Roland Koch im Interview mit der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Herr Koch, Sie schreiben: „Konservative haben kein Programm.“ Ihr Buch gibt Ihnen eines, oder?
Roland Koch: Das hoffe ich. Ich versuche ja zu erklären, dass man konservative Politik machen kann. Es gibt in Deutschland eine Flucht vor diesem Wort, das ein sehr legitimes politisches Konzept bezeichnet, nach dem ich jedenfalls immer versucht habe, Politik zu machen. Aber in Deutschland fällt es sehr schwer, mit einem fröhlichen Gesicht zu sagen: Ich bin ein Konservativer. Oder ich bin ein konservativer Reformer. Wenn das schon die politisch und intellektuell Führenden vermeiden, bringt das jeden konservativ Denkenden in die Defensive. Diese Lücke möchte ich schließen.
F.A.S.: Was ist jetzt konservativ an „Stuttgart 21“ – den alten Bahnhof zu bewahren oder die rechtsstaatliche Entscheidung für den neuen?
Koch: Das Konservative dabei ist wohl der Gedanke, dass wir eine Erwerbsgesellschaft sind und uns entsprechend ausrichten müssen – mit Rücksicht natürlich auf Belange der Menschen, die da leben. Aber es gibt keinen konservativen Bahnhof. Konservative erheben nicht den Anspruch: Wir machen ein konservatives Land. Sie machen ein Land menschlicher, verlässlicher, sorgen für Maß und Mitte.
F.A.S.: Sind das nicht Idealisierungen? Als bekennender Konservativer in der Union haben sie doch verloren.
Koch: Ich habe verloren?
F.A.S.: Ja, deswegen sind Sie nicht mehr der Herr Ministerpräsident, sondern Roland Koch. Gerade Sie sind, wann immer Sie sich mit konservativen Standpunkten profiliert haben, abgestraft worden von der eigenen Partei. Und jetzt schreiben Sie ein Buch über Konservatismus. Der Konservatismus ist tot.
Koch: Er lebt, sonst könnten wir nicht über ihn streiten. Die Gesellschaft ist heute in extremer Weise ausdifferenziert. Das ist auch in den Parteien so. Deshalb gibt es keine konservative Partei, kann es auch nicht mehr geben, und ich möchte das auch nicht. So eine Partei würde schnell nur noch reaktionär sein. Die Welt ändert sich immer schneller. Das bringt besonders Konservative prinzipiell in Schwierigkeiten. Auf der einen Seite sollen Arbeitnehmer mit flexiblen Arbeitsverhältnissen leben, auf der anderen eine Familie gründen, ein Haus bauen und sich um ihre Eltern kümmern. Dieses Spannungsfeld müssen wir aushalten. Denn wir können auch als Konservative nicht wollen, dass die Wirtschaft langsamer wächst, nur damit die Leute nicht umziehen müssen für einen Arbeitsplatz. So verhält es sich in nahezu allen Bereichen. Wir können diese Konflikte so wenig homogenisieren wie die persönlichen Lebensstile.
F.A.S.: Dass Ole von Beust mit einem Heranwachsenden zusammenlebt, unterliegt keinem negativen Homogenisierungsdruck. Aber Ihre Forderung 2008, stärker gegen jugendliche Serientäter aus Migrantenmilieus vorzugehen, sehr wohl.
Koch: Konservative haben es nicht einfach. Deshalb will ich ja den Mut befeuern, zu seiner Meinung zu stehen. Darüber rede ich in dem Buch. Aber über die Prinzipien, über das, was zählt.
F.A.S.: Im Gouvernantenton.
Koch: Was soll das denn heißen?
F.A.S.: Der Kollege Matussek vom „Spiegel“ sieht die deutschen Debatten von eifrigen Denunzianten und bevormundenden Gouvernanten dominiert.
Koch: Und was hat das mit mir zu tun? Es ist sicher eine Aufgabe der Politik, gerade weil die Verbindlichkeiten von früher in einer modernen freiheitlichen Kommunikationsgesellschaft nicht mehr hergestellt werden können, eine Autorität aufzubauen. Jeder muss wissen, wenn er diese Regeln verletzt, wird es am Ende Schaden auslösen. Ich will aus bestimmten alten Kisten. Natürlich ist es konservativ, wenn Ursula von der Leyen alles tut, damit junge Leute auch weiterhin Familien gründen können.
F.A.S.: Sie hingegen kehren der Politik den Rücken.
