€uro: Herr Koch, im November hat die Europäische Zentralbank den Leitzins für die Eurozone auf rekordtiefe 0,25 Prozent gesenkt. Seither stiegen deutsche Aktien auf immer neue Höchststände – auch die von Bilfinger. Sie dürften ein glücklicher Chef sein, oder?
Roland Koch: Langsam, bitte! Für mein Wohlbefinden braucht es mehr als steigende Bilfinger-Aktien. Natürlich freue ich mich darüber, weil die Kursentwicklung zeigt, dass die Börse unsere Entwicklung goutiert. Allerdings frage ich mich, ob der Gesamtmarkt sich noch an der Realwirtschaft orientiert.
Und was meinen Sie?
Ich habe da meine Sorgen. Wenn ich sinngemäß lese, dass es gut wäre, wenn die Arbeitslosenzahlen in den USA hoch blieben, weil dann wiederum die US-Notenbank bei ihrer extremen Gelddruck-Strategie bliebe, läuft doch einiges in eine unvernünftige Richtung.
Börsianer freuen sich halt, wenn die Notenbanken weiter die Konjunktur ankurbeln.
Spekulation auf schlechte Umstände liegt mir nicht. Ich freue mich nach wie vor nur über gute Arbeitsmarktdaten.
Wie meinen Sie das konkret, wenn Sie sagen, dass einiges in eine unvernünftige Richtung läuft?
Die US-Notenbank und die EZB sind mit ihrer Geldpolitik derart dominierende Faktoren an den Börsen geworden, dass die Aktienkurse irrational abstürzen könnten, sollten sie – vernünftigerweise – irgendwann für weniger billiges Geld an den Märkten sorgen.
Die Strategie der EZB gegen die Staatsschulden- und Bankenkrise wird von renommierten Ökonomen als gefährlich kritisiert. Von vielen Politikern wird die-selbe Strategie dagegen gelobt. Mancher meint gar, wir hätten das Schlimmste in der Eurokrise hinter uns. Wer hat Recht?
Die beiden Aussagen müssen sich nicht widersprechen. Dennoch gibt es keinen Grund, beruhigt die Hände in den Schoß zu legen. Ich glaube, dass es noch an die zehn Jahre dauern wird, bis die europäische Finanz- und Schuldenkrise verarbeitet ist und wieder normale Konjunkturzyklen in Europa einkehren. Dafür muss aber ein weiterer Crash verhindert werden, denn der würde das Finanzsystem und unsere Demokratie viel schlimmer erschüttern als die Finanzmarktkrise im Jahr 2008.
Haben Sie bei Bilfinger einen Krisenplan für den Fall eines weiteren Crashs?
Nicht so einen, wie man ihn hat, falls ein brennendes Gebäude geräumt werden muss. Der Verlauf einer solchen Krise ist ja nicht vorhersehbar. Deshalb versuchen wir, Bilfinger so zu organisieren, dass wir auf jedes Szenario schnell reagieren können. Allerdings warne ich auch davor, ständig mit der Angst vor einem Crash herumzulaufen. Stattdessen müssen wir Europäer wieder mehr Vertrauen in unsere Realwirtschaft gewinnen! Unternehmen wie Bilfinger zeigen, dass es dafür gute Gründe gibt.
Das sehen offensichtlich auch Beteiligungsfonds so, die sich verstärkt in Großunternehmen einkaufen, um Strategiewechsel und Dividendenerhöhungen durchzusetzen. Wie sehen Sie diese sogenannten aktivistischen Investoren?
Ideologiefrei, da es für mich keine guten oder schlechten Eigentümer gibt. Solange sie innerhalb der Regeln guter Unternehmensführung, wie sie in Deutschland üblich sind, aktiv sind, haben Vorstände genug Spielraum, um vernünftige Strategien umzusetzen.
Fast 20 Prozent an Bilfinger gehören dem schwedischen Finanzinvestor Cevian. Greift der in ihr Tagesgeschäft ein?
Cevian ist im Aufsichtsrat vertreten und stellt so viele Fragen, wie es ein engagierter Aufsichtsrat ohne Cevian auch tun würde. Das ist völlig in Ordnung.
Sie strukturieren Bilfinger kräftig um. Sind Sie mit Cevian im Nacken ein Antreiber oder ein Getriebener?
Ich sehe mich – und das hat nichts mit Cevian zu tun – grundsätzlich als Antreiber. Bei meiner Berufung zum Vorstandschef im Sommer 2011 bekam ich die Aufgabe, die Integration der unterschiedlichen Bilfinger-Aktivitäten voranzutreiben. Diesen Weg hat mein langjähriger Vorgänger Herbert Bodner, der seit Kurzem ebenfalls im Aufsichtsrat wirkt, durch den Wandel vom Bauunternehmen zum Engineering- und Servicedienstleister eingeleitet.
Sie sollen die „Zentralisierung eines Gemischtwarenhändlers“, wie es eine Zeitung unlängst beschrieb, mit 500 relativ eigenständig operierenden Tochterunternehmen vollbringen. Welche sind die wichtigsten Ziele dieses Mammutprojekts?
