Von Peter Lückemeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Roland Koch wirkt heute als Anwalt, Multi-Aufsichtsrat und Hochschullehrer. Er arbeitet viel und scheint mit sich im Reinen. Auf die Politik hat er nur noch einen wachen Blick. Ein Besuch.
Noch immer Cola als Tagesgetränk, noch immer eine rote Krawatte, noch immer fast druckreife Schachtelsätze. Und wie früher bei Journalistenkontakten ist Dirk Metz an Roland Kochs Seite. Doch der ehemalige Ministerpräsident (62) und sein früherer Sprecher (63) sehen sich heute eher selten. Dabei arbeiten sie im selben Hochhaus an der Bockenheimer Landstraße, dem einzigen Frankfurter Wolkenkratzer mit einer Uhr im Giebel, Koch im sechsten, Metz im zehnten Stock. Metz ist heute ein gut ausgelasteter selbständiger Kommunikationsberater, und Roland Koch bekommt gelegentlich von seiner Frau zu hören: „Du entwickelst dich, was die Arbeitszeit angeht, allmählich zurück zum Politiker.“
Die Politik liegt jetzt eine Dekade hinter ihm, am 31. August 2010 trat er als Ministerpräsident zurück. Koch sagt, die Politik habe ihm unendlich viel Freude bereitet, aber dennoch habe er diesen Rückzug „keinen Tag bereut“. Er macht den Eindruck, mit sich im Reinen zu sein, sitzt bequem zurückgelehnt in seinem Stuhl im Besprechungsraum, verschränkt dann und wann die Hände hinterm Kopf. Er antwortet auf die Frage, wie es ihm auf einer Skala von null bis zehn gehe: „Wahrscheinlich mindestens neun.“
Und er sagt einen jener typischen Koch-Sätze: „Ich bin jetzt ziemlich präzise da, wo ich mir mit 45 mal gedacht habe, mit 62 sein zu sollen.“ Und damit das gleich klar ist: Roland Koch will nicht zurück in die Politik. Obwohl er natürlich das Interesse daran nicht verloren hat: „Ich kenne natürlich nach wie vor viele Politiker, ich treffe viele. Ich bin da in einer komfortablen Situation – mich gehört zu fühlen, aber mich auch zurückziehen zu können.“
Wie sieht heute sein Alltag aus, da er nicht nur die Politik, sondern auch das Managerdasein als Vorstandschef von Bilfinger Berger hinter sich gelassen hat? Man könnte es so formulieren: Er trägt nicht mehr die operative Verantwortung, er schaut anderen beim Managen zu. Dies tut er als Aufsichtsratsvorsitzender von UBS Europe, als Mitglied des Aufsichtsrats von Vodafone Deutschland und im Stiftungsrat der Peter Dussmann-Stiftung, die in der unternehmerischen Verantwortung der Witwe Catherine von Fürstenberg-Dussmann ein Unternehmen mit 65.000 Mitarbeitern steuert.
Dussmann ist der Allgemeinheit vor allem durch das gleichnamige Berliner Kulturkaufhaus bekannt, doch das Unternehmen betreibt die Kursana-Seniorenheime, putzt Büros, organisiert Kindergärten, konstruiert Klimaanlagen und macht noch viele andere Dinge, die jemand wie Koch mit seinem Durst nach Informationsbewältigung spannend findet. Koch, der bei Gelegenheit einmal von einer „gewissen Sucht“ nach Informationen sprach und dem der Ruf vorauseilte, als Ministerpräsident oft besser informiert gewesen zu sein als seine Fachminister, ist nach wie vor versessen auf jene Einzelheiten, die erst in der Summe ein Bild ergeben. Sein Drang nach Informationen ist ungebremst: „Zu meinen Wünschen an eine gute Fee würde gehören, ein Buch in dem Moment komplett gelesen zu haben, in dem man draufschaut.“ Koch liest übrigens viele Sachbücher, so gut wie keine Belletristik.
