„‚Demnächst‘ bedeutet heute wenige Monate und nicht mehr ein paar Jahre“
Die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche ermöglicht schier unendliche Möglichkeiten, mit neuen Technologien nie dagewesene Geschäftsfelder zu erschließen. Gleichzeitig stellt sie Politik und Gesellschaft vor die Herausforderung, alle Teile der Bevölkerung bei diesem Prozess einzubinden, denn viele Bürger sehen in der Digitalisierung Gefahren und stehen ihr daher skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Roland Koch im Interview mit dem VentureCapital Magazin
VC Magazin: Der Unternehmertag am Tegernsee steht unter dem Motto „Brave New World“. Wie schlägt sich die schöne neue Welt in der Politik nieder?
Koch: Für viele Menschen ist ein wesentliches Element dieser neuen Welt nach meinen Beobachtungen leider die fehlende Gewissheit, ob sie diese neue Welt begrüßen oder ablehnen sollen. Es macht sich eine gigantische allgemeine Unsicherheit breit, die dazu führt, dass – logischerweise – nur wenige die neue Welt enthusiastisch begrüßen. Ich denke, wir befinden uns aktuell in einer Zwischenstufe, auf der diejenigen, die sich intensiv mit den neuen Möglichkeiten befassen, Visionen von zukünftigen ökonomischen und technischen Optionen aber eben auch von der nötigen gesellschaftspolitischen Konsequenzen haben. Die, die an diesen Visionen arbeiten, laufen allerdings immer wieder Gefahr, in demokratischen Gesellschaften den Anschluss zur Mehrheit der Bevölkerung zu verlieren, da diese – wie eben erwähnt – der Entwicklung teilweise mit Angst und Schrecken gegenübersteht. Ich persönlich glaube, dass wir vor einer fantastischen neuen Welt stehen, die uns, wenn wir ethisch korrekt mit ihr umgehen, unglaubliche Möglichkeiten eröffnet. Die Politik steht vor der Herausforderung, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es neuen Technologien und Dienstleistungen ermöglichen, in den Markt zu kommen, ohne sich der Gefahr der Illegalität auszusetzen. Die zweite Aufgabe der Politik besteht darin, eine gesellschaftliche und ökologische Debatte darüber anzustoßen, wie die Themen Arbeit, Einkommen und Existenzsicherung in Zukunft aussehen sollen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass renommierte Institute zu dem Ergebnis kommen, dass die neue Welt in den entwickelten Ländern zum Wegfall von 50% der Arbeitsplätze führt. Zum dritten müssen die Regelungen der politischen Welt selbst auf den Prüfstand gestellt werden. Die aktuell um sich greifende Angst führt dazu, dass Grenzen geschlossen werden und Nationalismus zunimmt. Paradoxerweise kommt es durch die bessere Kommunikation zur Isolation einzelner Regionen – gerade dort bedarf es einer anderen Form des Dialogs. Zusammengefasst sind die drei großen Aufgaben: Technik Wirklichkeit werden zu lassen, mit den Menschen zu kommunizieren, was das für sie bedeutet, ihnen gleichzeitig die Angst zu nehmen und Hoffnung zu geben und zu guter Letzt die Abschottung von Staaten zu verhindern und stattdessen deren vertrauensvolle Zusammenarbeit zu fördern.
VC Magazin: Welche Form der Veränderung verlangt das von Politikern – und wie weit ist diese Veränderung bereits zu beobachten?
Koch: Politiker nehmen heute soziale Medien als Chance und weniger als Bedrohung wahr. Wie in der gesamten Gesellschaft entwickelt sich also auch hier etwas Neues. Entscheidend ist jedoch, dass Politiker mit sehr viel Neugierde versuchen zu erfassen, was technologisch aktuell passiert, da die Entwicklungsgeschwindigkeit drastisch zugenommen hat. War früher von „demnächst“ die Rede, meinte man die nächste Wahlperiode. Wenn man heute mit Menschen spricht, die im Start-up-Bereich tätig sind, bedeutet „demnächst“ sechs Monate. Politiker müssen also zum einen diese neue Geschwindigkeit verstehen, um dann zum zweiten bei anderen dafür um Verständnis werben zu können und drittens die richtigen Schritte voraus zu sehen. Das ist wichtig, denn Politiker sind keine moralischen Wegbegleiter, sondern beauftragt, regulatorische Systeme so im Voraus aufzustellen, dass einerseits Neues ökonomisch möglich wird und Wohlstand generiert und andererseits die Stabilität erhalten wird, in der Menschen der Auffassung sind, dass die staatlichen Organe zum Schutz der Bevölkerung die Kontrolle ausüben. Es gilt also, folgende Fragen zu beantworten: Wo möchten wir als Land führend sein? Welche Technologien wollen wir selbst entwickeln und betreiben – auch vor dem Hintergrund der industriepolitischen Autonomie?