Zunächst: Dass wir mit oberflächlichen Beschreibungen wie der zitierten leben müssen, liegt auch an der verbreiteten Meinung, dass die Konzentration auf ein Kerngeschäft das Maß aller Dinge sei. Da sage ich ganz bewusst: Bilfinger ist das Gegenmodell. Dass wir damit auf dem richtigen Weg sind, zeigt beispielsweise die positive Marktreaktion.
Erläutern Sie das Gegenmodell einmal?
Bilfinger hat zum Beispiel die Verantwortung für die Rechenzentren von IBM in Europa und Nordafrika. Das heißt, wir kümmern uns dort um das Gebäudemanagement und technische Unterstützungen wie den Energieeinkauf, den Feuerschutz und so weiter. Wir machen all das, was IBM auslagern will.
Können das nicht viele Dienstleister?
Das können vielleicht viele Dienstleister für ein Rechenzentrum leisten. Aber können sie’s auch für viele Rechenzentren an vielen Orten der Welt? Das können nur globale Unternehmen wie wir eines sind. Ein anderes Beispiel: Wir sind auch auf den Ölplattformen in der Nordsee erfolgreich. Dort wollen unsere Kunden weniger Dienstleister als früher haben, allein schon aus Sicherheitsgründen. Und so kommt es, dass wir dort erst nur den Gerüstbau und später auch den Korrosionsschutz erledigt haben. Heute halten wir zusätzlich unter anderem die Förderanlagen in Schuss und managen Helikopterdienste.
Welches sind also die wichtigsten Ziele der Zentralisierung?
Eine bessere Interaktion zwischen unseren verschiedenen Divisionen: Die Zentrale soll das enorme Wissen, das in unserer Organisation steckt, allen – übrigens weiterhin dezentral und flexibel operierenden Geschäftseinheiten – zugänglich machen. Zudem wollen wir die Verwaltungskosten senken. Sie lagen bislang bei zehn Prozent vom Umsatz, was zu hoch ist. Und drittens wollen wir uns weltweit als einheitliche Organisation mit einer Stimme präsentieren …
Das ist neu?
Bis vor Kurzem hatte Bilfinger 200 verschiedene Marken, über die unsere Kunden keinen Überblick hatten und folglich gar nicht wissen konnten, was wir noch leisten können, womit sie uns also zusätzlich beauftragen können. Aus jeder dieser 200 Marken ist nun Bilfinger geworden, mitunter in Verbindung mit dem alten, erfolgreichen Namen – aus großem Respekt vor unseren Wurzeln. Nun erkennen die Kunden unser gesamtes Leistungsspektrum besser und sagen: Hey, diese Firmen kennen wir doch! Die gehören also auch noch zu euch? Dann könnt ihr doch dieses und jenes auch noch für uns übernehmen.
Früher war Bilfinger ein Baukonzern. Welche Relevanz hat der Bereich noch?
Leider werden wir manchal immer noch „Baukonzern“ genannt. Angesichts eines Umsatzanteils des Baubereichs von unter 20 Prozent ist das längst überholt. Bildlich gesprochen ist Bilfinger eine Cafeteria, in der sich jeder Kunde sein individuelles Produkt abholen kann. Er kann sich aber auch ein Menü zusammenstellen und bedienen lassen. Dabei wollen wir immer die Mehrzahl der angebotenen Leistungen mit eigenen Mitarbeitern erbringen, egal wo auf der Welt.
Welche Bereiche sollen künftig konzernübergreifend aus der Zentrale in Mannheim heraus gesteuert werden?
Insbesondere die Finanzen, die Personalsteuerung inklusive Aus- und Weiterbildung und das Marketing.
Inwieweit ist Ihre Belegschaft von den Umstrukturierungen betroffen?
Für jene Mitarbeiter, die vor Ort bei den Kunden arbeiten, ändert sich kaum etwas. Für die, die Management- und Ergebnisverantwortung haben, ändert sich viel.
Ziehen die trotzdem mit?
Natürlich gibt es hier und da Vorbehalte, insbesondere weil manche Manager Verantwortlichkeiten abgeben müssen und wir am Ende des Prozesses 1250 Arbeitsplätze weniger in der Verwaltung haben. Andererseits erfahre ich viel Zustimmung, weil die Belegschaft jede Menge Bedarf nach Veränderungen in die Zentrale kommuniziert.
Sie haben mittlerweile mehr als zwei Jahre Führungserfahrung in einem Konzern. Würden Sie anderen Politikern den Wechsel in die Privatwirtschaft empfehlen?
Absolut. Allerdings muss sich jeder Politiker, der mit dem Gedanken spielt, fragen: Habe ich eine Leidenschaft für ökonomische Entwicklungen, betriebswirtschaftliche Kennzahlen und für das Unternehmen, für das ich dann stehe? Nur wer das ehrlich bejahen kann, sollte den Wechsel wagen.
Bildung
// Energie
// Finanzen
// Flughafen Frankfurt
// GM
// Interview
// Opel
// Schule
// Steuerpolitik
// Wirtschaft
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | ||
6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 |
13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 |
20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 | 26 |
27 | 28 | 29 | 30 | 31 |