„Ich freue mich darauf, nicht mehr schon in aller Frühe die Nachrichtenagenturen nervös nach neuen politischen Problemen absuchen zu müssen“
Ministerpräsident Roland Koch im stern-Interview
stern: Herr Koch, am Montag spielt das Bundeswehrorchester zu ihrem Abschied. Welche Songs haben Sie sich gewünscht?
Roland Koch: Die Nationalhymne, das Hessenlied und ein bisschen was von Udo Jürgens.
stern: „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an?“
Koch: (Lacht) Nein, nein, andere Songs. Das Bundeswehrorchester wird ein bisschen herausgefordert sein, denn Udo Jürgens wird selbst da sein.
stern: Oha.
Koch: Er ist ein guter Freund von mir.
stern: Einen Tag später werden Sie, der geschworene Fan des TS-Royal mit Käse, als Generalbevollmächtigter bei McDonalds anfangen.
Koch: Nein. Denen reicht es, mich als Kunden zu haben. Diesen Absatzmarkt wollen sie sich erhalten.
stern: Fast-Food ist das Essen für Menschen mit Zeitmangel. Sie haben ab Dienstag unendlich viel Zeit. Graust es Ihnen davor?
Koch: Im Gegenteil. Ich muss die Sorge meiner Frau zerstreuen, dass die freie Zeit schon wieder voll verplant sein wird. Mit Arbeit am Haus, Reisen und manch anderem. Und ich freue mich darauf, nicht mehr schon in aller Frühe die Nachrichtenagenturen nervös nach neuen politischen Problemen absuchen zu müssen.
stern: Helmut Kohl kommt zu Ihrem Abschied nach Wiesbaden. Würden Sie ihn als Ihren politischen Ziehvater bezeichnen?
Koch: Wir sind uns politisch und persönlich nah, da ist über die Jahre eine Freundschaft gewachsen, auf die ich ein bisschen stolz bin.
stern: Er hat in Ihnen einen kommenden Kanzler gesehen.
Koch: Er hat viele Nachwuchstalente im Auge gehabt.
stern: Der Name Kohl steht auch für die Parteispendenaffäre. Sie wären beinahe zurückgetreten, als die schwarzen Kassen Ihrer Vorgänger in Hessen aufflogen. Hat Sie diese Erbschaft nicht auch manchmal wütend gemacht?
Koch: Was ich zu erdulden hatte, war eine hessische Herausforderung. Sie stand in keiner Verbindung zu Helmut Kohl.
stern: Sie benutzen ganz bewusst das Wort „erdulden“?
Koch: Die Ursachen der hessischen Affäre liegen Anfang der 80er-Jahre. Da hatte ich aber natürlich noch keine politische Mitverantwortung auf der Landesebene. Auf dem Höhepunkt der Krise haben das leider viele hessische Bürger nicht mehr realisiert. So gesehen ist das Wort erdulden noch milde, denn wahrscheinlich glauben heute noch manche, ich als Überbringer manch bitterer Aufklärungsarbeit sei für diese Vorgänge verantwortlich.
stern: Sie sind Jurist. Haben Sie Bauchschmerzen damit, dass Kohl die Spendernamen bis heute nicht genannt hat?
Koch: Ich habe es als Freund einfach akzeptiert.
stern: Dirk Metz, Ihr Sprecher, rückte während der Parteispendenaffäre zu Ihrem wichtigsten Berater auf. Inzwischen hat man den Eindruck, er sei Ihr Alter Ego: Wie trennen Sie sich?
Koch: Es war eine kongeniale Zusammenarbeit, zudem mit viel Freude. Er weiß, was Medien wollen und bekommen müssen oder meinen, bekommen zu müssen. Ich selbst bin viel zu introvertiert, um es spannend zu finden, dauernd in der Zeitung zu stehen. Im Übrigen haben wir beide eine ungewöhnlich hohe Trefferquote beim Fortsetzen der Sätze des Anderen. Mit dem Aushändigen der offiziellen Entlassungsurkunden wird unsere Freundschaft nicht enden.
stern: Ole von Beust hat gesagt, seine Familie haben ihn noch mehr geprägt als die CDU. In Ihrer Familie war der Vater CDU-Politiker, Sie sind mit 14 Jahren in die Partei eingestiegen. Sind Sie die Verkörperung dessen, was viele Parteifreunde fordern, nämlich „CDU pur“?