VC Magazin: Sie sind seit 2011 in der Wirtschaft tätig: Wie agieren Konzerne aus der Old Economy in der schönen neuen Welt?
Koch: Die großen internationalen Unternehmen haben heute die übereinstimmende Einschätzung, dass ihnen nur das Antizipieren disruptiver Technologien das Überleben sichert. Nicht für alle Unternehmen ist das gleich einfach. Nehmen Sie beispielsweise gewisse Produktionsverfahren in Stahlwalzwerken. Diese lassen sich nicht so einfach virtualisieren. Ganz anders sieht es z.B. bei Dienstleistungen aus, die mittlerweile sehr stark digitalisiert werden. Der digitale Wandel hält also unterschiedlich schnell in den verschiedenen Branchen Einzug. Gleichzeitig werden alle großen Konzerne den Schritt in die neue Welt machen müssen. Die wichtigste Frage scheint mir, ob sich die Großunternehmen zutrauen, diesen Schritt in eigener Verantwortung mit ihren teilweise recht trägen Strukturen bewältigen zu können, oder ob sie dazu die Zusammenarbeit mit Start-ups und Innovatoren brauchen. Die Antwort ist nach meinen Beobachtungen noch vollkommen offen. Gerade in der Bankenwelt, mit der ich aufgrund meiner Tätigkeit als Vorsitzender des Aufsichtsrates der UBS einige Berührungspunkte habe, gibt es eine Vielzahl von Kooperationen zwischen den Kreditinstituten und jungen Fintech-Start-ups.
VC Magazin: Wo sehen Sie die Grenzen bei der Zusammenarbeit mit Start-ups?
Koch: Objektiv sehe ich sehr wenig Grenzen. Subjektiv gibt es in der Art wie die Beteiligten zusammenarbeiten, wie sie adaptiv zusammenkommen können, eine ganze Reihe von Hindernissen – auf beiden Seiten. Viele derjenigen, die heute an neuen Technologien arbeiten sind zu ungeduldig und zu risikofreudig – gemäß der fail and fix-Mentalität –, als es Konzerne verkraften könnten oder dürften. Dem gegenüber steht das Sicherheitsdenken der Großunternehmen, die Produkte hundert Mal prüfen, bevor sie sie auf den Markt geben, mit einer fast schon physischen Angst vor Beta-Versionen. Noch kommt nicht alles zusammen, das zusammenpassen würde. Die Lasten, die junge wie alte Unternehmen auf regulatorischer Ebene zu tragen haben, sind oftmals solche, die noch aus der alten Welt stammen. Ein gutes Beispiel dafür ist meines Erachtens die Datenschutz-Grundverordnung, die aktuell viele Menschen in Unternehmen beschäftigt und an der sowohl Start-ups wie Konzerne scheitern können. Der Datenschutz hierzulande ist sicherlich an der oberen Grenze des weltweit Vorstellbaren und bestimmt damit auch einen Teil der Wettbewerbsfähigkeit mit – sowohl die des Berliner Blockchain-Start-ups wie auch die von Siemens oder der Deutschen Bank.
VC Magazin: Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind allerdings nicht die Konzerne sondern die Mittelständler. Wie offen sind sie für Kooperationen mit Start-ups?
Koch: Die Konzerne haben, wie gesagt, ihre Hausaufgaben erkannt und sind dabei, sie zu erledigen. Der Mittelstand ist momentan wirtschaftlich derart erfolgreich, dass die Gefahr einer zu großen Selbstgewissheit entsteht. Wer nach dem Motto agiert „Wir sehen die kommende Veränderung, konzentrieren uns aber erst einmal auf das aktuell gut laufende Geschäft“, der unterschätzt die Macht und die Geschwindigkeit der Disruption der Geschäftsmodelle. Es ist also eine gewisse Sorge angebracht. Auch, weil viele der neuen Technologien in ihrer Implementierung nicht preiswert sind. Außerdem erfordern sie andere Formen der Finanzierung, wie beispielsweise Venture Capital, die vielen Mittelständler kaum bis gar nicht geläufig sind. Das kann für den Standort Deutschland zu Problemen führen – auch wenn ich überzeugt bin, dass die mittelständischen Unternehmen agil genug sind, um diesen Kurswechsel zu vollziehen. Aber, wie ebenfalls bereits erwähnt: „Demnächst“ bedeutet heute wenige Monate und nicht mehr ein paar Jahre.
VC Magazin: Herr Koch, vielen Dank für das Interview.