Koch: Der Erfolg eines Politikers misst sich nicht daran, ob er als Ministerpräsident sein silbernes Dienstjubiläum feiert. Aus meiner Sicht bin ich ein Beweis dafür, dass konservative Politik in der CDU möglich ist. Ich bin auch ein Beweis dafür, dass sie nicht ohne Widerstände möglich ist. Die CDU ist keine konservative Partei. Sondern eine Partei, die ringen muss.
F.A.S.: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass beispielsweise eine Ehescheidung zwar ehrlich bedauert, aber nicht kritisiert werden darf. Das ist der Gouvernantenton: Sie legen fest, was nicht kritisiert werden darf. Wieso darf irgendetwas nicht kritisiert werden?
Koch: Es ist mein Respekt vor jedem Einzelnen, dass ich dazu kein Recht sehe. Ich schaue nicht hinter Türen oder Gesichter und weiß, dass das Scheitern dazugehört.
F.A.S.: Wenn Sie Scheidung Scheitern nennen, haben Sie kritisiert.
Koch: Ein Politiker darf durchaus sagen: Einem Kind geht es besser, wenn es in einer intakten Familie ist. Das darf ja heute häufig nicht mehr gesagt werden, das sage ich aber in diesem Buch. Ich will aber in einer Gesellschaft, in der wie in Sachsen-Anhalt inzwischen 65 Prozent uneheliche Kinder geboren werden, nicht als Politiker ein moralisches Verdikt, ein Werturteil aussprechen. Das finde ich absurd. Doch diese Gesellschaft wird weniger friedlich, weniger glücklich und weniger zukunftsorientiert leben, je weniger Leute einen Trauschein haben und diesen Lebensplan ernst meinen. Das müssen sich Menschen anhören. Sie haben ein Recht, es zu ignorieren, und ich habe als Politiker kein Recht, ein Werturteil über diese Menschen zu fällen. Man muss fähig sein, die systematischen Folgen aus den Einzelschicksalen zu benennen. Es darf aber nicht persönlich werden. Das ist gerade die Kunst.
F.A.S.: Zu behaupten, irgendetwas dürfe nicht kritisiert werden, ersetzt nur ein altes Werturteil durch ein neues. Und dieser Mechanismus macht Konservative mundtot. Sie idealisieren eine taktische Entscheidung, das Verhalten eines Politikers, der gewählt werden will. Sie wollen sich halt nicht unbeliebt machen, sondern gewählt werden. Sie schreiben ja auch, Familie ist, wo Kinder sind. Offensichtlicher Unfug, denn dann wäre ja auch die Schule Familie, sogar die Odenwaldschule. Aber heutzutage vertreten Unionspolitiker solche Thesen. Sie stehen im Parteiprogramm. Das ist reiner Opportunismus.
Koch: Der Vergleich mit dem, was in der Odenwaldschule perverserweise unter Familie verstanden worden ist, ist völlig absurd. Konservative denken an den Einzelnen, eben das Kind. Wo dieses Kind in einer stabilen Gemeinschaft zu Hause ist, da wird Familie gelebt.
F.A.S.: Und deshalb streben die allermeisten Menschen nach Familienglück: Vater, Mutter, Kinder – sie streben nicht nach volatilen Agglomerationen.
Koch: Das ist ja auch prima. Auch daher rührt meine Überzeugung, dass sich mehr als fünfzig Prozent der Bürger hinter dem, was ich für konservativ halte, versammeln können.
F.A.S.: Und warum dann: „Familie ist, wo Kinder sind“? Dieser Satz ist schierer Unsinn.
Koch: Der Satz ist einfach richtig.
F.A.S.: Er begibt sich jeder Möglichkeit, zu differenzieren.
Koch: Der Satz ist ein Heimatangebot für Kinder.
F.A.S.: Wohl eher für Erwachsene.
Koch: Nein, es ist ein Satz, mit dem . . . Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich vernünftig mit Kindern umgehen sollte in einem Land, in dem in einer durchschnittlichen Schulklasse mindestens ein Drittel bis zur Hälfte Kinder aus unvollständigen Familien sitzen, wenn ich denen sagen würde, sie wären alle nicht mehr in Familien. Gewiss: In der Regel läuft es besser, wenn Mann und Frau, die zusammen sind, in lebenslanger Bindung Kinder erziehen. Das ist eine Kernthese des Buches – vielleicht haben Sie das überlesen.