Koch: In einer Volkspartei gibt es dieses „pur“ nicht. Die CDU ist ein Gesamtkunstwerk – aus einzelnen Personen mit ihren Geschichten und Vorstellungen, die ein gemeinsames Interesse an einem verbindenden Band haben. So gesehen bin ich in der CDU gewiss einer dieser Solitäre gewesen, für eine gewisse Zeit.
stern: Ihr Aufstieg war eng verbunden mit zwei politischen Männerseilschaften: der hessischen „Tankstelle“ und dem bundesweiten „Andenpakt“. Hat Angela Merkel allein deswegen, weil sie eine Frau ist, Ihre ursprüngliche Vorstellung vom politischen Geschäft irritiert?
Koch: Das ist eine Kategorie, in der ich nicht denke. Und die Freundschaftskreise – davon gibt es in der CDU sehr viele. Das Geraune um „Tankstelle“ und „Andenpakt“ hat meine Person in den Medien mythologisiert. Dieser Effekt war größer als der realpolitische.
stern: Sie gelten als cäsarischer Machtmensch. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat mal gesagt: „Ohne Koch geht nichts in Hessen.“ Wie wichtig ist Ihnen Kontrolle?
Koch: Kontrolle über die Entscheidungsprozesse zu haben, um für die Ergebnisse dann auch Verantwortung übernehmen zu können – ja, das schon.
stern: Wie erotisch ist die Macht?
Koch: Ich glaube, das gibt es nicht. Es ist gut, dass die politische Arbeit materiell eher bescheiden belohnt wird. An anderer Stelle könnte man mit weniger Anstrengung mehr bekommen. Aber die Chance, die Gesellschaft zu gestalten, das kann einen schon faszinieren. So gesehen gibt es in der Politik einen emotionalen Faktor, der nicht auf Fakten beruht.
stern: Eine weit verbreitete These ist, dass Sie nie nach Brüssel oder Berlin gegangen sind, weil Sie dort nicht mehr hätten so selbstbestimmt arbeiten können. Ist das richtig?
Koch: Das ist nicht falsch. Aber Sie müssen das als Prozess sehen. Mitte der 90er-Jahre hätte ich noch gesagt: Nach der Landespolitik folgt die Bundespolitik. Aber wenn sie einige Jahre Ministerpräsident sind, stellt sich diese Frage neu. Denn der Einfluss eines Ministerpräsidenten ist nicht geringer als der eines Berliner Kabinettmitglieds, denn wir wirken an der Willensbildung auf der Bundesebene ja mit. Und ich hatte gleichzeitig noch das Privileg, das zu tun, was mir Spaß macht: In exekutiver Verantwortung stehen, dort zu sein, wo Politik die Menschen direkt betrifft.
stern: 2008 wurden Sie in Hessen praktisch abgewählt. Löste das den Gedanken an einen Rücktritt aus? Sie hatten es Ihren Parteifreunden in der Wahlnacht ja schon angeboten.
Koch: Mir war – im Gegensatz zu vielen anderen – klar, dass Andrea Ypsilanti versuchen würde, mit den Linken zu regieren. Genau davor hatten wir ja im Wahlkampf gewarnt. Durch die hessischen Verhältnisse konnte ich nicht mehr raus, den Zeitpunkt des Abgangs zu bestimmen, ging nicht mehr. Aber ich habe mich innerlich wochenlang darauf vorbereitet und Angela Merkel seinerzeit gesagt, dass sie sich keine Gedanken machen muss, wo sie mich politisch unterbringen kann. Die Kisten waren schon gepackt, als die vier Aufrechten in der SPD auftauchten.
stern: Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken?
Koch: Mit meinen politischen Grundsatzentscheidungen bin ich ganz zufrieden. Sicher gibt es im Detail auch schwierige Fehler. Zum Beispiel in der Spendenaffäre. Im Januar 2000 war intern klar: Da rollt etwas auf uns zu. Ich hätte beim Empfang der Sternsinger nicht öffentlich behaupten dürfen, ich wisse nichts. Denn da dämmerte mir was, auch wenn Art und Umfang des Problems noch im Nebel lagen. Da war Druck, da war Stress, aber es lohnt sich nicht, über Rechtfertigungen nachzudenken. Es war schlicht ein Fehler, der mich politisch beinahe umgebracht hätte.
stern: Sie haben immer polarisiert, zum Beispiel mit ihren Wahlkampagnen. Andererseits fühlten Sie sich von den Medien zu Unrecht verteufelt. Wie passt das zusammen?