Die Eigenschaft, Weizen vom Spreu zu trennen, hält Koch für eine der beiden wichtigen Funktionen eines Aufsichtsrats. Die andere liegt nach seiner Ansicht darin, ein gutes Management-Team zu finden und zu führen: „Beides ist eine erhebliche Herausforderung, die erfordert, dass man weiß, was die können und tun, dass man sie kennt, dass man sie zum Team führt, dass man auch spürt, wenn sie nicht mehr zusammenpassen, dass man notfalls die Sache beendet.
Dass man auch eine Idee hat, was passiert, wenn der eine zufällig ausfällt, und wer als Ersatz in Frage kommt. Also, es ist eine andere Art von Tätigkeit als die des Managers, aber es ist auch eine, die nicht bedeutet, dass man einen Zettel abliest, ein Protokoll unterschreibt und Geld dafür bekommt.“ Hoffentlich können seine Studenten so schnell mitschreiben, wenn ihr Professor ihnen dergleichen erzählt.
Denn Roland Koch ist Hochschullehrer, und er macht nicht den Eindruck, dass er einer derer ist, die sich bloß mit dem in Deutschland so begehrten Professoren-Titel schmücken wollen. Etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit, schätzt er, investiert er in diese Tätigkeit an der Frankfurt School of Finance & Management an der Adickesallee als „Professor of Management Practice in Regulated Environments“. Auf Deutsch geht es darum, wie man unternehmerisch in regulierten Märkten agiert. Davon gibt es viele, zum Beispiel die Energiewirtschaft, die Telekommunikation, die Banken, Teile von Agrar-, Pharma- und Verkehrswirtschaft.
Koch kennt als ehemaliger Politiker und als früherer Vorstandsvorsitzender beide Seiten dieser Medaille – diejenigen, die regulieren, und die, die damit zurechtkommen müssen. Leute aus der Wirtschaft stehen häufig fassungslos der staatlichen Regulierung gegenüber. Manager wie Studierende können jemanden wie Koch gebrauchen, der ihnen hilft, staatliches Denken besser zu verstehen. Und der nicht nur ein so schwieriges Wort im Munde führt wie „Regulierungsfolgenabschätzung“, sondern es auch mit praktischen Beispielen illustrieren kann.
Prof. Dr. h. c. mult. Roland Koch (einen Ehrendoktortitel hat er von der Rechtshochschule in Hanoi, den anderen von der European Business School im Rheingau) unterrichtet wie alle Dozenten an der Frankfurt School seine Studenten auf Englisch. Die wissenschaftliche Beschäftigung ist für den Mann, der mit 21 CDU-Kreisvorsitzender, mit 29 Landtagsabgeordneter und mit 41 Ministerpräsident war, auch eine Aufholjagd und intellektuelle Entdeckungsreise: „Wenn Sie damit ein paar Ansprüche verbinden, was ich durchaus tue, dann stoßen Sie jeden Tag auf etwas Neues. Allein, um eine Diskussion um den Wesenskern und den Wert von Daten führen zu können, müssen Sie enorm viel gelesen haben.“ Was hat ihn gereizt, sich als Professor wissenschaftlich zu betätigen? Kochs Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Legitimation für Neugierde.“
Wie leistungsorientiert Koch noch immer denkt, kann man aus einer Nebenbemerkung heraushören. Als er davon erzählt, wie er sich wissenschaftlich weiterbildet, wie er seinen Blick schweifen lässt über interessante Publikationen, lässt er den Satz fallen: „Man muss sich – sich selbst gegenüber – ja immer fragen: Warum machst du das eigentlich?“ In einem Alter also, in dem andere beginnen, vom Rentnerdasein zu träumen, scheint Koch noch bei jeder Beschäftigung nach Selbstlegitimation zu forschen.
Was vielleicht ja auch kein Wunder ist bei einer Aufgabenfülle, die sich in der Dozententätigkeit und den Aufsichtsratsmandaten nicht erschöpft. Koch ist auch noch anwaltlich tätig. Wobei die schwarze Robe nur für Notfälle in der Kanzlei aufbewahrt wird, vor Gericht streitet er in der Regel nicht. Er ist ein Eigentümeranwalt, steht also beispielsweise Unternehmen in der Gründungsphase oder bei Eigentümerwechseln mit Rat zur Verfügung und greift bei größeren Vorhaben auf ein Netzwerk zurück.
