen nutzen kann, um auch für seine Zukunft vorzusorgen. Wenn wir zum Beispiel unser Rentensystem nehmen, haben wir gegen den Rat von Ludwig Erhard in den 50er Jahren eine Entscheidung für eine umlagefinanzierte Rentenversicherung getroffen, die uns inzwischen große Schwierigkeiten macht. Der Grundsatz, zu dem wir wieder hinkommen müssen, ist, dass jeder Einzelne Chancen hat, mitzuwirken. Es sollte nicht darum gehen, dass hohe und immer höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt zur Renten- und in Zukunft auch zur Pflegeversicherung kommen werden. Dort umzusteuern, also neue Systeme zu finden, die den Anreiz schaffen, dass es Wettbewerb um Altersvorsorge gibt, sollte das Ziel sein.
„Ich würde mir mehr Mut der Politiker wünschen, Freiheit zuzulassen.“
Dass man die besten Methoden, auch mit unterschiedlichen Erträgen, wählen kann, ohne unkalkulierbaren Risiken zu unterliegen, das ist sicher ein Gebot der Stunde. Sonst wird sich immer mehr der Druck der demographischen Entwicklung in den nationalen Haushalten abbilden, die damit immer weniger Ressourcen für andere Dinge haben. Die Gesamtverteilung der Mittel ist begrenzt – solange wir nicht in eine völlig unverantwortliche Schuldenpolitik eintreten wollen. Jeder Euro, der in die Sozialsicherungssysteme fließt, fehlt für Bildung, für die innere Sicherheit oder für die Verkehrsinfrastruktur. Es gibt auch in öffentlichen Kassen einen permanenten Verteilungswettbewerb. Die große Gefahr ist, dass in diesem Verteilungswettbewerb die Jüngeren immer den Kürzeren ziehen. Das werden sie auf Dauer nicht hinnehmen wollen und auch nicht hinnehmen müssen. Das heißt, Soziale Marktwirtschaft erfordert gerade in den sozialen Sicherungssystemen, dass nicht alles durch den Staat zugeteilt wird, sondern dass sie Gegenstand marktwirtschaftlicher Verteilungsmechanismen ist. Das Ziel muss sein, unter Abwägung von Chancen und Risiken, zur besten Auswahl, zu den günstigsten Ergebnissen für den Einzelnen zu führen.
Herr Koch, jetzt sind wir kurz vor Weihnachten und Weihnachten ist auch immer ein bisschen eine Zeit des Wünschens. Wenn der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung drei Wünsche frei hätte: Was würde er sich wünschen, um die Soziale Marktwirtschaft zukunftsfähiger zu machen?
Ich würde mir mehr Mut der Politiker wünschen, Freiheit zuzulassen. Ich würde mir aber auch mehr Mut von vielen in unserer Gesellschaft wünschen, der Überzeugung zu vertrauen, dass Lösungen, die sich im freien Spiel der Kräfte finden lassen, nicht gefährlicher, sondern attraktiver sind. Beides muss zusammenkommen. Das Vertrauen darauf ist nicht selbstverständlich. Wir sollten nicht vergessen: Ludwig Erhard musste alles, was er durchgesetzt hat, gegen viele Zweifel durchsetzen. Sehr entschlossenen, mutigen Entscheidungen folgte dann das Vertrauen der Bürger mit einem gewissen Zeitverzug. Deshalb braucht es Politiker, die überzeugt sind, dass das Spiel der Kräfte zu mehr Wohlstand und mehr Freiheit führt als jede parlamentarische Regelung des ökonomischen Lebens.
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