„Gemeinsam verbindliche Regelungen finden“
DDV: Wie schätzen Sie derzeit die Haltung der Öffentlichkeit zur Finanzindustrie nach der Finanzkrise ein?
Roland Koch: Nach wie vor besteht bei vielen Menschen die Einschätzung – zum Teil nicht zu Unrecht -, dass sich die gesamte Finanzindustrie in wesentlichen Punkten noch weiter verändern muss. Die Bevölkerung muss fest darauf vertrauen können, dass eine vergleichbare Krise nie wieder entsteht.
DDV: Was hat die Politik bisher erreicht und was ist noch zu tun?
Koch: Die Politik hat während der Krise eine außerordentlich gute Rolle als Feuerwehr gespielt. Der Brand ist gelöscht. Wir haben wieder stabile wirtschaftliche Verhältnisse mit wachsendem Vertrauen. Einige Fragen, die sich im Nachgang der Krise ergeben haben, hat die Politik noch nicht beantwortet. Sie muss hierfür verbindliche, zukunftsfähige Regeln mit entsprechenden Gesetzen schaffen.
DDV: Wie groß ist der Druck auf die Politik, Maßnahmen zeitnah umzusetzen?
Koch: Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Bürger in vielen Demokratien mitunter ungeduldig werden. Augenblicklich gibt es eine Legitimation des Attentismus, also des langsamen Herangehens, weil jedes Vorpreschen eines Nationalstaates die internationale Verabredung schwieriger macht. Das Risiko besteht allerdings, dass es bei zu langem Warten zu vielen nationalen Alleingängen kommen könnte. Wenn nicht weltweit gemeinsam agiert wird, dann wird es in vielen demokratischen Ländern, auch bei uns in der Bundesrepublik, eine große politische Debatte geben, die nationalstaatliche Lösungen befördert.
DDV: Gerade in Deutschland wurde über viele regulatorische, nationale Maßnahmen debattiert. Stichwort Leerverkäufe. Halten Sie das für sinnvoll?
Koch: Die Debatte über die Leerverkäufe ist in gewisser Weise zu einer Symboldebatte geworden. Das war sie notwendigerweise auch deswegen, weil ein Signal gesetzt werden musste, dass etwas geschieht. Es handelt sich jedoch um eine Debatte, deren Maßnahmen ganz fundamentale Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung der Regulierungssysteme hat. Wir brauchen einen weltweit gültigen, internationalen Rahmen, sonst werden die eigenständigen, auch die Demokratie legitimierenden Entscheidungswege von Parlamenten auf nationaler und europäischer Ebene immer stärker werden.
DDV: Kann es dann zu einem Wettbewerb der Regulierungen kommen?
Koch: Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, wobei es sich eher um einen Wettbewerb von ganz wenigen Ländern handelt. In der Europäischen Union wirken sich im Grunde strukturelle Regelungen von nur drei Ländern auf den gesamten Finanzmarkt aus. Hierzu zähle ich Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Eine Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich ist immer wünschenswert, aber in diesem Fall nicht ausreichend, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Entsprechende Debatten über Regulierungsarbitrage oder Offshoring an den einzelnen Finanzplätzen nutzen weder dem Kunden noch den anderen Marktakteuren. Die Anstrengung muss sein, oberhalb des Euro-Raums gemeinsam verbindliche Regelungen zu finden.
DDV: Wie viel Regulierung ist für den Finanzmarkt notwendig?
Koch: Zwei zentrale Bereiche sind zu nennen, die eine sinnvolle Regulierung leisten muss und bei denen ein striktes Vorgehen notwendig ist. Der erste Bereich ist die Herstellung von Transparenz. Es darf keine grauen Nischen geben, über die makroökonomisch nicht genug Wissen besteht, um ihre Risiken einschätzen zu können. Der zweite Bereich betrifft die Verantwortlichkeit. Das heißt, es darf Finanzakteuren nicht erlaubt sein, Risiken zu kreieren, von denen sie sich dann vollständig trennen. Bei der Gestaltung und Strukturierung von Produkten müssen sie auf eine längere Zeit auch eine eigene wirtschaftliche Mitverantwortung tragen.
DDV: Und das reicht aus?
Koch: Wenn man sich auf diese beiden Prinzipien verständigen würde und wenn zugleich sinnvolle Konkursregelungen für Finanzinstitute gefunden werden, die nicht zu einem zentralen Vertrauensverlust in das gesamte Finanzsystem führen, dann kann und darf es viele Ideen und Umsetzungen auf den Finanzmärkten geben. Kurz: Es muss eine Antwort auf die Frage von „Too big to fail“ geben sowie die Frage von Transparenz und Risiko muss geklärt sein. Das erfordert eine neue Philosophie der weltweiten Finanzindustrie.
DDV: Hat sich Ihre Einstellung zu Regulierungsfragen mit Blick auf Ihre neuen Aufgaben und nach Ihrem Rückzug aus der Politik verändert?
Koch: Nein, das wäre furchtbar, wenn ich aufgrund meines Rückzugs aus der Politik anders denken oder eine andere Haltung einnehmen würde. In der Politik besteht die Verpflichtung, sich mit der Sache zu beschäftigen und sachlich fundierte Überzeugungen zu vertreten. Meine Erfahrungen aus der Politik kann ich allerdings natürlich in die Wirtschaft einbringen.
DDV: Empfinden Sie die Finanzprodukte für Privatanleger als transparent?
Koch: Es gibt zahlreiche Alternativen an Finanzprodukten für Privatanleger, die hinreichend transparent sind. Voraussetzung ist, sich auch ausführlich dar- über zu informieren und Informationsangebote zu nutzen. Ich würde davon abraten, renditegetrieben oder abenteuerlustig in Produkte zu investieren, die man selbst nicht genau versteht.
DDV: Sehen Sie Defizite im Bereich der Anlageberatung der Privatanleger?
Koch: Wenn eher wenig erfahrene Privatanleger sich in die Hände von Anlageberatern begeben, dann müssen sie darauf vertrauen können, dass die Beratung nicht margenorientiert, sondern produktorientiert am langfristigen Wohl des Kunden ausgerichtet ist. Dieses Vertrauen ist zum Teil zerstört worden. Das verloren gegangene Vertrauen ist nicht allein durch Beratungsprotokolle aufzubauen, sondern nur durch ein Umdenken der Banken.
DDV: Welche Haltung haben Sie zu Zertifikaten?
Koch: Die Zertifikatekultur hat in Deutschland ihren Ursprung und genießt weltweit Respekt. Was innovative Privatanlegerprodukte aus Deutschland angeht, dürfen wir durchaus mit unseren Vorteilen und Erfahrungen offensiv umgehen und stolz darauf sein.
DDV: Sind Zertifikate Bestandteil Ihres Depots?
Koch: In der Vergangenheit habe ich mich mehr um politische Fragestellungen als um die unterschiedlichen Formen der Kapitalanlage gekümmert. Dennoch lautet die Antwort ja. Allein für das Erleben und Verstehen von wirtschaftlichen Prozessen und um Sachverhalte zu beurteilen, darf ich mich damit nicht nur theoretisch befassen, sondern muss auch in der Praxis Erfahrung sammeln. Auch aus diesem Grund haben Zertifi- kate in meinem Depot einen Platz. Ich persönlich bin von dieser Anlageform noch nicht enttäuscht worden. Für mich gehören Zertifikate zu den renditeorientierten, mittelfristigen Anlagen.
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