Wiesbaden, 1. Dezember. Um zehn Uhr am Freitag, eine Stunde bevor zur Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille geschritten wird, haben sich vor den Kurhaus-Kolonnaden in Wiesbaden gut 200 Demonstranten versammelt. Sie eint der Ärger darüber, dass gleich der frühere Ministerpräsident Roland Koch, CDU, mit der höchsten Auszeichnung des Landes Hessen geehrt werden wird. Die Medaille gibt es laut Stiftungserlass für Personen, die sich aus dem Geist des einstigen Widerstandskämpfers, Gewerkschafters und SPD-Politikers Wilhelm Leuschner „hervorragende Verdienste um die demokratische Gesellschaft und ihre Einrichtungen erworben haben“. Außerdem für Leute, deren Einsatz „Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit“ galt. So jemand wie Koch also? Die Gegner der Vergabe, unter die sich am Freitag etwas verdruckst auch die SPD – sicherheitshalber mit einem fahrbaren Kaffeestand – gemischt hat, haben, grob gesagt, zwei Einwände: Ihnen scheint zum einen das politische Leben Kochs, aus dem ihnen immer als Erstes die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft einfällt, nicht auszeichnungswürdig. Zum anderen haben sie den jetzigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU), der nach den Richtlinien allein über die Vergabe der Medaille entscheidet, im Verdacht, er habe seinem alten Freund und strategischen Partner einen weiteren großen Dienst erweisen wollen.
Als Koch die Stufen zu den Kolonnaden hochgeht, erschallen abermals Rufe, er solle auf die Ehrung verzichten. Ihn scheint das nicht anzufechten. Im Gegenteil: So ist er groß geworden, in der scharfen Konfrontation mit der Linken hat er zusammen mit Bouffier Hessen der SPD entwunden, was die ihnen bis heute noch verübelt. Bouffier ehrt noch zwei weitere Persönlichkeiten: Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries, die ein hessisches Leben mit einem sozialdemokratischen auf produktive Weise zu verknüpfen wusste, sowie den hochangesehenen Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn. Hier fällt Bouffier die Begründung jeweils nicht schwer.
Als die Rede auf Koch kommt, verschweigt der Ministerpräsident nicht die Kritik daran. Doch dann bringt er ein Argument nach dem anderen pro Koch: Man müsse das gesamte Lebenswerk einer Persönlichkeit bewerten, Koch habe sich „in der Summe seines Handelns“ viele Verdienste erworben: um die Menschenrechte, Stichwort Tibet, um die jüdischen Gemeinden in Hessen, um die rechtliche Gleichstellung homosexueller Beamter, um die Zukunftsfähigkeit des Landes. Gerade bei Persönlichkeiten, die viele Jahre im Zentrum politischer Auseinandersetzungen gestanden hätten, sei es, so Bouffier, eher die Regel als die Ausnahme, dass einzelne ihrer Entscheidungen umstritten sind. Ganz Anwalt, wendet Bouffier geschickt die Argumente der Gegner zu seinen und Kochs Gunsten: Die Kritik an seiner Entscheidung sei zwar bedauerlich, aber natürlich auch Ausdruck einer „freiheitlich gelebten Demokratie“, sagt Bouffier. Er zitiert einen Satz des neuen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU), dass Streit eine demokratische Notwendigkeit sei, den man aushalten, ertragen müsse. Er sei sehr sicher, dass Koch das genauso sehe, so Bouffier.
Als hätten sich die beiden vorher abgesprochen, hat auch Koch den Konflikt und dessen „kreatives Potential“ als Thema seiner Dankesrede gewählt. In den 23 Jahren im Hessischen Landtag habe er „auch Kontroversen zu verantworten gehabt“. An seinen Positionen, manchmal auch an der Art, wie er sie vortrug, hätten sich die Geister geschieden. Aber der „auch Emotionen einschließende Konflikt“ sei für die Demokratie lebenswichtig. Die Kultur der Debatte habe sich verändert. „Wir kommen aus einem Jahrzehnt des Kammertons, einer sich selbst beschränkenden Debatte“. Vieles sei alternativlos genannt worden. Doch die Behauptung, es gebe auf eine Fragestellung immer nur eine richtige Antwort, lähme und verführe zu ideologischer Festlegung, „mit der Folge, dass die Protagonisten glauben, sie hätten jedes Recht der Durchsetzung“. Man solle das nicht als „vordergründige Kritik“ an Angela Merkel missverstehen. Den Ursprung des alternativlosen Denkens verortete Koch eher nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als man geglaubt habe, die großen gesellschaftlichen Konflikte seien aufgelöst; das sei mitnichten so, werde wahrscheinlich nie so sein. Er selbst habe immer versucht, die Themen, die den Menschen „auf der Seele brennen“, in die politische Arena zu tragen. Das bleibe nicht ohne Verwundungen – „bei manchen der Beteiligten, vielleicht auch bei mir.“ Er hoffe sehr, dass diese Wunden verheilen.
Von den beiden anderen Geehrten kam keine Kritik an der Ehrung Kochs. Allenfalls von Zypries? Ihren Hinweis, Freund-Feind-Verhältnisse seien Gift für die Demokratie, mochte man in diese Richtung verstehen können. Korn sagte in Bezug auf seine, aber wohl auch auf Kochs Auswahl durch Bouffier: Ihm sei nach langjähriger Erfahrung bekannt, dass der Ministerpräsident nichts tue, was er zuvor nicht gründlich bedacht habe.
Bildung
// Energie
// Finanzen
// Flughafen Frankfurt
// GM
// Interview
// Opel
// Schule
// Steuerpolitik
// Wirtschaft
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | ||||
4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |
18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 |
25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 |