Nach wie vor bringt sich Roland Koch auch ehrenamtlich ein. Als langjähriger Vorsitzender im Kuratorium des Rheingau Musik Festivals glaubt er, dass die Geschäftsführung Vorkehrungen für eine gute nächste Saison getroffen hat, und fühlt sich mitverantwortlich dafür, dass die Sponsoren bei der Stange bleiben. Deren Treue registriert er so dankbar wie die Bereitschaft so vieler Kartenbesitzer, die „in wirklich beachtenswertem Umfang“ auf eine Rückzahlung verzichteten. Er weiß auch, dass es im kommenden Jahr mit hoher Flexibilität weitergehen muss, ist aber optimistisch: „Ich sehe ein bisschen mehr, als man im Augenblick öffentlich sehen kann, und betrachte das kluge und kreative Vorgehen der Geschäftsführung mit einem gewissen Vergnügen.“
Und dann ist ja da auch noch der Kampf gegen eine seltene Krankheit. Das Engagement des Ehepaars Koch für den Verein „Tuberöse Sklerose e.V.“ begann vor mehr als zwanzig Jahren. Ein Mitarbeiter Kochs fragte Anke Koch, ob sie die Schirmherrschaft über den 1985 gegründeten Verein übernehmen könne, der sich für die Interessen der Erkrankten einsetzt. Die Tochter dieses Mitarbeiters litt an Tuberöser Sklerose. Diese Krankheit ist nicht heilbar, aber die Symptome können gemildert werden. Tuberöse Sklerose sorgt für entstellende Hautveränderungen, für Tumore an unterschiedlichen Körperteilen, drei von vier Patienten leiden an epileptischen Anfällen.
Anke Koch und ihr Mann übernahmen die Schirmherrschaft, der Kampf gegen die Krankheit wurde zur Herzensangelegenheit. Niemand hätte etwas dagegen einwenden können, wenn vom 31. August 2010 an ein Ex-Ministerpräsident und dessen Ehefrau dieses Engagement aufgegeben hätten. Doch Anke Koch ist heute noch Schirmherrin, ihr Ehemann Vorstand der „Deutschen Tuberöse Sklerose Stiftung“. Und Koch wäre nicht Koch, hätte er nicht die Gesetzmäßigkeiten entdeckt, die notwendig sind zur Förderung der Erforschung einer seltenen Krankheit. Zum Beispiel hat die Stiftung einen Preis gestiftet, damit sich Forscher des Themas annehmen. Auch die Komplementärfinanzierung in der Forschung durchschaut er natürlich längst.
Und sein Blick auf die Politik? Hält der ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU (2006 bis 2010) zum Beispiel immer noch Friedrich Merz für den richtigen Mann an der Spitze seiner Partei? Klar, aber warum? Weil die Zukunft auch in der Bundespolitik schwarz-grün sei, sagt der Ehrenvorsitzende der hessischen CDU, und weil derjenige, der mit den Grünen verhandle und zusammenarbeite, eine eigene Meinung haben müsse und nicht gleich mit einem Kompromiss beginnen dürfe, sondern einen klaren Standpunkt haben müsse, an dem sich die andere Seite reiben könne. So wie in Hessen ja auch Volker Bouffier zwar kompromissbereit sei, aber dennoch ein klares, markantes politisches Profil habe.
Ah ja, Hessen und Bouffier. Was würde Koch denn seinem Nachfolger in dessen eigener Nachfolgefrage empfehlen? Bei dieser Frage wird der bisher so lässige Anwalt, Multi-Aufsichtsrat und Hochschullehrer wieder zum Politiker und sagt knapp: „Es gibt ein paar Themen, die diskutieren nur Volker Bouffier und ich.“ Lehnt sich zurück, lächelt wieder, wechselt für den Fotografen von der Strickjacke zum Jackett und scheint mit sich zufrieden. Mindestens eine Neun.
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