David Cameron hat als britischer Premier einen überzeugenden Start hingelegt. Er setzt auf Reformen und auf den sparsamen Staat. Für viele in Deutschland ist er der letzte seiner Art – ein Konservativer.
ein Beitrag von Roland Koch im Handelsblatt
Wer 2010, im dritten Jahr der Wirtschafts- und Finanzkrise, zum Staatsmann des Jahres gewählt wird, der wird wahrscheinlich nicht für eine große Einzeltat oder einen persönlichen Triumph ausgezeichnet, sondern für harte Arbeit, kluge Entscheidungen, Mut und Gelassenheit in einer bewegten Zeit.
Seit dem 11. Mai 2010 ist David Cameron neuer britischer Premierminister. Als Parteivorsitzender der Konservativen hatte er seit 2005 die Weichen für eine Modernisierung der Partei gestellt und die Rückbesinnung auf ihre Stärken bewirkt. Das große Ziel war die Ablösung der Labourpartei unter den Premierministern Tony Blair und Gordon Brown. Nach einem Wahlkampf, der ihn lange als klaren Sieger sah, brachte die Wahl am 6. Mai zum ersten Mal nach Jahrzehnten wieder ein „Hung Parliament“, also ein Parlament ohne klare Mehrheiten, wie wir es in Deutschland und anderen europäischen Ländern unter anderen Vorzeichen auch zunehmend erleben.
Die Tage zwischen dem 6. und dem 11. Mai kann man als Sternstunde des britischen Parlamentarismus und Camerons bezeichnen. Zunächst sprachen sowohl die Labourpartei als auch die Konservativen mit den Liberaldemokraten, die das Zünglein an der Waage sein würden. Schnell wurde von allen Parteien akzeptiert, dass die großen Sitzverluste der Labourpartei und die Gewinne der Konservativen trotz aller politischen Unterschiede zu den Liberaldemokraten einen klaren Wählerauftrag enthielten. Innerhalb von zwei Tagen einigten sich die beiden Parteien auf eine Koalition und die Grundzüge einer Politik, die Großbritannien aus der größten Krise seit vielen Jahren führen soll. Cameron hat in dieser Phase großes politisches Gespür, Führungs- und Integrationsfähigkeit bewiesen. Er hat damit auch ein Signal an die internationalen Partner in der Krisenbewältigung gesandt, dass auf die britische Demokratie Verlass ist.
Mit jetzt 44 Jahren ist Cameron der jüngste Premierminister seit fast 200 Jahren und hat sich vom ersten Tag seiner Regierungszeit an aktiv und mit mutigen Schritten den immensen Herausforderungen gestellt. Zusammen mit seinem Schatzkanzler George Osborne hat er einen drastischen Sparhaushalt eingebracht, der große Einschnitte in der öffentlichen Verwaltung und beim Militär, größere Kostenbeteiligung der Studenten an den Universitäten und Einsparungen in fast allen Politikbereichen mit Ausnahme der Gesundheitspolitik vorsieht. Dieser dramatische Schritt war notwendig geworden, da Großbritannien zu den am höchsten verschuldeten Ländern der entwickelten Welt gehört und der Spielraum für einen vorsichtigeren Weg nicht mehr gegeben war. Die Proteste, die unweigerlich folgen werden, wird er aushalten müssen und können. Eine ähnliche Konsequenz würde ich mir auch in der Öffnung der britischen Europapolitik wünschen.
Den Boden für die Akzeptanz seiner Politik hat er mit viel Überzeugungsarbeit, seiner glänzenden Rhetorik und der Darlegung seiner politischen Werte gelegt. Cameron bezeichnet sich selbst als mitfühlenden Konservativen. Vergleichbar mit der CDU haben die britischen Konservativen unter seinem Parteivorsitz einen Kurs der angemessenen Modernisierung in der Familienpolitik, der Klima- und Umweltpolitik und der Gesellschaftspolitik eingeschlagen. Damit haben sie die Veränderungen der letzten Jahre aufgenommen und sich fest in der Mitte der Gesellschaft etabliert.