Koch: Es passt zusammen. Weil Polarisierung aus meiner Sicht durchaus ein wichtiges Mittel der demokratischen Auseinandersetzung ist. Und in der Tat: Ich habe des Öfteren polarisiert. Ein Politiker muss komplizierte Sachverhalte auf Ja/Nein-Fragen reduzieren können, nur dann kann der Wähler klar entscheiden. In der Wahlkabine kann er nicht mit „Jein“ oder „Vielleicht ein bisschen“ abstimmen.
stern: Was antworten Sie auf die Frage: Ist Roland Koch ausländerfeindlich?
Koch: Wer das behauptet und nicht anerkennt, dass unter meiner Führung nachweislich die kreativste und beste Integrationspolitik aller Bundesländer gemacht wurde, der verzerrt das Bild. Und es gibt viele, die ein verzerrtes Bild sehen wollen. Übrigens sind wir für unsere Integrationspolitik von der türkischen Regierung ausgezeichnet worden.
stern: Würden Sie nachfolgende Sätze unterschreiben: Roland Koch hat eine moderne Integrationspolitik gemacht, aber, um im Wahlkampf die Menschen zu mobilisieren, mit ausländerfeindlichen Ressentiments gespielt?
Koch: Nein. Ich bin nach wie vor gegen eine allgemeine doppelte Staatsbürgerschaft. Aber das hat nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun.
stern: Das war die Kampagne 1999. Und wie steht es mit dem Plakat, das Sie 2008 kleben ließen: „Ypsilanti, Al Wazir und Kommunisten stoppen“?
Koch: Diese These hat sich ja bestätigt, denn genau diese Zusammenarbeit haben sie ja dann entgegen aller Versprechen nach der Wahl angesteuert. Aber ich nehme im Nachhinein zur Kenntnis, dass Leute, die ein Zerrbild bedienen wollten, das missbrauchen konnten. Man kann sagen, ich hätte dieses Risiko höher gewichten müssen. Aber wir haben das damals nicht als Argument gesehen, um eine an sich richtige Botschaft zu unterbinden.
stern: Sie hatten erwähnt, dass Sie nun eine Art „Resozialisierungskurs“ benötigen, um sich wieder im normalen Leben zurechtzufinden. Was müssen Sie wieder lernen?
Koch: Informationsbeschaffung und Transport. Das wird einem weitgehend aus der Hand genommen. Es gibt zum Beispiel Leute, die legen beim Boarding am Flughafen einen Code vor, der ihnen aufs Handy gespielt wurde. Solche Sachen habe ich natürlich nie machen müssen. Jetzt muss und werde ich sie lernen. Wäre ich noch zehn Jahre länger in der politischen Führung geblieben, würde ich sie vielleicht nicht mehr lernen. Auch das hat eine Rolle bei meinen Überlegungen gespielt, auszuscheiden.
stern: Auf was freuen Sie sich nun besonders? Einfach mal ausschlafen? In Ruhe den Rasen mähen?
Koch: Das habe ich gerade vergangenen Samstag gemacht. Und es ist ja nicht so, als hätte ich nie ausschlafen können. Ich habe Politik nicht als Frondienst empfunden, ich habe nicht das Gefühl: Endlich ist es vorbei. Mein Job hat mir Spaß gemacht. Sicher werden es meine Freunde gut finden, wenn wir Termine nicht ein halbes Jahr zuvor vereinbaren müssen. Und ich werde meinen Spleen pflegen: Kochen.
stern: Wollen Sie den Politiker Koch tatsächlich beerdigen? Oder warten Sie auf die Zeit nach Angela Merkel?
Koch: Die meisten Menschen kennen nur den Politiker Roland Koch. Und spekulieren deshalb immer wieder gerne über dessen politische Karriere. Aber ich habe auch Unternehmen gegründet, als Wirtschaftsanwalt gearbeitet und in Aufsichtsräten gesessen. Ich kenne auch den anderen Roland Koch. Deswegen bin ich da optimistischer als Sie.
stern: Wann kommt das Buch: „Roland Koch: Mein politisches Leben“?
Koch: Ich habe mich nie um die Dokumentation meines Lebens gekümmert. Und Memoiren zu schreiben, wäre für mich der reinste Horror. Also, sowohl was das Wollen als auch was das Können betrifft: Seien Sie sicher, dieses Buch kommt nicht.