F.A.S.: Durchaus nicht. Aber ich sinke deshalb noch nicht auf die Knie.
Koch: Man darf aber nicht ignorieren, dass das für einen sehr relevanten Teil dieser Gesellschaft nicht mehr stimmt, dass wir damit umgehen müssen und dass wir schauen müssen, welche Werte an dieser Stelle eine Rolle spielen. Ich kann doch nicht in die Klasse gehen und zu einem Kind sagen: Du lebst aber bedauerlicherweise nicht in einer Familie. Sondern, das Kind muss ein Familiengefühl entwickeln, auch wenn die Eltern ihm das schwerer machen.
F.A.S.: Sie meinen, diesen Kindern können Sie das Familiengefühl durch Ihr Buch verschaffen?
Koch: Ich schreibe ein gesellschaftspolitisches Buch. Es beschäftigt sich mit Grundprinzipien gesellschaftlicher Entwicklung. Mit dem Verhalten, das Menschen daraus ableiten können, vermag es die Chancen von Kindern und deren Wohlbefinden zu fördern.
F.A.S.: Ist es nicht letztlich so, dass Sie sich gesellschaftlichen Entwicklungen, die Sie eigentlich ablehnen, gleichwohl affirmativ unterwerfen? Sie können Schwulen kein Adoptionsrecht verwehren, wenn Familie ist, wo Kinder sind. Das ist nur ein Beispiel. Aber es zeigt, wie die Anpassung Konservativer politischen Kräften den Weg bereitet, die gegenteilige Ziele verfolgen. Und wer dagegen allzu deutlich Front macht, wird dann auch von der CDU, in der CDU niedergemacht. Das geht so von Jenninger bis Sarrazin. Hier hat sich sogar der christdemokratische Bundespräsident zum obersten Gedankenpolizisten aufgeschwungen.
Koch: Wenn Leuten wie Sarrazin die Diskussion überlassen wird, dann werden Konservative verlieren. Sarrazins Standpunkt ist ja am Ende nicht akzeptabel für aufgeklärte Konservative. Eine kluge Analyse mit unerträglichen Folgerungen ist keine konservative Politik. Obendrein ist diese Analyse noch nicht einmal klug, eher ein Beispiel für die intellektuelle Ladehemmung, die in Deutschland meistens dafür sorgt, dass verquaster Unsinn herauskommt, wenn einer mal konservative Standpunkte offensiv vertreten möchte. Hätte Sarrazin die letzten drei Kapitel nicht geschrieben, dann hätte er eine interessante wissenschaftliche Analyse eines Tatbestandes vorgelegt. Aber so ist es dumpfer Biologismus. Davor graust mir. Das ist aus meiner Sicht jenseits des Verständnisses von Menschenwürde, das gerade Konservative haben.
F.A.S.: Nur hatte zu dem Zeitpunkt, als alle über Sarrazin herfielen, noch niemand das Buch gelesen, geschweige denn die letzten Kapitel.
Koch: Und dennoch: Aus der Sicht eines Konservativen zerstört jemand, der so vorgeht wie er, die Diskussion. Er ist ein klassisches Beispiel für jene, die am Ende dafür sorgen werden, dass eine konservative Debatte nicht mehr stattfindet.
F.A.S.: Der Vorwurf ist auch Ihnen schon gemacht worden. In der Unionsführung scheint die Vorstellung verbreitet, Konservative seien einfach nicht imstande, mit den Zumutungen der Moderne zu Rande zu kommen, also irgendwie zurückgeblieben. In diesem Sinne haben sich zuletzt beispielsweise Norbert Röttgen oder die Bundeskanzlerin geäußert.
Koch: Es gibt in der Führung der Union bald eher mehr Konservative. Gerade mit Angela Merkel können die gut auskommen.
F.A.S.: Das sind Verbrämungen. In Wahrheit gibt es in diesem Lande eine politische Schieflage, in der Konservative nicht mehr hochkommen. In ihrer Einleitung schreiben Sie das ja auch: von der Mutlosigkeit der Konservativen, ihrer Unfähigkeit, sich zu artikulieren, der dauernden Defensive, in der sie sind.