Gleichzeitig hat Cameron als moderner Konservativer ein klares Bild von den Grundlagen unserer Gesellschaft. Seinen Sparbemühungen, seiner Reform der öffentlichen Verwaltung liegt seine Vorstellung der „Big Society“ zugrunde. Er will Bürger auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens, in Stadtteilen, Gemeinden und Städten mehr Gestaltungsmacht geben, private Initiativen fördern und freiwilliges Engagement fördern. Die Regierung soll da dezentraler werden, wo dies möglich und sinnvoll ist, sich öffnen für die Akteure der Zivilgesellschaft und so die Kräfte entfesseln, die in einer „großen Gesellschaft“ brachliegen, weil sie keinen Entfaltungsspielraum haben. Dies beinhaltet gerade keinen Rückzug des Staates, sondern eine Umleitung seiner Aktivitäten in die Ermöglichung der freien Entfaltung seiner Bürger. Diese Philosophie der Unterstützung privaten Engagements liegt auch seiner Außenpolitik zugrunde, die nicht zuletzt der Förderung britischer Wirtschaftstätigkeit in der Welt dient, wie Reisen nach Indien und China gezeigt haben.
Viele dieser Ideen kommen uns aus unserem Verständnis des Föderalismus und der Selbstverantwortung der Menschen in der sozialen Marktwirtschaft vertraut vor. Cameron hat die Chance und die Aufgabe, sein Land, das für Europa und die Welt eine herausragende Rolle spielt, gleichzeitig zu modernisieren und für die Menschen lebenswerter zu machen. Gelingt ihm dies, wird Großbritannien weiter ein wichtiger Pfeiler der internationalen Ordnung bleiben.
Der Start von David Cameron war überzeugend. Er hat gezeigt, dass er hart arbeitet und kluge, mutige Entscheidungen trifft – und er strahlt dabei auch Gelassenheit aus. Genau das, was es braucht, um Staatsmann des Jahres 2010 zu werden.
In der Krise zeigt sich, wer ein Staatsmann ist – und wer Politiker
Es kommt in Krisen entscheidend darauf an, dass die Politik die richtigen Weichen stellt. Als Staatsmänner profilierten sich in diesem Jahr:
Jean-Claude Juncker
Der Premierminister von Luxemburg ist der dienstälteste und erfahrenste Spitzenpolitiker Europas. Seine Kritik ist schmerzlich, aber fast immer gut begründet. Im disharmonischen Chor der 27 Staats- und Regierungschefs der EU wird Junckers Stimme gehört, weil sie glaubwürdig ist und weil er lange Linien aufzeigt. Jean-Claude Juncker achtet weniger auf nationale Egoismen, sein Kompass zeigt immer in Richtung Europa – staatsmännisch!
Giorgos Papandreou
Als Regierungschef von Griechenland bekleidet Giorgos Papandreou ohne Zweifel das schwierigste politische Amt in Europa. Er steht unter dem Druck wild spekulierender Finanzmärkte, der EU, des IWF und der eigenen Bürger, die mit Generalstreiks gegen die radikale Sparpolitik aufbegehren. Doch der Grieche hält Kurs – mutig und unbeirrbar.
Wen Jiabao
Weitgehend unbeschadet hat der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao sein Land durch die globale Finanzkrise gesteuert. China gewinnt beständig an Einfluss. Die Schwäche Griechenlands, Spaniens und Portugals nutzte Peking, um mit massiven Anleihekäufen einen Brückenkopf in Europa aufzubauen. Den USA kauft China in erheblichem Umfang Staatsanleihen ab und stabilisiert so die strauchelnde Wirtschaft. Mit einem Teil der gigantischen Devisenreserven von mehr als 2,5 Billionen Dollar kurbelt die chinesische Führung die eigene Wirtschaft an – bis an die Grenze des ökonomisch Vertretbaren. Kleiner Erfolg am Rande: Inzwischen hält die Bank of America den Yuan sogar für fair bewertet
Luiz Inácio Lula da Silva
Auch dass er am Schluss seine Nachfolge als Präsident von Brasilien noch selbst regelt, zählt zum Repertoire des Staatsmanns. Vor allem aber führte der Sozialist Luiz Inácio Lula da Silva entgegen allen Erwartungen Brasilien zu nie gekannter Blüte. Die Industrie fasste Vertrauen zu dem früheren Gewerkschaftsführer und investierte kräftig. Auch sein Programm gegen Hunger und Armut zeigte Wirkung: Der Bevölkerungsanteil der in Armut lebenden Brasilianer sank von 40 auf 20 Prozent.
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