Koch: „Deutsche haben Angst, konservativ zu sein“
Roland Koch im „Die Presse“-Interview
Die Presse: Sie warnen in Ihrem Buch davor, dass rechts von CDU und CSU ein Vakuum entstehen könnte. Ist Thilo Sarrazin mit seiner These, wonach sich Deutschland durch die Zuwanderung von Muslimen selbst abschaffe, in dieses Vakuum gestoßen?
Roland Koch: Eine Partei wie die CDU muss mit der notwendigen Klarheit eine konsequente Antwort darauf geben, wie Integration erfolgreich sein kann. Sonst entsteht ein Vakuum. Sarrazins biologistisches Weltbild, wonach Integrationsfähigkeit oder Bildungsfähigkeit gleichsam per Gentest zu ermitteln sei, kann eine demokratische Partei ganz sicher nicht vertreten.
Die Presse: CDU und CSU schienen in der Integrationsfrage zuletzt etwas desorientiert zu sein.
Roland Koch: Die Union ist eine Volkspartei. Da wird es immer auch Diskussion über die Richtung geben. Aber es gibt ein Fundament: Deutschland ist kein Einwanderungsland in dem Sinne, dass sich verschiedenste Kulturen und Religionen auf neutralem Boden treffen und eine neue Kultur bilden.
Wir leben in einem seit Jahrhunderten von der christlich-jüdischen Kultur geprägten Land, in das Menschen hinzukommen, von denen wir bei aller Toleranz erwarten, dass sie sich einfügen und unsere Kultur akzeptieren. Das bedeutet nicht, dass sie ihre Religion aufgeben müssen. Sie dürfen aber nicht Traditionen in Frage stellen, die unser Land zusammenhalten.
Die Presse: Bundespräsident Christian Wulff sieht das offenbar ein bisschen anders. Er sagte, der Islam gehöre mittlerweile zu Deutschland.
Roland Koch: Moment, der Bundespräsident hat, ebenso wie ich, darauf hingewiesen, dass niemand ein vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft sein kann, der die hiesigen Regeln nicht einhält. Er hat allerdings auf eine Realität aufmerksam gemacht, die auch wir Konservative einfach anerkennen müssen, wenn wir nicht ignorant werden wollen. In meiner Heimatstadt Frankfurt haben 50 Prozent der neugeborenen Kinder Eltern, die islamischen Glaubens sind, ob sie ihn ausleben oder nicht. Es gibt mehrere Religionen in Deutschland, aber geprägt ist dieses Land von seiner christlich-jüdischen Tradition.
Die Presse: Sie waren lang im politischen Geschäft. Dreht sich die Integrationsdiskussion im Kreis?
Roland Koch: Selbst wenn es Ansätze für Lösungen gibt: Ein Problem bleibt ein Problem, bis es gelöst ist. In Deutschland gibt es eine zu lange Tradition, solche Themen zu verdrängen und zu tabuisieren. Da liegt auch das Ventil, das Sarrazin geöffnet hat. Sarrazin erweckt allerdings den Eindruck, dass gar nichts passiert sei. Das ist falsch. Als ich vor elf Jahren Ministerpräsident Hessens wurde, war es eben nicht üblich, dass Migrantenkinder Deutsch können, wenn sie in die Grundschule kommen. Wir in Hessen haben das nach der Regierungsübernahme geändert, damals ist das aber noch als Zwangsgermanisierung diskreditiert worden.
Die Presse: Inzwischen regen Sie auch an, mehr Türkisch-Lehrer auszubilden.
Roland Koch: Junge Migranten der zweiten und dritten Generation müssen in deutscher Sprache aufgezogen werden. Das Kind muss merken, dass es ein deutsches Kind ist, kein türkisches Kind in Deutschland.
Ich bin sehr dagegen, dass wir hier für türkischstämmige Kinder dauerhafte Kulturen muttersprachlichen Unterrichts einrichten. Ich bin aber sehr dafür, dass die Kinder zweisprachig in ihrer Familie aufwachsen können. Und warum sollen sie nicht in der Schule Türkisch als Fremdsprache lernen? Weshalb das in Deutschland nicht möglich ist, hat mir noch niemand erklären können.
Die Presse: Warum gibt es in Deutschland, anders als in den meisten europäischen Ländern, keine starke rechtspopulistische Partei?
Roland Koch: Weil CSU und CDU stark genug sind. Das ist ein Erfolg ihrer Bindungskraft, die auch aus der besonderen Geschichte Deutschlands zu erklären ist. Wir empfinden es als historische Verpflichtung, die Integration der demokratischen Rechten in einer Partei der Mitte zu leisten.
Die Presse: Sie beklagen, dass die CDU derzeit zu wenig konservative Positionen einnimmt. Wo liegt da die Crux?
Roland Koch: In Deutschland ist die Angst, konservativ zu sein, so gepflegt worden, dass es ganz schwierig ist, Positionen unter diesem Begriff zu einem stimmigen Gesamtkonzept zusammenzufügen. Das ist absurd. Denn Konservative haben Deutschland geprägt und ihr Denken ist in vielen einzelnen Punkten mehrheitsfähig. Sie sollten deshalb das Selbstbewusstsein haben, ihre Politik auch konservativ zu nennen.
Die Presse: Warum will sich kaum jemand öffentlich als Konservativer bekennen?
Roland Koch: Linken Journalisten ist es in der Nachkriegszeit, spätestens seit 1968, gelungen, Konservative in die Nähe der extremen Rechten zu rücken. Für diese Stigmatisierung gibt es keine inhaltlichen Gründe, doch sie funktioniert häufig, schüchtert manche ein. Und daraus müssen sich die Konservativen befreien.
Die Presse: Viele konservative Positionen, das Familienbild etwa, wurden von der Zeit überrollt. Besteht nicht das Dilemma des Konservatismus darin, dass er doch immer wieder Entwicklungen nachvollziehen muss?
Roland Koch: Seit es den Begriff des politischen Konservatismus gibt, seit der Französischen Revolution, ist er permanent nachjustiert worden. Heute besteht die Herausforderung für Konservative darin, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit der Gesellschaft in einer modernen mobilen Welt so schnell geworden ist, dass Prozesse der Anpassung konservativen Gedankenguts, die früher ein Jahrhundert gedauert haben, nun in ein, zwei Jahrzehnten stattfinden müssen. Dabei muss man aussortieren, was wichtig ist und was nicht. Man muss etwa wissen, dass eine Gesellschaft instabiler und auch unglücklicher wird, wenn die Ehe nicht mehr als lebenslange Bindung angelegt ist. Es gibt Dinge, die sollte man nicht jeden Tag zur Disposition stellen. Da liegt der Wert des Konservativen. Ich spüre gerade bei jungen Menschen eine große Sehnsucht nach Stabilität.
Die Presse: Wie kommen Ihre konservativen Ideale eigentlich bei Ihren zwei Söhnen an?
Roland Koch: Erziehung bedeutet auch Reibung, sonst ist es keine Erziehung. Aber Erziehung läuft vor allem auch über Vorbildwirkung. Wir versuchen in unserer Familie vorzuleben, was Pflichterfüllung, soziale Verantwortung oder Fleiß bedeuten. Und ich bin bisher ganz froh, dass meine Kinder Teile übernehmen, die sie für wichtig halten. Eltern sollten nie glauben, dass die Kinder ihre Kopien werden. Das habe ich schon meinen Eltern zu erklären versucht. Also respektiere ich, wenn meine Kinder hier und da eine andere Richtung einschlagen.