Koch: Unser beider Konsequenz daraus ist eben anders. Ich schreibe das, weil ich glaube, dass Konservative permanent Angst haben, politisch in die Ecke gestellt zu werden. Und natürlich nicht in Ecken wollen, wo schon Leute sind, die im Grunde unerträgliche Positionen einnehmen. Insofern versuche ich, Konservativen zu sagen: Lasst euch nicht einreden, dass man so sein müsse, wenn man konservativ ist. Man kann selbstbewusst und fröhlich sagen: Ich bin konservativ – und habe einen Plan, der die modernen Veränderungen von Gesellschaft aufnimmt, ohne die Grundprinzipien aufzugeben. Wir brauchen eine intellektuelle Debatte, die den Begriff „konservativ“ in eine neue Zeit bewegen kann.
F.A.S.: Hoch gegriffen. Der Befund ist doch eher, dass ein Konservatismus, der wie sein politischer Gegner offen für politische Ziele kämpft, bei uns kaum mehr existiert. Doch wenn eine politische Kraft Erfolge erzielen will, muss sie auch eine kämpferische Komponente haben. Es reicht nicht, die Erfolge der progressiven Kräfte in der politischen Landschaft affirmativ zu begleiten und das Maximum an Abgrenzung in privilegierten Partnerschaften zu suchen. Das darf zwar jeder tun, aber das kann man doch nicht konservativ nennen. Es ist politisches Programmdesign.
Koch: Das habe ich so nicht erlebt. Ich habe mich als Politiker sehr, sehr weit durchgesetzt mit dem, was ich für richtig gehalten habe. Ich habe dafür politische und persönliche Preise gezahlt, das gehört dazu. Und das ist völlig o.k. Ich hatte aber auch eine große Zustimmung in der Öffentlichkeit, ich habe Wahlen damit gewonnen, ich habe – bleiben wir beim Thema Integration – aus meiner Sicht wahnsinnig viel verändert in diesem Land. Wir in Hessen waren es, die angefangen haben, darüber zu sprechen, dass Kinder, wenn sie in die Schule kommen, die deutsche Sprache beherrschen müssen. Das war damals nicht Gemeingut, sondern schwer umkämpft. Und wir haben nicht nur geredet, sondern es durchgesetzt.
F.A.S.: Der Trend geht in eine andere Richtung. Die Toleranz wächst – nur nicht für Konservative.
Koch: Ein Konservativer, der nicht akzeptiert, dass die Toleranz gegenüber abweichendem Verhalten heute höher ist als früher, hat mit der Zukunft nichts am Hut, sondern schafft eine unfriedliche Gesellschaft. Konservative sind nicht der Nabel der Welt. Aber sie halten den Nabel in der Mitte. Das Spannungsfeld an sich lässt sich nicht auflösen. Wenn Konservative das nicht aushalten und aufgeben, sich darin zu artikulieren, ist der Konservatismus wirklich kaputt. Aber das wird nicht passieren, weil eine freiheitliche Gesellschaft ohne Konservative nicht leben kann. Die definieren sich immer wieder neu, die häuten sich, seitdem es sie gibt. Konservatismus darf ja nicht blutleer oder starrsinnig daherkommen, sondern muss in den realen Lebensbedingungen Anknüpfungspunkte finden. Konservativ ist nicht statisch, nicht verknöchert, sondern steht offensiv in der Moderne.
F.A.S.: Das sagt ein Mann, der wie wenige andere CDU-Politiker wegen konservativer Standpunkte öffentlich diskreditiert wurde.
Koch: Das gehört zur Politik. Damit muss ein Politiker leben, der etwas verändern will.
F.A.S.: Glauben Sie, dass solche öffentlichen Schauprozesse, die nicht selten mit der Ehrvernichtung enden, keine Exempel sind? Dass ihr Ausgang seine Wirkung auf künftige Auseinandersetzungen verfehlt? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Koch: Ich glaube, dass Veränderungsprozesse immer iterativ sind. Da gibt es Schritte nach vorne, nach hinten, das ist ja keine gerade Linie, wenn es kontroverse Prozesse sind. Nur unkontroverse Prozesse sind kontinuierlich. Und langsam. Im Ergebnis sind diese kontroversen, iterativen Prozesse, wo einer den Schlag ins Gesicht kriegt, wieder ein Stück zurückgeht, der Nächste wieder anfängt – in Wahrheit sind das ja eher die schnelleren. Aber sie haben natürlich eine höhere Wirkung in der Personalisierung und Emotionalisierung. Insofern glaube ich, wenn man jetzt mal nüchtern Bilanz zieht: Die Konservativen sind nicht auf der Verliererstrecke, obwohl sie subjektiv dauernd den Eindruck haben. Es ist den Linken allerdings gelungen, den Konservativen auszutreiben, sich konservativ zu nennen – weil sie es dann einfacher haben. Also weichen manche auf den Begriff „pragmatisch“ aus.
F.A.S.: Auch Sie umstellen konservative Grundpositionen in Ihrem Buch mit einer Unzahl salvatorischer Klauseln.
Koch: Würde ich nicht sagen. Aber wenn Sie noch zwei Bücher haben, wo so viel „konservativ“ genannt wird wie bei mir, nehme ich den Wettbewerb an.
F.A.S.: Tue ich Ihnen unrecht, wenn ich Ihr Buch so zusammenfasse, dass es das Programm eines Konservatismus in Deutschland ist, aber zugleich der Abschied von einem kämpferischen Konservatismus?
Koch: Im Gegenteil: Ich möchte die Konservativen selbstbewusster machen. Dieses Buch soll ihr Selbstwertgefühl erhöhen. Weil das eine wirklich sinnvolle Konzeption ist. Der Konservatismus muss kampfbereit sein bei der Abwehr und kreativ bei der Gestaltung. Ich hänge da schon an dem Begriffspaar Maß und Mitte.
F.A.S.: Kämpferisch heißt doch nicht abwehrend, defensiv. Es heißt, dass man engagiert ist, sich für etwas einsetzt. Wollen Sie diese Haltung den Progressiven überlassen?
Koch: Ein kämpferischer Linker will die Welt aus den Angeln heben. Ein kämpferischer Konservativer muss darauf achten, dass er sich nicht darauf konzentriert, dass alles so bleibt, wie es ist. Der eine will den Tisch umschmeißen, der andere will ihn stehenlassen. Das sind halt zwei unterschiedliche Körperhaltungen. Der Linke braucht Sendungsbewusstsein, der Konservative Selbstbewusstsein. Das ist etwas anderes.
F.A.S.: Der Konservative muss genau wie sein politischer Gegner für etwas kämpfen, nicht nur gegen etwas. Und wenn gegen etwas, dann wiederum genau wie sein politischer Gegner: gegen Missstände, Ungerechtigkeiten.
Koch: Natürlich. Man muss für die Familie kämpfen, man muss für das Lebensrecht kämpfen, da steht man mitten im Streit. Man muss für Patriotismus kämpfen, für Integration, für eine Dienstpflicht – wenn man sie denn will -, für den Platz der Religion, für unsere Wirtschaftsform. Ich hab auch nichts gegen das Wort „kämpferisch“. Aber wenn schon kämpfen, dann selbstbewusst als Konservative. Wir sollten freimütig sagen: Wir haben eine schöne Gesellschaft, mit der wir sehr zufrieden sein können. Und wir als Konservative haben an dieser Gesellschaft schon mal mindestens so viel mitgewirkt wie jene, die sich Linke nennen. Das ist unsere Gesellschaft. Und deshalb ist es auch unser Recht, über ihre Weiterentwicklung zu reden. Auch mit Begriffen wie etwa „Stolz“, die andere herunterzumachen versucht haben. Mit einer klaren Identität. Mit der Bereitschaft, Prinzipien nicht über Bord zu werfen. Nicht dogmatisch, nicht intolerant, aber mit einer Richtung. Die größte Gefahr für Konservative ist eigentlich, dass sie nicht mehr den Mut haben, das konservativ zu nennen.
F.A.S.: Glauben Sie wirklich, dass Sie ein Konservativer sind?
Koch: Ich glaube, dass ich das heute ziemlich sicher sage. Vor zwanzig Jahren wäre ich nicht so sicher gewesen. Aber heute? Ich werde immer als Reformer denken, aber als konservativer Reformer.
F.A.S.: Vielleicht sind Sie ein relativer Konservativer, weil neben Ihnen keine mehr sind?
Koch: Das würde ich im Vergleich zu Ihrem absoluten Anspruch auch verkraften.
F.A.S.: Auch Sie dulden eben nicht gern konservative Kritik.
Koch: Ich bin begeistert von Kritik. Aber Gespräche unter Konservativen verlaufen eben oft nach dem Muster: Der eine sagt zum anderen „Weichei“, der andere sagt zum einen „Reaktionär“.
Mit dem frischgebackenen Buchautor und hessischen Ministerpräsidenten a.D. diskutierte Volker Zastrow.
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